»Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen.« So hat es Wolfgang Blau, der Chefredakteur von »Zeit Online«, in einer Keynote formuliert, die er bei einer Urheberrechts-Fachtagung von Bündnis 90/Die Grünen hielt. Er erläuterte, warum das geplante Gesetz nicht nur nicht hilfreich, sondern schädlich ist. Er forderte von Politikern den Mut, offen auszusprechen, dass infolge der Digitalisierung »ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden«. Und er plädierte dafür, sich mit den heute kaum noch nachvollziehbaren Argumenten zu beschäftigen, mit denen frühere umwälzende Technologien wie der Buchdruck und die Eisenbahn bekämpft wurden.
Ich möchte dazu beitragen, dass diese bemerkenswerte Rede möglichst große Verbreitung findet, und dokumentiere sie hier mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von Wolfgang Blau:
Urheberrecht, Internet, Eisenbahn und Buchdruck
„Worüber ich mit Ihnen heute reden will, ist etwas, das mir nun schon seit mehreren Jahren auffällt: Wie hitzig und geradezu verbittert der Streit um das Urheberrecht ausgetragen wird und wie oft es dabei gar nicht ums Urheberrecht geht, sondern um viel Grundlegenderes, um ein grundsätzliches Unbehagen gegenüber dem Netz und sogar um die Frage nach persönlicher Identität. Fragen wie: »Wer bin ich als Schriftsteller, wenn jeder sich als Autor bezeichnen und jeder publizieren kann?« oder »wer sind wir eigentlich noch als Verleger und als Journalisten, wenn zum Beispiel soziale Netzwerke fast beiläufig — wie etwa in den ersten Fukushima-Nächten oder während der Frühphase der arabischen Revolutionen im letzten Jahr — genuin journalistische Funktionen übernehmen?«
Auch in den meisten meiner Diskussionen mit Befürwortern des Leistungsschutzrechtes geht es erstaunlich selten um das Urheberrecht und die angebliche Schutzlücke darin. Stattdessen höre ich regelmäßig Aussagen wie: »Ja, kann durchaus sein, dass uns ein Leistungsschutzrecht finanziell überhaupt nichts bringen wird oder sogar einen Imageschaden bei netzaffineren Lesern verursacht, aber man muss doch jetzt mal ein Zeichen setzen!«
Ein Zeichen wofür?
»Dafür«, so die stereotype Antwort, »dafür, dass wir uns nicht mehr länger von Google herumschubsen lassen und dass wir — als sonst konkurrierende Medienunternehmen — durchaus auch geschlossen und einig agieren können, wenn es darauf ankommt.“
Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen.
Der Schaden ist vielfältig. Zum Beispiel wird nun kaum noch eine Debatte über die wirklich drängenden Fragen zum Urheberrecht möglich sein, bevor nicht die vielen offenen Fragen zu diesem neuen, diffusen Leistungsschutzrecht beantwortet sind.
Und verstehen Sie mich nicht falsch: Als jemand, der viele Jahre lang vom Silicon Valley aus und nun seit über vier Jahren als Chefredakteur von ZEIT ONLINE das Gebaren amerikanischer Unternehmen wie Google, Apple, Facebook und Amazon beobachtet hat, kann ich den Impuls der Verlage und vieler Redakteure, einmal ihre geschlossene Macht zu demonstrieren, gut verstehen.
Der Impuls war nur fehlgeleitet, die Kampagne hat kostbare Energien gebunden, das Leistungsschutzrecht lässt die Bundesregierung nun entweder als seltsam netzfremd oder als zynisch erscheinen und es stehen nun weitere monatelange Machtproben zwischen Google und den Verlagen bevor.
Die Verlage haben lediglich bewiesen, dass sie immer noch Macht ausüben können, auch über eine Bundesregierung. Geld werden sie von Google kaum bekommen. Google kann auch damit drohen, den Verlagen keinen Traffic mehr zuzuführen, was für einige, aber nicht alle Häuser fatale Folgen hätte. ZEIT ONLINE erzielt nur etwa 15 Prozent seiner Reichweite über Suchmaschinen.
Gegen das Anliegen der Verlage und vieler Redakteure, die Zeitungskrise nicht einfach nur passiv zu erleiden, sondern sich einem der großen Gewinner des Netzzeitalters einmal geeint entgegenzustellen, dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden. Es ist ein sehr menschlicher Impuls und man sollte nie vergessen, dass in den Zeitungsverlagen viele Menschen arbeiten, denen daran liegt, mit ihrer Arbeit nicht nur ein Einkommen zu haben, sondern einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag zu leisten, den sie nun bedroht sehen. Es hätte aber sehr geholfen, diese Motive und durchaus auch die eigene Verunsicherung durch den digitalen Wandel offenzulegen und zu thematisieren, statt die Debatte ums Leistungsschutzrecht auch noch damit zu überfrachten, dass die Zukunft der Demokratie von der Zukunft der Zeitungsverlage abhänge. Sie tut es nicht.
Und wo wir schon von fehlender Offenlegung sprechen, lassen Sie mich noch zwei, drei andere Aspekte der Urheberrechts-Debatte skizzieren, die von mehr Transparenz profitieren würden:
Erstens: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien wird es wagen, noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr das Urheberrecht oder gar die Netzpolitik zu einem zentralen Thema zu machen. Alle Parteien spüren die taktische Notwendigkeit, sich zumindest an ihrer Peripherie mit dem Thema zu beschäftigen, dies nicht nur, aber auch um den Piraten (Piraten und Urheberrecht) nicht das Feld zu überlassen.
In diesem Spannungsfeld zwischen sich nicht damit beschäftigen wollen und sich aber ein bisschen damit — und dann öffentlich — beschäftigen müssen wird die Urheberrechtsdebatte noch mindestens ein weiteres Jahr, also bis nach der nächsten Bundestagswahl halbgar vor sich hin köcheln.
Zweitens: Fast jeder Teilnehmer der Urheberrechts-Debatte ist Partei oder hat nicht deklarierte Eigeninteressen.
Vor allem wir Journalisten haben uns bisher nicht mit Ruhm bekleckert, wenn es darum ging, persönliche Interessen in unserer redaktionellen Arbeit offen zu legen. Statt ehrlich zu sagen: »Wir haben Angst um unsere Jobs, wir haben Angst um unsere gesellschaftliche Relevanz und unsere berufliche Zukunft«, haben viele von uns die Urheberrechts-Debatte zu einer Debatte über die Zukunft der Demokratie und gar der Kultur des Abendlandes hochstilisiert.
Begleiterscheinung dieser fehlenden Offenlegung ist auch, dass Zeitungsredaktionen das Internet nun viele Jahre lang tendenziell als ein eher bedrohliches Phänomen dargestellt haben, das Kriminalität befördert und den Niedergang kultureller Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes beschleunigt. Es sind dabei ganze Mythologien entstanden, wie etwa die, dass ein besonnener, nachhaltiger intellektueller Diskurs eher auf Papier als im Netz stattfinden könne. Prototypisch für die unverantwortliche Überhöhung der Urheberrechts-Debatte war auch ein Zeitungskommentar am Tag nach der Kabinettsentscheidung zum Leistungsschutzrecht, in dem zu lesen stand, dies sei ein guter Tag für die Freiheit gewesen, das Gesetz setze ein Zeichen gegen die Gratiskultur im Netz, um gleichzeitig aber zuzugeben, dass man noch gar nicht wissen könne, was diese Regelung einbringen werde.
Nur ein Symbol-Gesetz also?
Aber auch als Online-Redakteur bin ich der Debatte ums Urheberrecht und vor allem das Leistungsschutzrecht befangen. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: ZEIT ONLINE hat das Ziel, nicht um jeden Preis Deutschlands reichweitenstärkste Nachrichtensite, in jedem Fall aber Deutschlands anspruchsvollste Nachrichtensite zu sein und genau damit profitabel zu werden, also den Beweis anzutreten, dass man im Netz auch mit anspruchsvollen Inhalten und hochwertiger User-Interaktion und nicht nur mit klickoptimiertem Boulevard Geld verdienen kann. ZEIT ONLINEs Umsätze wachsen rasant, wir sind uns inzwischen sehr sicher, dass wir das Ziel der Profitabilität erreichen werden und eine gute Zukunft vor uns haben. Noch sind wir aber nicht profitabel.
In der Debatte um das Leistungsschutzrecht wurde nun aber von Seiten vieler Verleger und auch vieler Redakteure betont, man brauche das neue Gesetz vor allem deshalb, weil man mit Journalismus im Netz ja kein Geld verdienen könne. Gegenargumente, etwa Hinweise auf hochprofitable Nachrichten-Sites wie »Spiegel Online« oder den österreichischen »Standard« werden dabei bestenfalls als Ausnahmen von einer Regel gelten gelassen. Oft werde ich noch in Diskussionen darüber verwickelt, ob die Bilanzen dieser Unternehmen denn realistisch seien, was Unfug ist.
Sie sehen, selbst wenn ich als Bürger das Leistungsschutzrecht für sinnvoll gehalten hätte, wäre zumindest die Versuchung groß gewesen, es schon allein deshalb zu abzulehnen, weil im Lauf der Debatte darüber alte Argumentationsstränge von der angeblichen Aussichtslosigkeit des Online-Journalimus propagiert wurden, die meiner eigenen strategischen Agenda schaden könnten, etwa wenn ich das nächste Mal um zusätzliche Stellen für meine Redaktion kämpfe.
Dies nur als sehr persönliches Beispiel dafür, wie schnell sich in der Urheberrechts-Debatte persönliche und politische Agenda gegenseitig beeinflussen.
Mir wird gelegentlich auch vorgeworfen, dass ja über 40 Prozent der Leser von ZEIT ONLINE jünger seien als 29 Jahre und wir schon allein deshalb das Leistungsschutzrecht — etwa in den Texten Kai Biermanns — skeptisch behandeln würden. Dieser Vorwurf lässt mich aber ungerührt. Im Lauf eines Jahres stoßen wir jede nur denkbare Klientel mindestens einmal wissentlich oder unwissentlich vor den Kopf, so dass sich das nivellieren würde. Darüber hinaus ist mit Texten über das Urheberrecht oder gar das Leistungsschutzrecht nicht viel Reichweite zu machen, auch nicht bei sehr jungen Lesern. Das Thema ist immer noch viel zu speziell.
Nun habe ich über meine Befangenheit gesprochen, worin dürfte Ihre Befangenheit als Politikerinnen und Politiker bestehen?
Vielleicht tue ich Ihnen Unrecht, aber man wird zumindest den Eindruck nicht los, dass die arrivierten Politiker, diejenigen, die bereits über gute persönliche, oft ja freundschaftliche Netzwerke in die traditionellen Medien verfügen, am wenigsten geneigt sind, beim Thema Urheberrecht progressive Positionen zu vertreten. Es scheinen in allen großen Parteien besonders die Jungen und zusätzlich noch die von den traditionellen Medien weniger Beachteten zu sein, die sich beim Urheberrecht gegen die Interessen der Verlegerverbände stellen, also all die, die ohnehin wenig Journalistengunst zu verlieren haben oder die bereits gelernt haben, dass sie auch im Netz und ohne traditionelle Medien große Öffentlichkeit erreichen können.
Ein weiterer (dritter) Punkt scheint mir in einer transparenteren Debatte über das Urheberrecht am wichtigsten. Der Mut der Politik, das scheinbar immer noch Unaussprechliche endlich deutlicher auszusprechen: Dass infolge der Digitalisierung, dann der Vernetzung im Internet und nun auch noch der rapide voranschreitenden mobilen Vernetzung via Smartphone ganze Branchen und ganze Berufszweige verschwinden werden.
Auch das schärfste und rigideste Urheberrecht würde nicht verhindern können, dass die Verlagslandschaft in den nächsten Jahren weiter aus den Angeln gehoben wird. Wer glaubt, die letzten zehn Jahre seien transfomativ und herausfordernd gewesen, sollte sich darauf einstellen, dass mit der jetzt einsetzenden Nutzungsverlagerung ins mobile Netz noch viel dramatischere Entwicklungen, Umsatz– und Auflageneinbußen bevorstehen als in den letzten Jahren. Das Urheberrecht wird das nicht aufhalten können. Und: Würde Google nicht existieren, ginge es den Verlagen keinen Deut besser.
Meine Damen und Herren, die Auswirkungen des Internet werden ja oft mit der Einführung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert verglichen. Man kann diesen Vergleich überstrapazieren. Geschichte wiederholt sich nicht. Man kann aber daraus lernen und ich glaube schon, dass uns der Blick auf frühere disruptive Erfindungen wie Buchdruck, Eisenbahn und Elektrizität helfen können, unseren heutigen, noch sehr zaudernden Umgang mit dem Internet besser einordnen, besser verstehen zu können.
Buchdruck, Eisenbahn und Elektrizität haben gemeinsam, dass ihre Einführung nicht nur das gesamte Wirtschaftsleben ihrer jeweiligen Zeit — quer durch alle Branchen — zur Neuorganisationen gezwungen hat, sondern dass sie auch eine Verschiebung kultureller Normen und Werte erzwungen haben. Am interessantesten sind dabei die alten, untergegangenen Sichtweisen und Denkarten, die wir uns heute im Rückblick am wenigsten vorstellen können. Der Versuch aber, sich in diese alten Sichtweisen noch einmal hineinzuversetzen, kann uns im eigenen Tagesgeschäft helfen, unsere eigenen Denkschranken und Scheuklappen — etwa im Umgang mit dem Urheberrecht — zumindest zu erahnen.
Beispiel Buchdruck: Für uns ist es heute leicht zu verstehen, weshalb die Einführung des Buchdruckes Voraussetzung für die wissenschaftlichen, künstlerischen, philosophischen Revolutionen der Renaissance war. In den Zeiten Gutenbergs aber galten gedruckte Bücher vor allem in der klerikal geprägten Bildungselite zunächst einmal als minderwertiger Schund und das aus plausiblen Gründen. Sie galten als Bedrohung und Gefahr für die Zukunft der Bildung und des Wissens. Handgeschriebene Bücher galten vielerorts als seriöser. Der dramatische Preisverfall, den gedruckte Bücher gegenüber handgeschriebenen Büchern darstellten, wurde eher als Bedrohung des damaligen wissenschaftlichen Betriebes angesehen, nicht als enorme Bereicherung.
Und tatsächlich haben sich ja viele damalige Ängste vor einer Überflutung der Menschen durch billige Traktate und gesellschaftszersetzende Schriften bewahrheitet: Der politische und theologische Diskurs, der zuerst in die Reformation und später in die Katastrophe des 30-jährigen Krieges mündete, wäre ohne den Buchdruck nicht in dieser Geschwindigkeit und geographischen Ausbreitung möglich gewesen. Die Ängste der damaligen Wissenselite waren also durchaus berechtigt, auch was die damalige — gefühlte — Überflutung durch gedruckte Schundliteratur, Pornographie und Pamphlete betrifft.
Trotzdem würden wir heute den Buchdruck so wenig missen wollen wie die Renaissance, die Reformation oder die Aufklärung, die durch den Buchdruck mit ermöglicht wurden. Die Historikerin Elisabeth Eisenstein beschreibt in ihrem Buch »The printing revolution in early modern Europe« sehr anekdotenreich, wie der im späten 15. Jahrhundert bedrohte Berufsstand der Schreiber seine Existenz mit immer abstruseren Argumenten zu begründen und abzusichern versuchte und damit einige Zeit Gehör fand.
Der auch vom amerikanischen Medientheoretiker Clay Shirky oft zitierte Abt von Sponheim schrieb 1492 sogar ein Buch über den erhabenen und auch im Zeitalter des Buchdrucks immer noch edleren Beruf der Schreiber. Sein Buch mit dem Titel: »De Laude Scriptorum« / »Zum Lob der Schreiber« ließ er dann aber doch lieber kostengünstig drucken als es handschriftlich zu vervielfältigen.
Weder der Abt von Sponheim, noch Johannes Gutenberg konnten voraussehen, welche revolutionären Veränderungen der Buchdruck bewirken würde. Und selbst einer der ersten großen Nutznießer des Buchdruckes, Martin Luther, soll etwa im Jahr 1530 gesagt haben, die große Zahl an Büchern sei »ein großes Übel«. Das »allgemeine Schreibfieber« kenne kein Halten mehr, jeder wolle nun ein Autor sein, manche aus »schierer Eitelkeit«, so Luther, andere um Ruhm zu ernten, wieder andere »nur des Geldes wegen«.
Gutenberg, Sponheim und Luther einte eine Sichtweise auf den Buchdruck, die von der Zeit der Schreiber geprägt war. Sie waren schlicht Kinder ihrer jeweiligen Zeit. Gutenberg teilt außerdem das Schicksal vieler großer Erfinder, die selbst nie erahnten, was sie da eigentlich erfunden hatten und welche Wirkung es entfalten würde.
Zweites Beispiel für die geradezu behindernde Hartnäckigkeit einmal erlernter Sichtweisen auf eine Technologie und für eine Werteverschiebung durch eine neue Technologie ist die Eisenbahn. Es ist heute noch gut nachvollziehbar, dass viele Menschen damals Angst vor Unfällen hatten. Schon früh wurden — im Rückblick ja sehr berechtigte — Ängste geäußert, dass Eisenbahn-Reisende schwere Unfälle erleiden könnten und dass Eisenbahnen zur schnelleren Verbreitung von Krankheiten, zu neuen Formen von Kriminalität oder auch zu neuartigen, noch schlimmeren Formen der Kriegsführung beitragen könnten. All diese Ängste haben sich ja bewahrheitet.
Die damals größten und damals populärsten Bedenken gegenüber der Eisenbahn waren jedoch ganz anderer Art und sind für uns heute am wenigsten nachvollziehbar: Die damals populärsten Bedenken galten der als dramatisch empfundenen, neuen Reisegeschwindigkeit, die die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit übersteige. Das Bayerische Obermediziner-Kollegium schrieb 1838, die schnelle Bewegung müsse bei den Reisenden unfehlbar eine Gehirnkrankheit erzeugen, weshalb man die — erst drei Jahre zuvor eröffnete Strecke von Nürnberg nach Fürth — rasch mit einem Bretterzaun einfassen müsse, um die visuellen Reize für Fahrgäste zu minimieren.
Ähnlich äußerte sich Victor Hugo. Er klagte darüber, dass man aus Zügen — im Unterschied zu Kutschen — die Landschaft nicht mehr wirklich sehen könne. Zitat Hugo: »Alles wird Streifen. Die Getreidefelder werden zu langen gelben Strähnen« und »die Bäume vermischen sich auf eine verrückte Weise mit dem Horizont«.
Es ist leicht für uns, diese Äußerungen aus früheren Jahrhunderten zu belächeln. Johannes Gutenberg, der Abt von Sponheim und Luther waren aber intelligente und für ihre Zeit jeweils gebildete Menschen, wie auch Victor Hugo oder die bayerischen Mediziner, die den Blick aus einem nur etwa 35 Stundenkilometer schnellen Zug von Nürnberg nach Fürth für hirnschädigend hielten.
Wenn das damals aber intelligente Menschen waren, denen mehre Jahre offenbar nicht genügten, um sich an eine neue disruptive Technologie zu gewöhnen, könnte es dann auch sein, dass unsere heutigen Debatten über angebliche Informationsüberflutung, Netzverdummung, Online-Isolation, Kostenloskultur, »Digitale Demenz« oder gar digitalen Kulturverlust nur vergleichbare Übergangsphänomene sind?
Übergangsphänomene, die spätere Generationen im Rückblick auch — hoffentlich — gnädig betrachten mögen, während sie sich dann mit ganz anderen und viel erheblicheren positiven wie negativen Auswirkungen des Internet beschäftigen werden?
In jedem Fall sollten wir bei der Diskussion über eine Reform des Urheberrechts für das Netzzeitalter einkalkulieren, dass unser aller Blick — auch wenn Sie sich sogar für einen »digital native« halten mögen — von einer ausklingenden Ära geprägt ist und dass deshalb — und nur deshalb und nicht etwa aus Gerechtigkeitsgründen — dass deshalb die großen Profiteure dieser ausklingenden Ära nicht Ihre primären Gesprächs– und Denkpartner sein sollten, wenn Sie sich auf die Suche nach einem Urheberrecht für die Zukunft machen.“
Der vom renommierten „Medium Magazin“ 2011 zum Chefredakteur des Jahres gewählte 44jährige Wolfgang Blau wechselt ab April 2013 – nachdem er viereinhalb Jahre die Redaktion von ZEIT-Online leitete – als Direktor der Digitalstrategie zum britischen „Guardian“. Das teilte der „Zeit“-Verlag am Dienstag in Hamburg mit.
28.Dez..2012, 02:16
Beim „Unbehagen über das Netz“, über das W. Blau im Zusammenhang des Urheberrchts legitimerweise nachdenkt (siehe Beitrag oben), sollte nicht vergessen werden, dass es – wie bei Beginn des Buchdrucks und bei den ersten schnelleren Eisenbahnen – einfach da ist. Das Unbehagen ist da und es greift um sich – inzwischen auch bei jüngeren Leuten, die allmählich kapieren…Und dies hat auch seine volle Legitimität. Es ist ein kräftiges Unbehagen in der neuen Kultur.
Denn was damals in grauen Vorzeiten schon auf je seine Art berechtigte oder nicht berechtigte Bedenken schuf (die Massenverbreitung von durchaus auch banalen bis bedenklichen Schriften und die extreme Beschleunigung des Alltags), tut es heute eben auch. Neben der unbenommen spannenden Technik und der Spannung des immer wieder Neuen vom Neuen steht das Netz als reales Mentekel des Virtuellen plötzlich in und um uns auf wie ein neues Babylon. Es ist ein aufdringliches Medium, denn abschalten will nicht mehr gelingen. Tand, Tand ist das Gebild von Menschenhand, fabulierte schon der gute alte Fontane, wenn ich nicht irre. Die abhängig Gewordenen fühlen sich frei, während ihre Sinnesorgane und Gliedmaßen gefesselt sind! Seltsame Freiheit!
Gewiss, all die schöne Netz-Dinge machen Spaß und Freude und an Weihnachten besonders glänzende Augen, allein das bunte und schicke Design; Männer werden wieder zu Kindern, weniger die Frauen; der in uns archaisch vorhandene Spieltrieb darf sich ungeahnt kräftig austoben, aber….
die Vollapologeten des Netzes übersehen, dass jede neue technische Erfindung hinterfragt wie akzeptiert werden kann, ja muss. Etwa so: In welcher „Produktionsweise“ bewegt sich die neue „Produktivkraft“?
Und W. Blau hätte konsequenterweise mindestens auch noch eine weitere epochale Erfindung einarbeiten können in seinen Beitrag: Die Erfindung der Atomkraft und der Atom- bzw. Wasserstoffbombe. Hier ist es nämlich wesentlich evidenter, dass man das Neue natürlich hinterfragen muss, liebe Piraten und Piratinnen!
Buchdruck – Eisenbahn – Atombombe – digitale Kommunikation….Technische Neuerungen, so bewundernswert sie in ihre Findigkeit sind, weisen dialektische Spannungen auf, die der Befassung bedürfen. „Synthese“ im hegelianischen Sinne gelingt dabei nicht immer wie selbstverständlich.
Heute wollen wir noch das papierne Buch retten, müssen wir in drei Jahrzehnten das digitale Medium außerhalb von unseren Körpern retten, weil geschäftige Innovatoren uns den ultimativen Chip ins Hirn einbauen wollen, wie allen Ernstes ein Karlsruher Wissenschaftler es neuerdings vertritt, dass es so kommen werde?
Es ist deshalb gar nicht gut, sondern deppert, wenn Kritiker des Netzes im Mainstream als notorische Bedenkenträger abgekanzelt werden, wie dies sehr häufig geschieht – wirkliche Auseinandersetzung, die wir brauchen, bremsend.
Die essenzielle Frage ist nämlich, ob das digitale Netz in all seinen Ausfaserungen insgesamt eher den Wirkungen von Telefon, Eisenbahn und Buchdruck gleich kommt, also etwas Hinzunehmendes und mehr oder minder Akzeptables ist, was halt wie immer Vor- und Nachteile hat oder ob das Netz, hier gedacht als PhoneMailGoogleTwitterAppSMSusw. nicht doch auch eine „Sprengkraft“ hat, die kulturell und in der Dimension der der Atomkraft gleich kommt – nur eben auf andere Art.
Hier ein paar zentrale Einwände, die beim Reflektieren über das „Netz“ gerne missachtet werden:
– es, das Netz, führt sichtlich in babylonische Sprachverwirrung;
– es führt in der Modalität des Multitasking zu Überforderungen, über die bereits alltagsmassiv geklagt wird;
– es greift als teures Medium tief in die Taschen der privaten Haushalte, denn auch wenn der Staat uns alle gerne gut digital versorgt sehen möchte, so kümmert es ihn doch einen Dreck, wie wir das Zeug alles finanzieren;
– es drückt gewaltig aufs Tempo, das im weltweiten Turbokapitalismus eh schon extrem hochspiralisiert wurde;
– es ist als vielfältiges technisches Medium auf „seltene Erden“ angewiesen, die eben selten und somit sehr endlich sind (Coltan, Lithium, andere Metalle und Minerale) und den internationalen Kampf um Rohstoffe kräftig anheizen – mit all den bekannten Folgen im Kongo z.B. und in vielen anderen „armen Ländern“;
– es suggeriert Mündigkeit und Autonomie, während die User für gewöhnlich ihre zunehmende Programmiertheit nicht erkennen oder verdrängen; die User werden Teil des Apparats und des Systems;
– es schafft eine zusätzliche Ursache für Sucht, während wir uns noch mit Drogen herumschlagen, und beflügelt nicht nur Lernen, sondern verhindert es vor allem auch (man lese M. Spitzer); zugleich wird die Informationsgesellschaft fälschlicherweise als Wissensgesellschaft verkauft;
– es führt die Menschen im realen Raum auseinander, während es im virtuellen Raum zwar neue Kommunikation schafft, aber auch neuartige „Identitäten“ wie Avatare oder second world-Deppen.
– es spaltet die Generationen und Altersgruppen – auch schon bei den jüngeren Leuten inzwischen;
– es verschleiert den urheberrechtlichen Umgang mit individueller künstlerischer Kreation;
– es macht die Augen (und Ohren) tendenziell kaputt, was noch gar nicht richtig erkannt wird; und es führt auch verstärkt zu Haltungsschäden, was banal klingt, aber weh tun kann.
Nun ja, wirkliche Bekenner, werden dies alles irgendwie von der Hand weisen und von „Steinzeitdenken“ lamentieren. Ich persönlich kann, obzwar ich das Netz auch nutze, ja gezwungen bin, es zu nutzen, (noch) nicht erkennen, dass es uns menschlich wirklich weitergebracht hätte. Wir haben es mit einer postmodernen Zeitbombe zu tun, die es zu entschärfen gilt.
Noch simst die Kanzlerin Merkel. Die gesellschaftlichen Eliten kommender Epochen werden alsbald begreifen, dass sie sich möglichst oft vom Netz abnippeln mpüssen, um ihr Denkvermögen zu erhalten.
Die Technikfolgenabschätzung, so beliebt inzwischen bei anderen technischen Errungenschaften, geht im gegebenen Fall zu sehr unter. Da ist schon allein der Großkommerz vor. Wehe denen, die diesen anzugreifen wagen! Wenn es zu neuartiger „Maschinenstürmerei“ (siehe 18./19. Jahrhundert) kommen sollte, wird man die Warner und Verweigerer braten! Die neuen digitalen Medien sind vor allem eines: ontologisch fanatisch.
Frei nach dem in Würden ergrauten, so jugendlich gebliebenen Helmut Schmidt, der als Kanzler fernsehfreie Tage und „Mensch Ärgere Dich Nicht“ vorgeschlagen hatte: Schalten wir – je nachdem – an mindestens ein bis zwei Tagen pro Woche alles ab!
Beste Grüße
Fritz Feder
28.Dez..2012, 18:57
Erstaunlich, diese von Ihnen verlinkte Broschüre der Piraten-Partei zur Reform des Immaterialgüterrechts. Ständig höre ich, die Piraten hätten nicht nur kein Programm sondern wüssten nicht mal – und das soll ja eines ihrer Kernthemen sein – zur Urheberrechtsdebatte mehr zu sagen, als dass sie dazu noch nichts sagen könnten, da das noch nicht ausdiskutiert wäre – und was der von anderen Parteien unter die Leute gebrachten Unwahrheiten mehr sind. Diese Broschüre nimmt sich des Themas in einer Weise an, dass ich jetzt mal mehr auch darüber wissen möchte, was die Piraten denn nun alles wirklich wollen. Und wie sehr sie sich damit bereits beschäftigt haben. Und siehe da, im Netz (ja, wo denn sonst) ist zu eigentlich allen gesellschaftlichen Problemen in einer Sachlichkeit diskutiert und geschrieben worden, dass ich mich schon beinahe dafür entschuldigen möchte, das ich alles – naja vieles von dem jedenfalls, was da in der Presse über Piraten geschrieben wird – geglaubt habe.
Übrigens auch vielen Dank dafür, dass Sie die Rede von Herrn Blau ausgegraben haben. Passt.
Nikolai Witt
29.Dez..2012, 05:35
Den Hinweis auf Eigeninteressen in der Urheberrechtsdebatte, die auch den Interessierten selbst nicht in dem Maß bewusst sind, wie sie wirksam sind, finde ich sehr verdienstvoll. Und auch, dass Wolfgang Blau die Ängste und Warnungen der Menschen früherer Epochen nicht einfach dazu benutzt, heutige Fortschrittsskeptiker lächerlich zu machen, wie das zu Unrecht leider oft geschieht. Zu Unrecht, weil diese Ängste in vielen Fällen eben nicht lächerlich, sondern völlig verständlich und berechtigt waren, wie Blau ja auch sagt.
In diesem Punkt finde ich die Argumentation aber auch inkonsequent. Erst sagt er, mitunter waren Sorgen berechtigt und haben Befürchtungen sich bewahrheitet, dann aber geht es in heutigen Debatten nur um »angebliche« Probleme. Wo ist da die Einsicht geblieben, dass Sorgen angesichts »disruptiver« (!) Technologien auch berechtigt sein können?
Und was heißt in diesem Zusammenhang »Übergangsphänomene«? Natürlich werden kritische (und auch mal panische) Stimmen vor allem dann laut, wenn der Umbruch gerade stattfindet oder bevorsteht, und nicht, wenn er in der Vergangenheit liegt. Was ist denn damit gewonnen, zu sagen, dass diese Stimmen schon wieder verstummen werden? Bestimmt haben bei der Einführung des Automobils Leute vor Unfällen gewarnt. Heute wird das Auto als Technologie nicht mehr in Frage gestellt, während man sich daran gewöhnt hat, dass es Tausende Verkehrstote pro Jahr gibt. Und klar, genauso werden wir uns daran gewöhnen, dass z.B. einige Leute wegen Internetsucht (und ob das jetzt irgend eine klinische Definition von »Sucht« erfüllt, ist mir relativ wurscht) ihr Leben vor die Wand fahren. Die Aufregung darüber wird sich als »Übergangsphänomen« herausstellen. Ich finde diese Lesart irgendwie … unbefriedigend. Hochinteressant und erfreulich sachlich und zielführend der von Ihnen „eingelinkte“ Beitrag der Piraten zum Thema!
Max Breithaupt
29.Dez..2012, 05:38
Ein ausgesprochen informativer und klug abwägender Vortrag, den man nur weiterempfehlen kann. In einem Punkte sollte man Blaus Text ergänzen: Unter »Sponheim« wird man nur über Umwege den Verteidiger der Manuskriptschreiber »De laude scriptorum manualium« (sic!) wiederfinden. Leichter geht es unter »Johannes Trithemius«, der in seiner Karriere eben auch Abt von Sponheim gewesen ist. Was den heutigen Betrachter an Trithemius irritieren dürfte: 1. Er war ein klösterlicher Reformator und Befürworter strikter Regeln des mönchischen Tagesablaufs. Dafür haben ihm erboste Fratres einen Teil seiner sehr umfänglichen Bibliothek in Brand gesteckt. Tja, Holzmedium eben. 2. Er war hochgradig abergläubisch und hing der Weißen wie (angeblich auch) der Schwarzen Magie an. 3. Man muß sich Trithemius als skrupellosen Geschichtsfälscher vorstellen: Wenn er keine Quellen zur Verfügung hatte, dann fälschte er sich seine Unterlagen und erfand (von ihm angeblich entdeckte) ältere Geschichtswerke. Im übrigen hat er hierfür auch ebenso effizient die neuen Druckmedien zur Verbreitung seiner Ansichten eingesetzt.
Reiner
Vielleicht ist es nicht so gefährlich (für wen?), wenn dieser »Knotenpunkt« sich in seiner Universalität auch versteht. Da ist Google weniger zu kritisieren, die Fallhöhe der Holzmedien übersteigt natürlich jene der jungen Digitalen in diesem gesellschaftlichen Irrtum. Und der Grund ist so frappierend blöd, das macht Wolfgang Blau schon deutlich. Buchdruck, Eisenbahn, Elektrizität. Unabhängigkeit, Flexibilität, Mobilität — alles zusammen auch durch die Erfindung des Handys (schaden diese Strahlen wirklich nicht?), Internets, der Demokratie vor 2000 und paar Jahren, und sicherlich waren die Religionen mal wirklich gut zu gebrauchen, um Zugang zu allem Möglichen zu erhalten.
Das Problem heißt Fortschritt, muss man sagen. Es fehlt an gesellschaftlicher Sensibilität für das Neue. Nach jedem Hype sollte eine Phase der Implementierung neuer Kulturtechniken kultiviert werden. Die Geisteswissenschaftler haben die Zeit nach dem 2. Weltkrieg verschlafen, will man fast sagen. Probleme wie Rassismus sind kulturell lösbar, weil sie sich kulturell verbreiten etc.…
Frauke Reichard
29.Dez..2012, 05:44
Das Leistungsschutzrecht ist sicher eine Totgeburt, wie die ähnlich geartete Auseinandersetzung der belgischen Copiepresse mit Google gezeigt hat. Am Ende haben die in der Copiepresse organisierten Zeitungsverleger vor der Macht des Faktischen kapituliert, obwohl sie juristisch auf ganzer Linie gewonnen hatten — ein Pyrrhussieg, wie sich herausstellte.
Ich denke, dass das grundsätzliche Problem des Urheberrechts (und des verwandten Copyrights) die Kopplung von Leistungserbringung und Kopie ist. Diese Kopplung ist ironischerweise ein Kind des Buchdruck-Zeitalters. Davor war jede Kopie eines Werkes ein immenser Aufwand, das Abschreiben eines Buches genauso wie das Kopieren eines Gemäldes, das Nachspielen eines Musikstückes oder das Nachhauen einer Statue. Zunächst der Buchdruck, in seiner Folge der Kupferstich, später Fotografie, mechanisches Klavier, Film und Tonfilm erlaubten zum ersten Mal Kopien, die a) vom Kopisten nicht die gleichen Fähigkeiten wie vom Autoren verlangten und b) für eine echte Vervielfältigung geeignet waren. Zum ersten Mal konnte der Herstellungspreis für eine Kopie deutlich unter die Kosten für das Original gedrückt werden, aber nur unter einer Voraussetzung: Es mussten möglichst viele Kopien hergestellt und verkauft werden. Denn sowohl die Maschinen, die man für die Kopie brauchte als auch das Schaffen der Urkopie (des Buchsatzes, der Druckplatte, des Filmmaterials..) waren teuer, und nur, weil man deren Kosten anschließend auf viele Kopien aufteilen konnte, war der Aufwand gerechtfertigt. Es dauerte übrigens 250 Jahre, bis sich zu der Überzeugung, dass das Schaffen der Urkopie eine geldwerte Leistung sei, die zu schützen wäre, auch die Überzeugung gesellte, dass der Autor des Originals ebenfalls eine geldwerte Leistung erbrachte. Deswegen beschloss das Statute of Anne von 1710, den Autoren an jeder Kopie zu beteiligen. Für die Zeit des Buchdruckes war das eine einleuchtende Idee, der gesamte Gewinn wurde schließlich durch den Verkauf von Kopien erzielt.
Die Investitionen, die für Kopien notwendig sind, waren so hoch, dass das Risiko, die Investitionen durch einen Urheberrechtsprozess zu verlieren, abschreckend genug war, um die Zahl der nicht genehmigten Kopien in erträglichem Rahmen zu halten. Gleichzeitig war durch die Notwendigkeit, jedes Mal viele Kopien zu fertigen und diese zu verkaufen, die Gefahr sehr hoch, dass man entdeckt wurde. Das machte das Copyright (und später das Urheberrecht) ab 1710 auch so wirksam.
Aber genau diese beiden Aspekte gibt es nicht mehr. Die Kosten für das Anfertigen einer Urkopie sind nahe null, Scannen und Rippen kein Problem, die Kosten für die notwendige Maschinerie sind auf Weihnachtsgeschenkniveau. Inzwischen lohnt sich das Anfertigen einer einzigen Kopie für den Eigengebrauch, ein öffentlicher Vertrieb der Kopien ist nicht mehr nötig. Die meisten der berüchtigten Raubkopieseiten führen gar keine Kopien selbst durch, sie sind im Grunde lediglich Vermittler zwischen dem, der eine Urkopie besitzt und dem, der davon eine weitere Kopie erstellen will. Mit einem Schlag wird die Stärke des Urheberrechts, dort anzusetzen, wo der Gewinn erzielt wird, zu seiner Schwäche: Mit dem Erstellen von Kopien wird kein Gewinn mehr erzielt. Kopien sind für jedermann beliebig billig.
Die Zeit, wo eine überschaubare Anzahl von Autoren, unterstützt von einer überschaubaren Anzahl von lizensierten Vervielfältigern und deren Rechtsvertreter einer überschaubaren Anzahl von Herstellern nicht genehmigter Kopien gegenüberstand, die wiederum ein Vermögen verlieren konnten, sollten sie erfolgreich verklagt werden, sind Geschichte. Die Versuche, einzelne Privatkopierer exemplarisch für alle anderen zu gigantischen Schadensersatzsummen zu verurteilen wie in den Fällen Tenenbaum und Thomas-Rasset, hinterlassen weniger abschreckende Wirkung als vielmehr ein Gefühl der völligen Maßlosigkeit und Ungerechtigkeit, weil zwei einzelne Personen stellvertretend für hundert Millionen anderer für den angeblich oder tatsächlich angerichteten Schaden aufkommen sollen. Schließlich war der Gewinn der beiden verschwindend gering.
Malte
29.Dez..2012, 16:40
Diese Rede kannte ich noch gar nicht, vielen Dank für’s „Abdrucken“!
Als Pirat verstehe auch ich die Ängste vieler Menschen vor schwerwiegenden Auswirkungen dieses Internets und anderen Fortschritten in unserer „Informations- und Wissengesellschaft“ und bin von so manchen emotionalen Vorwürfen inzwischen auch nicht mehr beleidigt, sondern weiß argumentativ damit umzugehen. Der Vergleich zwischen Internet und Buchdruck erschien mir inzwischen etwas abgedroschen, Herr Blau dehnt diesen Vergleich aber auch auf die vorerst negativen Auswirkungen solcher Neuerungen aus, was ich sehr spannend finde und mir auch bei Diskussionen zum Thema bestimmt mal helfen wird.
Mehr zum Thema Wissensgesellschaft und Piraten gibt es übrigens unter http://www.piratenpartei.de/politik/wissensgesellschaft/ (die Unterpunkte befinden sich dort im Menü auf der rechten Seite)
Viele Grüße und einen guten Start ins neue Jahr,
Hannes Koderisch
30.Dez..2012, 15:13
Großartiger Beitrag zur Debatte. Vor allem den einen Punkt, den ich bisher noch nie gehört habe, und über den ich selbst auch nie nachgedacht habe, wenn Vergleiche mit bisherigen Skeptiker-Debatten (Buchdruck, Eisenbahn, Straßenbeleuchtung, …) gezogen wurden: Die Skeptiker haben recht gehabt! Die Skeptiker haben viele, wenn nicht gar alle negativen Effekte vorhergesagt — Tumulte, Pamphlete, Pornographie, Kriminalität, Epidemien, Unfälle, Kriege. Und dennoch — haben, rückblickend, die positiven Aspekte auf eine Weise überwogen, wie es selbst die Erfinder und Vordenker nicht zu träumen gewagt hätten.
Und das macht mir in den aktuellen Debatten Mut. Dass nämlich Ängste nicht unbegründet, Skeptiker keine Spinner sein müssen und im Detail recht haben können, um dann aber im Großen, Ganzen doch auf der falschen Seite zu stehen.
Sique
30.Dez..2012, 15:21
Herr Blau hat vielleicht in seiner Rede keine völlig neuen, schon gar revolutionären Gedankengänge geäußert, aber ich finde sie dennoch informativ und beachtenswert, gerade weil sie so wunderbar sachlich und trotzdem anschaulich ist und vor Augen führt, in welcher Situation wir uns gerade befinden, was die Informationsbeschaffung und –verteilung angeht — ob als Konsument oder Produzent oder als irgendein Bindeglied dazwischen. Die Piratenbroschüre, auf der keck innerhalb der Rede verlinkt wurde, passt symbiotisch in die Rede und lassen leicht den Schluss zu: Die Piraten sind ja gar nicht so, wie man denkt, wenn man Zeitungen liest – und wenn man nicht gelesen hat, was die Piraten sich auch auf diesem Gebiet erarbeitet haben!
Jonas Marquard
02.Jan..2013, 14:49
Es gibt auch hier wieder ein Missverständnis. Die Front verläuft nicht zwischen Internet und Print, sondern Profi und Amateuren.
Wobei mit Profi all jene gemeint sind, die von ihrer Arbeit leben können und müssen, sei sie journalistisch oder künstlerisch. Und jenen, die es nicht können oder müssen. Egal, ob nun im Internet, Print, in der Musikbranche oder beim Film. Mit Profis sind also auch all jene gemeint, die durch Online-Newsseiten, Blogs usw. sich finanzieren können.
Und solange es noch kein etabliertes System gibt, wie nicht nur ein paar wenige Marktführer existieren können, sondern eine breite Masse an Profi-Angeboten entstehen und bestehen kann, solange wird es diesen Konflikt geben.
Deswegen führt auch Blaus Vergleich mit dem Buchdruck oder etwa der Eisenbahn in die Irre. Für beide gab es ein Geschäftsmodell, (wobei viele Flugblätter/Zeitungen auch von reichen Mäzenen herausgegeben wurden, was auch kein Vorbild ist). Für Online-Journalismus gibt es diese Geschäftsmodelle nur begrenzt, die Anzeigenerlöse sind deutlich geringer als in Print, Spendenkonzepte oder Stiftungskonstruktionen nur exotische, wenig erfolgreiche Erscheinungen. Das kann sich ändern. Aber solange werden Profis um ihren bezahlten Job fürchten, sich jeden Tag Vollzeit mit Recherche, Analyse, Kommentierung und Produktion beschäftigen zu können. (Und bitte nicht jetzt kommentieren, dass sie das teilweise schlecht machen, jaja, das stimmt zum Teil, aber das ist eine andere Debatte)
09.Jan..2013, 10:05
@Hannes Koderisch
Schön, dass Du Dich als Pirat zu Wort meldest. Ihr habt ja mit Missverständnissen zu leben – und habt es mittlerweile ganz gut hingekriegt. Es gibt auch hier wieder ein Missverständnis. Die Front verläuft doch nicht zwischen Internet und Print, sondern Profi und Amateuren.
Wobei mit Profi all jene gemeint sind, die von ihrer Arbeit leben können und müssen, sei sie journalistisch oder künstlerisch. Und jenen, die es nicht können oder müssen. Egal, ob nun im Internet, Print, in der Musikbranche oder beim Film. Mit Profis sind also auch all jene gemeint, die durch Online-Newsseiten, Blogs usw. sich finanzieren können.
Und solange es noch kein etabliertes System gibt, wie nicht nur ein paar wenige Marktführer existieren können, sondern eine breite Masse an Profi-Angeboten entstehen und bestehen kann, solange wird es diesen Konflikt geben.
Deswegen führt – da hast Du sicher recht – auch Blaus Vergleich mit dem Buchdruck oder etwa der Eisenbahn in die Irre. Für beide gab es ein Geschäftsmodell, (wobei viele Flugblätter/Zeitungen auch von reichen Mäzenen herausgegeben wurden, was auch kein Vorbild ist). Für Online-Journalismus gibt es diese Geschäftsmodelle nur begrenzt, die Anzeigenerlöse sind deutlich geringer als in Print, Spendenkonzepte oder Stiftungskonstruktionen nur exotische, wenig erfolgreiche Erscheinungen. Das kann sich ändern. Aber solange werden Profis um ihren bezahlten Job fürchten.
Manuela Bintz
09.Jan..2013, 10:20
Ende der 1920er hat man festgestellt, welches Machtmittel die Printmedien darstellen und sie entsprechend für die Manipulation der Massen genutzt.
Mit dem Internet geht diese Macht verloren, da ein freier Informationsfluss Manipulationen sehr erschwert, oder gar unmöglich macht.
Es geht nur um Macht, nicht um Urheberrechte!
Karl-Heinz Berg
13.Dez..2013, 20:19
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