Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat heute (17. 01. 2011) in einem ausführlich begründeten Schreiben an die Bundesjustizministerin appelliert, ihre neuerliche Idee einer einwöchigen Vorratsspeicherung aller Internetverbindungen aufzugeben … und jeder verdachtsunabhängigen Speicherung von Kommunikations- und Verbindungsdaten, die der grundgesetzlich geschützten Sphäre privater Lebensführung zuzurechnen sind, unabhängig von der Dauer der Speicherung entschieden entgegen zu treten. Bitte kopieren Sie „Fußnoten-Links“, die Sie lesen wollen, in Ihren Browser

Bundesministerin der Justiz
Mohrenstraße 37
10117 Berlin
17. Januar 2011

Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
ein erfreulich klarer Beschluss der FDP aus dem vergangenen Jahr betont zum Thema „Vorgehen
gegen Internetkriminalität“, es dürfe „nicht vom Grundsatz abgerückt werden, der für den
Rechtsstaat konstitutiv ist, dass mit staatlicher Überwachung und Verfolgung nur derjenige rechnen
muss, gegen den ein Verdacht vorliegt. Eine anlasslose Überwachung aller Bürgerinnen und
Bürger unabhängig von einem Verdacht wie durch die Vorratsdatenspeicherung widerspricht
diesem Grundsatz.“1 „Die anlass- und verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung hat die FDP
von Anfang an abgelehnt“, heißt es auch im Wahlprogramm der FDP aus dem Jahr 2009,2 auf
dessen Grundlage 14,6% der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme der FDP gegeben haben.

In Umsetzung dieses Auftrags hat die FDP-Bundestagsfraktion am 09.11.2010 beschlossen: „Der
Rechtsgrundsatz, dass grundrechtsrelevante Maßnahmen im Rahmen der Strafverfolgung oder der
Gefahrenabwehr nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass ein ausreichender Verdacht oder
Anlass für diese Maßnahme gegeben ist, muss auch im digitalen Raum gelten. Wir lehnen daher
die verdachts- und anlassunabhängige Speicherung personenbezogener Daten auf Vorrat ab.“3
Noch vor wenigen Tagen erklärte der Bundesvorsitzende Dr. Guido Westerwelle: „Wir sollten
nicht ohne Anlass die Telefon- und Internetverbindungsdaten aller Bürger speichern.“4
Als Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern teilen und
begrüßen wir die Ablehnung einer Vorratsdatenspeicherung, für die Datenschutzbeauftragte,
Zivilgesellschaft, Berufsverbände und freiheitsfreundliche Politiker gemeinsam werben.

1 Beschluss des 61. Ord. Bundesparteitages der FDP, Köln, 24.-25. April 2010: Liberale Rechtspolitik im
Zeichen der Bürgerrechte, http://parteitag.fdp.de/files/47/BPT-Liberale_Rechtspolitik.pdf.
2 http://www.deutschlandprogramm.de/files/653/Deutschlandprogramm09_Endfassung.PDF .
3 http://www.fdp-fraktion.de/files/1228/Eckpunkte_Kriminalitaetsbekaempfung_Internet.pdf .
4 Hamburger Abendblatt vom 14.01.2011,
http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1756560/Westerwelle-FDP-muss-zum-
Schluesselfaktor-werden.html.

Mit Unverständnis und Bestürzen haben wir nun aber feststellen müssen, dass Sie mit dem
Vorschlag einer einwöchigen Erfassung aller Internetverbindungen5 diesen Konsens verlassen. Die
gesuchte „Alternative zur Vorratsdatenspeicherung“ kann nicht eine Vorratsdatenspeicherung sein,
egal wie „klein“ oder „leicht“ sie angeblich erscheinen mag!

1. Jede Vorratsdatenspeicherung hat verheerende Folgen

Sie scheinen der Auffassung zu sein, eine einwöchige Vorratsdatenspeicherung sei ein weitaus
geringerer Eingriff als eine sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung. Wir sind anderer Meinung,
und sehen kaum einen Unterschied. Eine Verkürzung des Speicherzeitraums würde im Grundsatz
nichts an den fatalen Wirkungen und Risiken jeder verdachtslosen Totalspeicherung ändern:
In einer Informationsgesellschaft wird der Zugang zum Internet zunehmend Voraussetzung für
Recherche, Meinungsbildung, Meinungsäußerung und Meinungsaustausch. Anders als bei
persönlichen Recherchen, direkten Gesprächen und postalischem Meinungsaustausch trägt man im
Internet jedoch eine Identifikationskennziffer (IP-Adresse) offen bei sich. Verbreitet wird diese
Kennziffer zusammen mit Informationsabrufen und Veröffentlichungen protokolliert und mit EMails
versandt. Dadurch kann sich unser gesamtes Informations- und Kommunikationsverhalten
im Internet nachträglich rekonstruieren und rückverfolgen lassen, wie es außerhalb des Internets
undenkbar wäre. Das vom Bundesgerichtshof geforderte „Recht des Internetnutzers auf
Anonymität“6 lässt vor diesem Hintergrund nur gewährleisten, wenn die Zuordnung von IPAdressen
möglichst verhindert wird.

Als Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern sähen wir eine
inakzeptable Diskriminierung der Internetnutzer darin, deren Verhalten ohne Anlass erfassen zu
lassen, während vergleichbare Verhaltensweisen außerhalb des Internet anonym möglich bleiben:
Warum soll ein anonym per E-Mail versandtes Dokument rückverfolgbar bleiben, wenn dasselbe
Schreiben per Post anonym versandt werden kann? Warum soll die Lektüre eines politischen
Artikels im Internet nachverfolgbar bleiben, wenn man sich den Abdruck des Artikels anonym in
der Buchhandlung kaufen kann? Wie rechtfertigt sich die Ungleichbehandlung von Internet-
Telefonie und Telefon-Flatrates, von Twitter-Nutzung und SMS-Flatrates? Aus unserer Sicht ist es
unerträglich und mit einer modernen Netzpolitik unvereinbar, gerade Internetnutzer unter einen
Generalverdacht stellen zu wollen, indem man ihr Verhalten ohne Anlass erfassen lässt.

Jede allgemeine Aufzeichnung der Zuordnung von Internetadressen setzt vertrauliche Tätigkeiten
und Kontakte etwa zu Journalisten, Beratungsstellen oder Geschäftspartnern dem ständigen Risiko
eines Bekanntwerdens durch Datenpannen und -missbrauch aus. Daneben schafft die Aufzeichnung
von Verbindungsdaten das permanente Risiko, unschuldig einer Straftat verdächtigt, einer
Wohnungsdurchsuchung oder Vernehmung unterzogen oder abgemahnt zu werden, denn
Verbindungsdaten lassen nur auf den Inhaber eines Anschlusses rückschließen und nicht auf dessen
Benutzer.

5 Süddeutsche Zeitung vom 16.01.2011, http://www.sueddeutsche.de/politik/justizministerin-im-szgespraech-
es-darf-nicht-uferlos-gespeichert-werden-1.1047230.
6 BGHZ 181, 328.

Das ständige Risiko von Nachteilen infolge von Kommunikationsprotokollen entfaltet eine enorme
Abschreckungswirkung und würde eine unbefangene Internetnutzung in sensiblen Situationen zu
vereiteln drohen (z.B. anonyme Information von Journalisten per E-Mail, anonyme
Meinungsäußerung im Internet, vertraulicher Austausch von Geschäftsgeheimnissen, vertrauliche
Koordinierung politischer Proteste, psychologische, medizinische und juristische Beratung und
Selbsthilfegruppen von Menschen in besonderen Situationen wie Notlagen und Krankheiten).
Wenn gefährliche oder gefährdete Menschen nicht mehr ohne Furcht vor Nachteilen Hilfe suchen
können, verhindert dies eine sinnvolle Prävention und kann sogar Leib und Leben Unschuldiger
gefährden.

Jede massenhafte Erfassung des Informations- und Kommunikationsverhalten vollkommen
Unschuldiger verstößt gegen die EU-Grundrechtecharta und die Europäische
Menschenrechtskonvention. Der EU-Gerichtshof, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
und der Rumänische Verfassungsgerichtshof haben flächendeckende Veröffentlichungen,
Erfassungen oder Aufzeichnungen persönlicher Daten bereits als unverhältnismäßig verworfen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung nur das
Grundgesetz angewandt, nicht aber die ebenfalls zu beachtende EU-Grundrechtecharta und
Europäische Menschenrechtskonvention geprüft.

2. Dammbruch auf dem Weg in die Überwachungsgesellschaft

Die Zulassung einer Vorratsdatenspeicherung wäre ein Dammbruch auf dem Weg in die
Überwachungsgesellschaft. Die globale Speicherung von Daten allein für eine mögliche künftige
staatliche Verwendung würde allmählich alle Lebensbereiche erfassen, denn die vorsorgliche
Protokollierung personenbezogener Daten ist für den Staat stets und in allen Bereichen nützlich.
Wenn dem Staat die permanente Aufzeichnung des Verhaltens sämtlicher seiner Bürger ohne
Anlass gestattet würde, würden schrittweise sämtliche Lebensbereiche in einer Weise registriert
werden, wie es selbst unter früheren totalitären Regimes wie der DDR undenkbar war. Sicherlich
wollen Sie nicht, dass der Staat „kurzfristig“ erfassen lässt, welche Bücher Sie lesen und mit wem
Sie den Tag über sprechen und verkehren?

Wenn Sie eine einwöchige Erfassung aller Internetverbindungen für gerechtfertigt erachten,
können Sie beispielsweise nicht begründen, warum nicht auch eine zweiwöchige, sechswöchige
oder sechsmonatige Aufbewahrung der Daten gerechtfertigt sein soll. Das Bundeskriminalamt
behauptet schon heute, eine einwöchige Vorratsdatenspeicherung würde „nicht annähernd den
polizeilichen Bedarf decken. Selbst in einem noch so engen Zeitfenster von Ereigniszeitpunkt,
polizeilicher Kenntniserlangung, Prüfung und Auskunftsersuchen sind wenige Tage in der Regel
nicht ausreichend.“7

Wenn Sie eine Erfassung aller Internetverbindungen für gerechtfertigt erachten, können Sie auch
nicht begründen, warum Telefonverbindungen nicht erfasst werden dürften. Schließlich nimmt die
Zahl der Telefon-Flatrates zu. Hängt der polizeiliche Bedarf davon ab, ob ein Amoklauf im Internet
oder telefonisch angedroht wird?

7 Bundeskriminalamt, Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu
Mindestspeicherungsfristen, http://www.bundesrat.de/cln_179/DE/gremienkonf/
fachministerkonf/imk/Sitzungen/10-11-
19/anlage10,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/anlage10.pdf.

Sie führen Ihre eigene, ansonsten prinzipielle Argumentation
gegen eine Vorratsdatenspeicherung ad absurdum, wenn Sie selbst eine Vorratsdatenspeicherung
vorschlagen.

Eine Internet-Vorratsdatenspeicherung schaffte genau den Präzedenzfall für eine flächendeckende,
unterschiedslose Erfassung des Verhaltens unschuldiger Menschen, den wir zum Erhalt unserer
freien Gesellschaft verhindern müssen.

3. Strafverfolgung braucht keine Vorratsdatenspeicherung
Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen ist die Tatsache, dass nicht gespeicherte Verbindungsdaten
nicht an den Staat herausgegeben oder für diesen „eingefroren“ werden können. Dies ist indes kein
Nachteil der aktuellen Rechtslage, sondern – wie oben gezeigt – ihr entscheidender Vorteil.
Leider übernehmen Sie mit Ihrem Vorschlag unbesehen die Behauptung maßloser Innenpolitiker,
man brauche insbesondere bei Pauschaltarifen („Flatrates“) eine Protokollierung jeder Verbindung,
um Straftaten verfolgen zu können. Die Behauptung, dass sich Straftaten ohne Vorratsspeicherung
von Verbindungsdaten über das Verbindungsende hinaus nicht verfolgen ließen, ist ebenso falsch
wie die Behauptung, ein Verfahren zur schnellen Sicherung von Verkehrsdaten („Quick Freeze“)
setzte eine Vorratsdatenspeicherung voraus.

Schon der Blick auf unser tägliches Leben zeigt, dass die meisten (ca. 55%) dem Staat bekannt
gewordenen Straftaten aufgeklärt werden können, obwohl niemand mitschreibt, mit wem wir
geredet, wo wir uns aufgehalten oder worüber wir informiert haben. Wie gelingt Strafverfolgung
bei unbekannten Tätern?

• Teilweise werden Straftäter noch auf frischer Tat festgehalten und identifiziert. Dies ist
auch im Internet möglich: Straftäter können während der bestehenden Verbindung auch
ohne Vorratsdatenspeicherung „auf frischer Tat“ identifiziert werden. Zurzeit dauert es
allerdings noch viel zu lange, bis die Anzeige eines Internetdelikts zu einem
sachkundigen Polizeibeamten gelangt und die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen
vorgenommen werden.

• Teilweise werden Straftäter mithilfe von Spuren ausfindig gemacht. Im Internet ist das
auch ohne Vorratsdatenspeicherung möglich. Beispielsweise handelt es sich bei 82%
der polizeilich registrierten Internetdelikte um Betrug. Hier kann man oftmals
erfolgreich der Spur des erschwindelten Geldes bzw. der bestellten Waren folgen.

• Teilweise werden Straftäter ertappt, wenn sie zurück kehren. Im Internet funktioniert
dies beispielsweise, wenn sich der Straftäter erneut bei dem Dienst anmeldet, über den
er seine Straftat begangen oder bekannt gegeben hat (z.B. Auktionshaus, Chat-Dienst,
E-Mail-Konto). Beispielsweise konnte das Bundeskriminalamt auf diese Weise einen
Mann, der in einem Internetchat über einen Kindesmissbrauch berichtet hatte, im März
2010 dingfest machen, obwohl der genutzte Zugangsanbieter Verbindungsdaten nicht
verdachtslos auf Vorrat speicherte.

Politisch muss entscheidend sein, dass im Internet keine rechtsfreien Räume entstehen und
Internetdelikte ebenso wirksam aufgeklärt werden können wie außerhalb des Internets begangene
Delikte. Dies ist bereits gegenwärtig und auch ohne Erfassung jeder Internetverbindung
gewährleistet. Die Verfolgung von Straftaten wird durch das Internet nicht erschwert, sondern
enorm erleichtert. Ohne Totalerfassung sämtlicher Verbindungen werden Internetdelikte sehr viel
häufiger aufgeklärt (zu über 70%) als sonstige Straftaten (zu etwa 55%). Solange dies so ist,
besteht überhaupt kein Anlass für eine Erfassung jeder Internetverbindung völlig unschuldiger
Menschen ins Blaue hinein. Die äußerst hohen Aufklärungsraten bei Internetdelikten ohne
Vorratsdatenspeicherung wurden übrigens zuletzt im Jahr 2008 erzielt, als schon 86% der
Deutschen eine Internet-Flatrate nutzen. Dies beweist, dass eine wirksame Strafverfolgung auch bei
Pauschaltarifen („Flatrates“) ohne verdachtslose Aufzeichnung jeder Verbindung möglich ist. Um
Ihr eigenes Ministerium zu zitieren: „Zur Kriminalitätsbekämpfung sind auch ohne die pauschale
und anlasslose Speicherung jeder Benutzung von […] Internet genügend Verbindungsdaten
verfügbar“.8

Es ist nicht nachzuweisen, dass eine Internet-Vorratsdatenspeicherung überhaupt einen statistisch
signifikanten Beitrag zu der Zahl der aufgeklärten Straftaten leistete. Dabei ist zunächst zu
berücksichtigen, dass überhaupt nur 3% aller Straftaten im Internet begangen werden. Die
vielfältigen Umgehungsmöglichkeiten, die bei Einführung einer Vorratsspeicherung von Internet-
Verbindungsdaten noch stärker genutzt würden, stellen den vermeintlichen Nutzen einer solchen
Maßnahme grundlegend in Frage. Bereits 2009 gaben 46,4% der Bürgerinnen und Bürger an, bei
der Internetnutzung einen Anonymisierungsdienst zu benutzen oder benutzen zu wollen.9 Mit
Internet-Cafés, offenen WLAN-Internetzugängen, internationalen Anonymisierungsdiensten und
unregistrierten Handykarten stehen gerade im Internetbereich so viele und kostengünstige
Umgehungsmöglichkeiten zur Verfügung, dass sich eine intelligente Sicherheitspolitik nicht
ernsthaft einen nennenswerten Zusatznutzen von einer Erfassung jeder Internetverbindung
versprechen kann.

Dies bestätigt die Erfahrung: In Deutschland wurde vor Beginn der Vorratsspeicherung aller
Internet-Verbindungsdaten sogar ein größerer Anteil der Internetdelikte aufgeklärt (79,8%) als
nach Inkrafttreten der Internet-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 (75,7%). Zu erklären ist
dieser erstaunliche Befund mit den kontraproduktiven Wirkungen einer Totalerfassung aller
Verbindungen. Werden sämtliche Verbindungen erfasst, wächst das Bewusstsein der
Rückverfolgbarkeit jeder Internetnutzung und werden in zunehmendem Maß
Umgehungsmöglichkeiten (z.B. Internet-Cafés, offene WLAN-Internetzugänge,
Anonymisierungsdienste, unregistrierte Handykarten) genutzt, die dann selbst bei Verdacht einer
Straftat keine gezielten Ermittlungen mehr zulassen, wo sie ohne Vorratsdatenspeicherung noch
möglich gewesen wären. „Dadurch entfaltet eine Vorratsdatenspeicherung auf Gefahrenabwehr und
Strafverfolgung kontraproduktive Wirkungen und verkehrt den erhofften Nutzen der Maßnahme
möglicherweise sogar in sein Gegenteil“, so auch der Zusammenschluss von Richterinnen und
Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten e.V.10

8 http://www.bmj.bund.de/enid/Strafverfahren/Vorratsdatenspeicherung_1f6.html .
9 Infas: Der überwachte Bürger zwischen Apathie und Protest vom Oktober 2009,
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/infas-umfrage.pdf.
10 http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/NRV_Brief_2011-01-05.pdf .

In befreundeten Staaten wie Österreich, Schweden, Norwegen oder Kanada gilt schon lange ein
striktes Verbot der Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten,11 ohne dass das Internet dort
deswegen ein „rechtsfreier Raum“ wäre.

4. Kommunikationsfreiheit politisch klug verteidigen
Ihr Vorschlag fällt in die Zeit einer europäischen Debatte über den Grundansatz einer
Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten. Wir teilen Ihren Ausgangspunkt, dass auf
europäischer Ebene ein Gegenmodell zur Vorratsdatenspeicherung gebraucht wird. Schon seit
Monaten wirbt die Zivilgesellschaft europaweit und insbesondere bei der EU-Kommission für ein
solches Gegenmodell.

Wir fordern dabei nicht die ersatzlose Streichung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, weil
dies die nationalen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung nicht stoppen würde. Gemeinsam mit 100
Organisationen europaweit fordern wir vielmehr die „Abschaffung der EU-Vorgaben zur
Vorratsdatenspeicherung zugunsten eines Systems zur schnellen Sicherstellung und gezielten
Aufzeichnung von Verkehrsdaten, wie es in der Cybercrime-Konvention des Europarats vereinbart
worden ist“. Wir fordern also ein Verfahren zur schnellen Sicherstellung und gezielten
Aufzeichnung von Verkehrsdaten, verbunden mit einem europaweiten Verbot einer verdachtslosen
und flächendeckenden Totalspeicherung. Das ist unser Gegenmodell zur Vorratsdatenspeicherung.

Auch für den Fall, dass dieses Modell nicht europaweit durchzusetzen sein sollte, liegt ein
Vorschlag auf dem Tisch: Danach würde die EU wenigstens den nationalen Volksvertretern und
Verfassungsgerichten die Wahl überlassen, ob sie sich für eine (möglichst eingeschränkte)
Vorratsdatenspeicherung oder aber für das bewährte Verfahren gezielter
Aufbewahrungsanordnungen entscheiden. Wenn sich mehrere Mitgliedsstaaten für dieses Modell
aussprechen und es im Europaparlament auf Akzeptanz stößt, bestehen durchaus
Realisierungschancen. Das verfehlte Grundprinzip einer anlasslosen Totalerfassung muss dazu
nicht akzeptiert werden.

Gerade vor dem Hintergrund der europäischen Debatte wäre es kontraproduktiv, wenn Deutschland
als bisheriger Kritiker einer Vorratsdatenspeicherung nun selbst eine solche einführte. Sie könnten
dann auf europäischer Ebene nicht mehr glaubwürdig für ein anlassbezogenes Verfahren als
Alternative zu einer globalen und pauschalen Verbindungserfassung eintreten, sondern müssten
sich auf bloße Diskussionen über die Modalitäten einer Vorratsdatenspeicherung (Datenarten,
Aufbewahrungsdauer) beschränken.

5. Appell

Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wir schätzen Ihren persönlichen langjährigen und
konsequenten Einsatz für die Grund- und Freiheitsrechte sehr und haben großen Respekt davor. Im
Hinblick auf die große Verantwortung, die Sie als Bundesjustizministerin tragen, appellieren wir an
Sie, die Idee einer einwöchigen Vorratsspeicherung aller Internetverbindungen aufzugeben und
entsprechend der Linie Ihrer Partei jeder verdachtsunabhängigen Speicherung von
11 Siehe Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 14.7.2009, Az. 4 Ob 41/09x.
Kommunikations- und Verbindungsdaten, die der grundgesetzlich geschützten Sphäre privater
Lebensführung zuzurechnen sind, unabhängig von der Dauer der Speicherung entschieden
entgegen zu treten.

Gerade in der jetzigen politischen Situation brauchen wir Ihre Unterstützung bei unserer Werbung
für das Modell einer gezielten Strafverfolgung, das sich neben Deutschland auch in vielen weiteren
Staaten wie Österreich, Schweden, Griechenland und Kanada bewährt hat. Bitte fallen Sie uns bei
unserem europaweiten Werben für gezielte Strafverfolgung nicht zur Unzeit in den Rücken,
sondern unterstützen Sie unsere europaweite Koalition gegen Vorratsdatenspeicherung nach
Kräften.

Seien Sie sich unserer Unterstützung versichert, wenn es um die Entwicklung von und Werbung für
Alternativen zu einer globalen und pauschalen Erfassung unserer Kommunikation geht.

Mit freundlichem Gruß,
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

Jan 2011 | Allgemein, Politik, Zeitgeschehen | Kommentieren