Das Heidelberger Theater trauert um Juliano Mer-Chamis. Der 52-jährige Regisseur, Schauspieler und Theaterleiter wurde am Montag, dem 4. 4. 2011 beim Verlassen des von ihm gegründeten Freedom Theatres von einem maskierten Schützen mit fünf Schüssen ermordet. Das Freedom Theatre liegt im Flüchtlingslager von Jenin im Westjordanland. Der beeindruckende Theaterleiter und seine jugendlichen Schauspieler waren mit der Inszenierung „Fragments of Palestine“ auf ihrer Deutschland-Tournee im Herbst 2009 auch zu Gast im zwinger1 des Heidelberger Theaters.

Juliano Mer-Chamis, Sohn eines palästinensischen Vaters und der israelischen Schauspielerin Arna Mer, hatte in den letzten Jahren ein beispielhaftes Theaterprojekt aufgebaut, das sowohl in Israel und Palästina wie international hohe künstlerische und politische Aufmerksamkeit erlangte.

Das Freedom Theatre (www.thefreedomtheatre.org) war ein Ort des künstlerischen Ausdrucks und damit der Selbstbefreiung für junge palästinensische Schauspieler in den besetzten Gebieten. Es bestand aus einer Schauspielschule, einem Filmworkshop und einem Kulturzentrum. Eine größere Bühne im Ort Jenin ist mit internationalen Spenden im Bau. Die Produktionen des Theaters beschäftigten sich nach allen Seiten kritisch mit der Situation der Besatzung und Begriffen der Freiheit. Dazu gehörte eine Produktion von Orwells „Animal Farm“ und „Alice in Wonderland“. Zuletzt war eine Produktion von „Frühlings Erwachen“ unter Anleitung des deutschen Schauspielers Stephan Wolf-Schönburg in Kooperation mit der Hilfsorganisation Medico International geplant.

Seine Mutter Arna Mer hatte vor der zweiten Intifada im Stone Theatre mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, bis das Theater und das Lager 2002 von der Israelischen Armee zerstört wurden. Juliano Mer-Chamis hat über die Theaterarbeit seiner Mutter und das Schicksal der Jugendlichen den bewegenden Dokumentarfilm „Arna’s Children“ gedreht. (http://www.thefreedomtheatre.org/support-buy.php). Am Montag-Nachmittag, den 4. April 2011, ist unser Freund, Kollege und Projektpartner Juliano Mer Khamis auf offener Straße im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin erschossen worden. Der Schauspieler und Filmemacher Juliano Mer Khamis war Direktor des Freedom Theatre in Jenin – einem Ort der künstlerischen und politischen Freiheit, der der israelischen Besatzung ebenso widersteht wie den patriarchalen und religiös verbrämten lokalen Machtsstrukturen.

Juliano war ein unerschrockener Vorkämpfer für einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina. Er kritisierte die israelische Kriegs- und Besatzungspolitik aufs Schärfste. Genauso schloss seine Solidarität mit den entrechteten Palästinensern die Kritik am politischen Irrwitz und an der Rückwärtsgewandtheit einer vermeintlichen palästinensischen Selbstbehauptung ein. Juliano war schonungslos mit sich und mit den politischen Kräften, die die strikte Trennung und die Unversöhnlichkeit zwischen beiden Lagern auf ewig zu zementieren suchen. Sohn einer jüdischen Mutter und einem palästinensischen Vater – verweigerte er sich mit all seiner Kraft und persönlichen Präsenz ethnischen, politischen, religiösen Zuschreibungen, die den Einzelnen nicht mehr die Wahl einer freien Entscheidung und einer eigenen politischen Haltung lassen, die Unrecht als Unrecht erkennt. „Keine Schuld hat Keiner“ (?)

In diesem Sinne hat er die Schauspielschule und das Theater in Jenin betrieben. Und er hat dabei mit großer Vehemenz die künstlerische Freiheit verteidigt und dies nicht als eine künstlerische sondern als eine politische Herausforderung verstanden. Immer wieder erhielt er Morddrohungen. Gegen das Theater wurden mehrere Anschläge verübt. In einem Interview 2009 in der taz sagte er auf die Frage, ob er sich in Jenin bedroht fühle: „Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber das ist immer noch besser als in Tel Aviv den Entertainer zu spielen.“ Er war kein Hasardeur, sondern ein Künstler und ein politisch denkender und handelnder Mensch, der sich widersetzte. Keiner verkörperte wie er den Brückenschlag zwischen Juden und Palästinensern. Er gehörte zu denen auf beiden Seiten, die die Universalität der Menschenrechte und das kritische Denken gegen die Mehrheitsmeinungen in ihren Gesellschaften verteidigen. Für sie und uns alle ist der Mord an Juliano eine persönliche und politische Tragödie

Recherche-Gruppen des Heidelberger Theaters hatten das Freedom Theatre in Jenin 2009 und 2010 mehrfach besucht. Zuletzt hatte Jan Linders, Schauspieldirektor des Heidelberger Theaters, Juliano Mer im Dezember 2010 in Tel Aviv gesprochen und ihn zu einem weiteren Gastspiel nach Deutschland eingeladen.

Wir  trauern um Juliano und fühlt mit den Angehörigen, dem Team und den Kindern und Jugendlichen des Freedom Theatre.

Filmvorführung „Arna’s Children“ zu Ehren des ermordeten Juliano Mer Khamis

Im Gedenken an Juliano Mer Khamis, den israelisch-palästinensischen Theatermacher, der am Montag vor seinem Freedom Theater in Jenin erschossen wurde, zeigt das Heidelberger Theater seinen Dokumentarfilm „Arna’s Children“ und lädt anschließend zum Gespräch mit Schauspieldirektor Jan Linders ein, der das Freedom Theatre zuletzt Ende Oktober 2010 besucht hat. Der Eintritt ist frei.

„Arna’s Children“ dokumentiert die Kindertheatergruppe im Flüchtlingslager Jenin, die von Arna Mer Khamis gegründet wurde. Ihr Sohn Juliano hat sie während der Theaterarbeit von 1989 bis 1996 mit der Kamera begleitet. Während der zweiten Intifada ist er wieder nach Jenin gefahren, um zu sehen, was aus den damaligen Kindern geworden ist. Ashraf wurde bei einer Straßenschlacht getötet, Yussef hat ein Selbstmordattentat in Israel begangen und Alla leitet eine Widerstandsgruppe.

7.4., 20.00, Traumfabrik, Eintritt frei

Arna’s Children
Regie Juliano Mer Khamis, Danniel Danniel, ISR/NL/PS 2003, arab./hebr. mit deutschen Untertiteln 84 min

Apr. 2011 | Heidelberg, Allgemein, InfoTicker aktuell, Junge Rundschau, Zeitgeschehen | Kommentieren