? Einige Zeit dem Heidelberger Gemeinderat angehört zu haben, heißt ja nicht nur, dass man Sitzungen mit immer gestählteren Nerven verlässt – wenn es denn nicht nur genervt hat – sondern dass man auch gelernt haben kann, sich trotz dort oft vorherrschender geschwätzig-langwieriger Trägheit Mehrheiten beschaffen zu können …

Gute Laune, gutes Wetter, alte Zeiten: Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel im Hof des Heidelberger "Extrablatt" … Foto: got
Wollen wir mal nicht übertreiben, aber ich habe in meinem ganzen Leben und in allen Phasen sehr viel gelernt – und habe das Glück, schnell lernen zu können. Nun ja, im Heidelberger Gemeinderat habe ich natürlich auch Einiges gelernt, vor allem, dass ich kein Freund von Schaufensterreden bin, die kosten nur unnötig Zeit und Zeit ist knapp. Deshalb kann ich es wirklich nicht leiden, wenn jemand meine Zeit verschwendet.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit als Minister gab es aus Ihrem Haus – in der Presse dann zitierte – Stimmen, die Niebelsche Personalpolitik sei recht nassforsch. Sind Ihre Entscheidungen mittlerweile akzeptiert?
Was man da manchmal lesen konnte, ist wirklich bemerkenswert. Wenn man die politischen Stellen außen vorlässt, habe ich sage und schreibe acht externe Stellenbesetzungen in einem über 600 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zählenden Ministerium durchgeführt: Mein persönlicher Fahrer, meine persönliche Assistentin, die persönliche Referentin von mir, der Staatssekretärin und des Staatssekretärs, den Leiter der Pressestelle und einen Pressereferenten, sowie denjenigen, der die Sondereinheit zur Durchführung der Vorfeldreform leiten soll. Was da aber teilweise zu lesen war, ist oft schon unterirdisch und zeigt mir, dass man nicht alles glauben darf, was man lesen kann, dass die Recherchetiefe manchmal doch so gering ist, weil man gerne voneinander abschreibt, ohne selbst nochmals nachzurecherchieren. Das ist schon tragisch …
Am 24. März haben Sie dem Bundeskabinett den aktuellen Stand der Reform der Durchführungsorganisationen Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit – innerhalb welcher man übrigens bisher hinter vorgehaltener Hand despektierlich zu sagen pflegte: „Ist uns doch egal, welcher Minister unter uns arbeitet“ – dem Deutschen Entwicklungsdienst und InWEnt vorgestellt; InWEnt, die nicht so bekannte Organisation, ist die Internationale Weiterbildung und Entwicklungs gGmbH, ein weltweit tätiges Unternehmen für Personalentwicklung, Weiterbildung und Dialog, deren Capacity Building-Programme sich an Fach- und Führungskräfte aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft richten.
Also, die Fusionierung dieser drei großen Organisationen zu wollen, das ist doch wirklich ein alter Hut, das zu tun hatte doch Ihre Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bereits vor?
Natürlich ist das – wie Sie sagen – ein alter Hut. Aber es ist halt nie umgesetzt worden. Gehen Sie mal nach Afrika oder nach Asien in ein deutsches Haus. Da werden sie auf dem Innenhof zig Jeeps finden mit drei verschiedenen Hausnummern – GTZ, DED oder InWEnt steht in aller Regel darauf. Das ist nicht wirklich effizient und auch unsere Partner werden überfordert. Wir wollen mit einer einheitlichen Durchführungsorganisation für die Technische Entwicklungszusammenarbeit dafür sorgen, dass wir effizienter, wirksamer und sichtbarer werden, und dass wir die politische Steuerungsfähigkeit wieder im Ministerium ansiedeln. In der Vergangenheit war es so, dass das Ministerium durch enorme Berichtspflichten und Kontrollversuche eine gefühlte Schwäche gegenüber der GTZ kompensieren wollte. Deshalb ist es sinnvoll und vernünftig, die drei Durchführungsorganisationen zusammenzuführen und neu aufzustellen, wobei sie ihre enorme Bandbreite an unterschiedlichen Instrumenten natürlich beibehalten sollen. Und das werden wir jetzt tun.
Der Gegenwind ist ja nicht mehr so stark, wie er das anfangs noch war. Ist das Sperrfeuer weniger aggressiv geworden, zumal man dort wohl gespürt haben konnte, dass Mitarbeiter da nicht „irgendwie untergebuttert“ werden sollen?
Das Entscheidende an unserer Reform besteht darin, dass wir sie auf Augenhöhe zwischen allen drei Organisationen durchführen. Das klingt erst einmal unglaubwürdig, weil ja die Größe so unterschiedlich ist: die große GTZ mit 13.000 Stellen weltweit und die vergleichsweise kleinen, InWEnt und DED. Aber weil jeder seine speziellen Kompetenzen hat, ist es möglich, diese Durchführungsreform auf Augenhöhe zu gestalten. Wir haben bereits 14 Punkte zwischen allen Beteiligten abgestimmt und diese habe ich auch dem Kabinett schon vorgestellt. Aber es gibt natürlich auch einige Klippen, durch die wir noch durchmüssen. Zum Beispiel, dass wir drei unterschiedliche Haustarifverträge haben, die Frage der einheitlichen Rechtsform, die des Namens und des ersten Dienstsitzes. Klar ist aber, dass alle Standorte erhalten bleiben, sodass sich niemand Sorgen machen müsste, dass er jetzt zwangsversetzt werden würde. Wir sind auf einem Weg, auf dem wir die erste Etappe abgeschlossen haben. Wir sind jetzt in der zweiten Etappe, der Arbeitsphase, insbesondere was die rechtliche Klärung verschiedener Dinge anbetrifft. Wir wollen vor der Sommerpause mit einem Beschlusspapier ins Kabinett gehen, also in die dritte Phase eintreten. So können wir nach der Sommerpause alle notwendigen Beschlüsse fassen und spätestens am 1. Januar 2011 mit der neuen Organisation loslegen.
Sie haben noch keinen Namen für dies neue Konstrukt?
Nein, das ist, glaube ich, das Letzte, was entschieden werden wird. Wir haben mal verschiedene Namen durchgespielt, die als Abkürzung entweder Dirk ergeben hätten oder Guido … Nein, ernsthaft: wichtig ist, dass wir ein sinnstiftendes einheitliches Geschäftsmodell für alle drei Teile dieser Organisation finden, die sich alle auch unter dem Namen der neuen Organisation wiederfinden. Es geht auch um weltweit etablierte Marken. Ich will ein Beispiel nennen: Die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit hieß früher nur Friedrich Naumann Stiftung. Weil aber leider immer weniger Menschen wissen, wer Friedrich Naumann war, wurde es die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit. Ich ahne mal, dass es irgendwann die Stiftung für die Freiheit sein wird. Einen ähnlichen Prozess wird es wahrscheinlich auch mit dieser Durchführungsorganisation geben, so dass sich langfristig der neue Name – welcher auch immer – einprägen wird.
Kurz nach Ihrem Amtsantritt wollten Sie Entwicklungszusammenarbeit mit China canceln. War es das Wirtschaftsministerium, das gemeint hat, das können wir so jetzt noch nicht machen, oder waren das Ihre Erkenntnisse, die Sie haben meinen lassen, dass man Entwicklungsarbeit ja auch anders würde leisten können, etwa in der Weise, dass dort kleine mittelständische Betriebe eingesetzt werden, die da ihr know how einbringen könnten, die ja auch ein durchaus gesundes Eigeninteresse an der Entwicklung ihrer Standorte in den Entwicklungsländern zeigen, womit sie aber auch mit ihren Potenzialen zum Abbau von Armut und Unzulänglichkeiten beitragen würden.
Die Grundannahme Ihrer Frage stimmt nicht. Die Entwicklungshilfe klassischer Art mit China gibt es nicht mehr. Der Haushalt 2010 wurde für die Entwicklungshilfe mit China auf Null gestellt. Das ist nicht das Ende jeder Zusammenarbeit mit China, das ist das Ende der Entwicklungshilfe für China. Alle laufenden Projekte werden natürlich zu Ende geführt, weil wir ja keine Entwicklungsruinen hinterlassen wollen. Aber wir begeben uns auf eine andere Ebene der Zusammenarbeit mit China, denn China braucht keine Entwicklungshilfe mehr: China hat enorme Devisenreserven und hat uns als Exportweltmeister überholt. China gibt hohe Mittel für eigene Entwicklungszusammenarbeit: für Afrika zehn Milliarden Dollar im Jahr, das ist mehr als mein gesamter Jahresetat für die ganze Welt. Wenn wir jetzt ein neues Kapitel im Buch der Zusammenarbeit aufschlagen, dann kann das der Bereich sein, in dem wir zum Beispiel Projekte gemeinsam mit China in Afrika durchführen. Mit unserer jahrzehntelangen entwicklungspolitischen Erfahrung und den Erfahrungen der chinesischen Seite durch die eigene Entwicklungsgeschichte können wir Dritten, die noch nicht so weit sind, eine enorme Hilfestellung geben. Vielleicht können wir auch China so an unsere Kriterien für Entwicklung, wie zum Beispiel gute Regierungsführung, heranführen. Darüber hinaus wird es natürlich wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China weiter geben. Wir werden im Bereich der Umweltpolitik und des Klimaschutzes regionale Projekte in Asien durchführen, etwa zur CO2-Emmissionsminderung, die auch China betreffen. Fakt ist: die klassische Entwicklungshilfe ist zu Ende. Dafür ist kein Geld mehr im Haushalt eingestellt und das ist das wichtige politische Signal.
Es gibt – gerade in zweiter Auflage gedruckt – „Das Buch zur neuen Entwicklungspolitik von Minister Dirk Niebel – Unternehmer sind die besseren Entwicklungshelfer.“ Ist dem so, wollen Sie Unternehmen künftig überhaupt oder mehr einbinden?
Das Ministerium heißt ja nicht ohne Grund Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Im Idealfall wollen wir unsere Partnerländer ertüchtigen, dass sie ohne uns gut auskommen. Das geht von Land zu Land sehr unterschiedlich. Meiner Meinung nach am Besten, indem ein Land eine eigene Wirtschaftsentwicklung erzielt, die Einkünfte schafft, Bildung ermöglicht und dadurch Armut bekämpft. Deswegen ist es natürlich so, dass wir in bestimmten Bereichen mit Gesundheitsprojekten etwa Aidsprävention betreiben, weil das Partnerland das noch nicht selbst kann. Auf der anderen Seite unterstützen wir die Ansiedlung von Unternehmen in unseren Partnerländern, zum Beispiel durch PPP-Projekte, um so eine eigene Wertschöpfungskette zu etablieren. Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir billige Absatzmärkte generieren wollen, sondern dass wir Entwicklungsprojekte mit der Wirtschaft gestalten, die Perspektiven schaffen, wie zum Beispiel in Namibia. Dort habe ich Anfang Februar bei einem Zementwerk ein Richtfest durchgeführt. Dies war eine der größten deutschen Direktinvestitionen, die es dort jemals gab, immerhin in Höhe von 254 Millionen Euro. Dadurch kann sich eine ganze Region entwickeln. Allein schon in der Bauphase gibt es 1500 temporäre Arbeitsplätze, danach werden 300 feste Arbeitsplätze in dem Werk geschaffen, und rundherum noch mal ungefähr geschätzte 2000. Dies birgt die Chance, dass sich die gesamte Handelsbilanz Namibias verändert, denn bisher hat Namibia noch kein Zementwerk, sondern importiert Zement. In Zukunft aber wird Namibia Zement exportieren können – zumindest in die Nachbarländer Botswana und Angola, wenn alle Handelshemmnisse ausgeräumt werden können. Das verändert eine ganze Wirtschaftsregion und führt durch die Einkünfte zu besseren Lebensbedingungen und zu Bildungschancen.
Man muss Sie ja gar nicht verfolgen. Nachrichten hören und sehen genügt, um zu wissen, wie umtriebig Sie sind, und welches Pensum Sie absolvieren – so, als wären Sie das schon immer gewohnt?
Nun war ich ja als Generalsekretär nicht unterbeschäftigt, nur, dass ich heute vielleicht nach Kabul oder Hanoi fliege, während ich früher in Erkenschwick oder Euskirchen gewesen bin.
Und, macht’s Ihnen Spaß?
Überwiegend ja. Bestimmte Dinge sind bitter, wie jetzt die Reise nach Afghanistan, wo ich für die Erfolge des zivilen Wiederaufbaus werben wollte. Was da an Infrastruktur und Erwerbsmöglichkeiten geschaffen wurde, was für Bildungs-, Wasser- und Energieprojekten da laufen, das ist eine wirkliche Erfolgsstory, die in Deutschland kaum jemand wahrnimmt. Deutschland hat von 2001 bis 2009 eine Milliarde Euro für zivile Aufbaumaßnahmen investiert. Allein für diese Legislaturperiode sind in meinem Ministerium eine weitere Milliarde Euro vorgesehen – 250 Millionen pro Jahr nur vom BMZ-Etat, 430 Millionen Euro pro Jahr von der Bundesregierung insgesamt für zivilen Wiederaufbau. Das zeigt, dass wir einen echten Strategiewechsel geschafft haben und die zivile Komponente deutlich stärken. Damit werden wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen, Projekten und Initiativen starten, damit die Menschen eine echte Friedensdividende spüren. Das alles mitbewegen zu können, das macht in der Tat auch Spaß.
Fliegen Sie – zusammen mit Außenminister Westerwelle – deshalb nach Afrika? Wünscht das als Zeichen verstanden zu werden?
Ausdrücklich, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist es meine dritte Afrikareise seit Amtsantritt, um zu zeigen, wie wichtig dieser Kontinent für uns ist. Das ist unser Nachbarkontinent, der allzu oft nur als Katastrophenkontinent dargestellt wird. Natürlich gibt es in Afrika Krisen und Katastrophen, aber vor allem ist Afrika ein Kontinent mit enormen Chancen. Zudem: Es gibt nicht „das“ Afrika, sondern es gibt ganz viele verschiedene Afrikas in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien. Außerdem ist es die erste gemeinsame Reise eines Außen- und Entwicklungsministers, ich betone: gemeinsame Reise. Nicht reist der Entwicklungsminister mit dem Außenminister – oder umgekehrt – sondern wir reisen gemeinsam auf Augenhöhe, mit gemeinsamen und auch mit jeweils alleine durchgeführten Programmpunkten. Dies soll zeigen, dass es jetzt Außen- und Entwicklungspolitik aus einem Guss gibt und zwischen den Häusern Kohärenz herrscht. Das ist eine klare und starke Botschaft.
Demnächst vielleicht auch zusammen mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle?
Ich glaube, dass die Konstellation der FDP-Ressorts viele Chancen der Zusammenarbeit bietet. Kommen wir zurück auf China: Wenn ich als Entwicklungsminister erfolgreich gewesen bin und mithin Entwicklungshilfe auslaufen kann, dann müsste auf der nächsten Stufe die Außenwirtschaftsförderung weitermachen. Das wäre das Ressort von Rainer Brüderle. Oder wenn es eher in Richtung von Urheberrechten oder Ähnlichem geht, dann ist das der Punkt, wo die Justizministerin einsteigen müsste. So können wir viele Anknüpfungspunkte finden…
Das Grünbuch der Europäischen Kommission zu CSR, zu Corporate Social Responsibility, sie bildet eine wirtschaftspolitische Initiative, die sie zum wohl progressivsten Wirtschaftsraum der Welt machen wird; oder bereits gemacht hat? Wie gehen Sie, wie geht Ihr Ministerium mit diesem Papier um?
Corporate Social Responsibility bedeutet im Kontext der Entwicklungspolitik unternehmerisches Handeln für nachhaltige Entwicklung. Das bietet uns die Chance, mit der Privatwirtschaft zusammenzuarbeiten. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die staatlichen Haushalte immer knapper werden, und dass wir deshalb auch die öffentlichen Ausgaben immer besser gegenüber der Bevölkerung begründen müssen. Das wird wichtiger. Deswegen müssen wir in der Entwicklungspolitik noch wirksamer werden. Es geht nicht nur darum, wie viel Geld wir ausgeben, sondern es geht auch darum, wofür wir es ausgeben. Und wenn wir Unternehmen dazu bewegen können, sich im Rahmen von CSR auch für entwicklungspolitische Ziele zu engagieren und hier Geld zu investieren, das unsere staatlichen Investitionen ergänzt, dann haben wir einen richtig guten Job gemacht.
Guten Job gemacht – wo wollen Sie angekommen sein am Ende dieser Legislaturperiode?
Am Ende dieser Legislaturperiode wird das Ministerium so aufgestellt sein, dass es nicht – wie in der Vergangenheit – mehrere Außenpolitiken in Deutschland gibt, sondern einen abgestimmten deutschen Außenauftritt. Es kann nicht sein, dass am Montag der Außenminister in einer Stadt ist und am Donnerstag sich der Entwicklungsminister in der gleichen Stadt befindet und dass dann verschiedene Botschaften ausgesendet werden. Dies schadet nicht nur dem deutschen Auftreten in der Welt, es verwirrt auch unsere Partner. Die Durchführungsorganisationen für die Technische Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik werden in einer einheitlichen Gesellschaft schlagkräftig, wirksam und sichtbar deutsche Entwicklungspolitik umsetzen. Und zu guter Letzt werden wir mehr privates Engagement für die Entwicklungspolitik gewonnen haben.
Das ist Ihr Ziel?
Das ist mein Ziel!
Interview mit Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel: Jürgen Gottschling
22.Apr..2010, 08:57
In dem aufschlussreichen Interview des BMZ-Ministers Niebel klingt, wie könnte es anders sein, u.a. mehrmals an, dass es ihm – im Kontext einer verstärkten Einbindung der (auch deutschen) Wirtschaft, möge bitte auch was Gutes bei den Zielgruppen ankommen – vorrangig um eine verbesserte Wertschöpfung, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit bei den TZ- und FZ-Programmen und -projekten geht.
Das ist zweifellos kein Irrweg, wie dies jedoch zu erreichen wäre, wird in dem relativ ausführlichen Interview, das sowieso schon einen gewissen Umfang hat (danke, Jürgen Gottschling), nicht auch noch detailliert.
Der Minister hat sich zu dieser Schlüsselfrage bereits in anderen Interviews geäußert und dabei angedeutet, dass es hinsichtlich der Evaluierung und Wirkungsmessung von Projekterfolgen darum geht, nicht nur die Fäden wieder stärker beim BMZ zusammenzuführen, sondern auch einer von ihm beobachteten Tendenz zur relativen Selbstevaluierung von eigenen, jedoch BMZ-finanzierten Maßnahmen der Durchführungsorganisationen (GTZ, KFW, InWEnT, DED, usw.), wenn ich ihn richtig verstanden habe, abzuhelfen und künftig, soweit wie möglich, vorzubeugen.
Im Fokus stehen dabei vor allem so stark miteinander zusammenhängende Themen wie die Erfassung „objektiver“ Wirklichkeiten im Projektgeschehen; die Neutralität und Unabhängigkeit von Gutachtern/innen, die für die Evaluierung von Projekten von Durchführungsorganisationen beauftragt werden, die diese ja selbst implementieren, durchführen und begleiten; die Frage des Instrumentariums der Erfolgsmessung, usw.
Meiner Beobachtung nach hat bei letzterem Punkt, der Erfolgsmessung, seit ca. 10 Jahren und nach – zuvor – einer sehr langen Phase in der Entwicklungszusammenarbeit, bei der die Konzeption von Evaluierungsansätzen noch – um es überspitzt auszudrücken – auf einen „Bierdeckel“ gepasst hatte, eine Situation Platz gegriffen, die sich bezüglich der Ansprüche der Evaluierungen und Prüfungen mit den Topoi: weitgehende Verwissenschaftlichung, Akademisierung und bis zum Sophismus hin ausgefeilte Konzeptionsbegrifflichkeit umschreiben lassen. Schärfere Stimmen sprechen von Konzeptionsbürokratie und zitieren wieder mal das bekannte Parkinsonsche Gesetz. Hintergrund sind u.a. die sog. DAC-Kriterien der OECD.
Meiner persönlichen Meinung nach ist man über die Jahrzehnte der Projektbeobachtung bei aller Qualitätssicherung vom „Regen“ des relativen Bierdeckel-Pragmatismus in die „Traufe“ der Überkonzeptionierung geraten. „Gute Synthese“ scheint mir in diesem Zusammenhang das Gebot der Stunde.
Es scheint jedoch vielfach so, als wolle man eine Art von voll existenter und letztlich als erkennbar empfundenen Projektrealität auf Teufel komm raus mit dem Lasso der pur objektivierten Methodik der reinen Erkenntnisgewinnung einfangen, wobei inzwischen viel viel Ballast, ein ganzer Rucksack von Kriterien, Kennungen und Konklusionsmodalitäten mitgeschleppt wird, der fast schon im Jahrestakt immer schwerer wird.
So als gäbe es in eindeutiger Weise diese „objektive Wirklichkeit“ eines sagen wir: 8 Mio. – Projekts über 10 Jahre Dauer in 5 Provinzen eines Partnerlandes mit 10 Stakeholdern und 3 Hauptzielgruppen tatsächlich in erkennbarer Form. Aber auch bei Projekten und Maßnahmen geringeren Umfangs …
Ich spiele hier auf das Risiko an, dass wir nach den Jahren der konzeptionell eher verknappten Projektbeobachtungsgrundlagen ca. seit 2000 immer mehr in eine Phase der Projektuntersuchungen hineingeglitten sind, bei der eine sich letztlich auch im Berichtswesen niederschlagende, zu handlungsferne Beobachtung der TZ-Geschehnisse zum Selbstzweck geworden ist. Pragmatismus, Praxisnähe und Plausibilität werden dabei zunehmend auf dem Altar von Evaluierungen nach Art höherer Weihen geopfert. Wir sollten das zu stoppen und zu rekonvertieren versuchen.
Dabei sehe ich die Hauptgefahr darin, dass eine letztlich immer subjektiv (auch team-subjektiv) bleibendes Beobachtungskonvolut allzu dogmatisch und somit „weltfern“ als das jeweilige Nonplusultra der Erkenntnis über ein vermeintlich objektives Projektgeschehen ausgegeben wird – aus Gründen, wie ich meine, des Rechtfertigungszwangs, aus Gründen auch der akademischen Selbstbehauptungserfordernis der neuen Konzepteure und Akteure von evaluativen Erkenntnisgewinnungsansätzen.
Dabei weiß doch, simpel gesprochen, jeder: passiert irgendwo ein Autounfall mit 3 Zeugen, dann gibt es zum Geschehen 4 Meinungen. Und dies zurecht!
Nun ist eine gut fundierte Begutachtung eines Projekts natürlich nicht mit dem genannten Geschehen spontaner Zeugenschaft noch dazu bei einem raschen Unfall zu vergleichen, aber bei aller Vorteilhaftigkeit eines runden, stabilen und durchaus auch ausgefeilten Konzepts der Erkenntnisgewinnung über Projektverläufe sollte doch nicht übersehen werden, dass es die definitive Projektrealität als solche nicht eigentlich gibt.
Wenn wir deshalb, ich sage es mal provozierend, bei den Evaluierungen immer wieder auch komplexe Wirkungsketten ableiten, die mitunter sogar ableitbar sein mögen, aber insgesamt eher dem Bedürfnis nach dem Gebilde: Wirkungsketten entsprechen, als wirksamer Realität in der Wirklichkeit (man lese nur mal ein paar Berichte), dann sind wir irgendwie auf dem falschen Dampfer. Wir neigen dann eher zu „konstruierter Virtualität“ (die Versuchung ist groß!), einem bekanntlich ubiquitären Phänomen unserer digitalen Wissensgesellschaft. Wo aber bleiben die Plausibilität, der Wert des Blicks des Geübten und wo die Intuition, möchte ich forsch fragen.
Man muss kein erkenntnistheoretischer „Konstruktivist“ sein, um festzustellen, dass Wahrnehmungen von Projekteobachtern in der Regel voneinander abweichen, stark differieren oder auch sehr „irren“ können. Es sind „neuronale Subjektwahrnehmungen“, jedoch legitime und notwendige, die systemisch nur um den Preis zu hoher Abstraktionslogiken ausgehebelt werden können. Ich möchte hier, hoffentlich ohne falsch verstanden zu werden, für mehr „Mut zum Fehler“ plädieren. Auch und gerade bei der Projektbeobachtung. Wo die Beobachtung im Meer der Bits und Bytes zu versinken droht (etwa schon beim Studieren eines für den Gutachter bereitgestellten Paket an Vorfeldinformation und digitaler Projektdaten im Umfang von 1 Gigabyte – zu seiner Vorbereitung auf den Einsatz im Entwicklungsland), können eigene Sehschärfe, Pragmatismus und Intuition „Fehler“ sein, aus denen alle lernen können.
Worauf ich hinaus will: wie in unserer pädagogischen Bildungslandchaft in Deutschland hat sich auch „Evaluierung“ in der Entwicklungszusammenarbeit geradezu zu einem verselbstständigten Tun, ja zu einer mitunter fast schon eigenständig auftretenden „Branche“ entwickelt, bei der immer mehr der Weg, die Evaluierung, das Ziel zu werden scheint. Evaluierung als gestalterischer Selbstzweck und somit in gewisser Weise „Spiel“! Wir Deutschen sind – im internationalen Vergleich – auch hierbei besonders gründlich, eben „Spitze“.
EZ-Evaluierungen werden wegen des logischerweise vorhandenen Selbstbehauptungsbedarfs der Akteure dieser einmal sich situiert habenden Branche immer komplexer, ausgefeilter und am Ende zu Beobachtungen verstetigter Abstraktionen höheren Grades per se; auch kleinere Projekte, wie z.B. PPP-Projekte leiden unter den nicht selten stark überzogenen, ja inflationären Anforderungen im Kontext von Monitoring und Evaluierung. Wirklich Handelnde, z.B. Metaller, Kaufleute, Energie- und Solartechniker, Lehrer, IT-Spezialisten, Gastronomen, Touristikfachleute, Unternehmensmanager usw. verstehen diess meist nicht mehr und geben sich entsprechend geharnischt.
So wie im Bildungssektor der Dozent und die Dozentin immer mehr mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Charakter zurücktreten müssen, um einem „systemisch objektivierten“ Lernen der Adressaten (Schüler, Lehrlinge, Fortgebildete) Platz zu machen, so tritt auch die Persönlichkeit des zudem stets im Teambezug agierenden Gutachters immer stärker in den Hintergrund zugunsten einer bis in Textformate von Berichten hinein voll formalisierten, durchstrukturierten und abstrakter Begrifflichkeit folgenden Konzeption von Evaluierung.
Evaluierung droht auf diese Weise, obwohl eigentlich genau das Gegenteil bezweckt wird, ideell und de facto entwertet zu werden – und dies obwohl doch der schlaue Begriff selbst („value“) schon fast alles sagt.
Man darf gespannt sein, inwieweit Minister Niebel die hier beschriebene, zweispältige Situation, die nicht einfach aufzulösen ist, sich ebenfalls zu Herzen nimmt und bei seinen Umstrukturierungen bereit und in der Lage sein wird, Projektevaluierung wieder als das zuzulassen, was sie eigentlich sein sollte, weil sie – sinnhaft – nur so sein kann: subjektive, handlungsnahe Deutung individuell oder im Team – wenngleich auf der Grundlage klarer und strukturierter, aber eben nicht überzogener Kriterien, Kennungen, Muster und Raster, die ein Eigenleben führen.
Es sei abschließend daran erinnert, was mir als Leitsatz auch zur aktuellen Konzipierung von Evaluierung Gültigkeit zu haben scheint: Bürokratie lässt sich relativ leicht aufbauen, aber nur äußerst schwer abbauen. Auch Evaluierungsbürokratie!
Einstweilen scheinen die Befassten mit ihr leben zu müssen! Ob das der Erreichung der Millenniumsziele 2015 wirklich gut tut?
Beste Grüße
Fritz Feder