Durstigere als sowohl jene, die sich als demnächstige „Politiker“ als Mappusnachfolger, Minister und Landtagsabgeordnete in Stuttgart wieder- und einfinden werden, durstigere weintrinkende Wasserprediger  als  d i e  Grünen finden sich in der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft wahrlich beinahe nirgendwo. Und, alledem zum Trotz ist alles schlimmer und verlogener gepredigt und nun auch geworden, als wir auch nur zu denken gewagt haben:

Es geht ja nicht allein um die Dissonanz zwischen etwas Sagen und etwas Tun. Oder um Ideal und Wirklichkeit. Oder Fundis und Realos. Whatever. Es geht um nichts Geringeres als die Umdeutung des Politikbegriffs. Politik, mochte man doch gerne denken,  sei die Sphäre gesellschaftlichen Handelns. Die Grünen machen was anderes draus. Grüne Politik, das ist die Sphäre des gesellschaftlichen Fühlens. Darin besteht das Neue dieser “Partei”. Als Partei müsste sie deshalb (deshalb?) tatsächlich in Anführungszeichen einherkommen. Alles Handfeste, Zielbezogene, Wirklichkeitsgestaltende, das so eine Partei ausmacht: Die Grünen haben das nicht, brauchen das nicht, wollen das nicht. Es ist nicht das Ihre. Ihr Ziel nämlich ist nicht die bessere Wirklichkeit, sondern das bessere Gewissen. Ihr Trachten gilt nicht dem Tun, sondern dem vor- und nachherigen Ausdeuten des Tuns;  zur politischen Richtung erhobene Hermeneutik zur politischen Richtung erhoben. Schade, dass es eben gerade drum keine Richtung mehr ist. Gewiss, die (wir) Sozis haben mit der Sorte Opportunismus angefangen, aber gegen die Grünen sind sie, nunja, Greenhorns. Die Grünen nämlich haben dem Opportunismus eine ganz neue Qualität verliehen.

Der Opportunist weiß, daß er seine Haltung um seines Vorteils Willen verrät. Bei den Grünen ist dieser Verrat das Ziel. Wir haben lange gerätselt, ob es sowas wie “Akrasia” („Handeln wider besseres Wissen“) überhaupt geben kann. Nun, es ist vielleicht nicht rational begründbar, aber dass es machtvoll existiert, beweisen die Grünen. Und ihre Wähler!

Mappus ist weg. Halleluja … Wir drehen das Ding: "Dreimal drei ist neune, Ihr wißt schon, wie ichs meine!

Was wir als selbstverständlich erachten, schätzen wir gerade oft. Und viel zu wenig! Die “verkrusteten” Parteien haben (für nicht genau Hinschauende) den Vorzug der Tradition. Viele Wähler, die weder Zeit noch Lust haben, Parteiprogramme zu lesen, haben ein – mehr oder weniger exaktes -Bild von Sozialdemokratie, von den Christdemokraten, den Freidemokraten, inzwischen sogar von den Grünen. Sie wissen aus der Vergangenheit, was sie – ungefähr zumindest – von diesen Parteien zu erwarten haben und was nicht. Dass die SPD zu grünen Wasserträgern mutieren würden, wohl in der Tat eher nicht. Nun, sie sind es!

Soweit, so schlecht (wir in Heidelberg kennen das widerwärtige Spiel ja bereits). Alsdann, Wähler wissen, wer Konrad Adenauer oder Willy Brand war. Für wohlinformierte Wähler mag dies wenig zählen. Für die Mehrheit aber bedeutet dies viel. Tradition kann Orientierungshilfe bieten.

Nur wo Tradition entsteht, kann auch politische Kultur wachsen. Als die Grünen gegründet wurden, wollten sie den verhockten Altparteien zeigen, was eine richtige Partei, was eine neue politische Kultur ist. Was aber dabei herauskam, waren und sind schauerliche Exempel politischer Unkultur, vor allem beim Umgang zwischen den neuen Parteifreunden. Macht war (vorgeblich) verpönt, mithin brauchte man den Umgang mit der Macht nicht zu lernen. Das Ergebnis war abschreckend. Dass die Grünen nun dabei sind, eine “normale” Partei zu sein, hat nichts mit feiger Anpassung zu tun. Politische Menschen haben den Unterschied zwischen sozialer Bewegung und einer Partei kapiert.

Die Grünen auch. Jutta Ditfurth, immerhin eine der Grüngründerinnnen, hat das jedenfalls schon rechtzeitig begriffen.

Jürgen Gottschling

März 2011 | Allgemein, Sapere aude, Zeitgeschehen | 7 Kommentare