Polemiker, Unruhestifter und die Unruhe überhaupt haben hierzulande einen einen schlechten Ruf. Zu Unrecht meinen wir, denn Unruhestifter (womit wir nicht Neinsager auf  Teufel komm raus meinen)  haben dafür gesorgt, dass demokratische Strukturen eingeführt oder verbessert wurden, ihr Unruhegeist gelte uns als demokratisches Elixier. Am, besser noch, hinterm Ofen sitzend aber, beschäftigt und zufrieden mit der Tageszeitung, sitzt, der da (Text im Anhang) singt: „Lisette, noch ein Gläschen Bier, ich will ein braver Bürger werden …“ –  so wird ein solcher von oben geliebt. Und dann liebt auch er alles und sich auch. Und hat Ärger mit Niemandem!

In den zornigen Jahren des 19. Jahrhunderts entdeckten die Deutschen die Straße als den Ort des Protestes. Erbitterung und Empörung über Behörden, Majestäten und Fabrikherren machten sich Luft in Protestmärschen, Demonstrationen und Manifestationen. Die Hungrigen wogen in den Bäckereien das Brot nach; war es in Ordnung, zog man weiter, war es zu leicht, wurde es genommen und verteilt. In Hunderten Volksversammlungen wurde über Gott und die Welt, den Straßenbau, die Industrieverschmutzung und über das allgemeine Wahlrecht gestritten; die Arbeiter forderten kürzere Arbeitszeit und „anständige Behandlung“. Zusammen mit Dienstboten und Handwerksgesellen kämpften sie um ihre gesellschaftliche Anerkennung.

Diese Proteste waren eine politische Volks-Schule, man lernte zusammen mit den Studierten das Abc der demokratischen Rituale. Die Vertreter der herrschenden Mächte wurden unruhig und schürten deshalb die Angst vor dem, was sie Umtriebe nannten.In den Fliegenden Blättern erschien damals, es war 1848, eine Zeichnung, die den Erfolg der staatlichen Angstkampagnen illustriert.

Eine Bauersfrau fragt auf diesem frühen Comic ihren heimkehrenden Mann: „Kommst du aus der Volksversammlung?“ – „Jawohl, Alte!“ – „Na was habt ihr denn ausgemacht? Ist jetzt Freiheit – oder ist noch Ordnung?“ Der Ethnologe Wolfgang Kaschuba spricht von den „konservativ geschürten Revolutionsängsten“, die da zum Ausdruck kommen.

1848 in Berlin - da war nicht nur keine Unruhe erlaubt …

1848 in Berlin – da war nicht nur Unruhe nicht erlaubt …

Der Staat hatte brutal ablehnend auf die friedliche Revolution von 1848 reagiert. Nach der brüsken Zurückweisung der demokratischen Reichsverfassung durch Preußen versuchten auch die süddeutschen Volksvereine und demokratischen Zirkel, den Monarchien die Republik abzutrotzen. Am 5.Mai 1849 gründete sich das Freikorps, wofür sich sofort zweihundert einfache Handwerksgesellen, Arbeiter und Weingärtner meldeten. Der Reutlinger Courier von 1849 beschreibt, wie „Jungfrauen“ die Fahne übergeben: „Jünglinge! Bleibet einander treu im Kampfe für Freiheit und Gerechtigkeit. Unsere Liebe gebe Euch Muth zur Ausdauer, dann ist der Sieg Euer Lohn.“ Gesiegt haben die Jünglinge nicht. Der Staat zog die Zügel scharf an, die gescheiterten Demokraten zogen sich ins Biedermeier zurück. Nach Auflösung der Kompanie wurde die Fahne von der Bürgerwehr in Verwahrung genommen, später ging sie in den Besitz des Reutlinger Turnvereins über.

Ist jetzt Freiheit – oder ist noch Ordnung? Dieser fragende Satz aus den Fliegenden Blättern von 1848 ist ein deutscher Schlüsselsatz, er erklärt den deutschen Anti-Chaos-Reflex. Freiheit galt hierzulande lange nicht als Inhalt und Teil der Ordnung, sondern als ein Synonym für Unruhe und Chaos. Ordnung ist gut, Freiheit ist schlecht. Das klingt noch heute in den politischen Debatten durch, mit denen neue Sicherheitsgesetze begründet werden; die Beschränkung der Freiheitsrechte soll mehr Sicherheit bringen. Ruhe ist erste Bürgerpflicht, Unruhe eine Pflichtverletzung. Das wurzelt tief im kollektiven Hintergrundbewusstsein.

Unruhe hat einen denkbar schlechten Ruf in Deutschland. Wenn jemand „Unruhen“ heute auch nur befürchtet, dann gilt er als eine Art Brandstifter und Aufhetzer. Die bloße Beschreibung eines womöglich prekären Zustands wird als gefährlich apostrophiert – das Establishment der Berliner Politik reagiert wie Palmström in den Galgenliedern von Christian Morgenstern: Palmström, vom Auto überfahren, kommt zu dem Ergebnis, dass er den Unfall nur geträumt haben könne – „weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf“.

Vielleicht hätten all Jene, die sich aufmüpfig gegeben haben nicht von „Unruhen“, sondern von „Unruhe“ reden sollen. „Unruhen“ werden hierzulande nicht einfach als Summierung von Besorgnis und Zorn wahrgenommen, sondern mit Gewalttätigkeit gleichgesetzt. Öffentliche Unruhe bedeutet aber automatisch nicht brennende Autos und Boss-Napping. Unruhe ist etwas anderes als Randale. Unruhe ist nicht der Polit-Hooliganismus einer 1.-Mai-Nacht. Es gibt sozialverträgliche, voranbringende Formen der Unruhe – sie tragen die innere Unruhe über gesellschaftliche Missstände protestierend auf die Straße.

Erinnerungslücken

Noch ist allüberall Ruhe im Land

Noch ist allüberall Ruhe im Land – und so funktionierte es durch die Zeiten, dass es so bleibt

Die gewalttätigsten Zeiten waren in Deutschland diejenigen, in denen keinerlei Unruhe geduldet wurde. Unruhe ist ein innerer Vorgang, und wenn sich diese Unruhe im öffentlichen Protest Luft macht, ist das nicht schlecht, sondern gut. Öffentliche Unruhe ist nicht per se gewalttätig, wie es die Autoritäten glauben machen wollen. Das war 1832 nicht so, als die unruhigen Bürger aufs Hambacher Schloss zogen. Das war 1848 nicht so, als die wildesten Aktionen nicht etwa die Erstürmung von Rathäusern und Fabriken waren, sondern die Veranstaltung von Katzenmusiken vor den Häusern von Politikern und Fabrikherren.Dennoch wurde die „48er Revolution“ brutal niedergeschlagen. Dies Lied erinnert daran:

„seht doch die Pfaffenhütchen …“

Volkslied, entstanden nach der verlorenen „Märzrevolution“ 1848/49 von Georg Herwegh

´s ist wieder März geworden
vom Frühling keine Spur!
Ein kalter Hauch aus Norden
erstarret rings die Flur

’s ist wieder März geworden –
März, wie es eh’dem war:
Mit Blumen, mit verdorrten,
erscheint das junge Jahr

Mit Blumen, mit verdorrten?
O nein, doch das ist Scherz –
gar edle Blumensorten
bringt blühend uns der März

Seht doch die Pfaffenhütchen:
den Rittersporn, wie frisch!
Von den gesternten Blütchen –
welch farbiges Gemisch!

Der März ist wohl erschienen.
Doch ward es Frühling? – nein!
Ein Lenz kann uns nur grünen
im Freiheitssonnenschein

Seht hier den Wütrich thronen,
beim Tausendgüldenkraut,
dort jene Kaiserkronen
die Königskerze schaut!

Wie zahlreich die Mimosen
das Zittergras wie dicht
Doch freilich rote Rosen
die kamen diesmal nicht.

Auch 1989 war es nicht so, dass Rathäuser gestürmt oder Stasizentralen, als die Bürgerinnen und Bürger der DDR sich ihre Freiheit erkämpften und das verwirklichten, was schon die Revolutionäre von 1848 gewollt hatten: Einheit in Freiheit.

Warum hat die Erinnerung an die Zeiten produktiver Unruhe, warum hat die Erinnerung an eine erfolgreiche Revolution in Deutschland keine Basis? Im Gesamtzusammenhang der deutschen Geschichte kommt hierzulande der Erinnerung an das sogenannte Dritte Reich, an die extremste und brutalste Form der deutschen Auflehnung gegen die Demokratie, eine ähnliche Bedeutung zu wie bei anderen Nationen die Erinnerung an eine erfolgreiche Revolution – so meint der Historiker Heinrich August Winkler. Die Erinnerung an die Nazi-Herrschaft ist eine bedrückende, gewaltige Erinnerung, die zwar, verbunden mit einem „Nie wieder!“, die Demokratie festigt, aber offenbar die anderen Erinnerungen verdrängt – die Erinnerungen an die Zeiten der produktiven Unruhe, in denen die Demokratie geschaffen und die Grundrechte gestärkt worden sind.

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So hab´ ich es nach langen Jahren
Zu diesen Posten noch gebracht
Und leider nur zu oft erfahren,
Wer hier im Land das Wetter macht.
Du sollst, vedammte Freiheit ! mir
Die Ruhe fürder nicht gefährden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier !
Ich will ein guter Bürger werden.

Auch ich sprach einst vom Vaterland
Und solchen sonderbaren Dingen,
Ich trug das schwarzrotgoldne Band
Und ließ die Sporen furchtbar klingen:
Doch selig, wer im Gleise geht
Und still im Joche zieht auf Erden –
Was hilft die Genialität ?
Ich will ein guter Bürger werden.

Diogenes vor seiner Tonne –
Vortrefflich, wie beneid´ ich ihn !
Es war noch keine Julisonne,
Die jenen Glücklichen beschien.
Was Monarchie ? was Republik ?
Wie sich die Leute toll gebärden !
Zum Teufel mit der Politik !
Ich will ein guter Bürger werden.

Gewiß, man tobt sich einmal aus –
Es wär ja um die Jugend schade –
Doch, führt man erst sein eigen Haus,
So werden Fünfe plötzlich grade.
In welcher Mühle man uns mahlt,
Das macht uns nimmer viel Beschwerden.
Der ist mein Herr, der mich bezahlt –
Ich will ein guter Bürger werden.

Jedwedem Umtrieb bleib ich fern,
Der Henker mag das Volk beglücken !
Ein Orden ist ein eigner Stern,
Wer einen hat, der soll sich bücken.
Bück dich, mein Herz ! bald fahren wir
Zur Residenz mit eignen Pferden
Lisette, noch ein Gläschen Bier !
Ich will ein guter Bürger werden.

(1848)

Dez 2013 | Allgemein, Feuilleton, Sapere aude, Zeitgeschehen | 2 Kommentare