Nehmen wir doch einfach den Dingen, vor denen wir uns fürchten, die Maske ab, gehen wir (es lebe die veritanische Akademie) dem Tod, vor dem wir uns nicht zu fürchten haben, entgegen. Nähern wir uns ihm allein in der Sokrates zugesprochenen unkünstlichen Kühnheit. Nehmen wir dem Tod das „Metaphysische“, denken wir nicht an Hölle, nicht an Teufel, die Erbsünde oder das Paradies. Nehmen wir den Tod als diesseitiges, als irdisches Geschenhen, als Geschenk! Verzichten wir dabei getrost auf alle antiken oder vulgärbiologischen Tröstungen einer „Rückkehr in die Natur“. Das menschliche Leben – dieses menschliche Leben, hört auf.
Der Tod ist schrecklich, ein Werk des Bösen: so, sagt man, und so dachten die Menschen des Mittelalters – was (unter anderem) die Maßlososigkeit erklärt, die Wildheit ihrer Liebe zum Leben: irdische Jenseitsvorstellungen komplementieren ein irdisches Leben. Die Neuzeit hat Abschied genommen von den konkreten Jenseitsvorstellungen, spielt mit dem Gedanken der Unsterblichkeit der Seele und entwickelt Verdrängungs- und Risikominderungsstrategien: einerseits die Vorstellung vom Nachleben im Ruhm, in den Gedanken, den Werken, den Bildern die man hinterläßt, den gesammelten „in vino veritates“ vielleicht – all das herzustellen und für die Ewigkeit zu kalfatern – dicht für eine kleine Ewigkeit – gibt dem Leben (s?)einen Sinn; andererseits aber wächst der Hang, sich zu versichern, individuell und gesellschaftlich: Mäßigung, Gesundheitspflege, Vorsicht, Bravheit, Vorsorge für Härtefälle, Abfindung nach Kündigung ja sowieso. Eine Gesellschaft von ihren Tod ins Auge fassenden Einzelnen sähe anders aus. (Nur) Der Gedanke an den Tod zwingt die Menschen in ein freies und erfülltes Leben; wer den Tod verdrängt, lebt stumpf und bewußtlos wie ein Tier.

Der Akademie memento mori –
„bedenke, dass Du sterblich bist“, das gilt dem diesseitigen Leben, nicht aber dem Seelenheil. Den Tod zu sehen und anzuerkennen ist ein guter – und vielleicht der einzig zwingende – Grund dafür, die Tauglichkeit des Endlichen zu erkennen. Gibt es nämlich  keine Zukunft jenseits des Sterbens, gibt es keine Gründe, die Gegenwart wegzuwerfen; und weil der Tod das gewußte Ende ist, hat auch die Sparsamkeit  – an Lust, an Liebe, an Genuß – nur begrenzt Sinn. Dieses eine Leben ist für den einzelnen Menschen alles, die letzte Zeile ist vorgegeben, und jeder lebt nur sein Essay, seine Kolumne – mit oder ohne vino: “veritas“.

Macht gestorben sein Nichtstun schöner? Die in Heidelberg gegründete Veritanische Akademie jedenfalls tut nicht nur nicht Nichts, sie mischt sich auch künftig kraftvoll ein
Da wird uns alleweil und allüberall das „Hohe Lied der Arbeit“ gesungen, einer Arbeit, die angeblich  unverzichtbar zur Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gehört. Der veritanisch disponierte Mensch, also einer im Vorstadium seines wissenschaftlichen  Studiums an der „Veritanischen Akademie zu Heidelberg“ begegnet solchen Ideologien mit grundsätzlichem Unbehagen und tiefem Mißtrauen. Durch unsere Institution  wird der Adept theologisch  davon unterrichtet, daß nach Genesis 2,8 Gott einen Garten Eden pflanzte und Adam, den Menschen, mitten hinein setzte, in ein Paradies also, in dem dieser Mensch ein müheloses und sorgenfreies Leben hätte führen können. Es sollte sich dann aber das Mysterium des Sündenfalls  (Gen 3,17) begeben und Gott sprach: „In Kummer sollst du essen alle Tage deines Lebens und du sollst vom Kraut des Feldes leben … Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen“. Das wurde zweifellos von Vegetariern, Müslifreaks und Vollkornaposteln zu wörtlich genommen. Wie auch immer schwitzen die Menschen nicht nur bei der Arbeit, die ja im Paradies gar nicht eigentlich vorgesehen war, sondern auch beim Essen von Sauerkraut und Sauerbraten, bei Schlachtplatten, Hummerschwänzen und allerlei Patisserie. Jedoch ist der Mensch ursprünglich zweifellos zu Muße geschaffen!

Muße heute, jetzt und immerdar
Die klugen Griechen wußten das. Sie pflegten die Muße in der Weise, als sie sich auf philosophische Gespräche einließen, und erörterten auf diese angenehme Art mathematische, geometrische, politische und astronomische Probleme. Das alles nannten sie „skolé“ und spazierten dabei im Schatten von Pinien und Zypressen. „Skolé“ bedeutet aber nicht Schule, sondern Muße. Für Schule gab es ein anderes Wort, nämlich „didaskaleion“, was soviel wie Lehranstalt heißt. Erst die Römer machten aus „skolé“ ihre „schola“ – wer über all dies auch nur ein ganz klein wenig mehr als garnicht nachdenkt, wird leicht erkennen, daß unsere Schule im eigentlich griechischen Sinn ein komplettes Mißverständnis ist.

An der veritanischen Akademie zu Heidelberg hingegen wird gelehrt, es gehöre zur Mittelmäßigkeit, sein Selbstwertgefühl vorwiegend aus der Arbeit zu stabilisieren und die Freizeit totzuschlagen, statt sie in Muße zu genießen. Der Veritologe wird nach der Erkenntnis leben, daß der Fleiß Mittelmäßger mehr Schaden anrichtet als die Faulheit der Begabten. Deshalb wird er auch nicht müde (man möge sich darauf verlassen), das Mittelmaß und die mit ihm verbundene Selbstgerechtigkeit bloß zu stellen.

Arroganz jedoch sei nicht das Panier
Nun ist es aber eine Form der Arroganz, Mittelmaß und Mittelmäßigkeit entlarven zu wollen, wenn die Einsicht fehlt, daß man selbst dazu gehört. Die Herausforderung an den Veritologen besteht hingegen darin, diesen Zustand zu reflektieren und damit zu transzendieren. Er weiß, daß ein Mensch, der keine Dummheit macht, auch nichts Gescheites zuwege bringt. Doch er wird sich auch nicht mit der Feststellung Voltaires begnügen, daß gesellschaftlich kaum etwas so erfolgreich sei, wie die Dummheit, wobei das Recht auf Dummheit schließlich sogar von der Verfassung geschützt ist, es gehört zur Garantie für freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es darf nun aber andererseits der Klügere unter den Mittelmäßgen, der Veritologe also, nicht, wie das geflügelte Sprichwort nahelegt, deshalb nachgeben, würde doch so die Weltherrschaft der Dummen erstrecht noch weiter gefestigt.
Wir Veritologen, und wer wüßte das besser als wir, schaffen uns keine neuen Freunde unter jenen, die wir mit veritologischem  Florett stoßend attakieren, halten es jedoch auch künftig mit Jean Paul Sartre, der wußte, dass, „wer die Dummköpfe gegen sich hat, Vertrauen verdient“.  Dennoch stehen wir nicht mehr zur Wahl für diesen Heidelberger Gemeinderat.

Die Liste “Veritas” (was viele und wir auch bedauern) ist also tot. Aber: Es lebe aber die veritanische Akademie! – die den Gemeinderat auch künftig beobachten und kommentieren wird). Und es lebe die Piraten-Partei, die demnächst zusammen mit einigen von uns (?) dies Gremium mit der Wähler Hilfe entern und ändern wird …

Aug. 2012 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Sapere aude | 1 Kommentar