Seit es ihn gibt, hat der Monotheismus ein Medienproblem. Wie kann ein Gott, der kein Ding in der Welt, vielmehr der Schöpfer aller Ding und der mystische Hintergrund des Seins ist, präsent gemacht werden? Die Frage nach dem Medium des Monotheismus wird durch die aktuelle Konfrontation von Christentum und Islam neu angeschärft. Die Antwort heißt Weihnachten.
Weihnachtsmärchen ?
Doch nicht im Ernst! Die Kindheitsgeschichte Jesu, wie sie Lukas erzählt – ist sie nicht eine Kindergeschichte, ein Weihnachtsmärchen, ein Singspiel? „Gloria in excelsis Deo“ , so singen die Engelein,
und süßer die Jingle Bells nie klingen , als wenn Rudolph the rednosed reindeer jenen Santa, der die Distribution der Konsumgüter übernommen hat, auf hoch beladenem Schlitten durch die elektrifizierte Suburbia zieht, während sich allüberall im Land seine Gehilfen epidemieartig von den Hauswänden abseilen.
Mythen und Legenden
Nach den Ergebnissen historischkritischer Exegese war die Heilige Schrift zu einem ehrwürdigen Fundus von Mythen und Legenden herabgespannt worden. Wundergeschichten wie die vom leeren Grab zu Ostern und die von der Jungfrauengeburt zu Weihnachten wollte eine gütige Interpretation allenfalls symbolisch verstanden wissen.
Der bis heute nicht beigelegten Theologenstreit um das theologisch- physiologische Mysterium der Jungfrauengeburt zeugt von alledem.
Wir hingegen, dieweil von allüberall auf den Tannenspitzen (drei mal drei ist neune, Ihr wisst schon, was ich meine …), streiten darob nicht weiter, sondern geben – zur Sache – Thomas von Aquin das Wort: „Wie die Strahlen der Sonne die feste Masse des Glases durchdringen, ohne sie zu brechen oder irgendwie zu verletzen, auf ähnliche und noch erhabenere Weise, trat Jesus Christus aus dem mütterlichen Schoß ohne den geringsten Nachteil für die Jungfräulichkeit seiner Mutter hervor.“
Seis drum …
„Zwar weiß ich viel, doch möchte ich alles wissen.“
Heraklit (ca. 540 – 480 v. Chr.) hat bereits hat den symbolischen Charakter der Religion entdeckt:
„Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Sättigung und Hunger; er wandelt sich aber gerade wie das Feuer, das, wenn es mit Räucherwerk vermischt wird, nach dem Duft eines jeden so oder so benannt wird.“
Im absoluten Geist Gottes lösen sich die Gegensätze auf, der innerste Kern der Natur ist das göttliche Weltgesetz. Mählich beginnt es selbst den Profi teuren des Fortschritts zu dämmern, dass sich Unheil zusammenbraut über einer Gesellschaft, die bislang glauben durfte, ihre Existenz vornehmlich auf die regulierende Kraft der Märkte gründen zu können, und dies ohne Rückkoppelung an jene Bereiche, die wir, ohne Ansehen der Konfessionen, als Religion bezeichnen.
Keine der Religionen verheimlicht die Gebrechen der diesseitigen Welt und ihrer Menschen. Wer die Bibel liest, erfährt ungeschminkt menschliche Realität, vom Lächerlichen bis zum Erhabenen, vom Sanften und Rührenden bis zum Schrecklichen und Barbarischen, von der innigen Liebe bis zum tödlichen Hass. Von Kain und Abel bis zum Kreuzestod Christi durchzieht die Bibel eine einzige Kette von menschlichen Miserabilitäten, gegen die so manches Skandalon unserer Tage eher harmlos anmutet.
Trotz oder wegen dieses Wissens um die schreckliche Unzulänglichkeit des Menschen versucht die Religion in allem, was dieser ausrichtet und anrichtet, jenen Punkt ausfindig zu machen und auf ihn hinzudeuten, an dem Katharsis, Reinigung also, und somit Erlösung von
menschlichem Übel möglich wird.
Um der Weihnacht Willen: Die Sache Jesu …
Also, was war das, die Sache Jesu? Im Zweifel der mythenfreie Restbestand, also das, was aus diesem Märchenbuch für die moralische Verbesserung des Menschengeschlechts brauchbar war. Fleißige Entmythologisierer hatten zwei Jahrhunderte lang Hand an die Heilige Schrift gelegt, die einmal der Glaubensanker der Reformatoren gewesen war. Arbeit am Heiligen! Wie ist sie der Heiligen Schrift bekommen? Historisch oder heilig – das schien auf eine Entscheidung hinauszulaufen. Der feste Grund für den Anker des Glaubens scheint freigespült, und das Schiffl ein treibt, wohin der Wind es weht. Phantomschmerzen kennen wir: Bein ab, und doch kalte Füße. Ein Phantomglück taucht auf aus der langsameren, gewesenen Zeit:
Weihnachten!
Das war einmal das Christfest, strahlender Abglanz des unerschaffenen Lichts in dunkler Nacht. Das Geburtsfest Gottes als Mensch! Und wenigstens an Weihnachten waren alle daheim.
Aber wer trägt Schuld an der Banalisierung von Weihnachten, ja überhaupt an der Kraftlosigkeit des westeuropäischen Christentums?
Rekonstruieren wir Weihnachten einmal als Antwort auf jenes einzigartige Medienproblem, das darin besteht, dass von einer Realität die Rede sein soll, auf die man nicht mit dem Finger zeigen kann.
„Keiner hat Gott je gesehen“, heißt es im Kerntext des Neuen Testaments, dem Johannesprolog 1, 18:
„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes …“ Die Wahrheitsfrage des Monotheismus markiert einen Beginn der Aufklärungsgeschichte. Wer sagt: Selbst gemachte Götter sind falsch, betreibt Religionskritik. Ohne sie ist die Geschichte von der Zermalmung des Goldenen Kalbes nicht zu denken. Mit ihr scheidet das Kultbild als Medium der Gottespräsenz aus. Es muss ausscheiden, denn ein neues steht bereit.
Die Schrift!
Für das alte Israel ist sie das Königsmedium des neuen, ganz anderen und einzigen Gottes. Beim Kultbild aber bestand immer die Gefahr, dass die Statue verwechselt wird mit dem, was sie bedeutet.
Die Schrift hingegen ist das Medium der Differenz. Buchstaben sind niemals das, was sie bedeuten. Auf einzigartige Weise machen sie Abwesendes anwesend, indem sie gleichzeitig seine Abwesenheit vorzeigen. Schrift ist wie geschaffen für einen Gott, der sich offenbart, indem er sich verhüllt. Und Er hatte seine Weisung selbst geschrieben: Mit dem Finger auf steinerne Tafeln. So wird die Schrift zum sakralen Medium seiner Präsenz.
Religion gegen Vernunft?
Ein Verdacht kommt auf: Ist es so, dass nur ein aufklärungsresistenter Islam die Kraft und Bindungswirkung einer Religion entwickelt, die nicht nur große Fragen, sondern auch große Antworten hat? Und hat nicht das Christentum seine Kraft durch Aufklärung und Kritik verloren? Sind Religion und Vernunft in der Wurzel unverträglich?
Das vierte Evangelium ist das theologisch gewichtigste, und seine Entstehung war von der Zunft immer ins 2. Jahrhundert gesetzt worden, was diese Schrift in gehörigem Abstand zum historischen Jesus gehalten und ihre Bedeutung geschwächt hatte. Historizität verbürgte Authentizität.
Was nicht als historisch ausgewiesen werden kann, steht unter Fälschungsverdacht. Für Christen und Nichtchristen ist der „historische Jesus“, gekürzt um seine göttliche Abstammung, eine unstrittige Lichtgestalt. Ein Freund der Sünder und Kinder, gesalbt und geliebt von Frauen, die er vor der Steinigung rettet. Er punktet durch seinen offenbar lockeren, beinahe spielerischen Umgang mit dem jüdischen Gesetz.
Andrew Lloyd Webber ist der Anwalt des Publikums: »Jesus Christ superstar, do you really know what they say you are?« Jesus aus Nazareth – ein toller Typ, und dann haben sie aus ihm den Christus, den Sohn Gottes, den Logos des großen Anfangs gemacht. Das entlarven wir als ein Interpretament des Frühkatholizismus. Immer scheiden sich die Geister an dem Jesus, wie ihn das Johannesevangelium zeigt. Im Prolog, der Essenz des Evangeliums, ist das Entscheidende schon enthalten. Der wesentliche Satz lautet: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet.« Das ist die Antwort von Weihnachten. Es geht nicht mehr nur um die Worte Jesu, sondern darum, dass Jesus das Wort ist.
Das Wort, der Logos, war am Anfang des Textes und »Im Anfang« von allem das Medium der Schöpfung. Gott sprach »und es ward«, heißt es im ersten Buch der Bibel, und nun war das Wort Fleisch geworden. Gott selber identifiziert sich mit dem Logos. Gott war das Wort, und das Wort war Gott. Das ist das Mysterium der Inkarnation. Und das ist er auch, der finale Medienwechsel des Monotheismus:
Gottespräsenz im Menschen und nicht im Text. Das letzte Medium des Monotheismus in seiner christlichen Gestalt ist nicht die Schrift, sondern ein singulärer Mensch, der Christus.
Für die Frommen, die Gott gerne besäßen, ist der heilige Text das Faszinosum. »Der unsichtbare Gott, den wir nicht sehen können, hat uns doch etwas gegeben, woran wir uns halten können, seinen eigenhändigen Text! Die Schrift ist, wenn nicht Gott selbst, so doch das Zweitbeste, etwas Göttliches – immerhin.
„In der Tat ist es Jesus, der dieses Konzept einer Gottespräsenz im Text dekonstruiert. Wie ein roter Faden zieht sich seine Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten durch alle vier Evangelien.
Noch so viel Schriftgelehrsamkeit reicht nicht aus, um den Willen Gottes zu ermitteln. Dabei stand kaum jemand Jesus so nahe wie die Schriftgelehrten.
Nicht zuletzt war er ja schließlich selbst einer. In der Bergpredigt bekräftigt er die Tora. Aber: »Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“. Als die Schriftgelehrten ihn mit einer erwischten Ehebrecherin konfrontieren, die nach der Tora die Todesstrafe durch Steinigung verdient, setzt sich der göttliche Finger, der einst für Mose auf steinerne Tafeln geschrieben hatte, in einer Lehrperformance erneut zu einer Gegendemonstration in Bewegung: »Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.« Was hat er geschrieben? Es ist so unwichtig, dass wir es nicht erfahren. Es geht nicht um eine Gesetzesnovelle. Der Text schlägt nicht zu, denn Jesus selbst ist präsent. Er meistert die Situation mit dem Satz: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.« Paulus legt nach: »Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig.
„Er weiß, was an die Stelle des heiligen Textes treten muss: der Mensch Jesus, der die Gottespräsenz im Buchstaben durch Gottespräsenz im Fleisch überboten und zur Nachahmung empfohlen hat.
Das Christentum ist keine Buchreligion, sondern die der Inkarnation, die Religion von Weihnachten. Deshalb übersteht sie das Fegefeuer der historischen Kritik wie einen Läuterungsprozess.
Wunder in der Zeit von Lichtschaltern
Weihnachten, das Mysterium der Menschwerdung, ist ein Wunder. Die Wundergeschichten der Bibel sind das Reizthema einer Theologie, die auf der Höhe der Zeit bleiben will.
In der Mitte des 20. Jahrhunderts hatte es Rudolf Bultmann mit seinem Programm der „Entmythologisierung“ ins Zentrum der Debatten befördert: „Wer elektrische Lichtschalter bedient“, so meinte er, „in dessen Welt sind Wunder nicht mehr zugelassen“. Was Wunder …
Wundererzählung zielen immer ins Herz der Normalität. Ein Dornbusch etwa, der brennt und nicht verbrennt, ist eine Manifestation gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Weil solche verbilligenden Rationalisierungen genau das beseitigen, worauf die Erzähler der Wundergeschichten hinauswollen, stoßen sie die Realpräsenz Gottes, die in diesen paradoxen Ereignissen enthalten war, ab wie ein fremdes Implantat.
Also doch ein mystisches Faktum? Im Unterschied zu alledem, was wir sonst ein Faktum nennen, ist es nichts zum Anfassen. „Fass mich nicht an!“, sagt der Auferstandene zu Maria Magdalena am Ostermorgen. Was sich entzieht, kann dennoch Spuren hinterlassen. Dann ist es wirklich geworden.
Alphabet der Kirche
Die Zeichenpraxis der christlichen Kirche hat als Antwort auf das Medienproblem des Monotheismus ein eigenes Alphabet ausgebildet. Es ist nach der Grammatik der Inkarnation konstruiert. Jesus, das Fleisch gewordene Wort, ist, anders als Schrift, das, was es bedeutet. Zeichen und Bedeutung fallen zusammen. Das ist die Definition des Sakraments.
Wäre nun also zu guter Letzt wirklich die Aufklärung am Siechtum des Christentums schuld? Das Gegenteil ist richtig. Gerade die Herausforderungen durch die Buchreligion des Islams zeigt, dass – wenn schon – das Christentum die Religion der Moderne sein könnte. Die Christen nämlich können sich eine harte Bibelkritik leisten. Denn das Wort ist Fleisch geworden.
So liege denn also nicht in fertigen Aussagen das Verbindende unterschiedlicher Rationalitätsformen, sondern in der Offenheit für die Gewinnung neuer Horizonte des Fragens, in der Möglichkeit auch des In-Frage-Stellens.
Konkret fordert das ein Ernstnehmen solcher Rationalitätsformen, wie sie vom heute herrschenden wissenschaftlichen, insbesondere dem naturwissenschaftlichen Denken, praktiziert werden. Das meint keine modische Anpassung. Aber der Theologe wird am überzeugendsten bei seiner Sache bleiben können, wenn er die Sache auch der Physiker, der Biologen und der Techniker in sein Denken aufnimmt.
Erst dann nämlich wird es ihm möglich sein, in Gemeinsamkeit mit anderen solche Fragestellungen zu entwickeln, die jeweils von jedem Punkt des Interesses aus auf das Grundsätzliche zielen.
Was allem Dasein, ja dem Sein im Ganzen, Ursprung und Grund gibt, kann keine Vernunft sagen, weil sie ja selbst in dieses Dasein verwoben ist. Aber, sie kann ihre Stärke darin erweisen, dass sie dem Glauben, da sei ein Grund, nicht feindselig widerspricht, sondern ihm den Weg offen hält. tno