Die Landtagswahl in Baden-Württemberg steht vor der Tür, und wir dürfen uns, uns tröstend getrost damit beschäftigen, dass man wirklich nicht alles wollen könne, was man vorgeblich haben kann. Gibt uns diese Wahl, geben uns Wahlen überhaupt irgendeine Freiheit? Handlungsfreiheit etwa, als Tun- und Lassenkönnen, was man will? Was aber eben leider dann doch nicht gerade schon die Willensfreiheit einschließen würde – als Wollenkönnen, was man will. Dennoch: Gehen S i e zur Wahl. W i r hingegen versuchen Ihnen im Folgenden (versprochen), Ihr Kreuz mit dem Kreuz noch schwerer zu machen, als es ohnehin – zu sein scheint! Und (Überraschung?) eine Wahlempfehlung haben wir auch für Sie …
Ambitionen in bescheidenen Grenzen!
Wahlkämpfer machen den Eindruck von (wenn auch brav gescheiteltweißzahnig- hinterwäldlerischen) Raufbolden, die in unserem demokratischen Staatswesen (mit Ambitionen in freilich eher bescheidenen Grenzen) gegeneinander antreten. Durch einen unverändert außergewöhnlich erhalten gebliebenen Umstand kann das Streben, die absolute Mehrheit in der Regierung für vier Jahre lang zu erhalten, derart extreme Formen annehmen, dass alles, was unsre Erde überhaupt zu bieten und je zu bieten hatte, von ihnen aufgeboten wird. Derweil im Zuge der Propagierung eines politischen Weltbildes zwischen Alltagsgeschehen und dem Sinn der Geschichte eine Verquickung hergestellt wird, die – in ihrer entweder marxistischen, liberalen, nationalen oder gar kosmopolitischen Ausprägung – dem Politiker die geradezu göttliche Verantwortung überträgt, die Schöpfung nachhaltig zu bewahren, fortzuführen oder zu korrigieren.
Was ist eine politische Vision der Welt?
Zunächst von der Vorstellung v o n der Welt. Zu ihr gehören ein Sehender und eine „Sicht“; sie bestimmen einen idealen Ort, einen „Blickpunkt“, von dem aus der sichtbare Teil der Welt sich einem “richtig“ – oder auch „politisch“ – eingestellten Auge darbietet. Sind doch schließlich die Fragen, denen sich Politiker zu stellen haben, ihrem Wesen nach nicht ausschließlich politischer Natur. In der Glotze, auf Plakaten und auch sonst allüberall sind doch zumindest scheinbar Produktionsweise und Warentausch (politische Ökonomie) sowie der Nutzen der Umwelt in Zeit und Raum (Öko? – logisch!) immer mehr zu Kernfragen der ideo-logischen und wahlpolitischen Auseinandersetzungen geworden. Nachdem „die Politik“ die Welt als „Ganzes“ zum Streben und Ziel ihrer Mühe bestimmt hat, wurde um der Einfachheit halber eben alles zum Politikum.
Den längsten Glanz, haben sich Staaten – wenngleich ohne besondere Voraussetzungen wie etwa Staatsvolk oder Staatsgebiet – die Republik Rom und die Republik Venedig erhalten. Deshalb vielleicht, weil Rom und Venedig ihren Regierungen lediglich eine ganz kurze Frist gaben, höchstens zwei oder drei Jahre. Das war einerseits zu kurz, um viel zu verändern; es war aber auch zu kurz, um viel zerstören zu können, zu kurz auch für die ganz große Tat; aber lang genug als Stück einer Kontinuität, die auf Bestand und Wahrung abstellte. Drohten Not, Krieg oder Aufstand , konnte man – begrenzt auf den Notfall selbst – einem akzeptablen Mann ein längerfristiges Mandat geben. Aber halt nur dann. In parlamentarischen Demokratien, in der unseren etwa, wo Dutzende von Leuten das politische Handwerk von Berufs wegen betreiben, wäre der rasche Wechsel an der Spitze nicht schädlich, sondern eher von Vorteil. Wie beruhigend doch, wenn kein Minister oder Ministerpräsident genügend Zeit hätte, etwas „zu Ende“ zu bringen!
Monarchistisches Prinzip & Richtlinienkompetenz?
Müssen wir all dies aufgeben, das monarchische Prinzip etwa, das hierzulande ja immer noch als Richtlinienkompetenz weiter lebt? Es verschwänden doch dann die großen Frauen und Männer aus der Regierungsspitze, in die, wie im alten Rom und Venedig, eine Beinahe-Anonymität einkehrte – die großen Heroen und Legendenstifter beider Staaten waren nur selten Inhaber einer normalen Verfassungsposition. Brauchen wir sie aber wirklich, die „großen“ Frauen & Männer, in einer Weltlage, deren prinzipielle Veränderung nur als Wendung zum Schlechteren hin wahrscheinlich ist? Nur kurze Zeit amtierende Politiker, die nicht beliebig wiedergewählt werden können, müssen nicht um die Wiederwahl kämpfen, müssen nicht um jeden Preis populär sein, ozeanische Projekte entwerfen, Wähler mit Zuwendungen ködern, die sie ihnen aus der Tasche holen. Der Politiker Pflichtgefühl kann sich darauf richten und beschränken, das Wenige richtig zu tun.
Kurze Amtszeiten könnten der regionalen Gewaltenteilung von Bund und Ländern die temporale hinzufügen – das würde einem Volk wohltun, das gut verwaltet, aber nicht beherrscht sein will. Das alles ist natürlich utopisch. Aber nicht, weil es unmöglich, sondern weil es vernünftig ist.
Politik, was ist das?
Nehmen wir ein Lexikon! Poliermittel, Politbüro, Politik: „Kunst der Staatsverwaltung“ – und die alten Griechen, die haben Politik nur „normativ im Sinne einer Lehre von der rechten Ordnung des Gemeinschaftslebens“ verstanden, „der Mensch war Gemeinschaftswesen und konnte nur im politischen Verband zur Erfüllung seines wahren Wesens und zur Verwirklichung eines tugendhaften Lebens gelangen“. Heute aber wird die Politik als „Kampf um die rechte Ordnung“ verstanden.
Was fällt uns zu alledem ein?
Der Begriff der Verwahrlosung entstammt einer älteren Theorie. Die neuere spricht von präkonventioneller und konventioneller Moral. Die Maxime des Handelns ist: du darfst alles tun, du darfst (wir erinnern uns) dich bloß nicht erwischen lassen. Was den Akteur kontrolliert, ist also Strafangst statt der des Gewissens. Wird der Täter erwischt, sucht er sich durch Leugnen, Umdeutung der Beweise und endlose Ausflüchte zu entziehen. Er hat kein zusammenhängendes inneres Bild seiner Handlungen. Er möchte sie in eine unendliche Vielfalt sozialer Aspekte auflösen.
Psychoanalytische Texte pflegen darauf hinzuweisen, dass sich Verwahrlosung keineswegs nur bei Kriminellen findet oder bei „Pennern“, deren Outfit schon „entsprechend“ ausschaue. Man müsse stets auch (und besonders) auf Rechts- Staatsanwälte oder Ärzte oder Lehrer oder Richter oder Politiker gefaßt sein, die in diesem Sinne ohne Gewissen handeln, ohne Über-Ich, sondern sich nur noch nach sozialen Gelegenheiten respektive Kontrollen orientieren.
Was die Politiker angeht, so boten uns Dr. Kohl und seine Bimbes-Gesellen ja ein geradezu erschütterndes Schauspiel im Hinblick auf ihre Verwahrlosung. Eigentlich haben sie ja nichts Unrechtes getan – aber, sofern sie etwas Unrechtes getan hätten haben sollten, nehmen sie das auf sich -, im Übrigen aber verfolgen diejenigen, die ihnen unrechtes Tun vorwerfen, ja doch bloß ihre eigenen dubiosen Interessen, die freilich, von welcher Gegenfraktion auch immer, sogleich schonungslos aufgedeckt wird.
Die Wirklichkeit spult sich ab …
Als Gegenbild zur opportunistischen Politikerseele gelangt ein Ideal von Prinzipienfestigkeit ins Spiel, das eigentlich aus der Religionsgeschichte stammt: der Märtyrer, der für seine Überzeugungen stirbt. Sie gehen ihm über alles, und so kann er – wofür zahllose Exempel vorliegen – in der Politik beinahe noch mehr Unheil anrichten als der Verwahrloste.
Es ist einer organisierten Politiker-Persönlichkeit nahezu unmöglich, in jedem Augenblick ausschließlich dem Über-Ich zu folgen; die Spannung des Schuldgefühls, das aus den fortlaufenden minimalen Übertretungen resultiert, nötigt zum intelligenten Weitermachen, und das ist eine komplett andere moralische Organisationsform als die Verwahrlosung, der es bloß darauf ankommt, dass Unkorrektes sozial unbeobachtet bleibt. Zur Not wird die Festplatte gelöscht – kann ja mal passieren.
Volk ist out, Staat ist sexy
Gemeinsinn und „aktivierendem Staat“, die allen Protagonistenn und der ganzen Welt als politische Verjüngungskur verschrieben sein möchte, versprach Übersichtlichkeit im Unübersichtlichen, persönliches Ethos statt bürokratischer Bevormundung.
In der Neuen Gesellschaft beschwören Wahlkämpfer die Wiederkehr des Politischen, die geistig-moralische Führerschaft und ein Land, das stark genug ist, die Sozialstaatsbürden Stück für Stück auf die Zivilgesellschaft abzuwälzen. Das unpolitische Bild, das er gleichzeitig von dieser Gesellschaft zeichnet, paßt zur neuen Idee vom Staat, der erhaben über allen Klassen, Parteien und Interessen schwebt. Die Jungen helfen den Alten, die Unternehmer stiften, die Nachbarn üben sich in Früherkennung krimineller Energie, und der Staat hilft der bürgerlichen Moral, wo sie ihre Eigenverantwortlichkeit noch nicht erkannt hat, mit „guter Polizey“ (Hegel) auf die Sprünge – schöne neue Welt …
Und nu?
Wahrlich, ich aber sage Euch: Gäbe es keine Politik, so hätte der Bürger doch nur noch sein Innenleben, also nichts, was ihn ausfüllen könnte. Aber, ist Politik wirklich die einzige Art und Weise, aus einem Untertanen einen Bürger zu machen? Oder ist das vielleicht doch nicht die Politik, sondern zu guter Letzt die Demokratie, die den Untertan an der Macht, am Recht und an der Herrlichkeit beteiligt? Fragt sich aber, mit der Demokratie von wem. Oder was? Da gilt es schon einen klaren Blick zu haben. Und zu behalten. Und am 27. März in Baden-Württemberg richtig zu wählen.
Es genügt nicht, zur Wahl zu gehen. Es gibt – was Wunder – auch einiges bedenkenswertes zu bedenken. Wer am Sonntag „ROT“ zu wählen beabsichtigt, sollte lieber gleich (Augen zu und durch) das Original „GRÜN“ ankreuzen. Sicher ist es nämlich nicht nur in Heidelberg so, dass sich die sogenannten Roten – „meine“ – SPD also – in peinlichster Weise den Grünen zu populistischem Neinsagen anbiedert. Zwar wäre es durchaus mal interessant, Grün zusammen mit der SPD in einer Regierungsmitverantwortung sich winden zu sehen. Jedoch bleibe uns dieses Desaster bitte dann lieber doch erspart. Wir empfehlen (trotz Vielerlei und Alledem) FDP zu wählen, um Mappus eine möglichst starke und ja, liberale innerkoalitionäre Opposition bieten zu können. Und, wir in Heidelberg müssen Annette Trabold zu wählen kein Problem haben.
Wir kennen sie seit vielen Jahren als journalistischer Begleiter von Gemeinderatssitzungen als kompatibel, kompetent, streitbar. liberal und – vor allem – als ehrlich. Grün – Rot in Stuttgart, das wäre ähnlich desaströs, wie die „Neue Mehrheit“ in Heidelberg.
Jürgen Gottschling
23.März.2011, 23:18
Nun, das war ja im obigen Kommentar ein sehr langer ethisch-besinnlicher Diskurs-Anlauf, um dann ein dünn gezwirbeltes „Trabold, wir wählen Dich“ auszurufen. Dabei fällt am Ende, im letzten Satz, die Zuordnung von Eigenschaften auf, gegen die man/frau natürlich kaum was aufbieten kann: Kompetent, streitbar, ehrlich. Das ist ja erste Sahne!
Was aber ist eigentlich mit „kompatibel“ gemeint. Kompatibel meint doch austauschbar, verwechselbar! Soll Frau Trabold, wenn sie in den Landtag kommt, alsbald ausgetauscht werden? Wohl nicht. Ist vielleicht flexibel gemeint, aber wie flexibel dann? Oder ist die Politikerin so verwechselbar, dass man sie in ihren Reden und Entscheidungen nicht so recht erkennt? Vielleicht, aber dann könnte man ja auch anders wählen.
Nein, ich denke, hier ist versehntlich die Wortwahl missraten…es sei denn, man stellt sich vor, dass Frau Trabold wirklich bald im Landtag sitzen könnte (so es denn so kommt, was noch füglich zu bezweifeln ist) und, wer weiß, dabei immer mehr zur klassichen FDP und deren ständischen Denkmustern hin mutiert, was der Dame in Heidelberg im Gemeinderat eher nicht passierte, wie mir scheint. Das wäre dann doch ein Grund, sie nicht zu wählen, denke zumindest ich. Einer unter mehreren!
Wie auch immer, wir haben ja Gott sei Dank Wahlfreiheit und warum sollte ich jetzt allzu geharnischt gegenüber Argumentierern das Wort ergreifen, die mit einer Art von Notstandston der Aufgeregtheit mal das Lagerchen wechseln – sozusagen vom Zirkuszelt zum Campingplätzchen.
Denker, die lange Zeit dachten, die SPD wäre okay. Bis sie merkten, dass die gar nicht mehr so okay ist. Und die vielleicht eines Tages merken werden, dass auf der „Packung FDP“ zwar mit „frei“ etikettiert wird, aber bitte-gerne-danke „wirtschaftsliberal“ immer drin im Paket ist. Und Ehrlichkeit? Na ja! Wahlversprecher sind auch bei der FDP nicht selten Wahlversprecher.
Macht nichts, mag der Denker nun entgegnen. Die Wirtschaft muss ja funktionieren. Also den „Schwarzen“ ein bißchen gestärkt koalitionär auf die Finger schauen (siehe Beitrag oben), aber sonst alles so lassen wie es ist.
Nö, man verzeihe, aber da fliegt mir doch das Blech weg. Darf´s ein bißchen mehr sein, bitte?! Wandel sollte schon her angesichts von Atomkursdesaster, Stuttgart 21 und unnötig scharfer sozialer Schieflage, um nur die Hauptanliegen aufzuzählen.
Wenngleich wir bei all dem auch immer bedenken sollten: die meisten Politiker und auch Politikerinnen geben sich dem Anschein hin und präsentieren sich, als könnten sie die Dinge noch gründlich richten, während sie die oben im Beitrag angesprochene „Richtlinienkomptenz“ im Kleinen schon längst an andere Einrichtungen, insbesondere die globalen Player, die Vorstände großer Konzerne und die Chefs von Großbanken und Hedgefonds abgegeben haben.
Die Richtlinienkompetenz als Weiterführung der Monarchie mit anderen Mitteln anzusehen (wie oben im Beitrag geschehen, ich hoffe, ironisch!) ist insoweit, aber nur insoweit, nicht einmal ein so sehr abwegiger Gedanke. Aber so war es ja nicht gemeint und insofern ist das zitierte historische Kontinuitätbeispiel auch wieder zu vermasselt – gerade wenn man bedenkt, dass die Grundgesetzväter diese Kompetenz aus gutem Grund Ende der 40iger Jahre demokratisch konzipiert haben. Eben nicht als Ermächtigung sondern, als Richtlinienkompetenz.
Am Sonntag früh ab sechs,
macht´s Wahlvolk viele Klecks´.
Am Abend dann um acht,
ist klar, wieviele aufgewacht.
Und später dann beim Wein,
fährt jeder seine Ernte ein.
Ist dann die Wahl vollbracht,
Sag ich erst einmal: Gute Nacht!
Wach ich am Morgen auf,
ist´s Ländle etwas anders drauf.
Beste Grüße
Fritz Feder
24.März.2011, 00:14
Lieber Fritz (für dies Nichtwissende und zum besseren Verständnis: wir beiden haben ein durchaus freundschaftliches Verhältnis). Du bist – wie ich das erwartet habe, voraussehbar auf DIch reingefallen, hast geschrieben, wovon ich ausgegangen bin, dass Du es tätest! Meine Aussage, Annette Trabold wäre, unter anderem: ehrlich, dass ich das geschrieben habe, ist nicht, wie Du geschrieben hast, erste Sahne (definiere), sondern dass sie erste Sahne i s t. Und, dass dem so ist, das kannst Du nicht beurteilen, weil Du nicht wie ich jahrelang für unter anderem den Mannheimer Morgen Gemeinderatssitzungen in Heidelberg abgesessen und Annette Trabold erlebt hast – so nämlich isses!.
Dass Du – googelnder Weise – Dir unter „kompatibel“ rausgefischt hast, was Du Dir rausgefischt hast, verwundert kaum jemanden, der Deine Kommenntare hier wie anderswo verfolgt. Mich mithin auch nicht. Goorgelnd hättest Du aber auch finden können – und das habe i c h gemeint, so bedeutet: „kompatibel“ dialogfähig, interoperabel, vereinbar, verträglich und zusammenpassend zu sein – kapiert? Du Dich auch?
Im Übrigen meine ich in der Tat, Annette Trabold könnte (und ich hoffe das auch) im Landtag sitzen. Was nämlich ja auch zuweilen vergessen wird: Dass es das „Noch-nicht-Seiende“ ist, dass die Menschen antreibt, die Welt verändern zu wollen. Und, Rot-Grün mag ich mir jedenfalls in Stuttgart und anderswo nicht mal auch nur als fiktives Horrorszenario vorstellen
Versuch Du, D e i n Blech fliegen zu lassen, wohin Du willst. Der Geist aber tut das nicht. Meist tut er es immer, jedenfalls tut er es immer mal wieder bisweilen: hinwehen nämlich, wohin e r will!
Noch, zu guter Letzt: wie i c h etwas meine, lasse ich mir von Dir nicht so interpretieren, als hätte ich das so geschrieben oder auch nur so gemeint: Wer ist es, der da „Ermächtigung“ geschrieben hat? Eben! Ach übrigens und zu guter Letzt: Keine transzendentale Idee ist beweisbar; aber gedacht werden dürfen muss sie. Denken nämlich heißt überschreiten
Mit allerbesten Grüßen
Jürgen Gottschling
24.März.2011, 08:47
Lieber Jürgen,
es gibt in Deinem Beitrag diesen Vergleich: Richtlinienkompetenz als Fortsetzung des Monarchischen Prinzips. Ich sagte ja in der Klammer, hoffentlich ironisch gemeint!
Aber meine Frage: Stimmst Du mir zu, dass es besser wäre, zumindest die ausgehende preußische Monarchie des beginnenden letzten Jahrhunderts statt in der Richtlinienkompetenz korrekterweise in der „Ermächtigung“ fortsetzen zu lassen? Denn so war die historische Abfolge ja via Hindenburg und Co.
Und weil es so war, hat man nach 45 die Richtlinienkompetenz als einen Pfeil gegen die Ermächtigung eingeführt. Eben um Monarchischem oder Schlimmerem verfassungsmäßig zu begegnen.
Lass Dir den Begriff und seine Deutung bitte nochmal auf der Zunge zergehen. Es ist doch allerdings inzwischen eher so, dass der Begriff neorealiter einen ganz anderen Gehalt kriegt, nämlich Gesteuertheit und Lobbyismus in der Glaskuppel der Spitzenpolitik.
Darauf, auf den irreführenden Vergleich im obigen Beitrag, wollte ich hinweisen. Nicht mehr, bitte da nichts reinlegen, was nichr eingehört!
Der Rest Deines Kommentars zu Anette Trabold: Geschenkt. Du kennst sie in der Tat besser, aber ich habe ihre Person ja auch nicht unfair behandelt, denke ich. Wir sollten das in Deinem Sinne „interoperabel“ sehen. Der Begriff war mir allerdings bei kompatibel ebensowenig eingefallen wie „verträglich“. Ich dachte nur und ohne zu goooglen (muss man da sjetzt immer?) an: Austauschbar, verwechselbar. Es lebe also die verträgliche, dialogfähige. zusammenpassende und interoperapble Heidelberger Lokalpolitikerin!
Warum nicht: Soll sie von mir aus in den Landtag, wenn Euch das gut tut. Also wählt mal schön….
Mit freundschaftlichen Grüßen
Fritz
25.März.2011, 17:03
Von Rechthabern, „Falschhabern“ und Wahrnehmungsverzerrern, oder:
Was ist das, ein fundamentalistischer Solcher?
Rechthaber und Fundamentalisten machen es sich und haben es einfach, und entsprechend einfach sind auch die Lösungsvorstellungen. Sie glauben, ihr Standpunkt sei der richtige, der einzig richtige.
Wer den Standpunkt teilt, ist Freund; wer den Standpunkt kritisiert ist Feind, Angreifer oder vom Bösen beseelt. Dies gibt ihm das Recht zu verfolgen, zu bestrafen oder zu vertreiben, was anders ist. Der Rechthaber drückt dies mit Worten oder mit seiner Haltung aus: Es hat keinen Sinn dem andern zuzuhören; denn der versteht nichts davon, ist dumm, beschränkt oder stur, unterentwickelt oder hier am falschen Platz. Oft taucht beim Rechthaber auch die Vorstellung auf, der andere wolle ihn absichtlich nicht verstehen oder habe gar Böses gegen ihn im Sinn.
Wenn sie es mit Rechthabern zu tun haben, seien sie nun 3 jährig, vierzig oder andersjärig über 30, zeichnet diese gerade aus, dass sie sich mit Vehemenz an ihren Standpunkt klammern. Im Umgang mit ihnen wird den Gesprächspartnern meist bald deutlich: Es sind ängstliche, unsichere Persönlichkeiten, ein Rechthaber ist nicht einfach ein böser oder egoistischer Mensch: Seine persönliche Sicherheit und die Wertschätzung, die er sich selber geben kann, ist direkt abhängig davon, dass sein Standpunkt nicht ins Wanken gerät. Jede Ritze, die ein Zweifel schlagen könnte, bedroht viel mehr als den geäusserten Standpunkt: Sie würde seine Persönlichkeit, seinen Selbstwert, seine innere Sicherheit erschüttern. Ist etwas nicht mehr so wie es sein muss, immer schon war, ja einfach „so ist und nicht anders“, so gerät er in Angst und Schrecken. Rechthaberei ist ein Defizit an Selbstsicherheit und innerem Halt, das sich umsetzt in ein Klammern an äußere Regeln und Leitplanken, die ihm das sind, was das Seil an steiler Felswand für den Schwindelanfälligen.
Rechthaber können sehr durchschlagskräftig sein, weil die existentielle Angst, die die Verteidigung des Standpunktes beflügelt, als grosses Gewaltpotential wahrgenommen und – je nach Kräfteverhältnis – entsprechend gefürchtet wird. Wer nicht mit sich reden lassen kann, kann nur gewinnen oder verlieren; und dies entscheidet sich nicht an Kriterien der sachlichen Richtigkeit oder dem besseren Argument.
In Diskussionen mit Studenten fiel mir oft auf, dass unter Toleranz reines „laisser faire“ oder sogar Gleichgültigkeit verstanden wurde. Wenn sich wer wehrte, galt das als intolerant. Wenn sich im Unterricht gähnende Leere oder Langeweile in der Diskussion breitmachte, kam meist heraus, dass niemand einen Standpunkt zu vertreten wagte, weil man gelernt hatte, „tolerant“ zu sein.
Toleranz meint aber etwas ganz anderes: Es heißt Aushalten! Aushalten von Spannungen, Aushalten von Gegensätzen, Aushalten von Unverständnis. Nur wer etwas aushalten kann, kann auch etwas aushandeln! Rechthaber halten die Spannung nicht aus, dass etwas auch anders ist oder anders sein könnte, als sie sich vorstellen. Wenn keine Spannungen ausgehalten werden, wird es aber bald einmal langweilig (falsche Toleranz) oder gewalttätig (Auslöschen des anderen Pols). Spannend ist das Leben doch gerade dort, wo nicht alles gleichförmig ist, wo zwei Andersartigkeiten aufeinanderprallen. Dann sieht man mehr und nicht nur beim andern, sondern auch bei sich selber.
Sehr geehrter Herr Feder, weshalb ich dies alles schreibe? Ich denke – nachdem ich vieles von Herrn Gottschling mit großem Vergnügen genossen und auch einige Ihrer Kommentare dazu gelesen habe, meine ich, dass Sie durchaus in die Schublade (!) Rechthaber hineinpassen. Oder, zum Beispiel haben Sie weiter unten nicht die Abhandlung über „Ironie“ gelesen? Dann aber wäre doch Ihre Klammer nicht vonnöten gewesen.
Mit freundlichen Grüßen
R. Buchmann Psychotherapeut SPV/ASP
25.März.2011, 18:12
Sehr geehrter Herr R. Buchmann,
Sie haben mich mit Ihrem bemerkenswerten Kommentar, der – wie ich sehe – schon in anderen Zusammenhängen geschrieben worden ist, in eine Schublade eingepasst, wie Sie selbst am Ende Ihres Beitrags mitteilen.
Ich kenne Schränke oder Kommoden so, dass sie im Normalfall mehrere Schubladen aufweisen. Es wäre interessant zu wissen, ob Sie auch Schubladen haben für andere Beiträger und Kommentatoren/innen, die sich auf dieser Website äußern. Na ja, gut, ich bin ja momentan fast der einzige …
In der Sache und den zweifellos interessanten Details Ihrer Beobachtungen möchte ich Ihnen gar nicht widersprechen, denn dann wäre ich – zumindest aus Ihrer Sicht – sofort ein Rechthaber. Wahrscheinlich bin ich es schon wieder, indem ich allein diese Beobachtung mitteile.
Ein kleiner Hinweis sei mir bei allem Risiko gestattet: Politische und philosophische Diskurse sind keine Therapie-Sessions. Lenin, den ich ansonsten nicht mag, hätte gesagt: Kein „Deckchen-Sticken“.
Mir scheint, Ihnen fehlt ein bisschen die Phantasie, wie interessant, spannend, klärend und anregend ein offener Austausch über Dinge sein kann, die uns gesellschaftlich nahe gehen. Und wo man auch mal ein bißchen deutlicher werden kann. Ich verstehe diese Website genau so.
Zum Schluss: Welche Abhandlung weiter unten über Ironie meinen Sie? Ich verstehe nicht, was Sie da meinen.
Beste Grüße nach Sankt Gallen und in die Schweiz, das Paradies der Therapie
Fritz Feder
26.März.2011, 11:25
Es ist schon nicht einfach diese Wahlempfehlung zu verstehen und ich hatte mir, als Parteisoldat der bereits für vierzig Jahre Mitgliedschaft in der SPD gelobt wurde, vorgenommen lieber gar nicht zu wählen, als diese Partei, die mit fliegenden Fahnen Steigbügelhalter der Grünen geworden ist.
Ein Minsterpräsident Kretschmar ist für mich, und das gilt gewiss für viele „Altgenossen“, ja noch schlimmer als Mappus.
Will denn einer glauben, die Grünen werden Stuttgart 21 nicht bauen? Natürlich werden sie. Natürlich wird sich auch die Diskussion um die Nutzung der Kernenergie neu stellen und es werden dann Abstriche von dem „sofort“ gemacht.
„Mit Kompetenz statt Kumpanei“, so steht es im Wahlaufruf der SPD in Baden-Württemberg. Wer betreibt denn hier Kumpanei mit den Grünen.
Es geht hier doch nur um persönliche Empfindsamkeiten, die Eine SPD-Frau will unbedingt nach Stuttgart, die Ideale der Partei bleiben dabei auf der Strecke, die Andere SPD-Frau wartet schon darauf, in Zukunft die Fraktion im Heidelberger Gemeinderat übernehmen zu können.
Das ist der Fluch der Quote, es geht längst nicht mehr um das Politikverständnie einer Sozialdemokratie, es geht überwiegend um persönliche Interessen.
Nein, für mich ist die SPD hier in unserem Ländle nicht mehr wählbar. Jedenfalls nicht mit dem Personal und unter der Konstellation für genau diese Landtagswahl.
Nach reiflicher Überlegung werde ich natürlich doch zur Wahl gehen, aber mein Kreuz wahrscheinlich mit der Empfehlung von Gottschling verbinden.
Dietrich Tuengerthal
26.März.2011, 11:45
Ja, sehr geehrter Herr Feder, ich habe zu diesem Thema bereits geschrieben, und ich habe einiges davon verwendet. Deshalb, weil mich Ihr Verhalten hier daran erinnert hat. Üblicherweise schreibe ich keine Kommentare im Internet, dies ist das erste Mal. Ich nehme ein Beispiel aus dem letzten Beitrag Jürgen Gottschlings: Er hat geschrieben: „Müssen wir all dies aufgeben, das monarchische Prinzip etwa, das hierzulande ja immer noch als Richtlinienkompetenz weiter lebt?“ Es war m. E. unnötig, alle Stationen hin bis zu diesem Weiterleben hierzulande zu nennen. Eine davon war in der Tat das „Ermächtigungsgesetz“. Jedoch hat Gottschling (richtig, dazu bedurfte es nicht einmal der Ironie) geschrieben „hierzulande ja immer noch weiterlebt als“ – ja, dass das heutzutage hierzulande immer noch „weiterlebt“. Dass Sie das so interpretieren, als wäre es immer noch das Ermächtigungsgesetz, das hat mich zornig gemacht. Und dass Sie dann nicht nur zur Kenntnis nehmen wollten, dass er im Weiteren schreibt: „Es verschwänden doch dann die großen Frauen und Männer aus der Regierungsspitze, in die, wie im alten Rom und Venedig …“ usw. nicht als Ironie an-erkennen wollten, damit stecken Sie sich selbst in diese Schublade, innert welcher ich Sie dann ja nur noch entdecken musste. Oder, noch mal zum Beispiel, meinten Sie ironisch, als Sie Herrn Gottschling „attestierten“:
„ist insoweit, aber nur insoweit, nicht einmal ein so sehr abwegiger Gedanke“. Oder, dass Sie der von ihm empfohlenen Kandidatin immerhin mit auf den Weg geben: „Soll sie von mir aus in den Landtag …“ und Gottschling hat sich nicht mal bei Ihnen dafür bedankt! Also wirklich!
Über Ironie stand nota bene etwas geschrieben zwei oder drei Beiträge unter dem von Ihnen inkriminierten. So weit, so viel. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich diesen „Dialog“ nicht fortführen kann und will. Ich bin derzeit zu sehr beschäftigt.
Ihnen alles Gute, mit freundlichen Grüßen
R. Buchmann
Übrigens kann ich ja als schweizer Bürger gar nicht Frau Trabold wählen. Nach allem aber, was ich von Herrn Gottschling bereits gelesen habe, vertraue ich seinem Urteil und würde es gerne tun können.
26.März.2011, 12:36
Sehr geehrter Herr R Buchmann,
immerhin jetzt auch mal ein kleiner Beitrag Ihrer Seite zur Sache, um die es eigentlich geht, bzw. zu „den Sachen“.
Da Sie den Diskurs aus Zeitmangel nicht weiterführen können, was mich nach Ihrer langen Ersteinlassung schon erstaunt (langer Anlauf, kurz gesprungen…oder wollten Sie bloss wen in die Tonne treten, weil Sie es nicht anders aushalten konnten, obwohl Sie „das Aushalten“ ja gerne couchend empfehlen?), erspare ich mir hier weitere Anmerkungen zu der Deutungssequenz: „Monarchie/Ermächtigung/Richtlinienkompetenz“ und zum Thema „Ironie“.
Gestatten Sie mir aber kurz den Hinweis, dass Sie mich gründlich missverstanden haben, wenn Sie schreiben: „Dass Sie das so interpretieren, als wäre es immer noch das Ermächtigungsgesetz…“. Wäre es so zu verstehen, wie Sie es offensichtlich ausgelegt haben, könnte ich Ihren Zorn durchaus kapieren. Digitale Kommunikation – ein schwierig Ding!
Übrigens: Sie haben mich mit Ihrem Kommentar nicht beleidigt, da bedarf es keines beschwichtigenden Hinweises. Mich hat Ihr Parforce-Ritt durch mein So- oder nicht anders-Sein eher amüsiert. Und ich bin auch nicht sonderlich empfindlich.
Dass Sie als Bürger der Schweiz „gar nicht Frau Trabold wählen“ können, ist mir schon eingängig. Ich hatte das auch nicht behauptet. Verzeihen Sie, dass ich schon wieder recht haben will.
Ende des Dialogs, es sei denn, Sie wollten noch ein letztes Wort….
Good Luck für morgen!
Freundliche Grüße
Fritz Feder