Immer mehr Menschen resignieren, lassen alle Utopien und jede Hoffnung fahren, meinen, sie würden „doch sowieso“ an der Realität zerschellen.
Aber, ist es nicht doch eigentlich so, dass nur wer Unmögliches will, das Potential des Möglichen auszuschöpfen in der Lage ist?
Wahrlich: Wehe einer Welt ohne realitätsüberschreitende Utopien! Wehe aber einer Welt ohne realitätsanerkennende Analyse!Aus Martin Luthers 1. Oster-Predigt Matthäus 28,1-10: „Weil das heutige Fest den tröstlichen und fröhlichen Artikel unseres Glaubens uns vorhält, wie wir bekennen, Christus ist am dritten Tag wieder auferstanden von den Toten; so ist es nötig, daß man zuerst die Geschichte auf das einfältigste fasse und wisse, und danach auch lerne, wozu solches geschehen und wie wir es genießen können.“ Wir hingegen – mein lieber Martin – wollen das nicht ganz so einfältig fassen, genießen das auf unsere Weise und lesen dennoch (gerne) in den Sprüchen Salomos:

„Wo keine Verheißung ist, wird das Volk wüst und wild; aber wohl dem, der auf die Weisung achtet!“
Die da aber immer nur das (was immer das auch sei) „Gute“ wollen, verfehlen doch beinahe zwangsläufig das Bessere. Wer aber das Wirkliche mit dem Möglichen verwechselt, betrügt sich um die Perspektive. Wer nämlich nicht zu überschreiten bereit ist, was ist, wiederholt stets das, was schon war.

W i r  Bergprediger nämlich verstehen uns als Wegbereiter in eine neue Welt, die Mut machen, nicht stets das zu wiederholen, was schon war, und nicht erneut mit aller Kraft in Sackgassen zu rennen, sondern einen, den „neuen Weg“ auch wirklich zu wagen.
Setzen wir uns auf eine Bank auf dem Philosophenweg und fordern denkend, unsere Predigt  jedenfalls fordere keine Duldermoral. Sie sei und  ist unserem natürlich, aber auch dem Glück der anderen verpflichtet. Zunächst acht Glücksversprechungen für Menschen, die anders leben, denken und fühlen, als es die Gewalt-Konkurrenz-Welt ihnen vorschreibt, Menschen, die aus Mitgefühl für andere leben. Ein Text für Verlierer – sofern man sich der Gewaltlogik der  Zentralgewalt oder der Vergeltungslogik der „Herrschenden“ unterwirft. Die Sanftmütigen, Gerechtigkeits-Hungernden, die Barmherzigen, die Offenherzigen, die Friedfertigen – wir preisen sie. Und es werde ihnen Gelingen zugesprochen – wobei Verfolgtwerden und Scheitern nicht verschwiegen werde. Aber, wer so zu leben versteht, der werde – wir kennen das aus der anderen Bergpredigt – „Salz der Erde“, „Licht der Welt“ genannt. Wer so zu leben versteht, dessen „Licht soll leuchten vor den Leuten“.

Ausdrücklich warnt ja auch  d e r  Bergprediger vor dem Schätzesammeln und der Sorge, vor der Illusion, durch mehr Dinge mehr Leben zu bekommen. Man kann nicht zwei Herren dienen, sondern nur einem; Die Grundsorge des Menschen um Essen, Trinken und Kleidung wird ernst genommen, aber nicht so wichtig, dass man damit täglich seine Gedanken- und Gefühlswelt besetzt, sich von Sorge zerfressen läßt, sondern in jener vertrauensvollen Kreatürlichkeit lebt, daß die Erde genug habe – genug hätte jedenfalls – für jeden. So, wie die Lilien auf dem Felde selbstverständlich leben, aufwachsen, blühen und verwelken! Lernt von den Vögeln am Himmel! Lernt von den winzigen, emsigen, fröhlich schilpenden Sperlingen!

Nach der neuen Gerechtigkeit, nach dem großen Ziel des humanen Ausgleichs zwischen allen zu trachten, nach der vollendeten, nach der installierten Gerechtigkeit, in der jeder das Seine tut und jeder das Seine bekommt; wo alle auf dieses große Ziel hin leben, werden auch die kleinen Dinge uns zufallen: Leistungsgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit seien keine Gegensätze mehr.
Lebt nicht sorglos in den Tag – aber lebt ohne Sorge vor dem morgigen den heutigen Tag, ganz und gar. Freut euch an ihm und trefft in eurem Handeln Vorsorge, daß es den nächsten Tag geben kann. In großem Zutrauen.

Die Lebenshaltung, die aus unserer Bergpredigt spricht, geht den Lebenshandlungen voraus. Wer sie auf einen Moralkatalog hochfahrender Sätze reduziert, hat dies nicht verstanden. Leben, das sich selbst gewinnen will, ist etwas anders als Leben, das auf einen Gewinn orientiert ist. U n s e r e  Bergpredigt will einsehbar machen, dass man nicht nur für sich selber (und in sich selber) ein „guter Mensch“ sein kann, sondern alles auf das verändernde Handeln von veränderten Menschen zielt. Keine Duldermoral von schlachtbereiten Schafen, sondern sensible, mitempfindende Aktivität, die sich das Leid auch anderer etwas angehen läßt, die sich auch dem Glück auch der anderen verpflichtet weiß – aus einer Haltung inneren Glücks bei allem, was ein Mensch tut. Gläubig oder nicht. Wer den ganzen Luther zu Ostern lesen will, findet hier seine Predigt ganz. Bei der Suche nach dem Kreuz mit dem Kreuz an Ostern und dem Bodenpersonal (das wir nicht sonderlich zu lieben gelernt haben) aber auch dies.

got

Apr. 2011 | Allgemein, Essay, Feuilleton, Kirche & Bodenpersonal | 3 Kommentare