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Im Namen der Toleranz
müssen wir das Recht
beanspruchen dürfen,
die Intoleranz
nicht zu tolerieren.

In vino veritas zum NPD Verbot:

Für den Erfolg der NPD in Sachsen machte seinerzeit Innenminister Otto Schily barsch und öffentlich das Bundesverfassungsgericht mit einer „sehr problematischen Entscheidung“ verantwortlich. Das war ein mehr als ein dreister verbaler Übergriff, das war unverfroren und so dumm und nachvollziehbar  gerade so falsch wie der neuerliche SPD-Vorstoß, das wieder aus der populistischen (?!)  Schublade hervor zu ziehen. Das von Schily gegen die NPD betriebene Verbotsverfahren nämlich war nicht etwa daran gescheitert, dass das Gericht den neonazistischen, antisemitischen und ausländerfeindlichen Charakter der NPD verneint hätte. Gescheitert ist der Antrag daran, dass der (sic) Bundesinnenminister und seine Mitstreiter nicht in der Lage waren, die für die Vorbereitung und Durchführung des Verbotsverfahrens zu fordernden rechtsstaatlichen Standards sicherzustellen. Dieser Versäumnisse wegen sah das Gericht keinen Raum für eine Entscheidung in der Sache – woran sich seitdem aber auch wirklilch gar nix geändert hat. Der Versuch, dem Bundesverfassungsgericht zur eigenen Entlastung die Haftung für das Übel NPD zuzuschieben, zeugte von einem mehr als dürftigen Rechtsstaatsverständnis Schilys.

In der Tat, seit dem spektakulären Auftritt der NPD Abgeordneten im sächsischen Landtag ist die Frage über den Umgang mit der NPD von aktueller Brisanz. Nicht zum erstenmal.
Die gegenwärtige Renaissance der NPD nimmt sich aber dennoch eher bescheiden aus. Heute sitzen zwölf NPD-Abgeordnete im sächsischen Landtag. Sie sagen das, was ihresgleichen schon immer gesagt haben: Traurige Gestalten am rechten Rand, die, so schrill sie sich auch aufführen mögen, weit davon entfernt sind, die Demokratie zu gefährden. Dass jetzt eine Lex NPD zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch sämtliche Lesungen gepeitscht, sowie ein mit dürftigen Anträgen eingeleitetes, im V-Leute-Sumpf stecken gebliebenes Verbotsverfahren wieder angeschoben werden soll, spricht nicht gerade für die Urteilskraft der politischen Klasse.

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Sicher, es gibt Anhaltspunkte für Bündnisse mit gewaltbereiten Neonazis und Skinheads.

Bei näherem Hinsehen aber findet sich wenig Gerichtsverwertbares. Im Kern ist die Partei eine deutschtümelnde Nationalistensekte mit rassistischen und antisemitischen Einschlägen, die personelle und aktionsbezogene Berührungspunkte zu Neonazis aufweist.

Die deutsche Demokratie koexistiert mit dieser Partei seit 1964.

Worin also liegt die Gefahr?
Ist das überhaupt erlaubt?

Ohne Zweifel, der Auftritt der NPD-Abgeordneten im sächsischen Landtag, die eine Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus boykottierten, war eine üble Provokation. Aber seit wann sind politische Provokationen ein Verbotsgrund? Die Sonntagsredner rühmen unsere Demokratie als Paradies der Meinungsfreiheit und Bürgerrechte, als Hort ungehemmter Opposition, als Forum des Wettbewerbs der Parteien. Doch kaum bezeichnen einige Nationaldemokraten die alliierten Luftangriffe auf Dresden als „kaltblütig geplanten industriellen Massenmord an der Zivilbevölkerung“ (was sie waren) und versteigen sich in Analogien wie Bomben-Holocaust, schon kommt die bange Frage auf: Ist solches Treiben überhaupt erlaubt? Am übelsten, so scheint es, nimmt man diesen Leuten ihre Sabotage der etablierten Gedenkveranstaltungen: Die verlassen demonstrativ den Saal, wenn anständige Leute der Opfer des Holocaust gedenken? Läßt sich das verbieten?

Nach Artikel 21 Absatz 2 GG können Parteien als „verfassungswidrig“ verboten werden, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“. Auch wenn Juristen allerhand hineininterpretieren können: Da steht einfach nichts vom richtigen Umgang mit der Geschichte. In Zeiten, da die Leidensgeschichte der deutschen Vertriebenen und Luftkriegsopfer wiederentdeckt wird, spitzen sich Erinnerungskonkurrenzen und Erinnerungskonflikte zu.

Ruf nach dem Staatsanwalt: Falscher Text

Wie aufklärend es wirkt, dass wenigstens im Parlament die freie Rede kompromißlos geschützt wird – dies zu bemerken könnte ein Kollateralnutzen des Eklats sein. Da haben selbst Parlamentarier etwas zu lernen. Denn kaum hatten (damals) Grüne und CDU im sächsischen Landtag nach dem Staatsanwalt gerufen, wurden sie von diesem mit dem Hinweis auf die Indemnität eines Besseren belehrt: Nach Artikel 46 GG und entsprechenden Regeln in den Verfassungen der Länder darf ein Abgeordneter „zu keiner Zeit“ wegen einer Äußerung im Parlament „gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden“. Weil man sich aber hierzulande an Paragraphen gewöhnt hat, die die Meinungs- und Redefreiheit einschränken, findet man gar nichts dabei, dass als Volksverhetzer nach Paragraph 130 bestraft wird, wer den NS-Völkermord öffentlich „billigt, leugnet oder verharmlost“. Kann es angehen, dass Parlamentarier freier reden dürfen als einfache Bürger? So kommt es, dass der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes ankündigte: Danach will man die Volksverhetzung von der Indemnität ausnehmen, auf dass gewissen Parlamentariern das Maul gestopft werde. Aber wo, wenn nicht im Parlament, wäre der richtige Ort, sich mit Rechtsradikalen geistig auseinander zu setzen? Hier muß ganz exemplarisch die harte politische Debatte geführt werden. Mit allen über alles. Demokraten sollten sich daher auf den Ernstfall einstellen: dass sich auch hierzulande eine parlamentarische Rechte etabliert.

Bekannte Ausgrenzungsreflexe

Weil man aber schon mal beim Verbieten ist, fällt einem stattdessen ein, dass sich diese Leute ja zuweilen auf unsere Straßen wagen. Schon seit Jahren graust nicht wenige Innenpolitiker die Vorstellung, NPD-Horden könnten einmal mehr durchs Brandenburger Tor ziehen – oder gar an der Holocaustgedenkstätte ihre Geisteshaltung vor aller Welt demonstrieren. Also zog Innenminister Schily (und zieht jetzt die SPD) eine längst inflationäre Vorlage zur Verkürzung der Versammlungsfreiheit aus der Schublade: Eine Demonstration, die „an einem Ort stattfindet, der in eindeutiger Weise an die Opfer einer organisierten menschenunwürdigen Behandlung erinnert und die geeignet und dazu bestimmt ist, diese menschenunwürdige Behandlung zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen“, soll verboten werden dürfen. Möcht man ja (eigentlich!) auch  – aber: Naziterror gibts ja gar nicht!

Auch Lea Rosh hat die exklusiven Besitzansprüche der guten Deutschen auf das Holocaust-Denkmal mit der Forderung nach einer Bannmeile verbunden und erklärt: „Ich hätte es nicht gerne, wenn die NPD hier aufmarschiert und Faxen macht.“ Der gereizten Verbotsdebatte um die NPD, die seit einigen Jahren schwelt, fehlt ein Mindestmaß an Klarheit und Entschiedenheit. Man traut sich weder, richtig zu verbieten, noch richtig die offene politische Auseinandersetzung zu führen. Also prüft man Verbotsanträge und rührt im grauen Brei der Empörung. Neuland ist nicht in Sicht im Umgang mit unseren rechtsradikalen Mitbürgern. Ihre Provokationen wecken nicht etwa demokratisches Selbstbewußtsein und Streitlust, sondern die bekannten Ausgrenzungsreflexe und eine erstaunliche Angst vor der Freiheit.

Halten wir dagegen fest: Es gibt heute so wenig einen vernünftigen Grund, die NPD zu verbieten wie vor drei, zehn oder zwanzig Jahren. Eine legale Partei darf aber nicht nur demonstrieren, sondern auch gleichberechtigt von der Parteienfinanzierung profitieren und alle Rechte der (außer-)parlamentarischen Opposition ausschöpfen. Statt das zu bejammern, könnte man sich ja endlich vielleicht auf die nahe liegende Möglichkeit besinnen, diese „unerträglichen“ Leute, solange sie friedlich bleiben, in alle nur erdenklichen Formen der demokratischen Willensbildung einzubeziehen. Genau dies aber empfindet eine Mehrheit als Zumutung. Mehr noch als über einzelne Provokationen zeigt man sich indigniert, dass es Parteien wie die NPD überhaupt gibt.

Das Schlimmste zum Schluß: Die „hohen Hürden“, die nun vielfach beklagt werden, sind keine. Schily und die Innenminister in den Ländern hätten nur (und da muß gefragt werden dürfen, in wie weit die Glatzen V-männigen Glatzen folgen, die Ihren Job noch n paar Jahre machen wollen) ihre V-Leute, mit denen sie die NPD nach wie vor infiltrieren und bespitzeln lassen, beizeiten zurückziehen: Dann stünde einem neuem Verbotsantrag nichts im Wege. So nachzulesen im Einstellungsbeschluß des Verfassungsgerichts vom 18. März 2003. Aber dazu waren die Innenminister ebenso wenig bereit, wie zu einer Reform ihrer so nutzlosen wie illiberalen Überwachungspraxis. Wiewohl wir gegen ein Verbot sind, wünschen wir fragen zu dürfen: Warum ist das so? Und tun es …

Ideologischer Verfassungsschutz

Ob sich (jetzt) am Ende eine Mehrheit von sechs Verfassungsrichtern findet, die ein Verbotsurteil trägt, ist eine andere Frage. In der Staatsrechtslehre ist immerhin umstritten, ob abstrakte Gefahren für die Grundordnung genügen, eine Partei zu verbieten. So muß gehofft werden dürfen, dass der ideologische Verfassungsschutz, wie er im KPD-Urteil von 1956 zelebriert wurde, heutzutage nicht einfach recycelt wird. Aber man sollte nicht allzu viel auf den Fortschritt der Selbstaufklärung setzen.

Vorherrschend ist nach wie vor ein von konkreten Gefahren losgelöstes Präventionsdenken. Deshalb sind die Verbotsbefürworter durch die Bank weg auf die anstößigen Ziele einer Partei fixiert. Ohne zu reflektieren, dass Artikel 21 Absatz 2 GG eine demokratieverträgliche Alternative bietet: das gewaltsame „Verhalten ihrer Anhänger“. Weil aber unsere „streitbaren“ Demokraten nichts davon wissen wollen, dass Militanz der einzig diskutable Grund ist, eine Partei zu illegalisieren, verfallen sie bei jeder Gelegenheit in begriffslose Verbotsschwafelei. Ihr Verständnis von Freiheit hält keiner wirklichen Belastungsprobe stand. Hier trifft sich der gute alte autoritäre Staat der 50er und 60er Jahre mit den antifaschistischen Ausgrenzungsreflexen im Amt ergrauter Achtundsechziger. Es gibt viele Arten, eine Partei zu diskriminieren; die wenigsten davon sind in dieser Demokratie erlaubt. Darum ist es so wichtig, auch die Freiheit der NPD zu verteidigen: Die Frage, wie weit legale Opposition gehen darf, betrifft die Freiheit aller.

Demokraten sollten sich auf den Ernstfall einstellen, dass sich auch hierzulande nach der populistischen „LINKEN“ eine parlamentarische Rechte etabliert. Treten wir den Rechten entgegen, wo immer wir sie treffen!

Ja: Es ist, wünschen wir immer mal wieder meinen zu dürfen, die wirksame Denunziation des Faschismus von heute sei notwendig. Nicht seine zartfühlende Analyse.
Aber, und zu guter Letzt:
„Sehr problematisch“ – um (schauen wir mal, was künftig noch alles zu hören sein wird)  in der Sprache des wabernden Schilys zu bleiben – war nicht „die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes“, sondern die einen fassungslos machende Gedankenlosigkeit der öffentlichen Reaktion eines ehemaligen Bundesinnenministers, dem traditionell auch die Rolle eines Verfassungsministers zugewiesen ist.

Sep 2012 | Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, Politik, Zeitgeschehen | 1 Kommentar