Russlands Präsident Wladimir Putin hat Kreml-Gegner Michail Chodorkowski begnadigt, das teilte das Präsidialamt am heutigen Freitag mit. Von einer jüngst verkündeten Massenamnestie profitieren zudem Pussy Riot und Greenpeace-Aktivisten. Die Freilassungen gehören zum faulen Zauber der Winterspiele in Sotschi, meinen einige Kommentatoren. Andere sehen sie als Schlusspunkt eines für Putin höchst erfolgreichen Jahres.
Mladá fronta Dnes – Tschechien
Chodorkowski soll Sotschi retten
Hinter der Begnadigung steckt vielleicht ein Gesuch von Russlands bekanntestem Häftling, ganz sicher aber Putins politisches Kalkül, meint die liberale Tageszeitung Mladá fronta Dnes: „Wir können nur mutmaßen, ob Chodorkowski ein Gnadengesuch geschrieben hat oder nicht. Über Jahre hat er das abgelehnt, weil er sich in beiden Prozessen, die gegen ihn geführt wurden, im Sinne der Anklage als unschuldig sah. Es ist die Frage, ob zehn Jahre in russischer Haft vielleicht ihre Wirkung hinterlassen haben und sich Russlands momentan prominentester Häftling mittlerweile sagt, dass Freiheit am Ende besser ist als Unfreiheit. Die andere Frage ist, weshalb sich Putin selbst zu diesem Gnadenerlass entschlossen hat. Er muss sich kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Sotschi der Tatsache stellen, dass weltweit ein wichtiger Staatsmann nach dem anderen ablehnt, in sein Putingrad zu kommen.“ (20.12.2013)
Der Standard – Österreich
Putins große Täuschungs-Show
Die Amnestie-Ankündigung und die Olympischen Winterspiele in Sotschi sind gleichermaßen ein fauler Zauber, befindet die linksliberale Tageszeitung Der Standard: „Da Russland im Jahr 14 des Putinismus so tut, als wäre es wieder eine Weltmacht, ist es nur logisch, die subtropische Schwarzmeerregion (gleicher Breitengrad wie Nizza) so zu präsentieren, als wäre sie ein Wintersportgebiet. … Ein bisschen schwieriger ist es schon, so zu tun, als wäre Russland ein funktionierender Rechtsstaat. Denn dann hätte es die Prozesse gegen den Oligarchen Michail Chodorkowski und die Pussy-Riot-Musikerinnen nach deren kremlkritischen Äußerungen in dieser Form nicht geben dürfen. Ihre jetzt angekündigte Begnadigung bedeutet keine Rehabilitierung. Aber immerhin: Es entsteht der Eindruck, als wäre die russische Obrigkeit längst nicht so unbarmherzig, wie dies böse Kritiker im Westen behaupten. … Die Sportlerinnen und Sportler sollen ihre Sotschi-Spiele haben. Aber allen politischen Repräsentanten, die bei der Eröffnung am 7. Februar dabei sind, muss klar sein, dass sie in Putins großer Als-ob-Show mitspielen.“ (20.12.2013)
El País – Spanien
Gutes Jahr für russischen Präsidenten
Zum Abschluss eines für ihn sehr erfolgreichen Jahres nimmt Kreml-Chef Putin nun sogar dem Olympia-Boykott mehrerer Politiker den Wind aus den Segeln, analysiert die linksliberale Tageszeitung El País: „Auf der traditionellen Jahres-Pressekonferenz gestern vor 1.300 Journalisten hatte Wladimir Putin allen Grund, gut gelaunt zu sein. 2013 war zweifelsohne ein gutes Jahr für den russischen Präsidenten. In der Außenpolitik konnte er beweisen, dass Moskau seine Rolle auf der internationalen Bühne zurückerlangt hat. Und mit der Massenamnestie, durch die er mehrere berühmte Häftlinge auf symbolträchtige Art und Weise freilässt, landet er einen effektiven Schlag gegen die Boykott-Kampagne zu den Winterspiele im Februar in Sotschi.“ (20.12.2013)
La Stampa – Italien
Machiavelli des dritten Jahrtausends
Putin legt mit List und Tücke alle aufs Kreuz, konstatiert die liberale Tageszeitung La Stampa: „Eines muss man dem ehemaligen Geheimdienstagenten bei aller Kritik lassen: Er besitzt die Schläue eines Machiavelli, das zeigen seine jüngsten Manöver: Das Dribbling, mit dem er Obama im Syrien-Konflikt ausgetrickst hat, indem er vom Vorstoß des Papstes profitierte, um als Mann des Friedens aufzutreten und zugleich seinem Vasallen Assad Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Arroganz, mit der er Raketen an der Grenze Europas auffährt, als Vergeltungsschlag für den geplanten Abwehrschild der USA. … Und schließlich die Gewandtheit, mit der Putin auf die als Beleidigung gedachte Absage der Präsidenten Frankreichs und der USA für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele reagiert. Statt schärfere Töne anzuschlagen, bringt er seine Gegner aus dem Konzept und verkündet Gnade für den Ex-Magnaten Michail Chodorkowski.“ (20.12.2013)
01.Dez.2015, 11:13
Zitat: Damit hat Putin einem rechtlich einwandfreien Ablauf des Prozesses sicher keinen Gefallen getan. Hallo, ich zweifle sehr daran, dass Herr Putin jemals Interesse an einem solchen Ablauf hatte. Ich sehe den Prozess nach den zugänglichen Informationen als Propaganda-Show einer Diktatur mit demokratischer Tünche: Die gezielten übergriffe auf systemkritische Presse und gleichzeitigen ergebnislosen Ermittlungen bei der Tätersuche sind für mich die Bestätigung der Abhängigkeit der Exekutive. Und dieser Prozess mit den Begleitumständen macht deutlich, dass auch die Judikative nicht unabhängig ist. Ob die Legislative nach demokratischen Gesichtspunkten in Amt und Würden gekommen ist und die Kooperation Medwedev/Putin rechtlich einwandfrei ist, darf doch sehr bezweifelt werden. Welche Ideologie der Diktatur zugrunde liegt, ist nebensächlich, im Prinzip ist Russland wieder ein Zarenreich, denke ich. Über den Ausgang des Prozesses zu spekulieren halte ich für sinnlos, denn der ist doch schon lange klar.