So heiß, wie es auf dieser Institution „Heiße Couch“ manchmal – kommt auf den Gesprächspartner und die Situation an – zu werden in der Lage sein wird, mußte es dem designierten Heidelberger Intendanten des Theaters der Stadt Heidelberg nicht werden. Fröhlicher Ernst stattdessen.
Holger Schultze – ja, ich werde Sie nicht fragen, ob und weshalb Ihrer Meinung nach Heidelberg etwas habe, was Osnabrück nicht hat. Das, das merken Sie noch früh genug … Ich will mal viel früher einsteigen: Wann hat Ihr Vater angefangen zu motzen: „Bub, werd´ was gescheites, geh nicht zum Theater“?
Mein Vater hat ja beim Fernsehen gearbeitet. Und dass ich Intendant werden wollte, das wußte ich, mithin auch mein Vater, schon, als ich 15 Jahre alt war. Ich habe damals viele Amateurtheatergruppen gemacht aber das tollste Erlebnis damals war für mich, dass mein Vater mir – zusammen mit meiner Mutter und meiner Schwester – abends immer aus den Räubern vorlas.
Das allerdings fing schon an, als ich etwa 13 Jahre alt war. Das war für mich sehr beeindruckend; mein Vater war zwar kein Schauspieler, wollte es aber als Kind wohl werden und dann haben wir immer in Franz Mohr gelernt. Das fand ich damals ganz angenehm unheimlich. Das waren dann auch – ehrlich gesagt – die Erlebnisse, die mich von zuhause weg und zum Theater trieben. Ein anderes Erlebnis war in meiner frühen Kindheit, da war ich mit meinen Eltern im „Kleinen Muk“, da trat eine Hexe auf, die fand ich damals mit meinen vier Jahren ganz furchtbar, da habe ich ganz laut gesagt: mir reicht’s und bin dann einfach aus dem Zuschauerraum rausgegangen. Das waren meine zwei Kindererlebnisse gewesen, dass ich heute sagen kann, scheinbar haben die mich so geprägt, dass ich dann zum Theater gegangen bin.
Fragte jemand mich als Kind, was ich denn mal werden wolle, dem sagte ich nicht etwa Lokomotivführer, sondern damals schon: „Rentner“, Sie wollten immerhin zwischenrein vorher noch Intendant sein. Wie lange hat, dass Sie es geworden sind, gebraucht? Und was haben Sie in der Zwischenzeit getrieben?
Das war immer mein Thema: Ich hatte immer diese Doppelbegabung, ich konnte super organisieren und auf der anderen Seite fand ich mich als Regisseur gut und musste das immer verbinden. Wenn ich das Eine machte, blieb das Andere auf der Strecke. Dann habe ich einfach viel inszeniert, ich habe bei Peter Palitsch assistiert, bei Jürgen Bosse in Mannheim und im Staatstheater Stuttgart und bin dann als relativ – ich glaube sogar als Jüngster, als es die noch gab – an die Freie Volksbühne Berlin gekommen und habe da inszeniert, aber ich habe auch an den kleinsten Landestheatern gearbeitet, in den Neuen Bundesländern in Stendahl, in Rostock, jedenfalls wenn auch nicht in jeder Stadt auf der Landkarte, habe ich doch in sehr vielen Städten gearbeit, (hier steht das alles) und dann, endlich die Erfüllung meines Traums, von dessen Erfüllung ich ja bereits 20 Jahre vorher wußte – in Osnabrück als Intendant.
Die Plage des an sich selbst zweifeln, die plagt Sie offenbar nicht. Oder haben Sie damals vielleicht doch irgendwann gedacht: Intendant ist vielleicht doch ne Latte zu hoch angelegt?
Also, ich würde die Frage anders beantworten wollen: So habe ich nie gedacht, so würde ich auch nie denken. Irgendwann habe ich festgestellt, dass meine große Begabung – dass nichts menschliches mir fremd ist – und dass ich wirklich viel Kraft daraus schöpfen kann, dass ich nicht nachtragend bin und dass ich Menschen motivieren kann. Ich denke, dass dies zwei wesentliche Voraussetzungen sind; ich glaube an Theater, ich glaube auch, dass Theater Gesellschaft verändern kann, da bin ich ganz altmodisch. Und ich habe gemerkt, dass ich die Kraft habe, in einer leitenden Position Menschen zu etwas zu verführen, was sie vielleicht sonst nicht tun würden. Das kann Publikum sein, es können Künstler sein, es können außergewöhnliche Künstler und Autoren sein. Diese Qualität an mir entdeckt zu haben und das auch umzusetzen hat mir dann schon irgendwo Spaß gemacht.
Auf dem Weg dahin aber haben Sie also erst mal viel Regie geführt. Waren Sie auch mal als Schauspieler auf der Bühne gestanden?
Ja, das ist eine ganz schwierige Situation, weil ich als junger Mensch studiert habe und auch eine private Schauspielausbildung gemacht habe und aber – ehrlich gesagt – hatte ich die bittere Erkenntnis, dass ich als Regisseur viel besser bin, denn als Schauspieler. Deshalb habe ich mich sehr früh dafür entschieden, doch Regisseur und Intendant zu werden.
Hat Ihnen das wer gesagt, dass es für Sie besser wäre, doch lieber Regisseur – und seis drum, eben – und Intendant werden wollen sollten?
Sag ich’s mal so: Also, natürlich sagten mir das auch einige Menschen, ich merkte das ja auch an der Resonanz. Und das andere war: Ich glaube, man spürt vor allem selbst, ob man eine Begabung hat oder nicht. Und meine Begabung – das ist ja eigentlich ein ganz schwieriger Beruf – zuzuhören, wenn einem Menschen irgend etwas darüber erzählen, dass, und wie man Vieles anders machen solle. Ich merke auch, dass ich sehr in Strukturen denke, dass ich daran denke, was ist möglich mit diesem Apparat Theater. Ich meine, das ist für jedenfalls meinen Beruf die Kreativität, die ich mir wünsche.
Vielleicht dann aber doch noch eine Antwort auf meine Frage: Standen sie je als Schauspieler auf der Bühne, und wenn ja, kamen da keine – von Ihnen erwartete – „Bravi“?
Im Gegenteil, ich war zweimal auf der Bühne: Einmal auf der Bühne in Kaiserslautern im Ödipus-Chor und hörte hernach, dass ich hervorragend gewesen sein soll. Und dann mußte ich, als ein Schauspieler im Peer Gynt ausfiel, drei Rollen übernehmen, weil jeder Schauspieler mehrere Rollen spielte – und ich habe sehr viele Lacher in der ersten Vorstellung bekommen; das Problem war, dass wir das Ganze wiederholen mußten und beim zweiten Mal kein Mensch mehr gelacht hat. Ich glaube, das war eine Rettungsaktion; beim ersten mal nämlich habe ich nicht darüber nachgedacht und beim zweiten mal wollte ich die Lacher haben – und dann kamen sie aber leider nicht.
Was, zu guter Letzt, bedeutet Ihnen Theater?
Ja, zu guter Letzt also finde ich Theater erstmal für mich selbst den schönsten Beruf, den man überhaupt ausüben kann. Sie haben mit ganz verschiedenen Bereichen des Lebens zu tun, Sie haben mit Literatur zu tun und Sie haben mit Menschen zu tun. Das ist für mich erst mal das, was Theater ausmacht. Ich glaube aber auch, dass heutzutage Theater erst einmal viele gesellschaftliche Aufgaben hat. Sie haben viele junge Menschen, die zunächst einmal auf diesem Weg an Kultur, auch an Bücher herangeführt werden (wollen). Jedoch habe ich dennoch das Gefühl, dass Theater immer mal wieder – etwa alle drei Jahre – totgesagt wird, dass aber das Theater schon seit Jahrtausenden immer wieder diese große Kraft hat, sich zu regenerieren – im Augenblich wird sicher ein Thema sein, in die Stadt hinein zu gehen – ich habe das vorhin gesagt – also, für mich ist Theater gefühlsmäßig etwa – auch – so: Wir machen tolles Theater, kuck mal Stadt, wie Du damit klar kommst. Ich finde, dass Theater ein Inhalt ist, ein Wert, eine Kultur ist, ein Oberzentrum einer Stadt, was so viele Möglichkeiten gibt, und wenn wir für uns begreifen, dass Theater diese Möglichkeiten hat und gibt, dann glaube ich fest daran, dass Theater ein, dass es das kulturelle Zentrum einer Stadt ist. Wo, wenn nicht im Theater gibt es die Möglichkeit, frei zu denken, Gedanken frei zu äußern, sei es über Ästhetik, sei es über Stücke oder Literatur.
Diesen Diskurs herbeizuführen, das meine ich ist das Zentrum, ich glaube auch, dass Theater immer noch Menschen verführen kann, dass Theater als „Live-Erlebnis“ von nichts anderem zu toppen ist – an keiner Stelle. Ich wiederhole mich und führe näher aus, dass ich – ganz altmodisch – meine, Theater könne Gesellschaft verändern, und zwar in der Reflektion. Ich habe das erlebt: Wir haben in Osnabrück mit Hauptschülern Schulprojekte gemacht, also mit jungen Menschen mit eher wenig Bildung, die wir an Theater herangeführt haben. Da habe ich einen wunderschönen Satz von einer Hauptschülerin mit Migrantenhintergrund bei der 100 – Jahrfeier des Osnabrücker Theaters gesagt bekommen: „Wer Theater nicht versteht, versteht die Welt nicht.“ Wenn das jemand in jugendlichem Alter sagt, dann läßt sich da nichts hinzufügen.
Mit Holger Schultze sprach Jürgen Gottschling