Auf kommunaler Ebene gibt es mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid seit mehreren Jahren direktdemokratische Instrumente, die erste Betrachtungen zu den Auswirkungen der direkten Demokratie auf das kommunale Parteiensystem erlauben.

Einer gängigen Definition zufolge sind Parteien auf Dauer angelegte gesellschaftliche Organisationen, die Interessen ihrer Anhänger erfragen (sollten), mobilisieren, artikulieren und bündeln und die all dies in politische Macht umzusetzen suchen – als „Mandatsträger“. Nun finden sich auf kommunaler Ebene juristisch gesehen zwar keine Parlamente und Regierungen, dennoch gilt diese Definition auch für die lokalen Parteien. Denn das Verhältnis der verschiedenen Parteien und Fraktionen zueinander und zur Verwaltung ähnelt in starkem Maße parlamentarischen Gepflogenheiten – und wird so in der Öffentlichkeit auch wahrgenommen. Es ist unübersehbar eine zunehmende Fraktionalisierung der Kommunalpolitik festzustellen, die um so deutlicher zu Tage tritt, je größer die betrachtete Kommune ist. Aber auch in kleineren Städten ist deutlich  (wir erleben das jedenfalls in Heidelberg seit geraumer Zeit) eine Tendenz zu konkurrenzdemokratischen Konfliktmustern festzustellen. Richtig ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass die Bedeutung der Fraktion erheblich gestiegen ist, und die Parteibasis und die eigentlichen Parteiorganisationen lediglich zu Zuliefer- und Hilfsorganisationen marginalisiert worden sind. Nicht die Parteien nehmen Einfluss auf das Parlament, sondern das Parlament in der Gestalt seiner Fraktionen nimmt Einfluss auf die politische Entwicklung in den Parteien. Das gilt insbesondere für die kommunale Ebene, wo es nicht selten nur die Fraktionen sind, die eine dauerhaft handelnde politische Einheit darstellen. Lediglich vor (Kommunal-) Wahlen sind Partei-Mitglieder dann wieder nach ihrer Meinung gefragt!

Dies ohne Frage: Bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wird die Transmissionsfunktion von Parteien benötigt. Denn die zugespitzte Fragestellung, die bekanntlich nur auf Zustimmung oder Ablehnung hinauslaufen kann, erfordert eine Vermittlungsinstanz, die unterschiedliche Interessen bündelt und auf ein „JA“ oder ein „NEIN“ fokussiert. Parteien sind hierzu aufgrund ihrer permanenten, hier in Heidelberg zwar  immer mal wieder zu vermissenden Transmissionstätigkeit, in besonderer Weise prädestiniert. Aber nicht nur das: Möglicherweise können (könnten) sie auch durch ihre – wenn sie denn funktionieren – Organisationsstrukturen, die sie gegenüber Einzelpersonen begünstigen, existierendes Konfliktpotential reduzieren und den Ausgang des Bürgerbegehrens unter Umständen ihren Interessen (welche immer das sind – meine Partei, die SPD jedenfalls macht sich hier in Heidelberg seit geraumer Zeit zum Büttel der fundamentalistischen GAL)  entsprechend beeinflussen.

Hier hat die SPD die Möglichkeit vertan, den parteiungebundenen Akteuren in den Aktionsgruppen zu vermitteln, durch ihrer Mitarbeit Kenntnisse über das politische System zu erhalten. Sie hätte informieren können über die kommunalen Entscheidungsstrukturen, Zuständig- und Verantwortlichkeiten, und so hätte die SPD in Heidelberg so etwas wie „angewandte Staatsbürgerkunde“ leisten können. Hier allerdings beschränkt sich das darauf, lernen zu können, wie Mandatsträger mit einem möglichen, aber gar nicht erst erfragten Votum ihrer Parteibasis umgehen.

Zum anderen leisten sie (hätten sie können)  durch ihre Orientierungshilfe während des Abstimmungskampfes einen Beitrag zur politischen Bildung der Bevölkerung. Denn das Ausbremsen der (es sei denn, man gehöre zu ebendenen) gerne beschworenen „Demagogen“, die mit emotionalisierenden und unsachlichen Parolen arbeiten, kann nur durch umfangreiche und sachliche Information im Vorfeld eines Bürgerentscheids geschehen, die am ehesten durch informierte, argumentationssichere und artikulationsstarke Parteien erfolgen kann, auf der Basis von Mitgliederbefragungen (im Falle der SPD – deren Mitglied ich bin, („NEIN“ – sagen hier die Mandatsträger), wie der GAL „Grün Alternative Liste“ (NEIN) oder GRÜNE (JA) Generation HD (JA) Bunte Linke/Die Linke (NEIN) mit ihren Mitgliedern umspringt, interessiert mich hier allenfalls marginal. Dass allerdings die SPD-Kreisleitung und Fraktion sich keinen Deut darum kümmern, dass es gewiss mehr als wenige SPD-Mitglieder gibt, in deren Meinung nicht mit NEIN zum Stadthallenbau gestimmt werden dürfe, sondern mit JA gestimmt werden müsse, das dürfte den Protagonisten sowohl klar sein, als es ihnen auch reichlich schnuppe ist. Hier hätte die Heidelberger SPD zeigen können, dass für sie das „Demokratische“ nicht nur im Namen, sondern auch für ihr  Handeln steht.

Unter Selbstregulation ist die Selbstbezüglichkeit, das „Interesse der Partei an sich selbst“ zu verstehen. Ein solches Interesse kann darin bestehen, eine schlagkräftige, lebendige Organisation zu sein.
Parteien können von Bürgerbegehren profitieren, weil diese sie zu einer innerparteilichen Mobilisierung zwingen: Das Referendum jedoch wird von den Parteien, von meiner  Partei  und deren Parteistrategen allenfalls als Legitimation vereinnahmt, die „Volksmassen“ leicht und schnell in Marsch zu setzen, ohne dass es hierzu eines großen Apparates oder einer straff gegliederten Anhängerschaft bedarf. Genossinnen und Genossen, macht den Damen und Herren Mandatsträgern einen Strich durch ihre Rechnung, wählt, wie ihr denkt und wollt. Ihr, ihr steht nicht unter Fraktionszwang! Wenn Obergenossen und Innen in diesem Zusammenhang auch Befürchtungen zum innerparteilichen Zusammenhalt äußern, dann sollen die das ruhig tun dürfen, jedoch wird dies von ihnen provoziert: In der Tat ist es so – und das ist auch gut so – dass direkte Demokratie auch die Parteidisziplin schwächen kann, indem regelmäßig Teile der Mitgliedschaft von der „offiziellen“ Parteihaltung abweicht und möglicherweise (w i  r  tun das, nennt I h r  uns Renegaten) temporäre Koalitionen mit anderen politischen Lagern eingehen. Innerparteiliche Opposition ist allerdings nicht per se nachteilig für das politische Profil meiner Partei, sondern wird wohl zu schlechter Letzt von Fraktion und Kreisleitung als Beleg für innerparteiliche Demokratie verkauft werden. Schaun wir mal genau hin!

Beim Bürgerentscheid profitieren beide Seiten: Parteistrategen, die protestierenden Bürger und die sie unterstützenden Parteien. Indem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid unter aktiver Beteiligung von Parteien stattfinden, hätte die politische Institution „Partei“ wieder auf Parteimitglieder und die Bevölkerung rückbezogen werden können. Das wurde hier gewollt versäumt. Aber: WARUM?

Für alle Parteien gilt, dass die Existenz direktdemokratischer Instrumente ihnen das Monopol entzieht, allein Themen auf die Tagesordnung zu setzen und zu entscheiden. Im Bürgerbegehren kann auch die Bevölkerung – allein oder in organisierter Form – Angelegenheiten thematisieren und im Bürgerentscheid abschließend entscheiden. Während beim Agenda-Setting theoretisch alle Parteien betroffen sind, berührt die Übertragung der Entscheidungsmacht von den Parteien an die Bürger nur die Mehrheitsparteien negativ. Denn die Minderheits- und erst recht die außerparlamentarischen Parteien haben aufgrund ihrer Stellung keine Entscheidungsmacht. Zwar erhalten sie diese bei einem Bürgerentscheid nicht zurück, aber (hier beantwortet sich die Frage nach dem „WARUM“), sie können im Falle eines erfolgreichen Bürgerentscheids indirekt vom Ergebnis profitieren: ihre Position zu einer Sachfrage hätte sich doch noch durchgesetzt.

Aber: So oder so – Niederlage oder Phyrrussieg

Natürlich bedeutet für die Minderheits-Parteien, wie hier für die (für mich relevante) SPD, dass sie bei einem für sie erfolgreichen Bürgerentscheid zwar einen Abstimmungssieg errungen, nicht aber notwendigerweise einen parteipolitischen Mehrwert gewonnen haben würde. Der Bürgerentscheid würde so für die Heidelberger SPD zum Phyrrussieg, weil sich der in einer einzelnen Protestaktion zum Ausdruck gekommene Unmut der Bevölkerung nun nicht mehr bei der nächsten Kommunalwahl instrumentalisieren lassen würde. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Bürgerentscheid mit Hilfe der SPD gescheitert ist. In diesem Fall kann der Streitgegenstand nicht mehr im Wahlkampf thematisiert werden, weil die Abstimmung offengelegt hat, welche Meinung die Bevölkerung hat.

Juli 2010 | Heidelberg, Allgemein, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen | 3 Kommentare