Beate Klarsfeld - Streitbar noch in hohem Alter

Die als „Nazi-Jägerin“ bekannte Beate Klarsfeld soll kein Bundesverdienstkreuz erhalten. Auf einen entsprechenden Vorschlag von der Linkspartei wollte Bundesaußenminister Guido Westerwelle nicht eingehen. Die in Frankreich lebende 71-jährige Deutsche meinte auf die Frage, warum sie in Deutschland keine Anerkennung erhalte: „Das weiß ich nicht …

… unter Joschka Fischer wurde ich einmal für das Verdienstkreuz vorgeschlagen. Da hieß es nur, ich gehöre nicht in die Kategorie derer, die diese Auszeichnung verdienen würden.“ Klarsfeld fügte hinzu: „Im vergangenen Jahr wurde ich dann noch einmal von Gregor Gysi vorgeschlagen – und nun von Guido Westerwelle wieder abgelehnt.“ Dem Bericht zufolge gab der Außenminister keine Gründe für seine Entscheidung an.

Klarsfeld sagte, sie warte. „Aber der Bundespräsident ist ein CDU-Mann, dem fällt das natürlich schwer.“ Sie spielte damit auf den Eklat an, den sie 1968 mit der Ohrfeige für Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ausgelöst hatte. Sie hatte ihn auf dem CDU-Parteitag in Berlin attackiert, um seine Nazi-Vergangenheit anzuprangern.

„In Deutschland gibt es noch immer den Reflex, das Positive – also das Suchen und Finden der NS-Verbrecher – mit dem vermeintlich Negativen zu verrechnen – also der Ohrfeige gegen Kiesinger“, sagte Klarsfeld. Um geehrt zu werden, müsse sie „wohl noch auf den nächsten SPD-Bundespräsidenten warten.“ Wenn sie von Deutschland eine Auszeichnung bekäme, würde sie das „natürlich stolz machen, es wäre die Anerkennung für eine Aktion, die so lange gedauert hat“.

Beate Klarsfeld im Gespräch – „Eine Ohrfeige und vierzig Jahre Arbeit“

1968 hat Beate Klarsfeld Kurt-Georg Kiesinger geohrfeigt und später die Verfolgung von NS-Verbrechern aufgenommen. Sie  spricht über historische Verantwortung und die Fehler von 68.

Frage an Beate Klarsfeld: Beginnen wir mit der Geschichte: Als Sie den Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger 1968 öffentlich geohrfeigt haben, haben Sie damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, welche Haltung Sie als Nachgeborene Ihrer Vätergeneration gegenüber einnahmen. Warum haben Sie sich damals für diesen Schritt entschieden, und was haben Sie, von heute aus betrachtet, damit bewirkt?
Klarsfeld: Man muss dazu sagen, dass ich 1960 nach Paris kam und dort meinen späteren Mann kennen lernte, dessen Vater nach Auschwitz deportiert und dort vergast worden war. Für mich war das eine Einführung in eine Geschichte, über die ich in der Schule nichts gelernt hatte. Ich fühlte mich aufgrund meines Alters zwar persönlich nicht schuldig, habe aber mir gesagt, dass ich historische und moralische Verpflichtungen zu erfüllen habe.
Als Kiesinger Bundeskanzler wurde, arbeitete ich in Paris beim deutsch-französischen Jugendwerk. Ich protestierte damals gegen Kiesinger in einer linksliberalen französischen Zeitung und habe gesagt, dass er für uns Deutsche kein gutes Beispiel sein kann, wohl aber Willy Brandt, der während des Nationalsozialismus Widerstandskämpfer gewesen war. Nach diesem Artikel bin ich aus dem Jugendwerk, in dessen Vorstand ehemalige Nazis saßen, fristlos entlassen worden.
Ich habe daraufhin gemeinsam mit meinem Mann überlegt, wie wir Kiesinger zum Rücktritt zwingen können. Wir haben seinen Fall ausführlich dokumentiert, Akten aus den Archiven zusammen getragen und die deutsche Presse über alles informiert. Die Reaktion war aber immer die gleiche: da kann man nichts machen, der Mann ist demokratisch gewählt. Wir haben also gemerkt, dass man zu drastischeren Maßnahmen greifen musste, um Aufmerksamkeit zu erzwingen.
Zunächst produzierte ich einen Skandal im Bundestag, wo ich eine Rede des Bundeskanzlers mit dem Ruf «Kiesinger, Nazi, abtreten!» unterbrach. Einige deutsche Zeitungen hat das veranlasst, erstmals im Detail zu berichten, welche Rolle Kiesinger im Nationalsozialismus gespielt hatte. Ein erster Erfolg.
Bahnbrechend war aber, als es mir dann gelang, mich in den bestens abgesicherten Raum des CDU-Parteitages in Berlin herein zu schmuggeln, direkt an den Bundeskanzler heranzukommen und ihn zu ohrfeigen. Das war natürlich eine symbolische Tat. Ein Symbol für die Haltung der jungen Generation gegenüber der Nazigeneration. Ich bin seitdem unentwegt politisch aktiv gewesen, aber diese Ohrfeige ist tatsächlich das, was in die Geschichte und die Schulbücher eingegangen ist.
?: Sie haben es ja im Anschluss an die Ohrfeige nicht nur mit der Justiz zu tun bekommen. Es gab auch sehr positive Reaktionen. Heinrich Böll schickte Blumen.
Klarsfeld: Während Günter Grass mich verdammt hat. Das hat er sogar schon vorher getan, als ich bei einem großen Sit-In in der Technischen Universität in Berlin angekündigt habe, dass ich Kiesinger notfalls auch ohrfeigen würde. Die Studenten dort fanden das eher lächerlich, Grass aber ganz unmöglich. Er selbst hat stattdessen einen förmlichen Brief an Kiesinger geschrieben, in dem er ihn aufforderte, vom Posten des Bundeskanzlers zurück zu treten. Natürlich hat Grass nicht einmal eine Antwort bekommen.
?: Kiesinger bekam aber auch andere Post, etwa von einer Dame, die fand, dass es doch bitte deutschen Frauen vorbehalten sein sollte, ihren Bundeskanzler zu beurteilen. Mir scheint, dass Sie da in ein Wahrnehmungsmuster geraten sind, dass zum Beispiel auch die Schauspielerinnen Marlene Dietrich und Romy Schneider zu spüren bekommen haben. Die sind ja wie sie nach Frankreich gegangen und galten dann in Deutschland als Verräterinnen oder, sagen wir, schlechte Töchter.
Klarsfeld: Zu Marlene Dietrich, die sich in Paris irgendwann bei mir meldete, hatte ich tatsächlich einen guten Draht. Wir haben uns einige Briefe geschrieben, und später habe ich mich dann erfolgreich dafür eingesetzt, dass in Paris ein Platz nach ihr benannt worden ist. Die Dietrich hatte es auch erleben müssen, dass sie in Berlin ausgebuht wurde, während sie auf ihren Tourneen in Israel begeisterte Aufnahme fand. Das war mir alles sehr gut vertraut.
Wir haben uns gegenseitig sehr bewundert. Und natürlich spielte auch die Tatsache, dass wir Frauen waren, eine große Rolle. Als ich nach meiner Ohrfeige von einem Untersuchungsrichter im Schnellverfahren zunächst zu einem Jahr Haft verurteilt wurde, sagte der Mann zu mir: Wissen Sie eigentlich, dass Sie Gewalt angewendet haben?
?: Wie war denn ihr Verhältnis zu den 68ern – haben Sie sich in Ihrem Engagement als Teil der Bewegung empfunden?
Klarsfeld: Ohne die 68er wären die Nazis, die überall noch hohe Positionen bekleideten, insbesondere in der Justiz, nicht aufgedeckt worden. Deshalb habe ich mich dieser Bewegung natürlich angeschlossen. Ich habe gefragt: Könnt ihr mir helfen in meinem Kampf gegen einen ehemaligen Nazi-Propagandisten, der Kenntnisse von allem hatte und genau wusste, was in den Lagern passiert? Jetzt steht er an der Spitze unserer Regierung!
Die Ohrfeige hat mir dann auch die Anerkennung von Dutschke, Teufel, Langhans und so weiter eingebracht. Ich war ja auch im Wahlkampf 1969 aktiv. Ich hatte mich in Kiesingers Wahlkreis aufstellen lassen und trat mit einigen Leuten überall in Deutschland auf, wo er redete. Ich glaube, dass unsere ständigen Zwischenrufe im Stile von «Kiesinger, Nazi!» schon dazu beigetragen haben, dass er die Wahl schließlich knapp verloren hat. Wir waren für Brandt, und der wurde dann Bundeskanzler.
? Es gab ja innerhalb der 68er-Bewegung auch massive antisemitische Strömungen. Es sei nur an das geplante Sprengstoffattentat der Tupamaros auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin erinnert. Diese Leute solidarisierten sich mit der Hisbollah, während Sie den völlig entgegen gesetzten Weg gegangen sind.
Klarsfeld: Die Schwierigkeiten begannen für uns ja schon mit Horst Mahler, der mein Rechtsanwalt im Kiesinger-Prozess war. Bei ihm schienen, insbesondere meinem Mann gegenüber, schon deutlich antiisraelische Gefühle durch. Da spielte der Vietnamkrieg eine Rolle und die negative Haltung gegenüber Amerika, das man als den imperialistischen Hauptfeind ausgemacht hatte.
Schon in diesem Moment hatte ich begonnen, mich von vielen 68ern zu verabschieden. Wir haben zwar später noch einige Male zusammen demonstriert – wenn es zum Beispiel gegen die NPD ging – aber im Großen und Ganzen war der Kontakt beendet. Diese Leute machten in ihren Parteien weiter, und ich konzentrierte mich darauf, NS-Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen. An dieser Arbeit hatte die APO kein besonders großes Interesse.
?: Wer hatte denn ein Interesse daran, NS-Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen?
Klarsfeld: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Initiative immer von den Opfern ausging und nie von der Justiz. Unsere Arbeit richtete sich gegen diejenigen, die für die Deportation von 76.000 Juden aus Frankreich verantwortlich waren. Diese Täter lebten in Deutschland ein Leben in Frieden und Wohlstand.
Als Rechtsanwälte, Senatspräsidenten oder erfolgreiche Geschäftsleute. Dass Leute wie Brunner, Lischka oder Barbie, den wir in Bolivien aufgespürt haben, immer noch nicht zur Verantwortung gezogen waren, dass konnten die Angehörigen der Opfer einfach nicht verstehen.
?: Nachdem die Tätergeneration jetzt ausgestorben ist, müssen Sie gegen Institutionen kämpfen wie die Deutsche Bahn.
Klarsfeld: Es ging um eine Aktion, die wir anlässlich des sechzigsten Jahrestages der Befreiung von Auschwitz geplant hatten. Die französische Bahn hatte uns 18 Bahnhöfe zur Verfügung gestellt, wo wir Bilder von deportierten Kindern zeigen konnten. Damit haben wir eine unglaublich große Zahl von Menschen erreicht, denn man konnte diese Ausstellung einfach nicht umgehen.
Diese glücklichen Kindergesichter, die noch nicht ahnen konnten, was ihnen nur kurze Zeit später passieren würde, haben die Betrachter unglaublich stark berührt. Nun war aber die Verantwortung der Reichsbahn ungleich größer, und daher sind wir auch an ihr Nachfolgeunternehmen, die Deutsche Bahn, herangetreten. Da sind wir allerdings sehr schlecht angekommen, es gab lauter unerfreuliche Briefe, und schließlich sollte die Sache ins Nürnberger Eisenbahnmuseum abgeschoben werden, wo sie natürlich niemals denselben Effekt gehabt hätte.
?: Wenn Sie jetzt nach Berlin kommen, kommen Sie in eine Stadt, die sich mitten im Bundestagswahlkampf befindet. Gibt es unter den Gesichtern, die nun von den Plakaten blicken, auch eines, das Sie gerne ohrfeigen würden?
Klarsfeld: Nein, das habe ich mir geschworen, ich werde niemals mehr jemanden ohrfeigen. Außerdem würde das auch heute niemanden mehr interessieren.
?: Wie erklären Sie es sich, dass Sie in so vielen Ländern für Ihre Arbeit ausgezeichnet worden sind, nur in Deutschland nicht?
Klarsfeld: Nun ja, Sie kennen das Sprichwort vom Propheten im eigenen Land. Außerdem kann ich mich nicht beklagen. Mein Name steht im französischen Lexikon, ich bin von Mitterand in die Ehrenlegion berufen worden, wurde zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und so weiter. Das alles hätte ich mir früher einmal kaum träumen lassen.

Mit Beate Klarsfeld sprach Ronald Düker.

März 2010 | Allgemein, Zeitgeschehen | 1 Kommentar