Der vom Priesteramt suspendierte Saarbrücker Theologie-Professor Gotthold Hasenhüttl hat den Papst für die systematische Vertuschung sexuellen Missbrauchs verantwortlich gemacht.
Als Präfekt der Glaubenskongregation habe Joseph Ratzinger – der heutige Papst Benedikt XVI. – allen Bischöfen unter Androhung kirchenrechtlicher Strafen untersagt, Missbrauchsfälle an die Öffentlichkeit zu tragen. Wegen dieses Schreibens vom 18. Mai 2001 sei er der Hauptverantwortliche für die Vertuschung, sagte Hasenhüttl.

Der Theologe kritisierte zugleich den Hirtenbrief von Benedikt XVI. zu sexuellem Missbrauch in der irischen Kirche. Der Hirtenbrief sei enttäuschend, weil er auf die entscheidenden Probleme überhaupt nicht eingehe, meinte Hasenhüttl. Benedikt wolle die Taten «relativieren», indem er schreibe, dass die Missbrauchsfälle kein rein kirchliches Problem seien. Aber wenn die Kirche sich als Hüterin der Moral ausgebe, könne sie nicht so argumentieren. «Wenn in Familien Missbrauch geschieht, ist das keine Rechtfertigung, dass es ihn auch in der Kirche gibt», sagte er.
Gotthold Hasenhüttl war 2003 in einem innerkirchlichen Streit vom Priesteramt suspendiert worden. Anfang 2006 entzog ihm die Kirche auch ihre Lehrerlaubnis.

Im Wortlaut zum Hirtenbrief: „Das ist beinahe eine Verhöhnung der Missbrauchsopfer“

Gotthold Hasenhüttl ist enttäuscht vom Hirtenbrief des Papstes. Schuld an den Missbrauchsfällen sei die „Sexualfeindlichkeit der katholischen Kirche“, die im Zölibat gipfelt.

Auf die Frage, wie er den Hirtenbrief des Pontifex bewerte, antwortet der  Kirchenkritiker:

! Zuerst ist zu sagen, dass alles, was der Papst und die Bischöfe tun und sagen, nur unter dem Druck der Öffentlichkeit geschieht. Der Hirtenbrief ist enttäuschend, weil er auf die entscheidenden Probleme überhaupt nicht eingeht. Der grundlegende Tenor ist: Die Kirche hat Schaden erlitten, der Respekt vor den kirchlichen Autoritäten ist geschwunden. Dieser Tenor besagt, dass nicht die Würde des Menschen, sondern die der Institution unantastbar ist. Das ist die Umkehrung dessen, was Jesus gelehrt hat.

Und was hätte seiner Meinung nach in diesem „Hirtenbrief stehen sollen?

! Ich hätte mir vorgestellt, dass man gesagt hätte: „Wir bereuen zutiefst, dass wir die Machtinteressen der Institution Kirche über das Leid der Opfer gestellt haben, und wir werden in Zukunft die Umkehr vollziehen.“ Das wäre ein Zeichen der Veränderung im kirchlichen Selbstverständnis. Aber genau das Gegenteil ist beim Hirtenbrief der Fall.

Hätte der Papst auf die Missbrauchsfälle in Deutschland eingehen sollen ?

! Das hätte er tun können, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Es geht darum, dass er im Hirtenbrief die Taten relativiert, indem er sagt, die Missbrauchsfälle sind kein rein kirchliches Problem …

… hat er damit unrecht?

! Natürlich hat er nicht unrecht. Aber wenn die Kirche sich als Hüterin der Moral ausgibt, kann sie nicht so argumentieren. Wenn in Familien Missbrauch geschieht, ist das keine Rechtfertigung, dass es ihn auch in der Kirche gibt.

Ist der Zölibat Schuld?

! Schuld ist vor allem die Sexualfeindlichkeit der katholischen Kirche, die im Zölibatsgesetz gipfelt. Daher bietet dieses auch einen Zufluchtsraum für Menschen, die mit ihrer Sexualität nicht zurecht kommen.

Wie erklären Sie sich, dass die Missbrauchsfälle über Jahrzehnte hinweg im Dunklen geblieben sind?

! Das ist das Ergebnis einer systematischen Vertuschung. Als Joseph Ratzinger Präfekt der Glaubenskongregation war, hat er am 18. Mai 2001 ein Schreiben an alle Bischöfe erlassen, dass sie unter Kirchenstrafe keinen dieser Fälle veröffentlichen dürfen. Er hat sie zum „päpstlichen Geheimnis“ erklärt. Deshalb ist er der Hauptverantwortliche für die Vertuschung.

Können Sie sich vorstellen , dass die Kirche diese Schuld wiedergutmachen kann?

! Eine Wiedergutmachung in dem Sinn gibt es nicht. Aber man sollte alles tun, um den Opfern zu helfen. Nicht nur mit Geld, sondern mit Rat und Tat von kompetenten Leuten – und nicht von Hierarchen, die nur das Heil der Institution Kirche im Auge haben.

Der Papst denkt an Wiedergutmachung mit „intensivem Gebet“.

! Ich habe nichts dagegen, dass man für die Opfer betet. Aber das zur Wiedergutmachung in den Vordergrund zu stellen, finde ich unglaublich und unfassbar. Das ist beinahe eine Verhöhnung der Opfer.

Zur Person
Gotthold Hasenhüttl zählt zu den bekanntesten und streitbarsten Theologen in Deutschland. Der gebürtige Österreicher wurde 2004 vom Priesteramt suspendiert, nachdem er im Vorjahr bei einem Gottesdienst auch evangelische Christen zur Kommunion eingeladen hatte. 2006 wurde dem Saarbrücker Theologie-Professor die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen.

März 2010 | Allgemein, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude, Zeitgeschehen | 1 Kommentar