Tja, mit der Presse wollte Renate Künast „darüber“ nicht sprechen. So müssen wir uns denken, was sie zu ihrer Kritik am Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Ehrung des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard veranlasste.
„Ich hätte es nicht gemacht“, erklärte Künast – eine erstaunliche Bemerkung in einer Partei, zu deren Gründungskanon einst auch die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit gehörten. Ausgerechnet eine Spitzenfunktionärin der Bündnisgrünen, die nach dem Mauerfall als einzige Partei ihren Namen änderte, um ausdrücklich die Bedeutung der DDR-Opposition zu würdigen, rügt nun also die Kanzlerin im Namen einer angeblichen Staatsräson. Dabei hat doch die Debatte um die Mohammed-Karikaturen und die Todesdrohungen, mit denen der Zeichner seitdem leben muss, nachdrücklich den Wert der Meinungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft bekräftigt. Darüber könnte man sich wundern. Es ändert aber einiges, weil Künast gute Chancen hat, 2011 in Berlin das Amt der Regierenden Bürgermeisterin zu bekleiden, falls sie als Spitzenkandidatin ihrer Partei antritt. Dann stünde sie in der Tradition von Stadtoberhäuptern wie Ernst Reuter, die unerschrocken für die bedrohte Stadt und deren Freiheit fochten. Das verpflichtet. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass Berlin regiert wird von einer Frau, die sich mehr um die möglichen Reaktionen von religiösen Fanatikern sorgt als um den Wert unserer Grundrechte. Dazu sollte sich Künast dann vielleicht doch äußern.
Auch Antje Vollmer hätte keine Rede für Westergaard gehalten
„Ich halte es für unklug. Für eine Staatsfrau halte ich es für sehr unklug“, antwortete die Grünen-Politikerin Antje Vollmer in einer Diskussion (etwa ab Minute 15) des SWR auf die Frage, was sie davon hält, dass sich Angela Merkel in einer Rede dezidiert für Kurt Westergaard, den Zeichner einer bekannten Mohammed-Karikatur, einsetzte.
Die Grünen, so scheint es, haben ein taktisches und opportunistisches Verständnis von Meinungsfreiheit. Nach Renate Künast hat sich mit Antje Vollmer nun die zweite Grünen-Poltiikerin mit Kritik an Angela Merkels Rede zur Auszeichnung Kurt Westergaards gemeldet.
Zur Erinnerung: All jene Chefredakteure, die seinerzeit nicht den Mut aufbrachten, Westergaards Karikatur zu drucken, hatten ihn am 8. September mit einem Preis für Pressefreiheit bedacht. Angela Merkels Rede zu diesem Anlass war bemerkenswert. Sie ließ die hohen Herren indirekt wissen, dass sie an ihrer Stelle die Karikatur gebracht hätte. Sie hatte sich bei vergleichbaren Gelegenheiten – auch bei der Frage, ob sie diese Rede für Westergaard halten solle – jedenfalls für die Freiheit entschieden: „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“
Es war an diesem feierlichen Tag Konsens in der deutschen Presse, dass man die Meinungsfreiheit im Prinzip hochhalten soll, auch wenn man selbst hier mal gekniffen hatte. Aber es gab auch Kritik an Merkel. In der liberalen SZ etwa, die es Westergaard nie verzeihen wird, dass sie ihn nicht druckte, ließ man den Skandinavisten Bernd Henningsen gegen den „Meinungsfreiheits-Fundamentalismus“ wüten.
Künast wird als die nächste Regierende Bürgermeisterin von Berlin gehandelt. Wir müssen stutzten dürfen: Es fällt schon schwer, sich vorzustellen, dass Berlin regiert wird von einer Frau, die sich mehr um die möglichen Reaktionen von religiösen Fanatikern sorgt als um den Wert unserer Grundrec – oder?
Antje Vollmer, ehemalige Vizepräsidentin einer Institution, die auf Meinungsfreiheit beruht, hat Künasts Kritik nun also noch erheblich verschärft und argumentativ aufgemöbelt. Zuvor hatte sie in der Diskussion Thilo Sarrazins Rhetorik gegeißelt, die sie als Aufruf zum Krieg der Kulturen wertet: „Das ist eine ganz bestimmte Rhetorik, die Angst schürt und Untergangsphantasien erzeugt. Und diese Art von Rhetorik haben Gesellschaften früher eigentlich immer nur in der Vorbereitung von Kriegen angewandt. Zu sagen, wir sind bedroht, wir müssen jetzt den Feind analysieren. Wir müssen ihn so analysieren,dass wir uns auch ermannen, ihn bekämpfen zu wollen, und dann geht irgendwann der Krieg los. Genau mit dieser Art vorauseilenden Kriegsbereitschaft und -emotionalität hat sich Karl Kraus in den ‚Letzten Tagen der Menschheit‘ ungeheuer präzise beschäftigt. Und mir kommt vieles so ähnlich vor.“
Darauf folgt die Parallele: „Die ganze Debatte um diese Mohammed-Karikatur war genau dasselbe: Bringt uns auf die Palme und zeigt uns, wie schrecklich die andere Seite ist.“
Und dann lässt sie als moralisch hochdenkend geltende Politikerin ein Argument folgen, das aufmerken lässt: „Aber würde dieser Krieg mal ausbrechen, wir würden ihn niemals gewinnen können. Dann muss man doch einmal nüchtern sein, und sagen: Schluss mit dieser Art von Theater!“
So räumt Antje Vollmer denn zu guter Letzt doch noch ein, dass es sich bei ihrer Art von Toleranz nicht um ein Ideal handelt!