Heute? Der Deutsche Journalistenverband veröffentlichte einen Appell mit historischen Wurzeln, um gegen die Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit durch die Bundesregierung zu protestieren – der Appell ist heute aktueller denn je:Siebzehn Journalisten, darunter Autoren der Tageszeitung, der Zeit, des Spiegel, der Süddeutschen Zeitung und weiterer großer deutscher Presseorgane sollten sich für den ihnen von der Bundesregierung vorgeworfenen „Geheimnisverrat“ im Zusammenhang mit dem BND-Untersuchungsausschuss verantworten. Politiker hatten mokiert, dass vertrauliche Papiere in der Presse aufgetaucht seien, schon bevor sie dem Ausschuss vorgelegen hätten. Kritiker räumen der Anklage nur geringe Chancen ein, sie ist aber – wieder einmal – ein alarmierendes Signal dafür, wie schlecht es um die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland bestellt ist.
In der Tradition des Hambacher Festes am 27. Mai 1832 hat der Deutsche Journalistenverband DJV an den Hambacher Appell erinnert und veröffentlicht, um nachdrücklich auf die Unverzichtbarkeit der Pressefreiheit und auch des Informantenschutzes hinzuweisen.
„Eine Presse, die der Politik nach dem Mund redet, taugt nicht für die Demokratie“, beginnt der in Hambach von dem DJV-Bundesvorsitzenden Michael Konken, sowie BDZV-Präsident Helmut Heinen unterzeichnete Appell, der sich direkt auf die beiden Gründer des „Preß- und Vaterlandsvereins“, Jakob Siebenpfeiffer und Georg August Wirth, bezieht. Siebenpfeiffer und Wirth, sowie der Rechtsanwalt Friedrich Schüler, die sich den Idealen der Französischen Revolution verpflichtet sahen, reagierten damit auf repressive Maßnahmen gegen Presse- und Meinungsfreiheit durch das Königreich Bayern, das die Pfalz 1816 von Frankreich übernommen hatte und nach und nach versuchte, die Errungenschaften der Revolution aufzuweichen.
Im Pariser Exil schlossen sich bald auch Heinrich Heine und Ludwig Börne der Gruppe an, die innerhalb kürzester Zeit (der zeitgenössische „Denkerclub“ hingegen scheint heutig) mehrere tausend Mitglieder rekrutieren konnte und ihre Ortstreffen verschiedener „Komitees“ als „Volksfeste“ und ähnliches anmeldete, da politische Versammlungen verboten waren und notfalls mit Polizeigewalt aufgelöst wurden. Wirth funktionierte sein Blatt „Deutsche Tribüne“ zu dieser Zeit zum Vereinsorgan um und etablierte es als eine der wichtigsten Stimmen des europäischen Vormärz. Aber bereits am 1. März 1832 verbot die Regierung Bayerns den erst einen Monat zuvor gegründeten Verein. Wenige Tage später fiel auch die „Deutsche Tribüne“ der Zensur zum Opfer, und die Vereinsgründer wurden mit Berufsverbot belegt. Als Antwort darauf organisierten Siebenpfeiffer, Wirth und Schüler Ende Mai das Hambacher Fest.
30.000 Menschen nahmen Teil an diesem Ereignis, aus dem nicht nur die späteren Nationalfarben der Weimarer Republik, schwarz rot gold, hervorgingen, es muß aber auch als Geburtsstunde der deutschen Demokratie angesehen werden dürfen. Gefordert wurde allem voran Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit, sowie religiöse Toleranz, Volkssouveränität und die Neuorientierung Europas mit Gleichberechtigung unter den europäischen Völkern als Basis. Als Folge wurden die Karlsbader Beschlüsse von 1819 weiter verschärft und die Repressionen massiv ausgeweitet. Allerdings bereitete das Hambacher Fest den Boden für den Revolutionsversuch von 1848/49.
Der Hambacher Appell vom Juni richtet sich ganz aktuell offen gegen die Versuche der Politik, die Pressefreiheit und die Verfassung, und somit letztlich die Demokratie aufzuweichen und fordert von den Medien und ihren Vertretern, ihre Rolle als Vierte Gewalt verantwortungsbewusst wahrzunehmen.
Genau das allerdings wird immer schwieriger, wenn die Politik wie im aktuellen Fall rund um den BND-Untersuchungsausschuss oder zuletzt in der Cicero-Affäre, versucht, undichte Stellen im eigenen Lager ausfindig zu machen, indem man Journalisten dafür zur Rechenschaft zieht, dass sie ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllen. Viel zu viele Journalisten ließen sich von der Politik, von Organisationen und Interessenverbänden instrumentalisieren, und würden dadurch ihre Kontrollfunktion innerhalb der demokratischen Ordnung vernachlässigen, klagt der DJV, der nicht nur nach außen, sondern auch nach innen Kritik anbringt.
Im Gegensatz zu Siebenpfeiffer und seinen Mitstreitern wollen die Unterzeichner des Hambacher Appells nicht das bestehende System umwälzen zugunsten einer neuen Ordnung. Sie wollen sicherstellen, dass nicht die bestehende Demokratie von oben nach unten entmachtet wird. Dies kann aber nur mittels umfassender Informierung der Bevölkerung realisiert werden. Und diese Realisierung ist gefährdet, wenn Informanten schweigen, weil sie Angst vor der Staatsmacht haben müssen, und sie ist auch gefährdet, wenn Journalisten Hausdurchsuchungen und Gerichtsverfahren fürchten müssen.
Speziell die Angelegenheiten des BND-Untersuchungsausschusses sind aber von höchstem öffentlichem Interesse und müssen von den Medien kritisch untersucht werden dürfen. Ähnlich sah es im Fall des Cicero-Autors Bruno Schirra aus, der vertrauliche Informationen zum Fall Mussab As-Sarkawi veröffentlicht hatte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt zwar fest, dass journalistische Privaträume nicht zum einzigen Zweck der Informantenidentifizierung durchsucht werden dürfen, findet aber keine eindeutige Regelung zum Tatbestand des Geheimnisverrats.
Die wird aber dringend benötigt. Denn solange es keine Handfeste Entscheidung in dieser Frage gibt, ist der willkürlichen Repression Tür und Tor geöffnet, und auch der ehemalige Innenminister Otto Schily konnte – wie vieles andere auch – sein Vorgehen im Fall Schirra weiterhin rechtfertigen.
Es ist also durchaus an der Zeit, sich an 1832 zu erinnern und die Ideale und Errungenschaften des Hambacher Festes hochzuhalten.
Ob es im Deutschland des Jahres 2012 gelingen könnte, 30.000 Menschen dazu zu bringen, auf die Straße zu gehen und für die unbedingte Einhaltung der Pressefreiheit zu demonstrieren? Rhetorische Fragen sind halt nicht immer lustig … Apropos: Das Thema Pressefreiheit kommt bei uns nicht deshalb gerade jetzt zur Sprache, weil es sommerherbstlochig zuginge; auch stopfen wir Löcher nicht mit Löchern. Sondern pflegen stattdessen die Muße, beschäftigen uns mit der Pressefreiheit und sind, sagen wirs mal so, weniger fromm denn aufmüpfig. Und geloben, das so auch künftig sein zu wollen …
Nota bene gibt es eine hervorragend gemachte Ausstellung im Schloß – beim nächsten mal Wein holen in der Pfalz (dies Weingut liegt auf dem Weg nach Hambach und wird von uns s e h r empfohlen) also unbedingt Zeit für sowohl die Ausstellung nehmen, als aber auch für eine Weinprobe.
„seht doch die Pfaffenhütchen …“
Volkslied, entstanden nach der verlorenen „Märzrevolution“ 1848/49 von Georg Herwegh
´s ist wieder März geworden
vom Frühling keine Spur!
Ein kalter Hauch aus Norden
erstarret rings die Flur
’s ist wieder März geworden –
März, wie es eh’dem war:
Mit Blumen, mit verdorrten,
erscheint das junge Jahr
Mit Blumen, mit verdorrten?
O nein, doch das ist Scherz –
gar edle Blumensorten
bringt blühend uns der März
Seht doch die Pfaffenhütchen:
den Rittersporn, wie frisch!
Von den gesternten Blütchen –
welch farbiges Gemisch!
Der März ist wohl erschienen.
Doch ward es Frühling? – nein!
Ein Lenz kann uns nur grünen
im Freiheitssonnenschein
Seht hier den Wütrich thronen,
beim Tausendgüldenkraut,
dort jene Kaiserkronen
die Königskerze schaut!
Wie zahlreich die Mimosen
das Zittergras wie dicht
Doch freilich rote Rosen
die kamen diesmal nicht.
Auch 1989 war es nicht so, dass Rathäuser gestürmt oder Stasizentralen, als die Bürgerinnen und Bürger der DDR sich ihre Freiheit erkämpften und das verwirklichten, was schon die Revolutionäre von 1848 gewollt hatten: Einheit in Freiheit.
Warum hat die Erinnerung an die Zeiten produktiver Unruhe, warum hat die Erinnerung an eine erfolgreiche Revolution in Deutschland keine Basis? Im Gesamtzusammenhang der deutschen Geschichte kommt hierzulande der Erinnerung an das sogenannte Dritte Reich, an die extremste und brutalste Form der deutschen Auflehnung gegen die Demokratie, eine ähnliche Bedeutung zu wie bei anderen Nationen die Erinnerung an eine erfolgreiche Revolution – so meint der Historiker Heinrich August Winkler. Die Erinnerung an die Nazi-Herrschaft ist eine bedrückende, gewaltige Erinnerung, die zwar, verbunden mit einem „Nie wieder!“, die Demokratie festigt, aber offenbar die anderen Erinnerungen verdrängt – die Erinnerungen an die Zeiten der produktiven Unruhe, in denen die Demokratie geschaffen und die Grundrechte gestärkt worden sind.
So hab´ ich es nach langen Jahren
Zu diesen Posten noch gebracht
Und leider nur zu oft erfahren,
Wer hier im Land das Wetter macht.
Du sollst, vedammte Freiheit ! mir
Die Ruhe fürder nicht gefährden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier !
Ich will ein guter Bürger werden.
Auch ich sprach einst vom Vaterland
Und solchen sonderbaren Dingen,
Ich trug das schwarzrotgoldne Band
Und ließ die Sporen furchtbar klingen:
Doch selig, wer im Gleise geht
Und still im Joche zieht auf Erden –
Was hilft die Genialität ?
Ich will ein guter Bürger werden.
Diogenes vor seiner Tonne –
Vortrefflich, wie beneid´ ich ihn !
Es war noch keine Julisonne,
Die jenen Glücklichen beschien.
Was Monarchie ? was Republik ?
Wie sich die Leute toll gebärden !
Zum Teufel mit der Politik !
Ich will ein guter Bürger werden.
Gewiß, man tobt sich einmal aus –
Es wär ja um die Jugend schade –
Doch, führt man erst sein eigen Haus,
So werden Fünfe plötzlich grade.
In welcher Mühle man uns mahlt,
Das macht uns nimmer viel Beschwerden.
Der ist mein Herr, der mich bezahlt –
Ich will ein guter Bürger werden.
Jedwedem Umtrieb bleib ich fern,
Der Henker mag das Volk beglücken !
Ein Orden ist ein eigner Stern,
Wer einen hat, der soll sich bücken.
Bück dich, mein Herz ! bald fahren wir
Zur Residenz mit eignen Pferden
Lisette, noch ein Gläschen Bier !
Ich will ein guter Bürger werden.
(1848)
27.Dez..2012, 21:55
„Hambach, gestern…und heute?“….“Unruhe muss sein dürfen, wenn sie denn der Freiheit dient“….
So ist dieser lange, aktuelle Hauptbeitrag dieser website getitelt. Da ist von Bürgerengagement die Rede, von Zivilcourage und Pressefreiheit.
Ich denke, wir leben gerade wieder mal in solchen Zeiten, wo solche Güter wieder stärker gefordert sind. In Heidelberg – auch anderswo – wird das fast schon ewige Pressemonopol gerade effektiv durchbrochen. Der Sinn einer falsch verstandenen „Political Correctness“ wird hinterfragt. Und an den neuen Bürgerbewegungen im Ländle (und nicht nur hier) hätten Heinrich Heine und Georg Herwegh gewiss ihre wahre Freude gehabt.
Ja, es ist Aufbruch und es ist auch konstruktive „Unruhe“ und somit sei herzhaft gedankt für die beiden erinnernden Beiträge oben. Schade nur, dass die Nachfolger der „Progressiven“ von damals heutzutage so belämmert den Schalter umgelegt haben und fast nur noch nach „Kohle“ schielen, wenn sie von Werten reden. Das Bürgerengagement wird daran wachsen.
Beste Grüße
Fritz Feder