Am 05. und 06. November 2013 fand im Theater und Orchester Heidelberg die Sitzung des Ausschusses für künstlerische Fragen des Deutschen Bühnenvereins statt. Das 20-köpfige Gremium kommt zwei Mal jährlich zusammen. Zentrale Themen der Sitzung waren u. a. der Theaterum- bzw. Neubau heutzutage und konkret in Heidelberg, die Initiative „art but fair“, Tendenzschutz für die Kunst sowie der Sinn von Projektförderungen wie z. B. „Kultur macht stark“.

Gastgeber Holger Schultze, Vorsitzender des Ausschusses und Intendant des Heidelberger Theaters, sowie Dr. Joachim Gerner, Bürgermeister für Familie, Soziales und Kultur der Stadt Heidelberg, begrüßten u. a. Rolf Bolwin, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Prof Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin und Vorsitzender der Intendantengruppe im Bühnenverein, sowie Felix Waechter, Architekt des Heidelberger Theaterneubaus, und den Architekturkritiker Dr. Dieter Bartetzko von der FAZ.

Was bedeutet in der heutigen Zeit für die Städte eine Theatersanierung oder ein Theaterneubau und in wieweit spiegelt sich das Anliegen auch in der Architektur wieder?
Es ist ein großes Bekenntnis für die Kulturlandschaft einer Stadt, für die Region und das Umland sich für ein solches Projekt zu entscheiden. Durch die Politik wird trotz aller Spardiskussionen somit ein nachhaltiges Zeichen gesetzt, das weit über die Landesgrenzen hinaus wirkt. Wie spiegeln sich die neuen Bedürfnisse auch in der Architektur wieder? Festzustellen ist, dass sich die Sehnsucht nach Transparenz immer mehr auch in der Architektur zeigt. Das Theater von heute ist kein Musentempel mehr im Elfenbeinturm. Es ist sehr positiv, wenn ein Theaterbau im Herzen einer Stadt platziert ist – wie etwa in Heidelberg direkt in der Altstadt – und gerade deshalb müssen auch die ‚Randgebiete‘ aktiv einbezogen werden. Das Theater darf sich nicht hermetisch abschotten und zurückziehen. Es öffnet sich in alle Richtungen und für alle Bevölkerungsschichten. Die Menschen müssen mitgenommen werden. Das Theater ist ein komplexer Bau und soll als solcher vermittelt werden. Dieses Anliegen bestimmt auch die architektonischen Einflüsse, wie z. B. am Heidelberger Um- und Neubau ganz deutlich zu sehen ist. Und das ist sehr begrüßenswert. Großer Vorteil ist, alle Gewerke zentral unter einem Dach zu wissen, so dass sich Künstler, Bühnentechniker und Werkstattmitarbeiter täglich in einem Haus begegnen. Das fördert das Verständnis für die jeweilige Arbeit und das Zusammengehörigkeitsgefühl an einer gemeinsamen Sache beteiligt zu sein. Ein weiterer überaus positiver Effekt ist, wie am Heidelberger Bau absolut gelungen, die Transparenz für die Bürger. In viele der Werkstätten bis hin zum neuen Tanzstudio hat der Passant Einblick von außen. Das wird durch große Fensterfronten ermöglicht. So bekommt der Bürger Verständnis für sein Theater vermittelt. Was muss alles geschehen, um für den Premierenabend eine komplette Inszenierung auf die ‚Beine‘ zu stellen?!

Eine neue Möglichkeit der Identifizierung setzt ein und es wird ein Verständnis dafür entwickelt, dass natürlich sowohl für die Produktion als auch für das Personal Geld notwendig ist. Die Architektur kann und soll mit dazu beitragen, einen doppelten Effekt für die Theateröffnung zu erreichen. Es muss aber auch bereits im Vorfeld klar vermittelt werden, dass ein solches Gebäude ebenso wie die technischen Anlagen in der Zukunft der Pflege bedürfen. Es nutzt niemandem, wenn das Theater steht und sich die Verantwortlichen zurücknehmen. Gebäude werden marode, Technik überaltert, wird defekt, muss gewartet werden. Es ist unabdingbar, sich darüber bereits vor dem Bau bzw. einer Sanierung eines Hauses darüber im Klaren zu sein. Es muss weiterhin regelmäßig investiert werden, um die Attraktivität des Hauses – sowohl für die Besucher als auch die Mitarbeiter – zu erhalten und somit alle positiven Energien zu bündeln. Ziel der Politik soll und muss es sein, die Kultur auf feste Säulen zu stellen. Mit der Entscheidung für einen Bau entscheidet sich die Politik langfristig für die kulturelle Zukunft ihrer Region. Der schönste Theaterbau nutzt nichts, wenn er nicht bespielbar ist.

„art but fair“ – eine spontane Internetinitiative

löst seit Februar 2013 mit ihrem Anliegen, Missstände im Kulturbetrieb aufzudecken, einen wahren Sturm bei Kulturschaffenden aus. Mittlerweile über 11.000 Likes von Künstlern brachten teilweise entwürdigende Bedingungen ans Tageslicht unter denen gearbeitet werden muss. Stellenweise arbeiten die Künstler trotz entsprechender Qualifikation weit unter Existenzminimum bis hin ans Limit der körperlichen Belastbarkeit, schlechte Probenbedingungen, Streichung von Probengeldern etc. Betroffen sind vorrangig unständig beschäftigte Künstler, die also keiner (so genannten) Festanstellung in einem Ensemble unterliegen. Der Ausschuss für künstlerische Fragen des Deutschen Bühnenvereins trägt diese Initiative eindeutig mit. Ensembles werden immer mehr abgebaut und doch sollen die Theater immer mehr ‚produzieren‘, um ihre Attraktivität und Vielfalt zu behalten und auszubauen. Somit sind auch Intendanten immer mehr auf den Einsatz von Gästen für einzelne Produktionen, Projekte, Künstler mit Stückverträgen etc. angewiesen. Aber auch für diese ist natürlich die Absicherung ihres Lebensunterhaltes notwendig. Auch freie Künstler haben einen Anspruch auf ein gewisses Maß an Lebensqualität. Der Ausschuss für künstlerische Fragen wird sich in aller nächster Zukunft mit den Initiatoren von „art but fair“ (mittlerweile auch in Deutschland und der Schweiz gemeinnützige Vereine), Intendanten, der Dramaturgischen Gesellschaft und der GDBA weiter darüber verständigen. Gefordert werden angemessene Arbeitsbedingungen und eine ausreichende Bezahlung. Vor diesem Hintergrund ist es, neben vielen anderen Gründen, wichtig an der Ensemblepolitik festzuhalten, aber auch ‚Unständige‘ müssen gestützt und unterstützt werden. Dafür ist die ausreichende Finanzausstattung der Theater notwendig.

Tendenzschutz

Derzeit ist eine große Diskussion um den Tendenzschutz der Theater entbrannt. Der Ausschuss für künstlerische Fragen spricht sich eindeutig für die Beibehaltung dieses Schutzes aus. Würde er fallen, bedeutet das einen Eingriff in die künstlerische Freiheit, und die Flexibilität der Theater würde eingeschränkt werden. Die Theater würden ihre Bewegungsfreiheit verlieren. Einzig und allein die Intendanten können und müssen weiterhin z. B. über Künstlerengagements, Urlaubsregelungen etc. im Interesse der künstlerischen Aufgaben entscheiden. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, hätte es zur Folge, dass die Theater immer schwerfälliger würden. Der Ausschuss ist sehr froh darüber, dass der Ministerpräsident Baden-Württembergs sich nicht an einer Abschaffung dessen beteiligen wolle.

„Kultur macht stark“ – Wie sinnvoll sind Projektanträge?
Projekte werden im Theaterbetrieb immer mehr angenommen und gefördert. Das Theater soll sein Angebot ständig erweitern, Vielfalt ausbauen, gesellschaftlich aktuell sein. Das geht oft nur über Projekte, wofür allerdings zusätzliche Gelder notwendig sind. Diese zu erhalten, wird durch Projektanträge möglich. Allerdings darf der Projektantrag durch überbordende Bürokratie nicht zum Hauptziel werden. Stellenweise ist es bereits so, dass Mitarbeiter abgestellt werden müssen, um Anträge zu bearbeiten, wie z. B. für das Projekt „Kultur macht stark“. 27 Theater bekundeten z. B. Interesse sich einzubringen. Durch die komplizierte Bearbeitungsstruktur sind mittlerweile noch 9 Theater dabei. Projekte und ihre Anträge sind prinzipiell nicht zu verdammen, allerdings sollen sie händelbar bleiben und dazu beitragen, dass die positiven Energien in die Kunst und nicht in Bürokratie gesteckt werden.

Nov 2013 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton | Kommentieren