Marian Kogler schaut fokussiert, stützt die Arme auf und legt die Fingerspitzen beider Hände aneinander, sodass dieses Angela-Merkel-Viereck entsteht, nur andersherum. Kogler ist 18 Jahre alt und Dozent für Theoretische Informatik an der Martin-Luther-Universität Halle. Die Fotomotive sind ihm klar. Marian Kogler stellt sich vor die mit Formeln bekritzelte Tafel in seinem sonst karg eingerichteten Büro. Danach setzt er sich an den Schreibtisch mit den zwei Computern. Logisch, denn der 18-Jährige lehrt Informatik, ist Doktorand an der Martin-Luther-Universität in Halle/Saale. Deshalb schreiben Medien über ihn, er sei der «jüngste Wissenschaftler», das «Wunderkind».

Seine Antworten kommen stakkatohaft, nicht einstudiert, routiniert eben. Kein Wunder, über 100 Interviews habe der Österreicher in seinem Leben bereits gegeben, schätzt er selbst. Für zigfach mehr Fotos hat er posiert. Er, der Hochbegabte, der bereits mit drei Jahren lesen kann, insgesamt vier Klassen überspringt, mit 13 Jahren das Studium beginnt. Neben der Schule wohlgemerkt. Als er 15 Jahre alt ist, macht Marian Kogler Matura, das österreichische Abitur, und zwei Jahre später ist er der jüngste Diplomingenieur in seiner Heimat. Das liege auch an der Offenheit des österreichischen Uni-Systems, sagt Kogler. «Man geht hin mit einem Ausweis und wird eben Student. Egal wie alt du bist.»

Eine außergewöhnliche Lebensgeschichte, schon jetzt, mit 18. Deshalb hat er ein Buch geschrieben Gemischte Gefühle und anderer Zeitvertreib. Erfahrungen und Einsichten eines Hochbegabten. Sein IQ soll bei 150 liegen. So genau weiß er das aber selbst nicht. «Mit drei Jahren wurde ein Test gemacht, der ist aber abgebrochen worden, weil ich zu müde war.»

Dennoch findet der Wunderknabe in seiner Heimat Wien keine Doktorandenstelle. Und landet in der ostdeutschen Provinz, Halle an der Saale. Für diese Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter muss er sich bewerben. «Dann wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und akzeptiert», sagt Kogler. So weit, so normal – für ihn zumindest.

Konfliktpunkt Alter

Auch an der Wiener Uni habe er schon gelehrt. Der Unterschied sei, dass Studenten ihre Lehrer hier duzen und umgekehrt. «In Wien sind in den Lehrveranstaltungen 600 Studenten, hier sind es 60.» Seine Studenten kenne er mit Namen. Ob die sich von ihm, dem 18-Jährigen, auch etwas beibringen lassen, ist die Frage, die sich aufdrängt. «Zum Teil ja, zum Teil nein», lautet seine Antwort, die er mit einem Lachen beschließt. Und zum ersten Mal blitzt ein Teenagergesicht auf, mit dunklen glänzenden Augen und schiefen Zähnen.

Ein junger Mann, der nun 600 Kilometer von seiner Familie entfernt lebt. Heimweh habe er nicht und auch für seine Eltern sei absehbar gewesen, dass er das Haus recht bald verlasse. «Aber dass es gleich Deutschland wird, wusste ich natürlich nicht.»

Dann stützt er wieder die Arme auf und sagt den Satz eines Erwachsenen. «Es gibt immer Studenten, die Probleme mit der Lehrveranstaltung haben.» Die Studenten sind älter als er. Im zweiten Grundstudiumssemester, über das er bereits mit 14 Jahren hinaus war. Seine Jugend habe dabei eigentlich nie wirklich eine Rolle gespielt. Mit eigentlich meint er, dass sich einmal ein Student über ihn beschwert und dabei sein Alter erwähnt habe. «Ich denke aber nicht, dass er sich beschwert hätte, wenn ich ihn nicht schlecht bewertet hätte.»

Schon in der Schule sei er oft der gewesen, der anderen etwas erklärt. Auch den Lehrern. «Es ging nicht immer konfliktfrei ab», sagt er jetzt wortkarg. Zeit für Freunde und «Rekreation», wie er es nennt, habe er sich trotz Studium und Schule immer genommen. Seine Interessen neben Informatik zählt er mit «Politik, Zeitgeschichte, Sprachen und Sprachgeschichte» auf.

Komplexes einfach erklärt

Wobei sich der Freundeskreis eher aus Älteren speise. «Man redet eher mit Leuten im gleichen sozialen Kontext», sagt der 18-Jährige. Ob die vielleicht auch hochbegabt sind, so wie er, sei jedoch nebensächlich. «Das ist für mich kein Kriterium. Wichtig ist, dass ich gut mit einem Menschen auskomme und das korreliert überhaupt nicht mit der Intelligenz.» Und so ist Marian Kogler selbst der, der den Älteren die Denkanstöße gibt. «Ich finde es sehr spannend, mit ihm zu diskutieren», sagt André Geißler. «Er hat sehr überraschende Ansichten.» Der 27-jährige Informatiker teilt sich mit Kogler das Büro. «Einmalig», ist das Wort, mit dem er seinen Kollegen beschreibt.

Er zumindest versteht, was Marian Kogler forscht. Ein Erklärungsversuch: «Die grundlegende Frage der Theoretischen Informatik ist: Was kann ich berechnen?», sagt der 18-Jährige. «Ich habe ein Problem und einen Computer, der das Problem für einen Datensatz in zehn Sekunden berechnen kann. Wie schaut’s aus, wenn ich 100 Datensätze habe, brauche ich da entsprechend 1000 Sekunden oder brauche ich 1000 Jahre?» So ungefähr erkläre er die Arbeit auch seiner Mutter, der Verwaltungsangestellten und seinem Vater, dem Schriftsteller. Zumindest wüssten die immer, zu welcher Konferenz er gerade wieder reise. Zu komplex sei seine Forschung. «Bei mir geht es eher um Formeln und Tafeln», so wie auf den Bildern, die Pressefotografen ständig von ihm machen.

Als Nerd will er trotzdem nur in positiver Hinsicht gelten. «Ich bin kein Mensch, der dauernd im Keller vorm Computer sitzt», sagt Kogler. «Aber wenn ein Nerd jemand ist, der sich auf einem Gebiet, wie Mathematik oder Informatik gut auskennt und sich gern damit beschäftigt, bin ich einer.» 

Ines Weißbach

Juli 2010 | Allgemein, Junge Rundschau | Kommentieren