„Doig!- Das Musical ohne Gesang, ohne Tanz und mit sehr wenig Musik von Greg Freeman im Zimmertheater Heidelberg. Regie: Ute Richter.

So leichtfüßig fröhlich-unbeschwert und zudem zu aller großem Vergnügen ohne ideologisch ausgestrecktem Zeigefinger sah und hörte man noch selten eine „Ismus-Kritik“  (auf der Bühne zumal) einherkommen. Ein gelungener Wurf, der aber fürs deutsche Theater erst einmal entdeckt werden mußte. Ute Richter hat – bevor sie „DOIG!“  nun als deutschsprachige Erstaufführung auf die Zimmertheaterbühne geholt hat – mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zuvor Berge von Manuskripten durchgeackert. Und wurde dafür mit mal wieder einem Glücksgriff, nämlich „DOIG!“ belohnt. Das Heidelberger Publikum darf davon provitieren.

Ute Richters Regienkonzept verliert nie das Ende des Handlungsstrangs aus dem Auge, führt diese Satire bissig-witzig, schlüssig und authentisch hin zum Sieg des Homoökonomicus über den Homoökologicus – und da ist es wieder, das ganz aus dem Leben geschriebene Theater -,  dieweil der Intendantin Textexegese erstaunliche Charaktere zutage fördert:

Doigs Arbeitskollege Ralph wird von Jens Neuhaus smart bis wunderschön-zynisch-böse auf die Bühne gebracht, seine Schwester Daisy (Stephanie Theis gibt sie als hinreißend-Naive auf der (was Wunder aussichtslosen) Suche nach ehrlichem Öko-Grün und der Blauen Blume Sinn – auf dass sich ihr Zwillingsbruder Doig von bösem Kapitalismus weg und sich mit auf diese Tour begebe. Er tut es, aber GALlig fundamentalistisch! Was wiederum Schwester Daisy gar nicht gefällt, sie wünscht dringend, dass er ihr Haus wieder verläßt –  in welches Doig sich irgendwelcher beruflicher Probleme wegen zurückgezogen hat. Sie bezahlt ihren Freund, den Psychologen Smith, das zu erledigen; (Michael Seeboth gibt ihn aalglatt analysierend, szenenweise agiert er dabei glaubwürdig-spontan und unvorhersehbar, Text und Regie erlauben das schließlich. Alleine schon all dies läßt keine Sekunde Langeweile aufkommen. Nachdem also Smith Doig auf Schwesters Kosten motivieren sollte, ihr Haus zu verlassen, greift sie ihn an, tritt nach ihm, sagt ihm, sie habe ihn immer noch im Haus, er habe stattdessen ein Monster geschaffen.

Eine Lachtränentreibende kleine Textprobe innerhalb dieser Szene? Bitte schön: „Daisy: Er uriniert jetzt in den Garten, um Wasser zu sparen. Smith: Das ist gut. Er ist aus dem Haus. Daisy: Das ist widerlich. Ich weiß, dass wir Wasser sparen müssen, aber ich verbrauche fünfmal so viel Wasser, wenn ich danach mit dem Schlauch nachwässere.“ – Tja, die Geister, die man rief …

Des Doig Leben wird nun so stark beschleunigt – und aber an des Handlungsstrangs Ende so verflixt seinem endlichen „Stillstand“ entgegen metamorphost – dass es aus sowohl dauernden Entscheidungen und aber auch aus Bewährungsproben besteht; wobei freier Wille, dies zu tun, oder jenes zu lassen, ihm längst aus der Hand genommen sind.

Den Text begleitet ein praller, quellender Überfluss hin zu alledem,  was auf der Bühne sonst kaum mehr zu finden ist: Zeitnot, Irrtum, Reue, Psychoduelle, Tod neben bissig-authentisch-religiöser Überhöhung (hier hat Ute Richter das Bach Gounodsche, allerliebste  „Ave Maria“ eingeschmuggelt), wir finden drohenden Untergang, den dröhnenden Anspruch, Weltmodell zu sein – das Stück hat eine solche analytisch-gestalterisch wuchtige Fülle, dass wir getrost vergessen dürften, was genau da erzählt wird: dass da nämlich – eigentlich – feindliche Ideologien sich im Handlungsknoten so sehr ineinander verkrallt wiederfinden, bis sie des Doig letzte unbewachte Sekunde zerquetscht haben. Manche Sätze kommen derart feierlich karg einher, als hätten sie einen dicken Mantel von Realismus, Naturalismus, Psychologismus, Historismus abgeworfen und enthielten nur deren schmackhaftes Konzentrat.  Handlung (ja, fast auch der Dialog) lebt hier vor allem in der Anspielung, in der Ironie. Dialog als Gedankengang, als Erkenntnisprozess, das alles findet hier statt in am Ende mit „heiterem Gleichmut“ zu vermeintlich ethischem Konsum mutierenden Ökologling.

Das Premierenpublikum gab verdient großen Beifall; kräftige Bravi für den Autor Greg Freeman, die Ute Richtersche Regie, sowie für das hervorragend aufgestellte Ensemble, hier vor allem für Ulrich Gall, der die Titelfigur Doig gibt und nachvollziebar die Metamorphose des Umfallers vom Kapitalisten zum wiewohl seelenverwandten ideologisch verbrämten – dahinverführten-grün-schwarz gottverdammten – Naivling auf die Bühne bringt.

Jürgen Gottschling

Mai 2011 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton | Kommentieren