Hierzulande brummt das Geschäft mit gesammelten Journalistendaten – in der Regel ohne dass die betroffenen Journalisten davon etwas mitbekommen. Den Vorteil sehen manche darin, dass sich PR-Agenturen und Journalisten näherkommen – zu nahe, sagen andere.Einer – zum Beispiel – beschäftigt sich genau mit den richtigen Schwerpunkten. Und in der richtigen Stadt. Und das auch schon lange genug, um ihm ein Thema vorzuschlagen, den Ansprechpartner gleich mit. Die Mitarbeiterin einer PR-Agentur wählt seine Telefonnummer. Als der den Hörer abnimmt, fällt er aus allen Wolken. Dass die PR-Agentur weiß, dass er Journalist ist und worüber er schreibt, okay – aber woher kennt die Frau am Telefon sein Alter, seinen Werdegang, seine Telefonnummer und seine Privatadresse? Sie weiß sogar, wie er aussieht. Und wie kommt sie eigentlich darauf, ihn anzurufen?

Das Profil des betroffenen Journalisten lieferte Gorkana – ein Unternehmen, das auf Journalistendaten spezialisiert ist. Es gibt noch weitere Player in dieser Branche: Zimpel, Epic Relations, DWPub. Sie verdienen Geld, viel Geld mit Datenbanken, die Informationen über Journalisten bereitstellen. Ihre Kunden: PR-Agenturen, öffentliche Institutionen, finanzkräftige Unternehmen. Ihr Ziel: Einfluss auf die Berichterstattung nehmen. Die Gefahr: Dass es gelingt.

Die Firma News Aktuell ist eine Tochter der Deutschen Presse-Agentur und ist Journalisten vor allem deshalb bekannt, weil das Unternehmen Pressemitteilungen unter dem Kürzel ots verbreitet. News Aktuell verdient sein Geld auch mit der Pflege einer Journalistendatenbank, Epic Relations. 100.000 tagesaktuelle Redaktionskontakte allein aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen es sein. Und damit nicht genug: „Wir erleben den größten Entwicklungsschritt seit der Übernahme durch dpa im Jahre 1994“, sagte Carl-Eduard Meyer, einer der beiden Geschäftsführer, als es im April zu verkünden galt, dass seine Firma die Zimpel Media-Daten GmbH erworben hat.

„Wir kennen die Journalisten“

Auch die Firma Zimpel erstellt Datenbanken mit Medienkontakten. Für die „Einzelplatzlizenz“ des „Premiumprodukts“, das 90.000 Redaktionskontakte enthält, zahlen Kunden derzeit 890 Euro („einmalige Lizenzgebühr“) plus eine monatliche Abogebühr von etwas mehr als 200 Euro.

Seit 2005 ist News Aktuell in diesem Geschäftsbereich vertreten. Bisher war Zimpel also ein Konkurrent. Letzterer kam mit 1.500 Kunden, darunter die Deutsche Post, Unicef und Deutscher Bundestag, zuletzt auf einen Umsatz von fünf Millionen Euro. Epic Relations erwirtschaftete mit 500 Kunden zwei Millionen. Es sei sinnvoll, künftig „die Datenerhebung zu koordinieren“, sagt Frank Stadthoewer, Meyers Co-Geschäftsführer bei News Aktuell. Wie man die beiden Angebote zusammenführe, sei im Detail aber noch nicht klar.

Die hierzulande ansässigen Firmen konkurrieren auch mit internationalen Anbietern. Daryl Willcox Publishing (DWPub) etwa hat seinen Sitz in London, ist aber auch im deutschsprachigen Raum präsent. Gleiches gilt für den Dienst Gorkana, der auf Kontakte aus den Bereichen Finanz- und Handelsbranchenjournalismus spezialisiert ist. Weltweit nutzten täglich 35.000 Menschen Gorkana, sagt der Vorstandsvorsitzende Jeremy Thompson. In einer Selbstdarstellung des Unternehmens heißt es unbescheiden: „Wir kennen die Journalisten, wissen, worüber sie schreiben und wo sie als nächstes hingehen.“

Bei DWPub in London ist Maria Irchenhauser für den deutschen Markt zuständig. DWPub sei auf den Bereich „IT, Technik, Wirtschaft und Finanzen“ spezialisiert, sagt sie. Für den deutschsprachigen Raum bietet das Unternehmen eine entsprechende Datenbank mit 12.000 Medienkontakten an: Überwiegend fest angestellte Journalisten sind dort vertreten. Die DWPub-Kunden seien nicht nur PR-Agenturen, sondern auch „politische Organe und Wohltätigkeitsorganisationen“, betont Irchenhauser.

Die Fluktuation wird größer, befristete Verträge mehr

Ist es – möcht man da fragen dürfen – angesichts der Krise der Medienbranche nicht etwas widersinnig, dass die Kontakte zu manchen Journalisten so begehrt sind, dass es sich lohnte, dafür etwas zu bezahlen? Umgekehrt werde ein Schuh draus, sagen Insider. Ihre Argumentation: Man brauche Datenbanken, die ständig aktualisiert werden, weil sich viel tut in der Branche, weil die Fluktuation auf dem Markt größer wird, weil befristete Verträge Überhand nehmen und die Zahl der freien Journalisten zunimmt. Die Veränderungen zu überblicken, sei „aus eigener Kraft nicht leistbar“, sagt Ulf-Hendrik Schrader, Geschäftsführer der Hannoveraner Agentur Aufgesang. „Viele freie Journalisten haben eigene Projekte, die für die PR-Branche interessant sein können.“

Bei DWPub in London besteht das sogenannte Research Team aus 25 bis 30 Mitarbeitern. Sie halten die Kontakte zu Redaktionen und recherchieren neben personellen Veränderungen auch, welche Themen mittelfristig geplant sind – jedenfalls sofern eine generelle Bereitschaft besteht, solche Informationen herauszugeben. Gorkana hat in London und New York 40 „Researcher“ im Einsatz.

Für eine PR-Agentur sei ein Datenbank-Abo etwa dann hilfreich, „wenn man einen Verteiler von einem Kunden bekommt, der zu einem Kongress einladen will, oder ein neuer Kunde aus einer bestimmten Nische innerhalb einer Woche eine Pressemitteilung geschrieben haben möchte“, sagt Schrader. Zumindest sei eine Datenbank eine gute Ausgangsbasis für die Detailrecherche.

Manche Datenverkäufer haben auch Journalisten-Biografien im Angebot. Diese würden es Unternehmensvertretern erleichtern, sich auf Interviews vorzubereiten, sagt die Mitarbeiterin einer auf Finanzmarktthemen spezialisierten Agentur in Frankfurt. Ihre Firma nutzt eine Datenbank von Gorkana, in der unter anderem die kompletten Redaktionen von deutschen Wirtschafts- und Finanztiteln verzeichnet sind, außerdem zahlreiche Journalisten von Nachrichtenagenturen. Die Kosten fürs Abo: 6.000 Euro pro Jahr. Das klingt zunächst nach einer großen Summe, aber sie relativiert sich, wenn man bedenkt, dass zu den Kunden der Agentur Banken gehören, die im Zertifikategeschäft tätig sind. Abgesehen davon ließen sich die Preise auf dem Markt schwer vergleichen, sagt Maria Irchenhauser von DWPub. Mal seien Datenbanken im Angebot, in denen Kontakte, Themenvorschauen von Redaktionen und eine E-Mail-Plattform enthalten sind, mal werden verschiedene Funktionen separat angeboten.

Trotzdem stellt sich allemal die Frage, ob das Geld, das PR-Agenturen für Datenbanken ausgeben, gut investiert ist. „Die Frage ist aus der falschen Perspektive gestellt“, sagt die Agenturmitarbeiterin aus Frankfurt. „Die PR-Agentur wird von Unternehmen bezahlt, in unserem Fall von Firmen aus der Finanzdienstleistungsbranche. Die verpflichten eine PR-Agentur, weil das weitaus billiger ist als beispielsweise für rund 50.000 Euro eine ganzseitige Anzeige im Handelsblatt zu schalten.“ Es komme für eine PR-Agentur darauf an, Kompetenz vorzutäuschen und den Eindruck zu erwecken, man wisse alles über Journalisten, die für den jeweiligen Kunden von Belang seien, sagt die Agenturmitarbeiterin aus Frankfurt. Vor allem Banker seien diesbezüglich leicht zu beeindrucken.

Müssen Journalisten gefragt werden?

Nicht alle PR-Agenturen setzen auf Datenbank-Abos. Die Firma Fischer Appelt etwa lege Wert auf „exklusive Medienkontakte“, die man sich mit einer eigenen Redaktion erarbeite, sagt Vorstandsmitglied Frank Behrendt. Ob man so eine Haltung vertreten kann, ist nicht zuletzt eine Frage der Firmengröße. Mit mehr als 300 Mitarbeitern gehört Fischer Appelt zu den größten PR-Firmen der Republik. Dass Agenturen Datenbanken nutzen, trage zu „Spam-Anrufen“ bei, sagt Behrendt. „Ich weiß, wie nervig es für Journalisten ist, wenn ständig irgendein Heiopei von einer PR-Agentur anruft.“

Nicht ganz unerheblich ist auch die Frage, ob Journalisten wissen, dass Profile von ihnen in kostenpflichtigen Datenbanken existieren. Karl F. erzählt dem journalist, dass er bei Gorkana verzeichnet sei, habe er nur erfahren, weil ihn die Mitarbeiterin einer Agentur darauf angesprochen habe. Er sei vor allem deshalb aus allen Wolken gefallen, weil seine Privatadresse sichtbar gewesen war. „Nach meiner Beschwerde bei Gorkana haben sie zwar die Vita herausgenommen, die Privatanschrift und mein Foto waren aber immer noch drin. Nach einer weiteren Beschwerde wurde die Adresse entfernt.“ Die Situation ist für ihn immer noch unbefriedigend: Er wird nun als Onlineredakteur geführt, obwohl er Redakteur einer wöchentlich erscheinenden Zeitschrift ist.

News-Aktuell-Geschäftsführer Stadthoewer sagt zu dem Thema: Für ein Unternehmen der dpa-Gruppe sei es selbstverständlich, „dass wir Daten nicht ungefragt nutzen. Mag sein, dass ausländische Anbieter das etwas lockerer sehen“. Maria Irchenhauser von DWPub betont, dass wir „nur Daten verwenden, die öffentlich zugänglich sind oder die wir von Redaktionen bekommen“. Ob diese ihre Mitarbeiter entsprechend informierten, wisse man bei DWPub nicht. Aber: „Wir führen niemanden gegen seinen Willen in unserer Datenbank“, sagt sie. „Wenn jemand nicht gelistet werden möchte, ändern wir das.“

Wer „öffentlich zugängliche Informationen zusammenträgt, um sie entsprechend zu veröffentlichen“, handle im Prinzip rechtmäßig, sagt der Berliner Anwalt Sebastian Dramburg, der auf IT-Themen spezialisiert ist. Wenn ein Journalist aber „nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen“ will und sein Arbeitgeber keine Informationen über ihn veröffentlicht hat, müsse er es nicht hinnehmen, in irgendwelchen Liste geführt zu werden. Das gelte auch für Angebote im Ausland, sofern „sie sich auch an deutsche Nutzer richten. Dann gilt deutsches Recht“. Irchenhauser sagt, es gebe zu dem Thema „unterschiedliche kulturelle Standpunkte“. Bei der Frage, was mit den eigenen Daten passieren könne, herrsche in Deutschland eine „größere Vorsicht“ als in Großbritannien.

Wenn Journalisten Teil des Systems werden

Für Journalisten kann die Konsequenz nur lauten: Wer Nachteile davon haben könnte, dass Informationen über seine Person kursieren, sollte möglichst wenig von sich preisgeben. Journalisten, die sich oft mit dem Thema Neonazismus beschäftigen, treffen zum Beispiel entsprechende Vorsichtsmaßnahmen und tragen Sorge dafür, dass Fotos von ihnen nicht verbreitet werden. Redakteure, die nicht möchten, dass ihre Daten kursieren, sollten sich bei ihrem Verlag darüber informieren, welche Daten dieser über ihn in Umlauf gebracht hat. Falls man gute Kontakte zu einer PR-Agentur hat, kann es nicht schaden, dort nachzufragen, was in den Profilen steht, auf die die Firma Zugriff hat.

Datenbank-Anbieter versuchen auch, Journalisten auf ihre Seite zu ziehen, indem sie Plattformen anbieten, von denen diese theoretisch profitieren können. Bei DWPub ist es für freie Journalisten möglich, sich in ein Verzeichnis einzutragen und ausgewählte Artikel hochzuladen. Das sei wie ein „Xing oder Linkedin für freie Journalisten“, sagt Irchenhauser. Genauer gesagt: Eine Art Xing oder Linkedin für freie Journalisten, die an Aufträgen von PR-Agenturen interessiert sind. Mehr als 8.300 Journalisten, überwiegend aus dem englischsprachigen Raum, haben sich hier registrieren lassen.

DWPub bietet Journalisten auch die Möglichkeit, Anfragen zu platzieren, wenn sie auf der Suche nach Interviewpartnern, Fallstudien oder ähnlichem sind. PR-Agenturen, die mit DWPub zusammenarbeiten, setzen sich dann wiederum mit ihren Kunden in Verbindung und präsentieren einen geeigneten Gesprächspartner. Dieses Angebot namens „Response Source“ ist in Großbritannien bereits etabliert. Ende Mai ist es auch im deutschsprachigen Markt und in Frankreich gestartet. „Im Endeffekt geht es darum, die Kommunikation zwischen Journalisten und PR-Verantwortlichen zu vereinfachen“, sagt Irchenhauser. Auch Gorkana fungiert in dieser Hinsicht als Zwischenstation. „Seek or shout“, ein Angebot der international tätigen Agentur Cision, erfüllt einen ähnlichen Zweck.

Dass solche Angebote genutzt werden, sagt auch etwas über die Lage der Branche aus. Dass Journalisten auf „Responce Source“ und ähnliche Werkzeuge zurückgreifen, kann verschiedene Gründe haben: Sie werden auf Themen angesetzt, mit denen sie keine Erfahrung haben. Oder sie stehen unter derart hohem Zeitdruck, dass beinahe jedes Mittel recht ist. Auch die Unterstützung von Personen, die alles andere als aus selbstlosen Gründen helfen.

Jul 2013 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Sapere aude, Wirtschaft | Kommentieren