In 45 Minuten, nach der Tagesschau, wird Christian Wulff sich neuerlich „erklären“ – von Rücktritt (das wäre die einzige noch von ihm noch gewünschte „Erklärung“) werde jedoch auch um 20 Uhr 15 – so ist im Vorhinein zu hören – keine Rede sein. Er habe „viel Zuspruch erhalten“. Wenn er nicht dies sagt oder das zu sagen unterlasse, beschädige Wulff das Amt des Bundespräsidenten, meinen viele Menschen „draußen im Lande“. Wir meinen, Christian Wulff hat dieses Amt längst in widerwärtigster Weise beschädigt. Wer will denn je nochmal in diese hampelmanneske Bütt steigen, nach allem, was sich Wulff dort geleistet hat. Hier finden Sie einige Presse-Stimmen, wie sie noch kein Bundespräsident vor ihm ertragen mußte, die er aber herausgefordert hat. Schaun wir mal, wie clownesk sich Wulff nachher verhält.
«Von allen guten Geistern verlassen» ist der Bundespräsident nach Ansicht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, eine «Mischung aus Naivität und Dreistigkeit» macht die Süddeutsche aus. Die Presse meint: Der Präsident ist nicht mehr zu retten.
Was da am ersten Arbeitstag des neuen Jahres über unseren Bundespräsidenten ans Licht gekommen ist, hat viele Bürger sprachlos gemacht. Nicht so sprachlos allerdings wie den Präsidenten selbst, der sich weiterhin nicht zu seinen peinlichen Anrufen bei der Bild-Chefetage äußert. Waren noch vor Weihnachten 70 Prozent der Deutschen gegen einen Rücktritt Christian Wulffs, wendet sich nun das Blatt. Zumindest die news.de-Leser sind sich einig: 78 Prozent finden, der Bundespräsident muss zurücktreten.
Auch die Presse kennt nach Wulffs Attacke auf die Pressefreiheit keine Gnade mehr mit dem Inhaber des Ehrenamtes. Heute findet sich kaum ein Kommentar, aus dem sich nicht die Rücktrittsforderung herauslesen lässt. Lediglich die Kollegen aus seiner Heimat Niedersachsen zeigen noch ein gewisses menschliches Verständnis für den Präsidenten.
Von allen guten Geistern verlassen
«Jeder Lokaljournalist weiß, dass Abgeordnete oder Bürgermeister gerne anrufen oder anrufen lassen, um unliebsame Berichterstattung zu verhindern. Doch die Mischung aus Naivität und Dreistigkeit, mit der Wulff agiert hat, bestürzt», kommentiert die Süddeutsche Zeitung. «Er ist nicht der Landrat von Osnabrück, sondern das Oberhaupt des Staates. Dieses Amt aber ist für Wulff offenbar zu groß. Die Sicherungen, die bei einem Präsidenten im Falle einer – politischen wie privaten – Krise funktionieren sollten, funktionieren bei ihm nicht.»
Ausgereizt hat Wulff sein Spiel mit der Öffentlichkeit auch nach Meinung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: «Auch für Bundespräsident Wulff stellt die Pressefreiheit ein so ‹hohes Gut› dar, dass er in den vergangenen drei Wochen dreimal davon sprach. Das erste Mal tat er es in Qatar; zum zweiten Mal, als er kurz vor Weihnachten eine Erklärung in eigener Sache abgab; zuletzt gestern, nachdem Berichte über eine ausführliche Nachricht erschienen waren, die Wulff auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs Diekmann hinterlassen hat. Was über Wulffs Äußerungen in diesem Anruf kursiert, passt zu den öffentlichen Bekenntnissen freilich so wenig wie die Finanzierung eines Hauskaufs mittels eines rollierenden Geldmarktdarlehens zur schwäbischen Hausfrau. Es passte nur zu einem Staatsoberhaupt, das von allen guten Geistern verlassen worden ist.»
Der Bundespräsident funktioniert nicht
Die Kollegen der Frankfurter Rundschau würden dem Präsidenten die Dummheit, seine Drohungen auf die Mailbox des Bild-Chefs zu sprechen, sogar noch verzeihen. «Aber die Drohungen selbst, sein Versuch, die Arbeit einer Zeitung durch Druck auf die Führung des Hauses zu unterbinden, ist unentschuldbar. Rechtlichkeit meint Redlichkeit. Von der aber versteht Wulff nichts», lautet das Urteil.
Für die Berliner Morgenpost hat Christian Wulff schlicht jeden Kredit verspielt und seine Handlungsfähigkeit verloren. «Ein Bundespräsident, der bei jedem Wort, jedem Lächeln, bei jeder Unterschrift den Eindruck zerstreuen muss, es handele sich um Gefälligkeit, der ist kein autonom handelndes Staatsoberhaupt, sondern ein Getriebener, der sich von jeder Recherche offenbar aus der Fassung bringen lässt. Deutschlands Mediendemokratie funktioniert in der Wulff-Krise überzeugend. Der Bundespräsident nicht.»
Das Amt muss vor seinem Inhaber geschützt werden
Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung hat den Respekt vor der Person Wulff verloren: «Es ist eine gute Tradition in Deutschland, das oberste Staatsamt und dessen Amtsinhaber mit Respekt zu behandeln. Im Fall Christian Wulffs muss man allerdings einen Unterschied machen zwischen Amt und Amtsinhaber. Inzwischen muss man sogar fragen, ob nicht der Amtsinhaber das ihm anvertraute Amt beschädigt. Dann wäre das Amt vor dessen Inhaber zu schützen», kommentiert die WAZ und zieht daraus die Konsequenz: «Es wurde gewarnt, der Rücktritt des zweiten Bundespräsidenten in Folge käme einer Staatskrise gleich. Das ist falsch. Unsere Demokratie hat sich bislang gerade dann bewährt, wenn sie ihre Institutionen schützen musste. Darauf kann man bauen.»
Der Weser-Kurier legt der Kanzlerin nah, Wulff zum Rücktritt zu raten: «Diese Schmierenkomödie mögen nun auch jene nicht mehr sehen, welche die Bild-Zeitung hassen und Wulff zugestehen, wenigstens zu Integration und Religion ein paar kluge Sätze gesagt zu haben. Zu anderen Großthemen kam ja nicht mehr viel, doch das ist jetzt auch egal: Wer mag dem Mann noch zuhören, wer will ihn noch ernst nehmen? Irgendwann wird auch die Kanzlerin kühl kalkulieren, dass sein Verbleiben im Amt ihr und dem Land mehr schadet als ein zweiter Präsidentenrücktritt.»
Niedersächsische Presse zeigt sich etwas sanfter
Interessant ist auch, wie sich die niedersächsische Presse über ihren ehemaligen Ministerpräsidenten äußert. Die Neue Osnabrücker Zeitung zeigt immerhin menschliches Verständnis: «Egal, wie man zu Wulff steht: Seine Nehmerqualitäten sind beachtlich. Gemeint ist hier das Stehvermögen, das der Bundespräsident bislang an den Tag legt, obwohl er seit dem 13. Dezember 2011 einen medialen Nackenschlag nach dem anderen kassiert. Aber beim Staatsoberhaupt liegen die Nerven blank. Vom oft gehegten Sonnyboy zum Prügelknaben des meinungsmachenden Boulevard-Blatts, das ist menschlich schwer verkraftbar. Es rechtfertigt aber nichts.» Aber auch die Kollegen aus Osnabrück lassen keine Milde walten: «Wulff offenbart ein Macht-, Selbst- und Politikverständnis, das ihn und sein Amt weiter beschädigt. Es wird Zeit, dass Wulff vom Getriebenen wieder zum Handelnden wird. Der zehnte Bundespräsident hat alle Optionen.»
Ungeheuerlichkeit, Unding und Unbedarftheit
Der Boulevard in München und Hamburg hingegen ist schonungslos: «Am gefährlichsten für das Amt des Staatsoberhaupts ist vor allem Wulff selbst. Denn der Präsident hat offenkundig nicht verstanden, was er verteidigen soll: die Grundwerte unseres Staates», schreibt die tz.
«Es ist schlichtweg eine Ungeheuerlichkeit, wenn ein Staatsoberhaupt bei einem Chefredakteur eine missliebige Berichterstattung verhindern will. Dass er dabei noch Drohungen in den Raum stellt und gar strafrechtliche Konsequenzen für den verantwortlichen Redakteur in Aussicht stellt, ist ein Unding. Dies auch noch auf eine Mailbox zu sprechen ist eine bizarre Unbedarftheit. Längst ist die Grenze überschritten, wo Wulff nicht nur sich als Politiker schadet, sondern auch dem höchsten Amt der Bundesrepublik», urteilt die Hamburger Morgenpost.
Gerade noch (20 Uhr 10) gefundene Presse-Stimmen –
Der Bundespräsident dominiert auch am Mittwoch die Schlagzeilen
Neue Zürcher Zeitung
Der Bundespräsident dominiert auch am Mittwoch die Schlagzeilen
„Ein Präsident, der die unfassbare Dummheit begeht, angesichts einer drohenden Blamage wie Rumpelstilzchen zu toben und seine Suada auch noch auf einer Mailbox zu hinterlassen, verströmt nicht die Würde, die das Amt erfordert. Und wenn er sich darüber beklagt, dass seine Auslassungen publik werden, klingt das schal. Bundeskanzlerin Merkel will wohl, pragmatisch wie immer, abklären, ob der Koalition ein Verbleiben Wulffs im Amt größeres Ungemach bereitete als seine zügige Ersetzung durch einen Kandidaten mit mehr Statur.“ (Zürich)
De Telegraaf
„Die Affäre Wulff ist auch zu einem Problem für Merkel geworden. Sie hatte ihrem Parteifreund zum höchsten Amt verholfen. So war sie auf einen Streich einen potenziellen Konkurrenten losgeworden. „Wulff hat einen moralischen Kompass“, urteilte die Pfarrerstochter aus der einstigen DDR bei seiner erfolgreichen Wahl. Doch Wulff hat sein Fingerspitzengefühl verloren. Selbst seine eigenen Parteifreunde lassen ihn im Stich.“ (Amsterdam)
Die Presse
„Mit dem zweiten Rücktritt innerhalb so kurzer Zeit wäre das Amt des Bundespräsidenten schwer beschädigt. Die Folge wäre vermutlich eine Verfassungsänderung. Der nächste Bundespräsident müsste vom Volk gewählt werden.“ (Wien)
Wulff verliert Unterstützung
„Zwar ist auch die Wahl des Staatsoberhaupts durch den Souverän keine Garantie für unproblematische Entscheidungen. Dennoch gilt, dass ein vom Volk gewählter Präsident, eine Präsidentin in demokratischen Grundsatzfragen wie in Krisensituationen mehr Gewicht hat. Und im Zweifelsfall wird man sagen können, das Volk habe eben das Staatsoberhaupt, das es verdient. Nur Zyniker würden behaupten, dass dies auch im Fall Wulff gilt.“ (Wien)
Lausitzer Rundschau
„Wulffs Umgang mit der Affäre ist unfassbar dumm, noch dümmer als der zu Guttenbergs. Den CSU-Nachwuchsstar hätte eine andere Reaktion freilich kaum gerettet: Mit einer gefälschten Doktorarbeit war er nun einmal nicht mehr ministrabel. Allerdings hätte Guttenberg bei einem anderen Abgang bessere Rückkehrchancen gehabt. Wulff wiederum macht aus einem eher noch tolerierbaren Fehlverhalten aus früheren Zeiten durch seine Reaktion erst eine Großaffäre. Nun geht es um etwas ganz anderes: Um seine charakterliche Eignung für das Amt.“ (Cottbus)
Thüringische Landeszeitung
„Wulff müsste sowohl aus Selbstachtung wie auch aus Achtung vor dem Amt jetzt so schnell wie möglich einen Schlussstrich ziehen. Auch der zweite Rücktritt eines Bundespräsidenten innerhalb kurzer Zeit würde keine Staatskrise auslösen. Dafür ist unsere Demokratie zu gefestigt und ist das Amt des Staatsoberhaupts viel zu wichtig.“ (Weimar)
Das sagen Bürger über die Wulff-Affäre
„Angela Merkel ist zu vorsichtig, im geschwätzigen Berlin bereits Szenarien der Schadensvorsorge zu diskutieren. Das erledigen andere. Die Koalitionsfraktionen sind von Wulff abgerückt, die CSU hat ihn in ihren Spitzenzirkeln ’freigegeben’ (das ’zum Abschuss’ muss man mitdenken). Hier wird sogar die einleuchtende Rechnung aufgemacht, Merkel könne einen Rücktritt für eine ihrer typischen Volten nutzen: Zöge sie angesichts der auf vier Stimmen geschrumpften Mehrheit von Union und FDP in der Bundesversammlung einen Sozialdemokraten als Präsidentschaftskandidat in Betracht und gelänge es Merkel, ihre Partei davon zu überzeugen, würde sie ihre Optionen für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 schlagartig erhöhen. In Frank-Walter Steinmeier, ein häufiger als Kurt Beck und erst recht Joachim Gauck zu hörender Name, stünde der Typ Bundesnotar bereit, den das Amt nach den beiden letzten Inhabern bräuchte. Unions-Kandidaten wie Wolfgang Schäuble oder Ursula von der Leyen gelten in der CDU als nicht durchsetzbar. Dennoch kann Wulff dem Proteststurm standhalten. Tage, vielleicht länger. Denn Politik funktioniert nicht so, wie es sich viele ausmalen. Ein Anruf aus dem Kanzleramt – und Wulff räumte das Feld? Nein. Der Präsident selbst muss zu der Einsicht kommen, sein Amt nicht mehr ausfüllen zu können. Wulff kann jedoch zäh sein. Dreimal kandidierte er für das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten, ehe er es eroberte. Diese Ausdauer war eine seiner Qualitäten. Angesichts der jüngsten Entwicklung klingt das zugegeben wie eine Drohung.“ (Düsseldorf)
Stuttgarter Zeitung
„Christian Wulffs Rückhalt im Regierungslager schwindet. Sein Verhalten verträgt sich nicht mit bürgerlichen Ehrvorstellungen. Und wie sollte der Christdemokrat auch weiter amtieren? Worüber will er noch reden? Über Unabhängigkeit? Vertrauen? Redlichkeit? Das Vokabular ist durch Wulffs eigenes Zutun vergiftet. Moralische Appelle, die zu den Obliegenheiten eines Bundespräsidenten gehören, würden sich für ihn verbieten. Wenn Wulff bleibt, ist sein Amt verloren.“ (Stuttgart)
Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Wie oft kann sich ein Bundespräsident entschuldigen, bevor auch die Meinungsumfragen zu dem Schluss kommen, dass ihm das Format für das Amt fehlt? Diese Frage treibt inzwischen sogar die SPD um: Die Schonfrist gehe zu Ende. Einsame Koalitionspolitiker rufen Wulff zunehmend verzweifelt zur Aufklärung seiner Ausflüge in immer neue Grenzbereiche auf, offenbar nicht wirklich wissend, was sie da von ihm verlangen. Und danach? Dem Mann, der nicht Kanzler werden wollte, gelingt es auch nicht, Präsident zu sein. Es liege ihm, aus der Tiefe des Raumes zu kommen – so begründete Wulff einmal, warum er sich „als Bundespräsident wohler fühlen würde denn als Bundeskanzler“. Der Raum, der diesem Bundespräsidenten noch geblieben ist, hat keine Tiefe mehr.“ (Frankfurt/Main)
Westfälischer Anzeiger
„Mit jedem Tag mehr liefert Christian Wulff Beweise dafür, dass ein machtverliebter Politiker nicht von heute auf morgen zum Präsidenten wird, weil andere machtverliebte Politiker ihn dazu gekürt haben. Vom ersten Tag dieser rundum würdelosen Affäre ging es Wulff vorrangig um Wulff: leichtsinnig, taktierend und instinktlos.“ (Hamm)
Bild
„Wie stellt sich Christian Wulff bloß vor, übermorgen die Sternsinger in seinem Amtssitz zu empfangen? Kinderköpfe streicheln, Lächeln für die Kameras, gute Miene – und kein Wort zu den Affären? Der Bundespräsident kann es selbst bei eigentlich ganz normalen Terminen nicht mehr richtig machen. Überall doppelte Böden und peinlichste Momente. Christian Wulff ist gefangen nicht in einer Affäre, sondern in einer ganzen Reihe davon. Mal dubios, mal halbseiden, mal katastrophal. Kaum vorstellbar, wie er auf einen Schlag in allen Fragen reinen Tisch machen kann. Was er aber so dringend müsste. Nein. Alles, was Christian Wulff ganz praktisch-politisch im Amt hält, ist der Respekt – den wohlgemerkt sein AMT genießt, nicht mehr seine PERSON. Heißt: Christian Wulff verschanzt sich hinter dem Titel des Bundespräsidenten. Er missbraucht das Amt, um im Amt zu bleiben. Das geht nicht.“ (Berlin)
Taz
„Auch wenn der Präsident der Kanzlerin den ein oder anderen Staatsbesuch abnimmt – für den politischen Alltag insgesamt ist dieses nominell höchste Amt im Staat so überflüssig wie ein Kropf. Auf der anderen Seite wird es mit Erwartungen überfrachtet, denen fast kein Mensch genügen kann. Wäre es da nicht besser, dieses Relikt einer vergangenen Zeit, vergleichbar mit dem britischen Königshaus, endlich abzuschaffen? Die Alternative wäre, den Bundespräsidenten gleich von der „Bild“-Zeitung bestimmen zu lassen, die mit ihrer Berichterstattung ohnehin über dessen Wohl und Wehe bestimmt. Zumindest deren Chefredakteur Kai Diekmann scheint es ja nicht ganz unwichtig zu sein, wer unter ihm Bundespräsident wird.“ (Berlin)