Wir wollen sie nicht mehr hören, diese pastoral-besorgt-engagierten „wir brauchen eine neue Elite“ – Phrasen. Wann immer es darum geht, neue Steuern zu erheben, Lehrer-Stellen (derzeit wiewohl „nur während der Sommerferien“ zu streichen, zu „rationalisieren“ oder Inder zu importieren, die dann pikanter weise gar nicht kommen wollen, werden sie laut, verharren für ein, zwei Wochen in den selbsternannten „Gebildeten“-Zeitschriften und lösen sich schließlich wieder auf in was sie von Anfang an waren: lauwarme Luft.

Jedoch: Nicht zu unrecht wärmen publicitygeile Politiker immer wieder dieses Thema auf (und gewissenhaftere versuchen gar, sich dafür zu engagieren); dass Deutschland eine tiefgreifende Bildungsreform braucht, das die Begabten, die Innovativen am geringsten gefördert werden, dass das Gymnasium seiner Rolle schon längst nicht mehr gerecht werden kann – das sind keine Polemiken, das sind (all)tägliche Tatsachen. Schon jetzt muss das Gymnasium in eine Bresche springen, für die es nie vorgesehen war, schon jetzt wird vor einer „Gebildetenschwemme“ im Arbeitslosenheer gemahnt, schon jetzt ist das Manko absehbar, das auf die Dauer unsere Nation wirtschaftlich wie intellektuell zurückwerfen wird: Es gibt zu viel Lernstoff, doch zu wenig Bildung. Masse statt Klasse lautet immer mehr die Devise im deutschen Bildungssystem.

Und es sind eben jene immer wieder gern Elite – salbadernden Politiker von der CDU, der FDP, der SPD, der Grünen, der Linken oder wie sie alle heißen, die jetzt das Tamagotchi des Kolumbus entdeckt zu haben meinen: abstellgleisDie baden-württembergische Bildungsreform. Ein erschreckendes Zeichen mehr, das die Ratlosigkeit, Mutlosigkeit und Vorgestrigkeit der Bildungsfragelösenwollenden zeigt, und auch die Richtung: Das Abstellgleis.

Das Rezept treibt Nackenhaare wie Gasballons in die Höhe: Man begegne dem Problem (zu viel Stoff, zu wenig < das > Niveau < wird immer höher, ist nur keiner mehr druff. Karl Kraus >) mit noch immer mehr Stoff und noch immer weniger Niveau. Wohlan, es werden sicher die prophezeiten x,y Prozent an der neuen Hürde der vermeintlichen Allgemein- und reellen Leer- und Füllmaterialbildung rein massenmäßig scheitern. Vielleicht bringt man sogar so noch ein, zwei Schäfchen mehr auf das im Ansehen gesunkene Stiefkind Realschule, doch, Frau Bildungsministerin, die Frage muss erlaubt sein: Wo bleibt das Niveau? Wo die Elite?

Sollte es Deutschlands Zukunftsprogramm sein, die Lenker von morgen statt mit Weltanschauung, Weitsicht, Einsicht und Niveau mit weiteren algebraischen Formeln aufs Lenken vorbereiten zu wollen, so dürfte die Zukunft ähnlich düster aussehen, wie das Fahrverhalten mancher Führerscheininhaber.

Gerade die stolz-konservativen Damen und Herren, immer lieber der Vergangenheit als „der Zukunft zugewandt“, hätten hier die einmalige Chance (gehabt), sich eines zukunftsweisenden Exempels aus der Vergangenheit bedienen zu können: Der sokratischen Pädagogik.

Denn genau das ist es, was wir brauchen: Klasse statt Masse, Weit- statt grober Übersicht, Brillianz statt nur Routine!

Der berühmte griechische Denker und Provokateur brachte mit einfachen Fragen selbst Leute eher niederer Bildung dazu, die Welt und sich selbst zu überdenken und in Zusammenhängen statt in jeweiligen Fachgebieten zu denken.

Gerade in Zeiten, in denen von den Berufssuchenden immer mehr Flexibilität gefordert und immer schnellere und unkompliziertere Anpassung an andere Gebiete erfordert wird, muss man Bildung, besonders für die davon am meisten betroffene Kategorie der Begabten und Hochbegabten neu überdenken:

In Zeiten, in denen von den Berufssuchenden immer mehr Flexibilität gefordert und immer schnellere und unkompliziertere Anpassung an andere Gebiete erfordert wird, muss man Bildung, besonders für die davon am meisten betroffene Kategorie der Begabten und Hochbegabten neu überdenken:

Allgemeinbildung muss und darf künftig nicht mehr heißen, nutzloses Wissen aus endlosen Fachgebieten zu akkumulieren (beispielsweise wird das in der gymnasialen Oberstufe erlernte Mathematikkönnen weder im Studium noch im Alltags-/Berufsleben in dieser Form je wieder benötigt), sondern muss und zwar ohne wenn und aber auf eine Bildung abzielen, die durch das Gelernte dem Lernenden ermöglicht, Durchblick zu erlangen. Weniger pauken, mehr verstehen muss das Ziel sein: Denn Verständnis der Zusammenhänge und Mechanismen ist die erste Voraussetzung für Flexibilität und multiple Einsetzbarkeit, Adaptionsfähigkeit.

Durch Internet und globale medial-kommunikatorische Revolution werden die klassischen und ehemals separaten Berufszweige und -wege immer mehr vernetzt und kombiniert.

Daher muss auch die Bildung eine neue Struktur erlangen, die nicht nur und mehr wie bisher die allgemeinen Grundfähigkeiten wie Rechnen, Schreiben, Rennen in der Breite und ohne Rücksicht auf die spätere Verwendbarkeit fördert, sondern es muss das Erkennen von Zusammenhängen, das Hinterfragen von vermeintlichen Tatsachen und das Quererdenken neuer Strukturen im Vordergrund stehen. Natürlich auf dem Fundament solider Grundbildung.

Statt die Schüler pauken zu lassen, was sie nicht mehr brauchen werden, muss die Schule endlich wieder ihrem eigentlichen Zweck gerecht werden: Lehren, im Leben zurechtzukommen. Und flexibler homo universalis medialis wird man nicht über die Keplersche Faßregel, sondern über die Fähigkeit, eigenständig zu denken, zu operieren und Strukturen zu durchschauen.

Doch genau dieses eigenständige, dieses Querdenken und Hinterfragen ist in dem immer noch autoritären System Schule oft nicht erwünscht und wird über die Bildungsreform, die weiter normiert  in extremer Weise konterkariert.

Wenn überhaupt mal ein Lehrer zum in Frage stellen anregt und Fachgebiete kombiniert um Gesamtheit zu zeigen, so geschieht dies meist in (zu unrecht oft leider pseudo-)Fächern wie Religion, Philosophie oder Ethik, und nur allzu selten in Kernfächern, wo man lieber auf die zigtausendste Lektüre, die x-te Grammatikrepetition oder die n-plus-1-te Kurvendiskussion Wert legt.

Zeit seines Lebens war er ein Querkopf gewesen, dieser Sokrates, ein Provokateur und ein unbequemer Mensch. Cicero sagt, er habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde heruntergeholt, weil ihn die Fragen der Menschen und ihres Lebens mehr interessierten als kosmologische Spekulation. Keine Zeile hat er hinterlassen - und doch gehört er zu den folgen- und einflussreichsten Denkern der Menschheitsgeschichte.

Zeit seines Lebens war er ein Querkopf gewesen, dieser Sokrates, ein Provokateur und ein unbequemer Mensch. Cicero sagt, er habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde heruntergeholt, weil ihn die Fragen der Menschen und ihres Lebens mehr interessierten als kosmologische Spekulation. Keine Zeile hat er hinterlassen – und doch gehört er zu den folgen- und einflussreichsten Denkern der Menschheitsgeschichte.

Statt die Schüler zum Hinterfragen anzuregen, stopft man ihnen mit weiteren Stammfunktionen das Maul. Nicht umsonst war es die Anstiftung zum Hinterfragen und Querdenken, für die man Sokrates den Schierlingsbecher hat reichen lassen und ihn so sich umbringen ließ. Es ist schließlich allemal unbequemer und teurer, mit Jugendlichen zu diskutieren, welche die präsentierten Modelle hinterfragen und eigene entwickeln, als gelangweilten Kindern mit schlechten Noten bei nichterbrachter Integrierung einer realitätsfernen Funktion zu drohen. So übersättigt von vermeintlicher Bildung werden sie um diese einen großen Bogen ziehen (einen Kreis beschreiben, wie Brecht es ausdrückte) und sind leichter zu steuern. Doch, liebe Frau Bildungsministerin und andere Kombattanten der Stopfgansbildung: Wer – das versteht Ihr doch, oder? – nicht investiert, gewinnt nicht.

Und, im Supermarkt werden Sie Ihre neue Elite nicht kaufen können und der Rufer in der Wüste stimmt sein einsames Klagelied an: Spätestens wenn der letzte Inder ausgereist ist, werdet ihr feststellen, dass Geld nicht programmieren kann.

 

 

Mai 2013 | Allgemein, Essay, Junge Rundschau | Kommentieren