Es war 1988, als der griechische Komponist und Liedermacher Mikis Theodorakis mit Orchester und Sänger-Team eines seiner umjubelten Konzerte in Heidelberg gab. In der angenehm überfüllten Stadthalle. Begeistertes Griechentum der Neuzeit („Romiossini“) …… in Heidelberg ohne jeden chauvinistischen Schwulst. Antidikatorisch, mit starken, poetischen  Bezügen zum Hellas des Altertums, den Zeiten von Sophokles, Euripides, Aristophanes u.a. Mit Dichtungen der neuzeitlichen Dichter, allen voran Jannis Ritsos, dessen Verse Theodorakis kongenial vertont hat. Oder Michalis Burbulis …

Theodorakis war – vorher und danach – noch mehrere Male  in unserer Stadt, aber ich erinnere die Jahreszahlen nicht mehr genau. Mit Petros Pandis, mit Maria Farandouri, den großartigen Interpreten und Interpretinnen seiner Liederzyklen, Oratorien und vor allem des berühmten „Canto General“ nach Versen von Pablo Neruda:

Es waren Zeiten, in denen junge Leute sich noch nicht der SixPack-Kultur und dem HipHop hingaben, sondern bereit waren, auch fremden, getragenen Kunstliedern aufmerksam zu lauschen und sie zu verstehen. Griechentum! Ein anderes Europa! Nicht nur Junge, auch Ältere und Alte, die einen anderen Blick auf Griechenland hatten, als den irgendwie vorherrschend abgefuckten von heute. Es war da ein Glanz ohne Patina, ein Aufbruch, eine kämpferisch-friedliche Begeisterung in unserer Stadt.

Geradezu hellseherisch mögen einem heute die Inhalte einiger Lieder erscheinen, die damals vorgetragen wurden.  In seiner bekannt stürmisch-würdigen Art und Weise am Pult dirigierend Theodorakis, als Sänger Petros Pandis, Thanassis Moraitis und Sophia Michaelidou, dazu ein Ensemble aus Bouzouki (Lakis Karnezis), Gitarren und Keyboards.

Großartig, damals 1988 und Jahre zuvor! Wir liebten diese Musik und wir liebten – nach dem Konzert – das einfache, aber einfach auch leckere Essen beim damaligen Tränktor-Griechen,  im Goldenen Stern, in der griechischen Bergbahn-Kneipe: Spießchen, Schafskäse, der typische Salat, Ouzo und Retsina.  Auch Theodorakis mit seinen Leuten saß da plötzlich unter uns im Tränktor. Irgendwas vibrierte. Irgendwas stimmte.

Wir liebten zu jenen Zeiten Griechenland, das wir so gerne besuchten, aber wir ahnten doch schon auch damals, dass dieses Land dem Ausverkauf preisgegeben werden würde. Das Schöne weckt immer Begehrlichkeiten, nun ist es passiert. Die Märkte und Stammtische scheinen zu obsiegen. Und Griechenland wehrt sich.

Hier nun zwei Gedichte von Michalis Burbulis (siehe das Programmheft von 1988), zu denen der griechische Komponist die Musik gemacht hat und die uns in lyrischer Voraussicht zeigen, wo wir nun stehen – mit diesem perfiden Durchschnittsblick auf ein Land, von dem wir seit etwa 2700 Jahren so unermesslich viel bekommen haben: Ja, Heimat Du, sie würfelten um Dich auf Pump!

DIE UNVERDÄCHTIGEN
Einst kam die Sonne heraus über Athen
und leuchtete uns;
dann ein warmer Regen
der auf uns herabfiel.
Er goß unsere Blüten
daß aufblühten unsere Fehler!

So gelangten wir
in den Abgrund der Einsamkeit
in Häusern, parallel und flach.
unsere Ideale:
ein Posten im öffentlichen Dienst
und ein weiterer in den Stadien.

Des nachts gingen die Liebenden hinaus
in die Wäldchen, sich küssen;
aber an einem dünnen Faden
hing das Leben
bis er eines Tages riß
und ein Gewitter begann.

HEIMAT
Ein kalter Nordwind stieg herab
des nachts von der Akropolis
durchforstet die Blumen
weint und erzählt Byzantinisches
Heimat Du
sie würfelten um dich auf Pump!

Sind die Jahre versteinert
kommen und bedecken uns
wie soll ich mich nur erinnern
an Häuser und Menschen in der Tiefe
Heimat Du
sie würfelten um dich auf Pump!

Der Körper von Andrutsos weint
wie das bittere Meer
Mensch wie änderten sich die Zeiten
heute herrschen über uns die Bayern
Heimat Du
sie würfelten um dich auf Pump!

Oh Bitterkeit der Verzweiflung
du blühtest auf in unserem Schlaf
unbekannte fremde Schiffbrüchige
sind wir geworden im eigenen Land
Heimat Du
sie würfelten um dich auf Pump!

Fritz Feder

Mai 2010 | Allgemein, Politik, Zeitgeschehen | Kommentieren