Amt, das war ursprünglich einmal die nachträgliche Bestätigung einer vorhandenen Begabung (Charisma). Das hat sich, in der Kirche zumal, längst geändert. Hier ist ein System von Über- und Unter-Ordnung im Amtsgefüge entstanden, das jedem seinen eigenen Spielraum garantiert.
Die Entstehung einer Amts-Hierarchie in der frühen Kirche ward langsam: Zwar gab es einen als Nachfolger des Petrus mit besonderen Vollmachten ausgestatteten Bischof bereits im Jahr 140; doch erst 300 Jahre spater wird aus diesem Amt der immer Recht habende, mächtige Papst. Im Lauf von Jahrhunderten hat sich die mittelalterliche Hierarchie entwickelt.
Martin Luther hat versucht, den starren Amts-Mechanismus aufzulösen, indem er das „allgemeine Priestertum aller Gläubigen“ wieder in den Vordergrund stellte. Das bedeutet: jeder kann die geistlichen Amtshandlungen wahrnehmen und Seelsorge üben – jedoch gleichsam nur „privat“. Im öffentlichen Bereich sollte der „rechtmaßige“ Amtsträger auch weiterhin Vorrang behalten – „um den ordentlichen Ablauf der kirchlichen Amtshandlungen zu garantieren“. Da liegt es natürlich in der Natur der Sache, dass nach einiger Zeit dann eben doch wieder der Amts-Mechanismus über die allgemeinen Christen-Rechte gesiegt hat.
Amt „direkt von den Aposteln“
In Folge entstanden neben der ursprünglichen Amtshierarchie flugs neue Hierarchien. Zur Qualitatsbestimmung berufen sich die alten Kirchen auf die in ihnen geltende apostolische Sukzession – also darauf, dass ihre Ämter durch Handauflegen direkt von den Aposteln haben abgeleitet werden können. Die übrigen – aber solche Kontakte nicht verfügenden – Kirchen qualifizieren ihre Ämter nun durch die Ordination, die gleichsam den Betreffenden lebenslanglich autorisiert, Rechte und Pflichten eines Amtes wahrzunehmen. Damit stehen – nach Luthers Lehre jedenfalls – Amt und Gemeinde in einer Wechselwirkung, die besagt, es jedenfalls sollte: das Amt gibt und die Gemeinde empfängt, die Gemeinde trägt den Amtsinhaber und dieser dient (!) ihr. Soweit die Theorie. In der Praxis regieren das Pfarrerdienstrecht, die Behörde und der Bischof.
Solange die Gesellschaft auch draußen vor der Tür patriarchalische Strukturen ertrug, kam es keinem der Schäfchen in den Sinn, unter der Kanzel aufzumucken. Je mehr aber die Schafe sich draußen demokratischere Rechte erkampften, desto auffalliger und belastender wurde den Schäfchen das autoritare Amt in der Kirche.
Bald sollte es in seiner historischen Gestalt nicht mehr funktionieren, wurden nun auch in der Kirche demokratische Krumen verteilt, wurde etwa so demokratisiert, dass die Gemeinde ihren Pfarrer unter Pfarrern wählen durfte – ein Vorgang, der nicht einmal mählich zu einer wirklichen Mitbestimmung geführt hat. Kann man aber überhaupt demokratisieren, was in der Grundstruktur (sagen wirs mal nett) monarchisch angelegt ist?
Demokratische Monarchie?
Immer noch verläuft eine unüberschreitbare Grenze zwischen oben und unten. Oben wird befohlen, angeboten, kontrolliert. Unten wird gehorcht, ausgeführt, empfangen. Eine Wechselwirkung ist nicht vorgesehen. Dies wird zwar seit Luther immer mal wieder zu durchbrechen versucht – wir tun das immer mal wieder auch. Am Herrschaftssystem durch Ämter hingegen ändert auch eine Sprache nichts, die regieren als „dienen“ und steuern als „helfen“ bezeichnet.
Klagten wir heute aber unmündige Gemeinden, so ware das ungerecht; durch Jahrhunderte nämlich war Gemeinde lediglich Ziel-Ort kirchlichen Handelns, nicht aber Gesprachs-Partner. In vielen Gemeinden in Heidelberg und anderswo wurde und wird versucht, diesen Zustand zu ändern. Dazu aber waren Einübungen nötig, zu der nicht nur ein echter Frei-Raum für die Gemeindeglieder gehörte, sondern auch eine grundsätzliche Gestaltungs-Freiheit, gegebenenfalls auch gegen vorhandene Ordnungen, und erst recht, wenn sich ein (evangelischer) Gemeindepfarrer über – beispielsweise – die Grundordnung der Landeskirche Baden unverdrossen hinwegsetzt.
Laienvorstellungen nicht durchsetzbar
Nur wer wirksame Rechte hat, wird auch bereit sein, sich zu engagieren. Heute dagegen ist kirchliches Gemeindeleben charakterisiert durch die Vormacht einiger und durch die Hilflosigkeit und das Desinteresse der übrigen. Die Maschinerie ist derart kompliziert, dass sich Laienvorstellungen kaum durchsetzen lassen. Es ist alles vorbestimmt, vorproduziert, vorgeplant, vorarrangiert. Und dann ist da noch das theologische Defizit der Laien; von amts wegen läßt sich alles nicht Genehme als „theologisch unerlaubt“ abqualifizieren. Das Amt ist wie eh und je unangreifbar geblieben.
Traum von Kirche? Der Kirche Alptraum!
Wer Kirchenbilder betrachtet, die den auch schriftlich überlieferten Zustand vor 300 – 400 Jahren festgehalten haben, mag sich darüber wundern, was da alles in einem Kirchenraum möglich war. Ein langgestreckter Raum hatte an einer Seite einen Altar. Dort wird gerade eine Messe zelebriert. Gleichzeitig konnte eine an eine Saule gelehnte Mutter ihrem Kind die Brust geben, konnten sich Paare umarmen und es konnten Menschen im Gesprach beieinander stehen.
Wirkliches Leben ausgeschlossen
Zuzeiten war Kirche Lebens-Raum für alle und alles. Das änderte sich, als neue Lebensräume angeboten wurden. Nun wird Kirche zu dem, was sie seitdem geblieben ist: zu einem Ort für nur noch das geistliche Angebot. als sich das tägliche Leben aus den Mauern der Kirchen zurückzog, hörte die Kirche auch auf, sich um dieses tägliche Leben zu kümmern. Das ging hier in Heidelberg so weit, dass nicht einmal Fenster (die Schreiterschen Entwürfe für Heiliggeist) in der Kirche vorzukommen hatten, die sich mit wirklichem Leben beschaftigen, mit Physik, Literatur, Musik, Computern, Medien, Ökonomie, Chemie, Biologie, Medizin und Verkehr. Das aber hatte nach Meinung der Straße in den kirchlichen Gremien außen vor zu bleiben.
Stattdessen beschäftigen sich die (eine großartige Künstlerin, die eben halt ihre Vorgaben hatte) Hella Santarossaschen Fenster mit den vom Gemeindepfarrer vorgegebenen und nicht nachvollziehbaren Dingen hinter den Dingen: Gottes Geist allüberall und so weiter.
Wer mittelalterliche Predigten mit heutigen vergleicht, spürt schnell den Unterschied: Seel-Sorge hat sich von der Leib-Sorge getrennt. Der Verlust all dessen. was den Alltag ausmacht, hat die Kirche „vergeistigt“ und das Amt verabsolutiert, doch gleichzeitig reduziert auf einen nur ganz kleinen Bereich des menschlichen Lebens. Die fortgehende Aushöhlung der regularen Gemeinde-Veranstaltungen lässt vermuten, dass die Unzufriedenheit mit dem kirchlichen Angebot anhält. Der Mensch unserer Tage „braucht“ nicht, was Kirche anbietet. Schon gar nicht „braucht“ er Amtsträger, die – gleichsam als Gottes Stellvertreter – Wahrheiten verkündigen, die „nutzlos“ scheinen. Er sucht vielmehr eine Heimat, wo er gut aufgehoben ist. In den alten Kirchen muss das möglich gewesen sein, muss es charismatische Prediger gegeben haben, sonst hätten sie keinen Zulauf gehabt. Die Urchristenheit hat ihre Ämter aus der Praxis entstehen lassen. Ob aus der Praxis heute neue Formen neuer Ämter entstehen können?
Zu guter Letzt
Zugegeben, es gehört schon zum guten Ton unter intelligenteren Christen, an der „Amtskirche der Gegenwart“ kein gutes Haar zu lassen und sie an der „Kirche, wie Jesus sie wollte“ und in seiner Person vorlebte, zu messen. Großzügig aber wird dabei darüber hinweggesehen, dass Jesus weder eine Kirche noch ein Amtspriestertum, noch und schon gar nicht ein Papsttum gestiftet oder begründet hat. Der allseits in christlichen Kreisen zu hörende Ruf „Zurück zur Praxis Jesu“ und die nicht minder vernehmbare Forderung eines „Rückgriffs auf ursprüngliches Christentum“ beinhalten fundamentalistische Leerformeln, die von vornherein die Illusion vorgaukeln, die Praxis Jesu und das ursprüngliche Christentum seien etwas entrückt und unantastbare Ideale gewesen. Die Amtskirche wird übrigens diesen „Fundamentalisten des vollkommenen Anfangs“ trotz aller von diesen geäußerten Kritik an ihr heimlich dankbar sein. Denn für viele denkende Christen ist der Glaube an das ursprünglich vollkommene Christentum das einzige Mittel, die einzige Möglichkeit, noch in der Kirche zu bleiben und wider alle Hoffnung auf eine innerkirchliche Reform dennoch darauf zu warten. Eine emotionale Identifizierung ihrer Mitglieder ist der Amtskirche in diesem Prozeß so wichtig denn auch wieder nicht, sie hat in ihren Reihen sogar ausdrücklich bekennende Atheisten, die aber auf ihre Loyalitat der Kirche gegenaber Wert legen. Das bringt auch heute noch gesellschaftliche Vorteile. Und, zu guter Letzt, hat das falsche Bewußtsein das Verdienst, vom richtigen entlarvt werden zu dürfen. So gesehen trägt es – trägt (in aller gebotenen Bescheidenheit) alleweil auch Jürgen Gottschling – bei zur fortschreitenden Erleuchtung der immer finsterer werdenden Welt