Legalisierter Raub
Unmittelbar nach der Deportationen der Juden – im Oktober 1940 von Heidelberg in das Konzentrationslager Gurs/Südfrankreich, – wurden deren zurückbleibendes Eigentum vom NS-Staat enteignet, versteigert und verkauft. Unter den Hammer kamen dabei nicht nur Schmuck und Kunstgegenstände der jüdischen Bevölkerung, sondern auch alltägliche Gebrauchsgüter wie Küchenstühle, Geschirr und Kleidung. Zu den neuen Besitzern zählten neben NS-Parteiorganisationen vor allem Privatleute. In Mannheim (zum Beispiel, wir hier in Heidelberg hatten ja Glück) saß nahezu jede ausgebombte Familie gegen Kriegsende an einem Tisch, der aus dem Besitz ehemaliger jüdischer Nachbarn stammte oder aus Wohnungen der Juden im besetzten Europa herangeschafft worden war. Im gesamten „Reich“ gab es für jeden geraubten Gegenstand eine Quittung mit Herkunftsvermerk und Stempel, eine Unterscrift des zuständigen Beamten und einen neuen Nutznießer: Dokumente der Beteiligung und des Mitwissens großer Teile der deutschen Bevölkerung.
„Aktion 3“ war der Deckname für die Deportation, „Aktion M“ für die Überführung der „Beutemöbel“ aus dem besetzten Europa ins Reich. Es herrschte immer noch Ordnung im Lande …

Es geschah alles in Übereinstimmung mit geltendem Recht
Die Enteignung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung sollte keineswegs der Straße überlassen bleiben. Gesetze und Verordnungen anstelle eingetretener Schaufenster und roher Gewalt führten zur systematischen Entrechung und Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung. Gesetzestreue Handlanger, nicht brutaler Schläger, führten den Raubzug durch. Wer beteiligt war, sollte das Gefühl haben, dass er dafür keine Verantwortung zu tragen brauche. Penibel wurde der Anschein von Rechtmäßigkeit aufrechterhalten, auf den Pfennig genau. Jedes Detail war per Vorschrift geregelt. Diese Ausplünderung war ein wichtiger Teil der Vernichtungsmaschinerie und zugleich Bestandteil der NS-Kriegswirtschaft. Hinter der stufenweisen Entrechtung stand ein Plan: nach dem Raub kam der Mord. Das Geheimnis war kein Geheimnis, sondern Legalität. Alles geschah „ordnungsgemäß“

Nach 1945 herrscht Schweigen

Der Unrechtsstaat war besiegt, die NSDAP und ihre Organisationen zerschlagen, doch die (nicht nur die Finanz-)Beamten arbeiteten durchweg weiter. Wiedergutmachungsansprüche überlebender Juden wurden oft von den selben Finanzbeamten geregelt, die vorher deren Hab und Gut verscherbelt hatten. Die wenigen zurückgekehrten Opfer mußten erneut in langen und entwürdigenden Prozessen nachweisen, daß dies und jenes ihr Eigentum gewesen war oder daß sie tatsächlich die Erben seien. Der Zugang zu den Akten und deren Veröffentlichung war ein schwieriges Unterfangen. Ein bleiernes Schweigen über die Täter und Nutznießer des legalisierten Raubes herrscht teilweise bis heute.

… Recht und Ordnung? Fragen stellen! – Wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn …

Auch in Heidelberg wurde nach der Befreiung 1945 vieles unter den Teppich gekehrt und der Mantel des Schweigens über die Mitschuld gelegt. Es wurde von den (Mit-)Tätern alles unternommen, um eine Vielzahl von NS-Unterstützer- und „Mitläufer“-Karrieren in Vergessenheit geraten zu lassen. Die kleinen Arisierungsgewinnler wurden – wenn auch sehr zögerlich – bekannt – und daß sowohl die Stadt, als auch die Universität Grundstücke und Häuser aus jüdischem Besitz oder aus dem Bestand der Portheimstiftung „gekauft“ (gekauft!) haben, ist auch bekannt. Und wie es kam, daß, kaum war Nazideutschland am Ende, in Heidelberg gleich nochmal angefangen wurde, wegzunehmen: Den Anbau am Völkerkundemuseum, in welchem bislang die Afrikasammlung untergebracht war, für die studentische Verbindung „Heidelberger Kreis“. Selbstdarstellung auf der Homepage der Verbindung: „Entstanden ist der Heidelberger Kreis 1946, als aus den Wirren des Zweiten Weltkrieges zurückgekehrte junge Leute zu studieren begannen. Der unmittelbare Eindruck vom tiefsten Einschnitt in der Geschichte unseres Landes drängte die Jugend damals dazu, in Gesprächen eine eigene Position und einen Weg in die Zukunft zu finden.“ Schön und gut – aber nicht so!
Daß sich auch hier wieder unverfroren mit gezahlten Minimalsquadratmeterpreisen und zudem – und darum geht es im Wesentlichen – gegen die Stiftungssatzung bedient wird, soll uns heute nicht kümmern, weil offenbar einflußreiche Leute sich da bedienen?
Vorzeiten galt die Parole „Wir haben doch von alledem nichts gewußt“ . Heute hingegen darf und mußt gewußt werden …

Daß sich die Mitmacher und Zuschauer nach dem Krieg nicht einmal eingestehen wollten oder konnten, daß sie ihre individuelle Schuld leugneten, dieses gesellschaftliche Versagen hat Ralf Giordano mit den Stichworten von „der zweiten Schuld“ oder „dem großen Frieden mit den Tätern“ treffend beschrieben. Wir tun das auch!

Jürgen Gottschling

Mai 2011 | Allgemein, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren