kondomi.jpgWill die katholische Kirche überleben, wird sie vernünftigerweise über kurz oder lang Verhütung akzeptieren müssen. Besser: Über kurz … Oder, noch besser, die Kirche hört auf, sich immer wieder aufs Neue zu überleben! Wie auch immer: Keine Schweinerei ist es, ein Kondom zu benutzen, hingegen ist es das Verhalten des Vatikans in dieser Angelegenheit schon lange. In einem Interview hat Papst Benedikt XVI. immerhin gerade den Gebrauch von Kondomen in Einzelfällen geduldet, um die Ansteckung mit HIV zur verhindern. Kommentatoren begrüßen diese Lockerung, zweifeln aber an einem grundsätzlichen Kurswechsel der katholischen Kirche. Das tun wir auch …

Aber, was ist das? Pure Vernunft? Keine Kirche kann sich darauf einlassen!

Das bislang strikte Nein des Vatikans zu Verhütungsmitteln stammt aus dem Jahr 1968. Damals hatte Papst Paul VI. in seiner Enzyklika „Humanae Vitae“ klargestellt, daß Schwangerschaft aus Sicht der katholischen Kirche ein Geschenk Gottes sei und nicht vom Menschen durch künstliche Verhütung reguliert werden dürfe. Seitdem sind für Katholiken Verhütungsmittel wie dem Taufel das Weihwasser, die Anti-Baby-Pille oder Kondome tabu. Offiziell jedenfalls.

1aaaaidsb.jpg Das spanische Eskopat hat ja bereits 2005 schon (einmal) erklärt, das Kondom könne den Gläubigen erlaubt werden „im Zusammenhang mit der zuverlässigen Verhütung von Aids“. Das wurde gleich am nächsten Tag von der pontifikalen Autorität zurückgenommen.

Es scheint kaum vorstellbar, daß die katholische Hierarchie Spaniens, orthodox und loyal gegenüber Rom wie sonst kaum eine, sich mit einer solchen Position hervorgewagt haben könnte ohne eine vorherige Absprache mit dem Vatikan. Hat die Kirche hier einen Versuchsballon gestartet, in diesem für sie so kompliziert gewordenen Spanien – wo eine sozialistische Regierung, mit breitester Unterstützung, Homo-Ehen sanktioniert, die Religion aus den Schulen verdrängt und Safer-Sex-Kampagnen startet? Und dies in einer Frage, bei der die Unnachgiebigkeit der Kirche die meiste Kritik hervorruft und in der sie sich am allerweitesten von der gegenwärtigen Realität entfernt hat, nur um sich dann sofort zurückzuziehen, als sie sah, welche Erschütterung diese Verkündung in ihren fossilsten Schichten hervorgerufen hat?
Trotz der Richtigstellung scheint diese kleine Episode doch einen Riß in der festen Wand der Intoleranz des Vatikans darzustellen. Durch ihn wird, früher oder später, dieser hartnäckige Widerstand zusammenbrechen, und der Vatikan wird kaum noch anders können als zuzugeben, daß das durchsichtige, unbequeme Kondom eine wichtige Rolle im Leben von Paaren spielt. Es wird sie nicht nur vom Risiko der Ansteckung befreien, sondern auch von ungewollten Schwangerschaften. Und hier liegt der Kern des Problems. Denn für die Kirche hat der sexuelle Akt keinen anderen Sinn als den, die Frau zu schwängern und diesem Tal der Tränen neue Seelen zuzuführen, die dem Herrn dienen werden. Es kann auch gar nicht anders sein. Das Überleben der Art, die Aufrechterhaltung menschlichen Lebens, Schäfchen eben, ist es, was die Familie heiligt und den Liebesakt rechtfertigt.

1aaapapstwind.jpg Im Vatikan bewegt sich nun doch etwas …

Ein Jahr nach seiner Wahl hat Papst Benedikt XVI. eine Studie in Auftrag gegeben, die den Gebrauch von Kondomen bei AIDS-Kranken bzw. HIV-Infizierten untersuchen soll. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass das Ergebnis der Studie die offizielle Billigung der Präservative in diesen Fällen zur Folge hat. Dies könnte ein wichtiger und entscheidender Schritt bei der Aids-Bekämpfung sein. Der Kirchenstaat arbeite an dem entsprechenden Dokument, das demnächst veröffentlicht werden soll, sagte der vatikanische „Gesundheitsminister“, der mexikanische Kardinal Javier Lozano Baragàn in einem Interview der römischen Zeitung „La Repubblica“.
1aaaaa.jpgBisher hatte die katholische Kirche den Gebrauch von Kondomen für Aids-Kranke oder HIV-Infizierte auch in der Ehe strikt abgelehnt. Wie sein Vorgänger Papst Johannes Paul II. hatte auch Papst Benedikt XVI. zuvor den zunehmenden Gebrauch von Kondomen in Afrika verurteilt. Wie er selbst bei einem Treffen mit afrikanischen Bischöfen erklärte, gebe es leider eine „Mentalität der Verhütungsmittel“ auf dem Kontinent.

aidsme5.jpgDoch vor allem dort ist die Entscheidung Benedikts XVI. von größter Wichtigkeit, denn die Immunkrankheit ist global betrachtet vor allem ein afrikanisches Problem. Mehr als Zweidrittel aller HIV-infizierten Menschen (25,8 % nach Angaben von UNAIDS/WHO) und Dreiviertel aller Todesfälle finden sich in Afrika. Insgesamt sind an dem Virus seit 1981 mehr als 25 Mio. Menschen gestorben. In diesem Jahr erkannte man den Zusammenhang zwischen dem HI-Virus und der AIDS-Erkrankung. In diesem Zeitraum ist klar geworden, daß die Krankheit nicht nur ein gesundheitliches Problem ist, sondern es muß auch inzwischen als ein Problem angesehen werden, daß die ganze Menschheit betrifft. In armen Ländern wie den afrikanischen ist es zudem eine wirtschaftliche Belastung, die sozialen und ökonomischen Folgen der Epidemie machen viele Entwicklungsanstrengungen zunichte.

Wie Agnell Rickenmann, Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz, erklärte, könnte es nun zu einer positiven Wende in der Einstellung der Kirche gegenüber dem Gebrauch von Kondomen kommen. Das Verhütungsmittel sei bereits jetzt gebilligt, nun aber soll es auch offiziell genehmigt werden. Damit reagiert der Papst auf das vehemente Bitten von Experten und Gläubigen, angesichts der Aids-Gefahr den Gebrauch von Präservativen in Afrika zuzulassen. Nach Rickenmanns Meinung gebe es derzeit einen Moment der Reflexion im Vatikan und man werfe einen differenzierteren Blick auf solch heikle Themen.

Die Billigung der Präservative wäre vor allem bei Ehepaaren wichtig, bei denen einer der Partner am tödlichen HI-Virus erkrankt ist, da nur so innerhalb einer vollständigen Partnerschaft der Lebensgefährte/die Lebensgefährtin vor einer Ansteckung bewahrt werden kann. Dennoch bleibt die Grundaussage der Kirche weiterhin, daß sexuelle Enthaltsamkeit und Treue die beste und einzige Lösung zur Bekämpfung des Problems sein können.
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Bisher – und daran jedenfalls wird sich, egal wie der Vatikan entscheidet , nichts ändern – wurde schon die bloße Idee der Lust von der sogenannten katholischen Moral von jeher mit Mißtrauen betrachtet und mit Verdammnis belegt, wenn es sich um sexuelle Lust handelte. Sie ist nur als Nebenprodukt der Empfängnis akzeptabel. Wenn das Kondom dazwischenkommt, verliert der sexuelle Akt jede Spur der Spiritualität, ist kein Akt für das Leben mehr, sondern nach damals Ratzinger und heute Benedikt eine animalische Zuckung, eine Sünde. Diese Vorstellung des Sexuallebens hat die Kirche von Millionen Männern und Frauen entfremdet und die Anhänglichkeit vieler Gläubigen zur Heuchelei verdammt, inhaltsleer und ohne Überzeugung; man geht sonntags zur Kirche und heiratet oder begräbt seine Toten nach katholischem Ritus.

1aaapapstnegerin.jpg Wenn der Vatikan das Kondom zuläßt, muß er etwas zugeben, was er immer bestritten hat: daß nämlich der Hauptantrieb der Sexualität, von den Höhlenmenschen bis zu den komplizierten Liaisons der Moderne, die Suche nach Lust ist, nicht die Erzeugung von Nachkommen. Als die Menschen entdeckten, daß da Ursache und Wirkung im Spiel sind, hatten sie sich schon jahrhundertelang geliebt, und es existiert keine menschliche Spezies, die eine Erektion oder einen Orgasmus hervorbringt, indem sie an die evangelikale Idee der Schwängerung und Zeugung denkt.

Die Weigerung der Kirche, das anzuerkennen, stand immer im Gegensatz zu ihrem Verständnis für die Schwächen von Männern und Frauen (speziell ersterer), wenn es um Macht oder Reichtum ging. Sie hat in ihrer Geschichte unendliche Brutalitäten von Tyrannen geduldet. Trotz oder gerade wegen der Verdammnis von Sex und fleischlichen Begehren ist ihre Geschichte voller Rückschläge, so daß gerade die katholische Kirche mit ihren Zeremonien, Kostümen, Theatern, Prinzen, Priestern, Mitren und Pastoren vielleicht am meisten zur Bereicherung der erotischen Imagination beigetragen hat.

Ich bin absolut überzeugt, daß das Kondom und andere Methoden irgendwann einmal die Zustimmung dieser alten Institution finden werden, und zwar bald. Niemand hat etwas davon, wenn sie aus bloßer seniler Halsstarrigkeit als leere Hülle endet, ohne Publikum. Die Religion ist wichtig für die Menschen, um ihre Ängste vor der Sterblichkeit und dem Jenseits zu kanalisieren. Sie bremst die Instinkte, die, ließe man sie frei, uns wieder zu den primitivsten Formen der Barbarei zurückführen würden. Nur eine Minderheit kann ohne Religion leben und sie durch Kultur ersetzen. Für die meisten Sterblichen ist Moralität auch nur in der Form von Religion akzeptabel. Aber um so weiterzumachen wie in ihren Anfängen in der Antike, als sie einen intellektuellen, kulturellen, wissenschaftlichen, politischen und moralischen Fortschritt gegenüber den Kulten darstellte, oder im Mittelalter, als die Kirche die einzige Institution war, die einer Gemeinschaft in Angst, Verwirrung und Anarchie eine Ordnung geben konnte, muß sie sich den Realitäten des Lebens stellen. Sie kann von ihren Gläubigen nicht das Unmögliche verlangen.

Am Dogma wird nicht gerüttelt
Eine mögliche Lockerung des strikten Kondomverbots für Katholiken bedeutet jedoch nicht, daß der Vatikan abgeht von seinem Nein zu außerehelichem Geschlechtsverkehr und vor allem zu homosexuellen Beziehungen.

gaenswein-benedictusjpg.jpg (Im Bild die „rechte Hand“ Benedikts XVI. Georg Gänswein) Die Kirche, so Kurien-Kardinal Barragan, werde weiterhin ihre Stimme erheben gegen alles, was, „die Ideologie der freien Liebe“ widerspiegle. Der Gesundheitsminister des Vatikans verurteilte in diesem Zusammenhang ausdrücklich außerehelichen Sex, Untreue von Ehepartnern und Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern. Wie auch immer sich die katholische Kirche künftig weiterhin ins mittelalterliche Abseits zu stellen beliebt, sollte sie, nachdem der Vatikan vor wenigen Jahren immerhin anerkannt hat, daß die Erde nun doch keine Scheibe wäre, langsam auch einmal daran denken, sich von einigen ihrer anderen Dogmen zu verabschieden. Was sagt uns die Psychologie zu einigen jener Phänomene, mit denen (was Wunder) auch die Kirche zu tun hat? Noch so eloquente Verdränger waren noch immer die eifrigsten und fiesesten Verfolger!

gott

Jan. 2011 | Allgemein, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude | Kommentieren