Lyrik hilft uns, nicht zu ertrinken. Ein Gedicht lesen, vorlesen, ein Gedicht gar schreiben, das macht uns zu lebendigen Fischen mit zwei Armen und zwei Beinen. Wir lernen, unter Wasser zu atmen, zu überleben. Das brauchen wir auch, denn: Land unter ist allenthalben, wir ersaufen ja gerade in der digitalen wie der realen Welt … oder in beider Sphären merkwürdiger Fülle zusammen.


Verknappen wir am besten, aber lassen wir nun mal die Töne, die Worte, die Texte auf andere Art sprechen und klingen. Schweigen mag silbrig, dichten kann da vielleicht schon golden sein. Die Expressionisten konnten dies ganz wunderbar. Bei aller Kritik, die man an ihnen natürlich auch haben kann: sie waren darin Meister, die Dinge auf den Punkt zu bringen und sich damit doch auch den Untergangswelten verzweifelt oder warnend entgegen zu stemmen. Dem Untergang, den sie voraus ahnten und in dem sie dann aber doch vegetieren mussten. In ihrer Kürze, ihrer Lakonik, lag die ausdrucksvollste Würze. Das kann uns weiter helfen, davon kann man etwas lernen.
Versuchen wir es mal mit Kürze, mit guter Würze! Breite Epik ist zurzeit nicht angesagt im Land der Dichter und Denker. Auch bei den in den Gazetten gesetzten Worten herrscht gar viel an allzu breiter Fülle. Verknappen wir, aber reduzieren wir nicht auf das flüchtige Milieu des Banalen. Lassen wir den Twitter- oder SMS-Modus beiseite. Dort gibt es nichts, was wirklich klingt. Lyrik, Gedichte brauchen Zeit. Um „Land unter“ womöglich zu entkommen, muss man auch ein bisschen flüchten in gewagte, in andere, in neue Welten. Verleihen wir ein paar neuen Worten spezifisches Gewicht: gewählt, expressiv, bedenklich, spöttisch, leidenschaftlich (warum denn nicht?), mit Nachklang vielleicht. Wie auch immer!

 

Bei Jakob van Hoddis erfuhren wir schon 1911 in „Weltende“:

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen,
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken

Was für ein trefflich treffendes, kleines Gedicht, das einem den Atem raubt. Wie man weiß, hatte von Hoddis nicht nur ahnend geunkt. Es fehlten damals gerade noch 3 bzw. bzw. 28 Jahre, dann nahmen die Bürger sich selbst gleich zweimal vom Kopf den spitzen Hut. Das Jahrhundert versank in trübsten Fluten, den Gejagten wuchsen keine Flossen, wo Not war, wuchs das Rettende fast nicht mehr. Davon haben wir alle uns noch nicht erholt, auch wenn wir dies häufig zu denken scheinen.
Wolf Biermann dichtete und sang später, Ende der 70iger, ganz  im Stile dieser Expressionisten „Wie ich ein Fisch wurde“. In diesem Poem bzw. „Song“  aus dem Zyklus „Hälfte des Lebens“ heißt es am Ende tröstlich anverwandelnd:
Meine Arme dehnten sich zu breiten Flossen, Grüne Schuppen wuchsen auf mir voller Hast.
Als das Wasser mir auch noch den Mund verschlossen, war dem neuen Element ich angepasst.
Und weiter:

Lass mich durch dunkle Tiefen träge gleiten. Und ich spüre nichts von Wellen oder Wind…

Sind wir – wieder mal – in ähnlichen Zeiten, wo Verwandlung, eine andere Stofflichkeit, ein Wandel – und welcher? – das Rettende sein könnte, ja sein müsste? Darüber kann man sicher schlaue Essays schreiben – aber vielleicht tut das ein oder andere Gedicht unseren angespannten Nerven gut. So fang ich denn mal an, mögen weitere folgen, auf geht´s!

 

UNMOND

Wir werden es noch erleben,
fast bin ich der Einsicht gewiss,
uns wärmend in blauer Nacht,
wenn wir ganz eins und innig
nach den Gestirnen sehn,
von oben schräg ein voller Mond
uns tragikomisch beäugt,
aus dem Rund kupfern leuchtend
der künstlich gezwirbelte Haken
von so fatal irdischem Glanz.
Und mit den Gezeiten, wie immer,
die Scheibe dann schmal geworden,
auf andre Art, als Sichel, dann schön,
prangt weiter das Logo des Sieges,
wie gepaust mit Spott und mit Häme,
Nikes Zeichen, gelasert wie ein Schmiss
an unser fahles Mondgesicht.
Schöner neuer Kosmos, zerstrahltes All,
ein komisch-siechender Mond.
Ach Liebste, es wird bald Zeit,
die Welt scheint mir so abgehakt,
uns neue Milchstraßen zu suchen.

Fritz Feder – GALAK

Liebe Lyrikfreunde unter den Rundschau-Lesern,

dem Aufruf von unserem GALAK folgt dir Rundschau gern. Mögen eins, zwei, einige Gedichte blühen! Schließen Sie sich an! Mit einem eigenen Gedicht. Thematisch zu dem vielleicht, was , zunächst einmal: Wandel, Anverwandlung, neue Stofflichkeit, Geh- und Stehversuche. Unser „Lyrikmann“ Fritz Feder wird zu gegebener Zeit noch weitere Themen platzieren – oder schlagen Sie ihm,  liebe rundschaulesende „Lyrikanten“  welche vor!
Womit wir beide zugleich unsere Lyrik-Sparte wieder inszenieren – neu in Gang setzen wollen. Aber, keine Sorge: wir machen keinen Wettbewerb. Dafür eignen sich Gedichte nicht! Wir machen auch kein digitales Poetry Slam. Sie schreiben, wir publizieren: gottschling@rundschau-hd.de

Ach ja, da  packt  doch auch Jürgen Gottschling mal einige seiner Frühgedichte aus:

Schaffe, schaffe, Häusle baue …

Fleißig, friedlich,
unermüdlich,
emsig, emsig schafft die Welt.
Das bewegt sich,
rührt sich, regt sich,
wie`s dem lieben Gott gefällt.

Flinke Bienen,
Mischmaschinen
brummen brav ihr Arbeitslied;
alles dreht sich,
blind versteht sich
Zahnradzahn mit Kettenglied.

Kessel dampfen,
Kolben stampfen,
Umlaufkühler kühlt und klärt.
der Ventile Flötenspiele –
muntres Prodkutionskonzert.

Wie? Ein Händchen
Kieselsändchen
ins Ventil und Klappe zu?
Ei,  bezähm´ dich´,
Teufel, schäm dich,
böser, deskruktiver, du!

Was alles sich nicht gehört

Das gehört sich nicht.
Das was?
Das das.

Das Ge hört sich nicht.
Gehört sich,
dass das Ge sich nicht hört?

Gehört das Ge gehört?
Gehört sich das,
dass das Das sich nicht gehört?

Wem gehört das Das?

Wer gehört schon sich?
Wem gehört schon was?
Was gehört schon gehört?

„Das gehört sich nicht.“
Hört, Hört!

Endsieg

Wo das Gute siegt, ist das Ende.
Das Böse siegt immer am Anfang.
Wenn das Ende kommt, kommt das Gute.
Wenn das Gute siegt, ist alles zu Ende.

Am Anfang siegt das Böse.
Aller Anfang ist schwer.
Das Böse hat es schwer. Am Anfang.

Am Ende verliert immer das Böse.
Das Böse ist am Anfang immer am Ende.
Das Ende ist der Anfang des Guten.
Wäre das Ende der Anfang
und der Anfang der Anfang des Guten,
wäre das Ende des Bösen der Anfang.

So aber:
Siegt immer das Böse.
Bis zum Ende.

Apropos Ende

Ein Elektron, seit  Myriaden
Jahren negativ geladen,
traf endlich, ach endlich, ein Positron.
Und das, das hatten sie nun davon:

 

Als einen solchen Initial-Urknall jedenfalls wünschen wir diesen Aufruf verstanden zu wissen. Knallen Sie mit …

 

Juli 2011 | Allgemein | Kommentieren