Eine Ausstellung des Freundeskreises Willy Brandt-Haus und der Friedrich Ebert Stiftung im Friedrich-Ebert-Haus Heidelberg
Die Rede zur Ausstellungseröffnung im Wortlaut vom Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg Prof. Dr. Walter Mühlhausen:
Die Ausstellung ist entwickelt vom Freundeskreis Willy-Brandt-Haus in Berlin, genauer gesagt von Klaus Wettig, den ich hier ganz herzlich begrüßen darf. Klaus Wettig war von 1996 bis vor kurzem Geschäftsführer des Freundeskreises Willy-Brandt-Haus, war von 1979 bis 1994 Mitglied des europäischen Parlaments. MdEP i. R. wie es in der Einladungskarte steht. I.R. ist ja wohl eine irrige Bezeichnung.
Die Geschichte der von 150 Jahren Sozialdemokratie in Bildern, ein Zeitraffer der Stationen in Schlaglichtern, mit bekannten und unbekannten, von Karl Marx bis zur Agenda 2010, für die vorn am Eingang der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler geradezu verzweifelt zu ringen versucht.
Diese Ausstellung ist ein Bilderborgen durch die Geschichte, ein aufgeschlagenes Buch der Fotos.
Bilder sagen mehr als Worte, so heißt es. Und in der Tat gilt das für Fotos, die zum allgemeinen Erinnerungsgut der Deutschen gehören wie der Kniefall von Willy Brandt 1970am Mahnmal für die Opfer des Aufstandes im Warschauer Ghetto; der Spruch „Willy Brandt ans Fenster“ von Erfurt, wird festgehalten im Foto; es zeigt Willy Brandt am Fenster. Man sieht die zwei großen der europäischen Sozialdemokratie der 1980er Jahre, Brandt und Palme … und wird unweigerlich daran erinnert, dass eben jener Olof Palme 1986 Opfer eines Attentates wurde. Das Bild transportiert eben mehr als nur den Augenblick, in dem es „gemacht“ wurde. Er ist Stück der Erinnerung, offenbart, verklärt aber auch. Man hat Bilder im Kopf, Marx und Lassalle sahen immer schon so aus. Ein jeder hat ein Bild von Rosa Luxemburg im Kopf, manch einer in der Version Helena Sukowa, die die Revolutionärin in dem großen Film von Margarethe von Trotha verkörpert hat. Das wirkt etwas anders als das tatsächliche Foto der beiden großen Vorkämpferinnen der Frauenrechte, Clara Zetkin und Rosa Luxemburg. Man sieht einen Kurt Schumacher gebrechlich auf Annemarie Renger gestützt.
Fotos können aufklären. Vor kurzem hat ein Bundestagsabgeordneter in einem Fernseh-Interview zum Streit um die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft geschrieben, dass dies die Väter des Grundgesetzes in der Betonung des besonderen Schutzes der Familie in Artikel 6 so nicht gewollt hätten. Da hat der Abgeordnete ein falsches Bild im Kopf. Denn unter den 65 Volksvertretern des Parlamentarischen Rates befanden sich auch vier Mütter, dies Sie hier sehen, darunter Elisabeth Selbert, die Kämpferin für Artikel 3, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind.
Bilder lügen nicht. Das stimmt so nicht. Von Philipp Scheidemanns Ausrufung der Republik gibt es eben kein Foto. Das, was Sie hier sehen, ähnelt doch mehr einer Zeichnung denn einem Foto.
Bilder können manipulieren, verzerren, können manipuliert werden. Heute ist das kein Problem; man retuschiert mit Bildbearbeitungsprogrammen unliebsames weg (nicht nur Falten, Tränensäcke und graue Haare), sondern auch Personen. Letzteres hat Tradition. Schere und Retuschepinsel halfen da von jeher. Ich erinnere nur an das bekannteste Beispiel, dass Stalin seinen einstigen Weggefährten Trotzki, der schließlich in Ungnade fiel und auf Order Stalins ermordet wurde, aus den frühen Fotos schlicht herausretuschieren ließ. Womit er auch bildlich eliminiert worden war.
Aber auch die SPD wusste sich schon früh zu helfen. 1909 wurde Luise Zietz als erste Frau in den SPD-Parteivorstand gewählt. Es gibt ein Foto des Parteivorstandes 1909 mit Luise Zietz; 1910 wird sie nicht mehr wiedergewählt. Doch man findet nahezu ein gleiches Bild des Vorstandes, nur war sie „entfernt“ worden. Von Friedrich Ebert gibt es ein Porträt, aufgenommen im Sommer 1919 in Schwarzburg, wo er noch den ausgeprägten Kinnbart hat. Den hat man dann später wegradiert; ohne den Kinnbart schmückt das Bild offizielle Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Und auf einem Foto der SPD-Parteischule von 1910 – nicht dem hier gezeigten – wird er als einer der im Hintergrund zu sehenden Lehrer aufgelistet. Es ist ein Mann, der gewiss ein wenig Ähnlichkeit mit Ebert hat. Nur: Er ist es nicht Friedrich Ebert. Weil in der zeitgenössischen Bildbeschreibung die besagte Person als Ebert bezeichnet wird, hat man Ebert flugs zum Lehrer der Parteischule erklärt. Das hat sich fortgesetzt, bin in den großen Erinnerungsband der Friedrich-Ebert-Stiftung über ihren Namensgeber, bis in die zweite Auflage von 1980. Wir hoffen, dass die Bildunterschriften stimmen.
Ich will es dabei bewenden lassen. Das weitere wird Ihnen der Kurator der Ausstellung erläutern. Lieber Klaus Wettig, schön, dass wir die erste Station der Bilderschau sind. Also heute ist Premiere. Und nun darf der Regisseur sein Werk vorstellen.

Klaus Wettig bekommt nach seinem Vortrag eine Flasche Rotwein geschenkt. Von links: Prof. Walter Mühlhausen, Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg. Prof. Hartmut Soell, von 1980 bis 1994 Mitglied des Bundestages als direkt gewählter SPD-Kandidat für den Wahlkreis Heidelberg. Klaus Wettig, trat 1962 in die SPD ein. 1975 und 1976 arbeitete er als Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Von 1985 bis 2007 war er als Lehrbeauftragter an der Universität Göttingen tätig, von 2007 bis 2010 betreute Wettig als Programmleiter die Edition "vorwärts buch." Foto: Claudia Klingenfuß-Gottschalk
Lesen Sie hier die Rede von Klaus Wettig im Wortlaut:
Bei der Sammlung und der Auswahl von Fotos aus 150 Jahren Sozialdemokratie kann man feststellen, dass die Parteigeschichte eng mit der technologischen Entwicklung des Mediums Fotografie verbunden ist. Solange die technischen Möglichkeiten begrenzt sind, fehlt es an präsentierbaren Fotos, und mit der Entwicklung der Fototechnik – von der Plattenkamera zur Kleinbildkamera von der Fotoplatte zum Rollfilm – wächst die Masse der verfügbaren Fotos und sie steigert sich mit der Digitalisierung zur Bilderflut, auch weil das fotografische Bild im Unterschied zur Zeit vor 150, 100 Jahren fast nichts mehr kostet.Wenn wir auf die ersten vier Bilder der Ausstellung schauen, dann sehen wir Daguerreotypien, die den Stil des adlig-bürgerlichen Porträts auch mit der Plattenfotografie kopieren. Die abgebildeten Karl Marx, Friedrich Engels, Ferdinand Lassalle und Wilhelm Liebknecht wählen den Weg zum Fotografen, obwohl sie sich auch finanziell das Ölbild-Porträt hätten leisten können. Das fotografische Porträt war in: es war preiswerter, es wurde mit geringem Zeitaufwand erstellt. Eine Sitzung genügte und es war reproduzierbar, was in der Verehrung der politischen Führer der jungen Arbeiterbewegung zu erstaunlichen Auflagen führte. Es gibt nicht nur Postkarten in großer Zahl, verbreitet sind auch Stickbilder, in denen die Porträts, umrahmt von politischen Aussagen, die Wohnküchen der Anhänger der Sozialdemokratie schmücken.
Trotz dieser technischen Möglichkeit existierten unterschiedliche Motive nicht gerade massenhaft. Während heute bei einem Spitzenpolitiker tausende von Fotos aus allen Lebensstationen vorhanden sind, blieb die Zahl in dieser Generation begrenzt. Beliebt ist dann das Gruppenfoto: von Parteitagen – unvorstellbar, dass heute ein Parteitag für ein Gruppenfoto versammelt werden könnte, und von Fraktionen. Je größer diese werden, umso komplizierter wird die Aufgabe für den Fotografen. Aber 1914 kann die SPD-Reichstagsfraktion noch zu einem eindrucksvollen Gruppenbild versammelt werden. Es demonstriert Stärke und Selbstbewusstsein. Dafür lohnte ein paar Minuten Stillsitzen bis das Vögelchen aus der Kamera flog. Einige hier im Saal mögen diese Situation beim Fotografieren noch erlebt haben, als im ähnlichen Verfahren, jedoch schon mit kürzerer Belichtungszeit die Fotos der Restfamilie geschossen wurden, die dann zum Ehemann und Vater an die Front gingen. In späteren Jahren versammelt sich allenfalls der Vorstand oder die Regierungsmannschaft zu einem Gruppenfoto oder die sehr kleine Frauengruppe in der Fraktion.
Den langsamen Fortschritt in der Fototechnik dokumentieren die wenigen Fotos aus anderen Situationen: Clara Zetkin und Rosa Luxemburg sowie August Bebel auf dem Weg zum Parteitag.Schließlich gibt es seit dem Ersten Weltkrieg die ersten Reportagefotos. Es ist noch nicht die Kleinbildkamera mit Rollfilm, aber es sind nicht nur statische Situationen, die aufgenommen werden, bis dann in den 1920er Jahren die Kleinbildkamera ihren Siegeszug antritt und die Bildquellen breiter sprudeln. Vor allem die Fotos der Leica liefern uns Bilder von bestechender Qualität über Jahrzehnte.
Es gibt einen sehr beachtlichen Grund, der diese Fotografien fördert. Die Drucktechnik hatte einen qualitativen Sprung gemacht: Nicht nur Lithografien oder die Strichätzung, also Zeichnungen, konnten gedruckt werden, sondern es ließen sich gerasterte Klischees für Zeitungen und Zeitschriften herstellen, die zunächst in mäßiger, aber schrittweise besserer Qualität Reportagefotos in den Medien erlaubten. Es entstanden neue Berufe für die Technik, vor allem aber der Beruf des Pressefotografen, der täglich professionell fotografierte und den Medien zulieferte. Und mit der Verbesserung der Fototechnik, die sich auch preiswerter machte, wuchs die Zahl der Amateure, der Hobbyfotografen, die sich in der Arbeiterbewegung in einer eigenen Gruppe, bei den Arbeiterfotografen, organisierten. Neben der Pressefotografie verdanken wir ihnen die Dokumentation des Alltags der Arbeiterbewegung, auch die Dokumentationen der Repression der NS-Zeit.
Die Nazis waren, gesteuert durch ihren Propagandachef Joseph Goebbels, sehr medienbewusst. Unliebsame Fotos wurden verhindert, Repressionssituationen harmlos fotografiert, wie das Foto vom Appell der SA im KZ-Oranienburg zeigt, und dann gibt es die offiziellen Fotos für den internen Gebrauch: Häftlingsfotos und die Fotoserie, die von Prozessen vor dem Volksgerichtshof geschossen wurden, die die Angeklagten in gedemütigter Haltung zeigen sollten.
Der Terror konnte nur heimlich fotografiert werden. Bei den Bücherverbrennungen z. B. gab es ein Fotografierverbot.
Mit dem Medium Fotografie, der so täuschend realen fotografischen Abbildung wird seit den 1930er Jahren Politik mitgestaltet. Das fotografische Bild wird von den Diktaturen genutzt, um ihre Interpretation der Wirklichkeit zu unterstützen. Man denke nur an Leni Reifenstahl, die für die NS-Diktatur, für Adolf Hitler arbeitet, oder an Jewgeni Chaldej, der in Stalins Auftrag den Sieg über die deutsche Wehrmacht dokumentiert. Selbstverständlich weiß auch die Demokratie das Foto zu nutzen. Kein Wahlkampf ohne Fotos. Der tägliche Kampf nach dem politischen Bild bestimmt den Alltag des Politikers.
Manchmal misslingt dieses, wie wir an dem Badefoto von Friedrich Ebert sehen, das von seinen Gegnern zu einem Skandalfoto gemacht wurde. Nachfolgende Politikergenerationen haben daraus gelernt. Wer hat schon Badefotos von Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl gesehen? Es existieren Fotos von Willy Brandt beim Angeln, von Helmut Schmidt beim Einsegeln am Brahmsee, von Helmut Kohl beim Wandern im Salzkammergut. Das Private wird nicht verborgen, wenn es steuerbar ist, jedoch nur für das positive Bild.
Der öffentliche Bereich, der politische, wird in einer außerordentlichen Bildermenge, von einer außerordentlichen von professionell arbeitenden Fotojournalisten erfasst. Vom Jubel der SPD-Bundestagsfraktion nach dem gescheiterten konstruktiven Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972 gibt es hunderte von Fotos, weil hunderte von Fotografen damals im Bundestag fotografierten.
Das Gegenteil dazu ist das Foto vom Kniefall in Warschau. Weil niemand mit dieser Handlung gerechnet hatte gibt es noch nicht einmal eine Handvoll verwertbarer Fotos. Das hier gezeigte Foto ist das Königsbild eines aufmerksamen Fotografen.
Wer sich mit dem fotografischen Gedächtnis der Bonner Republik beschäftigt, stösst immer wieder auf einen herausragenden Reportagefotografen, auf Jupp Darchinger. Auch andere haben mit ihren Fotografien zur kollektiven Erinnerung an die Bonner Republik beigetragen – ich nenne Swiridoff, Robert Lebeck, Thomas Höpker, auch Herlinde Koelbl – keiner aber erreicht Darchinger, der seit den frühen 1950er Jahren in Bonn und in der Republik fotografiert, für das Tagesgeschäft, aber auch für STERN und SPIEGEL.
Jupp Darchingers Archiv, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung übernommen wurde, enthält mehr als 40.000 Fotos. Es darf sie deshalb nicht verwundern, wenn die Ausstellung für die Zeit ab den 1950er Jahren überwiegend auf Darchinger-Fotos zurück greift. Darchinger nämlich war nicht nur meistens vor Ort, ihn zeichnet auch aus, dass uns auf seinen Bildern das Typische, das die Situation besonders Markierende begegnet. Mit Recht ist er durch zahlreiche Fotobücher geehrt worden, denn seine Fotos erzählen plastischer als manches Geschichtsbuch von der zweiten deutschen Republik.
Diese Ausstellung ist eine Kooperation zwischen der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Freundeskreis-Willy-Brandt-Haus. Für den Freundeskreis, den ich heute vertrete, danke ich der Ebert-Stiftung, ohne deren reichhaltigen Fotofundus unser Projekt nicht realisierbar gewesen wäre.
Öffnungszeiten: Täglich außer Montag: von 10.00 bis 18.00 Uhr Donnerstags bis 20.00 Uhr
Der Eintritt ist frei; alle Angebote der Gedenkstätte (Führungen, Veranstaltungen u.a.) sind kostenlos, Spenden sind aber jederzeit sehr willkommen: Unsere Bankverbindung: Heidelberger Volksbank e.G., BLZ 672 900 00, Konto Nr. 713 007.
Führungen: Unentgeltlich nach telefonischer Voranmeldung.
Lage: Das Friedrich-Ebert-Haus liegt im Herzen der Heidelberger Altstadt, nahe der Alten Brücke, dem Marktplatz und der Heiliggeist-Kirche. Sie ist behindertengerecht ausgebaut und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.