Thilo Sarrazin war zum 4. Mai von den Veranstaltern des Heidelberger Symposiums eingeladen worden, einen Vortrag in den Räumen der Universität zu halten. Aber: „Es müssten sich also die Universität und der Heidelberger Club für Wirtschaft und Kultur“, so „dielinke.SDS“, die „Muslimische Studentengruppe MSG Heidelberg“ und die „Jusos Heidelberg“ die Frage stellen lassen, „welcher wissenschaftliche Inhalt vom Vortrag eines Mannes zu erwarten“ sei, „der in der Vergangenheit vor allem durch seine Unwissenschaftlichkeit von sich reden gemacht“ habe. Wir plädieren ausdrücklich dafür, dass Sarrazin eingeladen und seine Thesen zur Diskussion hat stellen können. Und sind – sapere aude – dieser, nämlich des Ralph Giordanos Meinung:
Thilo Sarrazins Buch ist ein Stoß mitten ins Herz der bundesdeutschen Political Correctness, ein Frontalangriff auf Deutschlands Multikulturalisten, xenophile Einäugige und Pauschalumarmer. Die vereinte Riege der Berufsempörer, Sozialromantiker und Beschwichtigungsapostel zerreißt ein Buch in der Luft, das sie (meist) nicht gelesen hat; ausgenommen vielleicht jene stoßatmig erschnüffelten Passagen darin, die Sarrazin als Rassisten entlarven sollen – wenige Zeilen in einem Buch von fast 500 Seiten). Da bläst eine schrille Kakofonie zum moralinsauren Halali! Wobei öffentliche Meinung und die der politischen Klasse selten so diamentral auseinander gelegen haben. Tatsächlich weist die ganze Lektüre den Autor als einen Kenner der Migrations- und Integrationsszene aus, der aus dem Vollen schöpft und dabei das Elend einer Immigrationspolitik entblößt, an der die Integration der muslimischen Minderheit bisher gescheitert ist.
Seine Gegner machen sich nun aber bezeichnenderweise nicht daran fest, was Thilo Sarrazin kritisiert, sondern wie er es getan hat. Zum Beispiel so: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ Dieser empirisch leicht nachweisbare Tatbestand hätte auch weniger blumig ausgedrückt werden können. Und so hat sich denn schon im vorigen Jahr mancher Sarrazin-Sympathisant Formulierungen gewünscht, die Dauerverdrängern wie Christian Ströbele, Claudia Roth oder Renate Künast weniger zugearbeitet hätten.
Ähnliches auch diesmal wieder, anlässlich Thilo Sarrazins Kurztrip in die Welt der Gene von Juden und Basken, der mir, einst unter die NS-Rassengesetze gefallen, keinen Adrenalinstoß versetzte, den Kuschelpädagogen allerdings den willkommenen Vorwand liefert, die haarsträubenden Zustände in den muslimischen Parallelgesellschaften wie bisher unkommentiert zu lassen.
Das Thema aber, das Sarrazins Buch auf eine neue Ebene des nationalen Bewusstseins katapultiert hat, wird noch dann aktuell sein, wenn die Wogen einer artifiziellen Empörung längst verlaufen sind: das enorme Integrationsdefizit der muslimischen Minderheit in Deutschland!
Die Lehren über die Seiten hin: Es gibt keine Integration, ohne die Überwindung der Hemmnisse, die aus Sitten, Gebräuchen und Traditionen der muslimischen Minderheit selbst kommen!
„Der Kampf um die Integration der Muslime in Deutschland ist nicht verloren, aber er wird verloren gehen, wenn die Muslime diese Integration nicht auch als eigene Bringschuld begreifen. Wenn sie nicht Loyalität gegenüber diesem Land zeigen und nicht bereit sind zur Versöhnung ihrer Religion mit der Moderne.“ Ja!
Doch schreibt das nicht Sarrazin, sondern Benjamin Idriz, ein islamischer Funktionär aus der bayerischen Provinz. Aber genau das ist es, was Sarrazin postuliert.
Er hat doch Recht, wenn er schreibt, große Teile der Migranten sind weder integrationsfähig noch -willig, und dass es legitim ist, darüber nachzudenken. Und was ist falsch daran, wenn er konstatiert, dass die Geburtenrate umso höher liegt, je niedriger die soziale Schicht ist? Und dass Nachdenken auch darüber nichts mit Rassismus zu tun hat?
Und er hat doch Recht, wenn er schreibt, dass sich die Migranten muslimischer Herkunft bei der Integration schwerer tun als andere Migrantengruppen. Und was ist falsch daran, wenn er die Wirklichkeit beschreibt, wie sie ist, und nicht, wie sie seit Jahren gefälscht wird – als eine multikulturelle Idylle mit kleinen Schönheitsfehlern, die durch sozialtherapeuthische Maßnahmen behoben werden könnten?
Ich lese Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ wie eine Enzyklopädie des Migrations-Integrationskomplexes in seiner deutschen und europäischen Dimension, wie ein Lehrbuch, das der dritten und vierten Generation von Zugewanderten Hemmnisse aus dem Weg räumen könnte.
Dazu gehört eine furchtlose Sprache, und die spricht er.
Es bleibt die Ehre der Nation (und Sarrazin nimmt ihr nichts), jeden Eingewanderten, Fremden oder Ausländer gegen die Pest des Rassismus und seine Komplizen zu schützen. Gleichzeitig aber ist es bürgerliche Pflicht, sich gegen Tendenzen aus der muslimischen Minderheit zu wehren, die jenseits von Lippenbekenntnissen den freiheitlichen Errungenschaften der demokratischen Republik und ihrem Verfassungsstaat ablehnend bis feindlich gegenüberstehen.
Deshalb Schluss mit der deutschen Feigheit, Kritik an der Politik fundamentalistischer Verbandsfunktionäre oder gar am Islam selbst zu üben. Schluss vor allem mit dem niederträchtigsten aller niederträchtigen Totschlagargumente der Political Correctness: „Wer sich kritisch äußert, der macht die Sache der Nazis von heute.“ Umgekehrt wird ein Schuh draus: Haben doch gerade die staatlichen und nichtstaatlichen Weichzeichner jene unerträglichen Zustände in der Migrantenszene geschaffen, auf die sich die wirklichen, die echten Rassisten berufen. Es sind diese professionellen Kreidefresser, die Deutschland in die Misere der gescheiterten Integration gesteuert haben, Repräsentanten jener total verfehlten Immigrationspolitik, die aus Furcht, ausländerfeindlich geschimpft zu werden, die berechtigten Eigennutzinteressen des Aufnahmelandes sträflich außer acht ließ.
Sarrazins Buch richtet das Auge auch auf den historischen Hintergrund: darauf, dass hier zwei Kulturkreise von höchst unterschiedlichem Entwicklungsstand zusammenstoßen: der judäo-christliche, der in den vergangenen fünfhundert Jahren mit Renaissance, Aufklärung, bürgerlichen Revolutionen und ihrer Fortschreibung einen gewaltigen Sprung nach vorn getan hat, während der andere, der muslimische Orbit nach kulturellen Höchstleistungen, die Europa nur beschämen konnten, seither auf verstörende Weise stagniert.
Es liegt im innersten Interesse der türkisch dominierten muslimischen Minderheit in Deutschland, sich von allen integrationsfeindlichen Kräften zu distanzieren und sie zu überwinden. Voraussetzung für eine Eingliederung, die diesen Namen verdient hat. Und da kann man manches von Sarrazin lernen.
Migration, Integration – sie sind längst zur Schicksalsfrage der deutschen Geschichte des 21. Jahrhunderts geworden. Ihr derzeitiger Sprecher jedenfalls heißt Thilo Sarrazin.
Postskriptum: Ich hätte mir Sarrazin gern öffentlich emotionaler gewünscht, und in den Debatten offensiver, mit mehr persönlicher Empathie für die ungezählten Menschen aus der türkisch dominierten muslimischen Minderheit, die höchst liebenswert sind, aber auf Grund kultureller Verschiedenheit dennoch ihre Probleme mit der Mehrheitsgesellschaft haben, wie umgekehrt diese mit ihnen. Wenn ich Kinder sehe aus muslimischem Milieu, dann ist mein erster, allererster Gedanke: Es soll ihnen gut gehen, heute und erst recht morgen, es soll ihnen, verdammt noch mal, gut gehen, Allah hin, Mohammed her! Dass Sarrazin solche Gedanken nicht geäußert hat, braucht ja nicht bedeuten, dass sie ihm fremd sind.
Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. DVA, München. 463 S., 22,99 Euro.
04.Sep.2010, 13:54
So ganz gänzlich mag ich alledem nicht zustimmen.
Aber reden wir erst einmal von dem, was mir zuzutreffen scheint bzw. was ich zu Sarrazins Situation loswerden möchte:
1. Sarrazin stammt von den Hugenotten ab, das prädestiniert ihn anscheinend zur Einnahme von Haltung, welche ihn selbst immer wieder und jetzt nun ganz deutlich beruflich und politisch gefährdet.
2. Sarrazin sollte wegen seiner Meinungsäußerung nicht aus dem Vorstand der Bundesbank fliegen und vielleicht auch nicht aus der SPD – was ja mittlerweile geklärt ist. Nachdenklich stimmt lediglich der Umstand, dass der Mann so viel Zeit hat, sich immer wieder so intensiv zu Bundesbank-fernen Themen zu äußern und nun auch noch ein Buch zu veröffentlichen. Sein Metier war ja – eigentlich – die autonome Geldpolitik.
3. Wenn eine Supermarktkassiererin in ein Brötchen beißt und „fliegt“ (wenngleich inzwischen rehabilitiert), dann leben wir in einer Gesellschaft, in der – im Kontext einer Art von Gleichheitsgrundsatz – auch bestimmte Eliten damit rechnen sollten, zu „fliegen“. Unser Gesellschaftssystem produziert Risiko und Unsicherheit. Oben wie unten. Das ist nicht schön, mir wäre es anders lieber, nämlich so, dass keiner wegen eines Brötchens oder einer Meinungsäußerung (es sei denn, sie wäre verfassungswidrig und es wäre Gefahr im Verzug) „fliegen“ muss. Die Angst, auch die sprichwörtliche „German Angst“ ist längst auch oben in der Gesellschaft angekommen. Zivilcourage ist umso wichtiger. Sarrazin hat die Angst sichtlich nicht oder kann mit ihr ganz gut umgehen. Immerhin: Auch für Sarrazin besteht die Chance zur Rehabilitierung – Stichwort Rechtsstaat. Er hat Klage eingereicht und sich durchgesetzt.
4. Die „Political Correctness“, wie sie in unserem Lande inzwischen mit erhobenem Zeigefinger gepflegt wird, ist aus meiner Sicht eine Art Monstrum, das uns zunehmend den Mund vernagelt und die unsanktionierte, freie Meinungsäußerung verhagelt. Das riecht nach Demokratur – sowieso auch, weil wir uns – allerdings eher gewollt und freiwillig – zunehmend eingipsen und technisch machbaren, neuerdings zunehmend auch digitalen Kontrollmachanismen und kommerzieller Gesteuertheit unterwerfen. Da tut der mündige Bürger not, er ist knapp geworden. Wir Deutsche neigen leider zur Unterwürfigkeit. Dies zeigt auch ein Blick auf die deutsche Historie. Und wir lieben die Kontrolle und das, was wir unter Sicherheit verstehen, fast mehr als alles Andere. Sarrazin ist diesbezüglich anders. Das ist erfrischend. Er erinnert mich an die sehr mutige Italo-Libanesin Oriana Fallaci, die schon vor Jahren nach dem 11. September Bücher publiziert und Reden gehalten hat, die vor dem Islam warnten. Zu Henryk Broder will ich jetzt mal nichts sagen!
So, jetzt aber genug! Ich komme zu dem, was mir an Sarrazin nicht passt. Ähnlich wie Sloterdijk scheint er weniger ein Problem mit Minderheiten zu haben als mit Unterschichten. Seine Rundumschläge zielen immer wieder auf gesellschaftliches Prekariat, egal ob Ausländer oder Deutsche. Es ist noch nicht lange her, da hat er die Hartz IV-Empfänger heftigst und in sehr ungerechter Weise beschimpft. Der Philosoph Sloterdijk tut das feiner, differenzierter, pfiffiger und eben auch philosophischer. Aber auch für ihn gibt es Leistungsträger und „Prekäre“, und jeder ist halt seines Glückes Schmid. Ich kann mich des Eindrucks nicht erweheren, dass bei beiden „Denkern“ ein Stück Verächtlichkeit im Spiel ist.
Bei Sarrazin, der schlichter, grober und auch allgemeinverständlicher argumentiert, macht gerne der Ton die Musik. Er will Aufmerksamkeitserreger sein. Und er ist zugleich ein Trotzkopf. Denn er weiß doch, dass seine Warnungen vor Überfremdung ein haidersches Gschmäckle bekommen, wenn er seine Überfremdungsthesen in einem Land formuliert, das sich noch nicht so recht vom monströsen Hass auf alles Fremde und genetisch Andere mit all seinen schrecklichen Folgen erholt hat.
Da liegt m.E. die Crux: Dass Sarrazin inhaltlich reaktionäresw Gedankengut bedient, ob nun bewusst oder nicht. Ein Blick z.B. in die Niederlande genügt … und wir verstehen besser, was gerade abläuft.
Des Sarrazins Meinung sei frei, aber so, wie er sie ausdrückt, geht Sie mir am A … vorbei. Das Problem, das vorhanden und drängend ist, bedarf anderer Zugänge ….
Beste Grüße
Fritz Feder
04.Sep.2010, 16:41
Der Berliner Mauerfall hat Ländergrenzen geöffnet und Menschen vereint – natürlich nicht alle. Noch ein paar Monate davor war diese unglaubliche Entwicklung undenkbar. Auch Thilo Sarrazin hat hier Grenzen geöffnet, an die sich im vorauseilenden Gehorsam nur sehr wenige herangetraut haben.
Zu groß war die Angst das Falsche zu sagen und in die rechte Ecke gestellt zu werden. Also schwieg man jahrzehntelang und leistete der stetigen Verschiebung von Rechten und Pflichten Vorschub – meist zu Ungunsten von Deutschen – die dies zuerst saturiert bequem unter dem Arbeitstitel Multikulti geschehen ließen.
Wie aber bei einem Grobian, der den Mut einer Klassengemeinschaft lähmt und einzelne Schwache zunehmend drangsaliert, startet man irgendwann einen Ausbruchsversuch – wenn nicht mit klaren Worten moderierend vom Lehrer eingegriffen wird. Die Moderation fand bisher ungenügend bis gar nicht statt. Die heutigen Leserbriefe in der RNZ lassen hier auf viel Unterdruck schließen.
Eine klipp und klare Umsetzung was geht und was nicht ist überfällig. Es ist unendlich schwerer, dieses seit Generationen entstandene Missverhältnis welche Leistungen Migranten, unter Wertung Ihres gesellschaftlichen Beitrags, tatsächlich zustehen zu lösen.
Keiner lebt gerne in einem verwilderten Garten. Aber um einen gepflegten Garten zu genießen, bedarf es erst Fleiß und täglichen Einsatz – von jedem.
Ich freue mich auf eine neue Freiheit in der Diskussion, die diesmal hoffentlich zu blühenden Landschaften – gerne auch mit Olivenbäumen – führt…
04.Sep.2010, 18:01
Ist sicherlich interessant, mal schauen wie man im nahen Ausland darüber denkt http://www.nzz.ch/nachrichten/startseite/sarrazin_die_muslime_und_das_grimmsche_woerterbuch_1.7405753.html
VG, W.Lauterbach