„Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen?“ In einem offenen Brief vom 25. 07. 2013 fordern 32 Schriftsteller von der Bundeskanzlerin Aufklärung in der Prism-Affäre. Was die Kanzlerin am 19. Juli vor der Bundespressekonferenz sagte, kann und darf nicht unwidersprochen bleiben!
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
seit Edward Snowden die Existenz des Prism-Programms öffentlich gemacht hat, beschäftigen sich die Medien mit dem größten Abhörskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir Bürger erfahren aus der Berichterstattung, dass ausländische Nachrichtendienste ohne konkrete Verdachtsmomente unsere Telefonate und elektronische Kommunikation abschöpfen. Über die Speicherung und Auswertung von Meta-Daten werden unsere Kontakte, Freundschaften und Beziehungen erfasst. Unsere politischen Einstellungen, unsere Bewegungsprofile, ja, selbst unsere alltäglichen Stimmungslagen sind für die Sicherheitsbehörden transparent. Damit ist der „gläserne Mensch“ endgültig Wirklichkeit geworden.
Wir können uns nicht wehren. Es gibt keine Klagemöglichkeiten, keine Akteneinsicht. Während unser Privatleben transparent gemacht wird, behaupten die Geheimdienste ein Recht auf maximale Intransparenz ihrer Methoden. Mit anderen Worten: Wir erleben einen historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat, nämlich die Umkehrung des Prinzips der Unschuldsvermutung hin zu einem millionenfachen Generalverdacht.
Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer Sommer-Pressekonferenz haben Sie gesagt, Deutschland sei „kein Überwachungsstaat“. Seit den Enthüllungen von Snowden müssen wir sagen: Leider doch. Im gleichen Zusammenhang fassten Sie Ihr Vorgehen bei Aufklärung der Prism-Affäre in einem treffenden Satz zusammen: „Ich warte da lieber.“
Aber wir wollen nicht warten. Es wächst der Eindruck, dass das Vorgehen der amerikanischen und britischen Behörden von der deutschen Regierung billigend in Kauf genommen wird. Deshalb fragen wir Sie: Ist es politisch gewollt, dass die NSA deutsche Bundesbürger in einer Weise überwacht, die den deutschen Behörden durch Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht verboten sind? Profitieren die deutschen Dienste von den Informationen der US-Behörden, und liegt darin der Grund für Ihre zögerliche Reaktion? Wie kommt es, dass BND und Verfassungsschutz das NSA-Spähprogramm XKeyScore zur Überwachung von Suchmaschinen einsetzen, wofür es keine gesetzliche Grundlage gibt?
Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen?
Wir fordern Sie auf, den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen. Und wir wollen wissen, was die Bundesregierung dagegen zu unternehmen gedenkt. Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von deutschen Bundesbürgern abzuwenden. Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?
Juli Zeh
Ilija Trojanow
Carolin Emcke
Friedrich von Borries
Moritz Rinke
Eva Menasse
Tanja Dückers
Norbert Niemann
Sherko Fatah
Angelina Maccarone
Michael Kumpfmüller
Tilman Spengler
Steffen Kopetzky
Sten Nadolny
Markus Orths
Sasa Stanisic
Micha Brumlik
Josef Haslinger
Simon Urban
Kristof Magnusson
Andres Veiel
Feridun Zaimoglu
Ingo Schulze
Falk Richter
Hilal Sezgin
Georg M. Oswald
Ulrike Draesner
Clemens J. Setz
Ulrich Beck
Katja Lange-Müller
Ulrich Peltzer
Thomas von Steinaecker
Peter Kurzeck
Jo Lendle
26.Jul.2013, 11:33
Die Beschwichtigungs-Strategie der Koalition scheint, sich im Zuge des NSA Skandals extra doof zu stellen. Aber, wer kann noch lachen über die Aussage, es gebe eben zwei „Prism“-Programme: eines für den amerikanischen NSA, das kennt nicht mal die Bundesregierung, und ein exakt gleich benanntes, das jeder Nachrichtenoffizier der Bundeswehr im Auslandseinsatz beherrscht? Beide dienen demselben Zweck. Wie Schulze und Schultze – andere Schreibweise, gleicher Beruf. Von ähnlicher Güte waren die durchsichtig opaken Bemerkungen der Kanzlerin, als sie sagte, dass „deutsches Recht auf deutschem Boden“ gelte – folglich, durfte man denken, nicht in der „Cloud“, denn der Name sagt ja schon, dass die ja weder deutsch ist noch auf irgendeinem Boden, oder gar auf dem geltender Gestze.
Was gilt nun aber in dieser „Sache“? Einstweilen Anarchie. Deutsches Recht gilt – nur mal eben zum Beispiel – auch nicht bei Facebook, denn das wohnt schließlich in Irland. So als wären das ferne Gestade, Neuland oder Privatinseln, mit denen uns kein Abkommen und keine EU verbindet. Und es gilt auch nicht in Wiesbaden, jedenfalls nicht auf dem schicken neuen Stützpunkt der Amerikaner, denn der gehört ja denen. Was gilt dort? Was ganz anderes.
Merkel und Friedrich suggerieren den Bürgern, die sie für Kinder halten, eine fragmentierte und letztlich vormoderne Welt. In manchen Winkeln unserer großen Welt toben wilde Kerle, gegen die man nichts tun kann. In anderen, nur zimmergroßen Erdteilen hingegen existieren kein Staat und kein Recht – Individuen wie Snowden und Assange stranden dort und kommen nie mehr fort. Nur in Merkels kleiner Republik ist man geborgen. Ihr Trick: Wer die Erwartungen minimiert, steigert seine Chancen, sie zu erfüllen. Aus taktischen Gründen schrumpft sie die Bundesregierung und den Rechtsstaat und kapituliert, um nicht besiegt zu werden.
26.Jul.2013, 12:39
Merkel, Friedrich, Pofalla, Gauck und all die anderen offiziellen Relativierer. Die Bundesregierung verhält sich in der NSA-Affäre wie die „drei Affen“.
Wolf Biermann, der wunderbare Liedermacher im Gefolge H. Heines, hatte, als er politisch noch besser beisammen war, folgenden hübschen Vers in einem Lied aus dem Jahr 1966 gedichtet: „Die idealen Untertanen, gehorsam fleißig, geistig matt, die hab ich satt.“ Gemünzt war das auf die damals noch eher lethargischen Bürger/innen in den späteren Frühzeiten der autokratischen DDR und generell auf den/die deutsche/n Spießbüger/in.
Nein, es sind nicht so sehr unsere ja gewählten Führungsfiguren der Politik das Dilemma der neueren Zeit! Diese mutieren, wie sich gerade herausstellt, gegenüber den ubiquitären Controllettis eher zu Witzfiguren, die an Mr. Bean gemahnen.
Nein, wir selber sind das Problem, denn wir sind nun gerade nicht das Volk. Wir bewahren makabre Friedhofsruhe (immerhin schon seit ca. 8 Wochen) und kriechen bis zur Gelenkstarre im von A. Merkel vorexerzierten Entengang. Nochmal Biermann: „Der legendäre Kleine Mann, der immer litt und nie gewann. Der sich gewöhnt an jeden Dreck, kriegt er nur seinen Schweinespeck.“
32 Literaten/innen? Na, immerhin (aber doch ziemlich lau der Inhalt)! Und die angesagten Demonstrationen am Wochenende? Ja, okay, sehr gut. Es belebt sich was im neuen Biedermaier.
Halten wir aber nicht nur die Spitzenpolitik im Blick, sondern auch uns selbst und vor allem auch die Wirtschaft, die (a)sozialen digitalen Netzwerke…
Es steht enorm viel auf dem Spiel: nämlich Orwell, Huxley und Kafka zugleich! Die geballte Ladung der Obrigkeit!
Oder auch; Brot, Spiele und Peitsche in der Demokratur.
Beste Grüße
Fritz Feder