Großen Rummel gab es um eine Veranstaltung in der Stadtbibliothek von Bremerhaven. Dort stellte Colin Goldner gerade seine Thesen zum Dalai Lama und zum tibetischen Buddhismus zur Diskussion. Die Veranstaltung war gut besucht, obwohl (oder vielleicht auch weil) es im Vorfeld Boykottaufrufe gegeben hatte.Der Vortrag hätte bereits vor einem Jahr stattfinden sollen, doch musste der Referent aus gesundheitlichen Gründen absagen. Seinerzeit hatte der Vorsitzende der Bremerhavener Jusos Denis Pijetlovic die Absetzung der Veranstaltung gefordert und Goldners Studie über den Dalai Lama auf perfide Weise in Beziehung zu Hitlers Mein Kampf gesetzt. Diesmal erhielt der junge Mann Unterstützung, wenn auch von für ihn möglicherweise unerwarteter Seite: Die NPD schloss sich dem Boykottaufruf an, hatte an Pijetlovics Ausführungen allerdings zu bemängeln, dass er den völkischen Aspekt nur in Bezug auf Tibet, nicht aber auf Deutschland ausreichend berücksichtigt habe.
Was der Wahlkampfleiter der NPD in Bremen, Jens Pühse, zur Überfremdung Tibets zu sagen wusste, unterscheidet sich interessanterweise nicht grundsätzlich von der Tibet-den-Tibetern-Rhetorik der Tibet-Unterstützerszene, sondern denkt deren Position nur konsequent zuende. Mehr zum Buch:
Colin Goldner: „Dalei Lama – Fall eines Gottkönigs“ Dalei Lama: Bewußtsein ohne Hirn
17.Feb..2011, 23:27
Tja, dieser Colin Goldner packt wirklich heiße Eisen an: Er schimpft wie ein Rohrspatz über Esoterik; den Rudolf Steiner mit seiner Lehre, die in der Waldorf-Pädagogik vertreten wird; über die katholische Mutter Theresa, die radikalen Tierschützer und natürlich über den Buddhismus bzw. den Dalai Lama.
Die ideologische Ecke, aus der das kommt, scheint eine Art versteckter “Marxismus” der besonderen Art zu sein, der im Religiösen den Hauptfeind sieht. Goldner, den ich nicht wirklich kenne (ich habe nur ein bisschen recherchiert), wird gerne als Alt-68er bezeichnet. Dort scheint seine ideologische Prägung zu liegen. Wir erinnern uns an Marx´Diktum: Religion ist Opium für das Volk.
Nun gut, insoweit eine eigentlich spannende Auseinandersetzung. Möge sie fortgesetzt werden!
Dabei sollte aber nicht übersehen werden: Unter dem zitierten Diktum “Opium für das Volk” wurden in der alten Sowjetunion, in China, in Kambodscha, in Albanien und in einigen anderen realkommunistischen Ländern (Kuba bildet da einigermaßen eine Ausnahme) religiös empfindende Menschen, Gläubige also, ausgegrenzt und nicht selten auch brutal verfolgt. Massenhaft! Der (reale) Kommunismus hingegen wurde als Ersatzreligion gepredigt.
Während man im kommunistisch-kapitalistischen China unserer Tage wieder den Konfuzianismus predigt (die Harmonie aller Dinge), hat man dort eine panische Angst vor dem tibetanischen Buddhismus. Da wird seit Jahrzehnten der Goliath mit dem David verwechselt.
Unter den Herrschaftsansprüchen des realen “Kommunismus”, bei dem Marx selbst, der von sich selbst mal gesagt haben soll, er sei kein „Marxist“, sich ein Stück weit im eigenen Grabe umdrehen würde, wurde den Menschen der Glaube an ein Jenseits mit rüden Methoden auszutreiben versucht. Letztlich ohne Erfolg, wie wir zum Beispiel am wieder erstarkten, zum Teil schrecklichen Islam in vielen der früheren Sowjetrepubliken nach dem Zusammenbruch der UDSSR sehen können.
Bei meinen Recherchen zu Goldner habe ich nichts gefunden, was ihn darin auszeichnen würde, auch diese Ersatzreligion, den Realkommunismus, in sein Arsenal der Kritik aufzunehmen. Auf diesem Auge scheint jener Psychologe etwas blind zu sein. All die dschugaschwilischen Potentaten kommen auf diese Weise irgendwie zu gut weg bei ihm.
Der Grund liegt auf der Hand: Goldner optiert philosophisch für Rationalität, jedenfalls das, was er darunter versteht. Es finden sich folgende, etwas ältere Zitate bei ihm: “Irrationalität gehört zum unterdrückten Menschsein.” Und “Ich sehe keinen Unterschied zwischen Glauben und Aberglauben.” (beide Zitate aus der Badischen Zeitung von 1999). Goldners Feldzug richtet sich sichtlich gegen alles, was irgendwie nicht in den Bereich der Vernunft gehört. So als sei die Vernunft selbst immer vernünftig!
Wer aber mit einer zwar faktenreich untermauerten, aber doch auch stark affektiven Gehässigkeit gegen alles, was nach Glauben (Aberglauben?) riecht, zu Felde zieht und zugleich die gewaltsame Unterdrückung des Glaubens im Dienste einer “herrschaftsfreien Gesellschaft”, eben den Realkommunismus, ungeschoren lässt, der übersieht, dass den Menschen das Religiöse ein wirkliches Anliegen ist. Nicht allen, gewiss, aber vielen Menschen. Eine Art anthropologische Konstante, hätte Sartre vielleicht gesagt.
So etwas, so scheint mir, ist ein bisschen gefährlich. Denn es nützt argumentativ denjenigen, die das pure Rationale zum allein selig machenden Momentum machen wollen. Dies aber ist der konzeptuellen Demokratie und ihrer gelebten Lebendigkeit nicht förderlich.
Man verstehe mich bitte nicht falsch: es geht mir nicht um die Verteidigung von Mummenschanz! Ich halte es vielmehr für prekär, wenn legitime Glaubensangelegenheiten von Menschen allzu rasch für Mummenschanz erklärt werden – und dies auch noch aus einer bloß eurozentristischen Kultursicht heraus!
Wir müssen und sollten als bewusste Menschen damit leben, dass neben dem Rationalen auch das Irrationale in der Welt existiert. Und dass es eine gewisse, durchaus legitime Anziehungskraft ausübt. Der Tod, das Nicht-Sein, ist uns allen philosophisch ein Rätsel, auf ihn gibt es unzählige Antworten! Nicht nur eine!
Der Buddhismus, um zu Goldners augenblicklichem Hauptfeind zu kommen, ist eine Religion ohne Gott; eine Religion, die eben gerade keinen “Gottkönig” hervorbringt, wie Goldner titelträchtig in seinem Buch behauptet. Was Goldner als Übel des Buddhismus anprangert, ist gerade die Stärke dieser besonderen Religion. Eine “Bindung” (“religio”) ohne Gottfigur. Ein integraler Glauben, eine Art Pantheismus, der ohne Personifizierung einer Gottheit auskommt. Weder Gott noch Göttin! Anders als der Islam, das Judentum und das Christentum. Im Buddhismus gibt es keinen Gott, es gibt ein Nirwana. Und der getriebene und sich mitunter an falsche Freunde (darunter auch ein Heidelberger Rüstungspolitiker) schmiegende Dalai Lama ist eben nicht Papst. Ist nicht wirklich mächtig.
Man mag zu all dem stehen, wie man will.
Wichtig scheint mir, was der für mich unverdächtige Eugen Drewermann, vom Vatikan unter Bann gesetzt, dazu zu sagen hat: “Wie auch immer wir über Wahrheit und den Inhalt der verschiedenen Religionsformen denken – wenn eine Wahrheit in ihnen lebt, so ist es eine Wahrheit, die in jedem Menschen schlummert, die aber nur durch Güte, Menschlichkeit und Sanftmut gefunden und entfaltet werden kann. Jesus wollte keine neue Religion gründen; was er wollte, nicht anders als der Buddha, war die erlösende Vermenschlichung jeder Religiosität.” (aus: Dalai Lama/Eugen Drewermann, Der Weg des Herzens, Walter Verlag 1992, S. 58).
Man könnte es mit der hellsichtigen Kommunistin Rosa Luxemburg, die von deutschen Freikorpssoldaten im Namen eines fatalen Glaubens gemeuchelt wurde, auch so formulieren:”Freiheit ist stets auch die Freiheit des anders Denkenden.“ Und ich füge hier gerne hinzu: auch des anders Gläubigen. Ganz gleich, ob man kommunistisch glaubt oder sich der Glaube auf ein Jenseits als Ort der Hoffnung fokussiert.
Beste Grüße
Fritz Feder
04.März.2011, 22:19
Und warum nicht auch Pandeismus, der zwar einen Gott als Schöpfer der Welt annimmt, aber nicht an seine weitere Einwirkung auf sie glaubt, weil Gott in der Schöpfung/Welt aufgegangen sei?
09.März.2011, 13:35
Zu Kommentar 2:
Der Pantheismus zeigt sich auch im Buddhismus, um den es in meiner Argumentation aus Kommentar 1 ja gerade geht. Insofern also einverstanden. Natürlich könnte man auch noch die Naturreligionen hinzu nehmen, wenigstens teilweise.
Übrigens: Pandeismus trifft, glaube ich, nicht ganz, was wirklich gemeint ist. Im Pandeismus gibt es einen jenseitigen Gott.
Beste Grüße
Fritz Feder
13.Dez..2013, 18:34
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