Ja, es soll soll sich nicht grämen, wer Urlaub dazu – und zwar ausschließlich – gebraucht, sich zu erholen, Spaß zu haben in „ner geilen Hütte“ am Strand, dösen mit, und, und oder ohne Riesling. Wer aber in den Pausen zwischen alledem ein spannendes Sachbuch lesen möchte – der Markt ist auch vor der Buchmesse im Herbst groß und weit. Hier eine Auswahl als Hilfe im Papierdschungel:Markus Gabriel
Warum es die Welt nicht gibt
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Eine kluge Betrachtung der Welt, in der es neben Hegel, Schelling und Wittgenstein auch um die Existenz von Einhörnern auf der Rückseite des Mondes sowie um die Simpsons und Lars von Trier geht. Markus Gabriel widmet sich den schwindelerregend großen Fragen der Menschheit. Dass es die Welt nicht gibt, ist eine alte Weisheit, die aber noch immer niemand richtig verstanden hat. Denn meistens wird daraus geschlossen, dass es dann eben gar nichts gibt. Mit Freude an geistreichen Gedankenspielen, Sprachwitz und Mut zur Provokation legt Gabriel dar, dass es zwar nichts gibt, was es nicht gibt – die Welt aber unvollständig ist. Wobei eine gute Prise Humor durchaus dabei hilft, sich mit den Abgründen des menschlichen Seins auseinanderzusetzen.
Ullstein Verlag, 271 Seiten, € 18,00
Sigmund Freud/Martha Bernays
Die Brautbriefe 1882-1886
Band 2: Unser Roman in Fortsetzungen, Juli 1883 – Dezember 1883
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In Band 2 nimmt die stürmische Liebesgeschichte weiter ihren Lauf. Erneut kommt es zu Mißtrauenskrisen des noch tief unsicheren jungen Wissenschaftlers, deren Ursachen er schonungslos selbstkritisch untersucht und denen Martha mit inzwischen gewachsenem Selbstvertrauen und gestärkter Liebesfähigkeit immer umsichtiger begegnet. Im inspirierenden Dialog mit ihr beginnt Freud sich seinem späteren Forschungsfeld anzunähern, dem Seelenleben: „Ich studiere jetzt der Menschen Innerstes.“ Zahlreiche Briefe des Paars enthalten novellenartige Charakter- und Schicksalsskizzen von Menschen ihrer Umgebung. Gegen Ende berichtet Freud von einem Besuch der Dresdner Gemäldegalerie und gibt Martha wunderbare Bildbeschreibungen von Raffaels Sixtinischer Madonna sowie der Madonna des Basler Bürgermeisters Meyer nach Holbein.
Herausgegeben von Gerhard Fichtner, Ilse Grubrich-Simitis und Albrecht Hirschmüller unter Mitwirkung von Wolfgang Kloft
S. Fischer Verlag, 613 Seiten, € 48,00
Malte Herwig
Die Flakhelfer
Wie aus Hitlers jüngsten Parteimitgliedern Deutschlands führende Demokraten wurden
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Flakhelfer – das waren Jugendliche vor allem der Jahrgänge 1926 bis 1928, die in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs noch eingezogen wurden, um die Niederlage NS-Deutschlands weiter hinauszuzögern. Manch ein führender Kopf der Bundesrepublik Deutschland, der dieser Generation angehört, wurde in jungen Jahren als NSDAP-Mitglied geführt. Viele haben das verschwiegen oder vergessen, verleugnet oder verdrängt. Malte Herwig hat die 1945 auf abenteuerliche Weise gerettete Mitgliederkartei der Nazi-Partei gründlich gesichtet und ist auf viele bekannte Namen gestoßen. Herwig erzählt die Geschichte einer schuldlos schuldigen Verstrickung mit der NS-Vergangenheit, in der so bedeutende Persönlichkeiten wie Horst Ehmke, Erhard Eppler, Iring Fetscher, Hans-Dietrich Genscher, Günter Grass, Hans Werner Henze, Walter Jens, Siegfried Lenz, Erich Loest, Hermann Lübbe, Niklas Luhmann, Dieter Wellershoff und andere besonders engagierte Demokraten eine zentrale Rolle spielen. Dabei entsteht das Bild einer von Widersprüchen zerrissenen Generation.
Deutsche Verlags-Anstalt, 320 Seiten, € 22,90
Christian Lehnert
Korinthische Brocken
Ein Essay über Paulus
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Er ist der Protagonist, einer der meistgedeuteten und meistbekämpften Denker des Christentums. Nicht aus Selbstsicherheit und mit Weltgewandtheit hat dieser Apostel gesprochen, sondern auf dem unsicheren Grund eines Neuanfangs, angetrieben durch Widersprüche, als ein Fragender, der mit der Sprache kämpfte und ihr Begriffe wie „Kirche“ und „Wiederkunft“ des Christus erst abrang. Am Scharnier zwischen Judentum und Griechentum hat Paulus entscheidende philosophisch-theologische Fragen gestellt: nach dem Subjekt, nach Zeit und Geschichte – und danach, wie Gott ins Wort kommt. Christian Lehnerts Essay, eine expressiv-dichterische ebenso wie begrifflich scharfe Auslegung des berühmten ersten Korintherbriefes, ist ein Versuch, aus der postsäkularen Gegenwart heraus in biographischer Rekonstruktion, über Textarbeit und durch eigene Erfahrungen das zu erlauschen, was bei Paulus erstmals zur Sprache findet. Dieses Buch erkennt, gewiss nicht zu jedermanns Gefallen, einen Paulus, der über die modernen Verlusterfahrungen des Glaubens und über die Beliebigkeiten eines „Wellness“-Christentums hinausführt ins Offene.
Suhrkamp Verlag, 283 Seiten, € 22,95
Geert Mak
Amerika!
Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten
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Mit diesem Buch begibt sich Mak auf die Suche nach den Wurzeln des großen amerikanischen Traums und beschreibt die Mythen und das Selbstverständnis jenes Landes, das uns immer noch am meisten beschäftigt. Was ist aus dem amerikanischen Traum geworden, seit John Steinbeck 1960 die USA gemeinsam mit seinem berühmten Pudel Charley durchquert hat? Dieser Frage folgt Geert Mak und macht sich dafür selbst auf den Weg durch die Vereinigten Staaten, fernab ausgetrampelter Pfade, quer durch ein Land, das er liebt und zugleich kritisch betrachtet. Meile um Meile dringt er tiefer in das Land und seine Mythen, sein Selbstverständnis, seine Großartigkeit und Zerrissenheit vor. Seine Reise führt ihn von den großen Ostküstenstädten über die Kartoffelacker des Hinterlandes und die Prärie des mittleren Westens bis zum Pazifik. Er trifft Menschen – setzt sich an einen Tisch mit dem Farmer, dem Fabrikarbeiter, dem Fischer, dem Lehrer. Er streift durch die riesigen Malls und die Vororte, und er sucht nach den Wurzeln des Landes, das sich radikal verändert und doch den Glauben an den amerikanischen Traum bewahrt hat.
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke und Gregor Seferens
Siedler Verlag, 624 Seiten, € 34,99
Fernand Braudel
Geschichte als Schlüssel zur Welt
Vorlesungen in deutscher Kriegsgefangenschaft 1941
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1940 geriet Leutnant Fernand Braudel in deutsche Kriegsgefangenschaft. Fünf Jahre lang, zuerst in Mainz, dann in einem Lager bei Lübeck, wartete der Historiker auf die Befreiung und füllte gleichzeitig hunderte Notizhefte. So entstand sein berühmtes Buch „Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II.“, das die Geschichtsschreibung revolutionierte. Aber Braudel hielt auch Vorträge im Rahmen der „Lageruniversitäten“. Zufällig wurde ein Teil dieser Manuskripte kürzlich wiedergefunden, aus denen Braudel noch vor Kriegsende ein Einführungsbuch in die Geschichtswissenschaft zusammenstellen wollte. In diesen Texte wird zum ersten Mal sichtbar, wie sich der Historiker die Geschichte als Wissenschaft und Handwerk vorstellte, wie sich aktuelle „Zeitgeschichte“ und die „Geschichte der langen Dauer“ zueinander verhalten. Diese Vorträge dienten ihm in den Kriegswirren und in trostloser Gefangenschaft als „Schlüssel zur Welt“.
Verlag Klett-Cotta, 228 Seiten, € 22,95
Mark Lilla
Der totgeglaubte Gott
Politik im Machtfeld der Religionen
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Religiöse Leidenschaften erweisen sich als Triebkraft der Weltpolitik. Die Bestrebungen, das politische Leben unter Gottes Herrschaft zu stellen, sind wiedererwacht und fordern das moderne Gemeinwesen heraus. Mark Lilla zeichnet in seinem Buch den langen und opferreichen Weg zum säkularen, aufgeklärten Staat nach und plädiert für die konsequente Verbannung des Religiösen aus der politischen Sphäre. Der totgeglaubte Gott ist ein Buch über die Verwundbarkeit der Welt, jener Welt, die aus der intellektuellen Rebellion gegen die politische Theologie des Westens geboren wurde. Das Thema mag ein wenig ungewohnt wirken, angesichts der Tatsache, dass die westlichen Nationen augenblicklich in Frieden leben und dass die Normen der liberalen Demokratie, gerade was die Religion angeht, allgemein akzeptiert werden. Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass aus unserer Mitte je wieder Theokratien entstehen oder bewaffnete Banden religiöser Fanatiker einen Bürgerkrieg anzetteln könnten. Und doch ist diese Welt verwundbar – einerseits, weil das politische System seine Versprechen nicht mehr einlöst, andererseits, weil unser politisches Denken gar keine Anstrengungen mehr unternimmt, überhaupt noch Versprechen zu formulieren.
Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl
Kösel Verlag, 304 Seiten, € 21,99
Holger Noltze
Liebestod
Wagner, Verdi, Wir
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Die Macht der Liebe und des Todes: Warum uns die Opern von Wagner und Verdi heute noch faszinieren. Ihre Opern beherrschen immer noch die Spielpläne. Zum 200. Geburtstag von Wagner und Verdi führt uns Holger Noltze biographisch zu den wichtigsten Werken der beiden Komponisten und sucht den Grund für ihre anhaltende Faszination. Er findet ihn im gemeinsamen Motiv „Liebestod“. Das zuschauende Erleben dessen stillt im vom Alltag beherrschten Menschen die tiefe Sehnsucht nach dem ganz großen Gefühl. Das Buch bietet einen Zugang zu den beiden Ikonen der Oper des 19. Jahrhunderts: eine Einladung an Einsteiger und Liebhaber, Wagners und Verdis Träume kennenzulernen – und dabei auch die eigenen.
Verlag Hoffmann und Campe, 448 Seiten, € 24,99
Hedwig Pringsheim
Mein Nachrichtendienst
Briefe an Katja Mann 1933 – 1941
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Thomas Manns Schwiegermutter liefert ein einzigartiges Zeugnis über die Zerstörung des jüdischen Großbürgertums im nationalsozialistischen München. Die einstmals gesellschaftlich, kulturell und auch materiell herausragende Münchener Familie Pringsheim war 1933 den nationalsozialistischen Repressionen ausgeliefert. In den 375 Briefen an ihre Tochter Katia, die bereits 1933 mit Thomas Mann Deutschland verlassen hatte, trotzte Hedwig Pringsheim dem sie umgebenden und sie selbst betreffenden Unrecht mit Verschlüsselungen sowie zahlreichen literarischen, musikalischen und historischen Anspielungen. Bei aller witzigen Offenheit sind ihre Briefe daher buchstäblich versiegelt. Der in seiner Art beispiellose mütterliche „Nachrichtendienst“ (15.10.1934) der Hedwig Pringsheim erlaubt einzigartige Einblicke in das Münchener Leben während der ersten Jahre der NS-Diktatur. Der Verlust der Gegenbriefe Katia Manns lässt sich durch die Tagebücher Thomas Manns inhaltlich weitgehend kompensieren. Bei der Dechiffrierung und ausführlichen Kommentierung dieses einzigartigen document humain halfen Informationen aus den Tagebüchern Hedwig Pringsheims ebenso wie neu aufgefundene Briefe von und an Thomas, Katia und Erika Mann sowie Klaus und Peter Pringsheim.
Herausgegeben und kommentiert von Dirk Heißerer
Wallstein Verlag, 2 Bände, zusammen 1716 Seiten, € 89,00
Katajun Amirpur
Den Islam neu denken
Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte
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Dem Islam wird oft nachgesagt, er habe den Anschluss an Moderne und Aufklärung verpasst – ein Irrtum, wie Katajun Amirpur in ihrem eindrucksvollen Buch zeigt. Sie stellt die einflussreichsten Erneuerer des Islams vor, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen und dabei immer mehr Anhänger in Orient und Okzident finden. Sie wollen die Deutungshoheit über den Islam nicht den Fundamentalisten überlassen und setzen dem Dschihad gegen die Ungläubigen ihren eigenen Dschihad für mehr Freiheit und die Gleichberechtigung der Geschlechter entgegen. Zur Sprache kommen unter anderem der ägyptische Korangelehrte Abu Zaid, der durch die Zwangsscheidung von seiner Frau bekannt wurde, und die amerikanische Frauenrechtlerin Amina Wadud, die mit der Leitung eines Freitagsgebets – als erste Frau überhaupt – weltweit Aufsehen erregte. Ihre auf dem Koran gründenden Überlegungen zu einer gerechten politischen Teilhabe aller Menschen können, so zeigt das Buch, auch für Nicht-Muslime höchst anregend sein.
Verlag C. H. Beck, 256 Seiten, € 14,95
Besondere Empfehlung des Monats Juli von Florian Rötzer:
Bernhard Kegel
Tiere in der Stadt
Die Wildnis vor unserer Haustür
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Graureiher jagen neben einer Berliner U-Bahn-Station, Füchse dösen im Kölner Klingelpützpark in der Sonne, und vom Aussterben bedrohte Graukopf-Flughunde hängen in den Bäumen nahe der Oper von Sydney. Unübersehbar drängt die Wildnis in die Städte, ehemals scheue Tierarten werden Teil der Stadtnatur. Dabei findet sich zwischen Stein, Beton und Asphalt eine erstaunliche Vielfalt der Arten. Nirgendwo lassen sich so viele heimische Vogelarten (mehr als 150) auf so kleiner Fläche beobachten wie in Berlin schon gar nicht in der viel gerühmten, aber intensiv genutzten freien Natur. Wie ist das zu erklären? Sind unsere Städte zu Oasen aufgeblüht, während das Land ringsherum zur Agrarwüste verkommt? Was sagt diese Vielfalt über die Qualität der Lebensräume in Stadt und Land aus? Was müssen Tiere mitbringen und wie müssen sie sich verändern, um in unserer Nachbarschaft überleben zu können? Und wie beeinflussen diese Begegnungen unseren Umgang mit der Natur?
Dumont Buchverlag, 368 Seiten, € 22,00