Die Ökumene gleicht weiter einer Baustelle, auf der die Bauherren sich über die Pläne für das gemeinsame Haus noch nicht einig sind. Auch der 2. Ökumenische Kirchentag im Frühjahr 2010 in München wird, denkt man an den Dauerstreit um das „Gemeinsame Abendmahl“, die Probleme nicht lösen. Er wird möglicherweise neue hervorbringen.
Was aus der vor Jahren formulierten „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ wurde:
Die Szene: Der Lateran-Palast in Rom 1510. Der Augustiner-Eremit Martin Luther rutscht auf Knien die 28 Marmorstufen der „Scala Santa“, der „Heiligen Treppe“, hinauf. Den Papst, Julius II., bewundert er rückhaltlos, obwohl er ihn nicht zu sehen bekommt. Er pilgert wie ein „toller Heiliger“ durch Kirchen und Katakomben, er beichtet und bittet um Sündenvergebung für sich und seine Familie. Luther zweifelt noch nicht an der römischen Bußpraxis, am Ablass und an den „guten Werken“, er ist fasziniert von der Ewigen Stadt, aber entsetzt über den Sittenverfall in der Metropole am Tiber.
Die Szene: Wittenberg zwischen 1511 und 1515. Der Rompilger von einst, inzwischen Doktor der Theologie, ist von Zweifeln geplagt. Luther quält sich mit der Frage, wie er mit seinem Leben vor dem Richterstuhl Gottes würde bestehen können. In seiner winzigen Studierstube im Südturm des Schwarzen Klosters, bei flackerndem Kerzenlicht, findet er in den Briefen des Apostels Paulus endlich die Antwort. Allein aus Gnade, und durch den Glauben, werde der Mensch „gerechtfertigt“, keine Eigenleistung könne dieses Geschenk erzwingen. Die gesamte mittelalterliche Theologie mit ihrer Balance zwischen menschlichen Fähigkeiten und göttlicher Offenbarung ist für ihn auf einen Schlag zerbrochen. Luthers „Turmerlebnis“: die Geburtsstunde der Reformation, noch vor seinen 95 Thesen vom 31. Oktober 1517. Trotzig beharrt die katholische Kirche gegen den Mann im Mönchshabit auf ihrer Meinung: Rechtfertigung könne nicht nur in der Anerkennung von Glaubenswahrheiten bestehen, sie müsse eine Erneuerung des ganzen Lebens sein.
Die Szene: Augsburg, 31. Oktober 1999, Reformationstag. Vertreter des Lutherischen Weltbundes und des Vatikan umarmen sich. Sie ziehen in einer Prozession durch die Stadt des Religionsfriedens von 1555, setzen ihre Unterschrift unter eine „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, beteuern, dass die Jahrhunderte lang wiederholten gegenseitigen Lehrverurteilungen ihre die Kirchen trennende Wirkung verloren haben. In Rom spricht Papst Johannes Paul II. von einem „Meilenstein“ auf dem Weg zur Einheit. Dass dieser Stein nach zähen, mehrmals stagnierenden Vorarbeiten gesetzt werden konnte, ist vor allem Kardinal Joseph Ratzinger zu verdanken. Er zählt zu den Vätern eines „Annex“ zur Erklärung. Ratzinger ist sogar bereit, das für die Lutheraner so wichtige „aus Glauben allein“ in die gemeinsame Formulierung aufzunehmen. Doch 160 evangelische Theologieprofessoren bleiben – was WUnder – skeptisch, sie tragen ihren Protest in die Öffentlichkeit, können aber den feierlichen Akt nicht verhindern.
Die Gelehrten müssen sich manchen Tadel von Repräsentanten ihrer Kirchen anhören. Heute sind jedoch selbst Kritiker der Kritiker bereit zuzugeben, dass manche Probleme durch semantische Kniffe verschleiert wurden. Mehrfach ist in den Augsburger Dokumenten von einem „Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre“ die Rede – nicht von „den Grundwahrheiten“, das ist ein Unterschied. Hier hat sich, mit Hardliner Ratzinger, die katholische Seite durchgesetzt. Sie beharrt darauf, dass es noch andere „Grundwahrheiten“ gibt, über die weiter gestritten werden müse; der „Meilenstein“ von 1999 markiert eben nur ein Etappenziel.
Die Szene: Augsburg, zehn Jahre nach dem „Meilenstein“ oder dem, wie der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sich ausdrückt, „Mutationssprung im ökumenischen Dialog“. Die Euphorie ist verflogen, Frustration breitet sich aus. Man hatte die Einigung in Grundwahrheiten als entscheidenden Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung angesehen. Was aber ist seit 1999 geschehen? Wenige Wochen nach dem ökumenischen Großereignis verkündet Papst Johannes Paul II. einen Jubiläumsablass für das von ihm ausgerufene Heilige Jahr 2000. Die Kirchen der Reformation sind irritiert. An der Ablasslehre und am Gnadenverständnis hatte sich Luthers Kritik an der alten Kirche entzündet. Im August 2000 erscheint das vom Geburtshelfer der Augsburger Gemeinsamen Erklärung und Offiziellen Feststellung, Joseph Ratzinger, verfasste Dokument „Dominus Iesus“. Im Juni 2007 setzt Ratzinger, nun Papst Benedikt XVI., seine Unterschrift unter „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre der Kirche“. Den evangelischen Kirchen wird in beiden Verlautbarungen das Kirchesein abgesprochen. Sie fühlen sich, sie sind brüskiert, erkennen sowohl Absicht und einen eklatanten Widerspruch zum Rechtfertigungs-Konsens.
Trotz aller Enttäuschung: Die protestantischen Amtsträger wehren sich gegen den Verdacht, es gebe nun eine neue Eiszeit im ökumenischen Dialog, einen Stillstand. Aber sie sind sich weitgehend einig: In Augsburg wurden keine soliden theologischen Fundamente für eine Überwindung der Kirchenspaltung gelegt, viele Probleme wurden einfach überspielt. Der „differenzierte Konsens“ relativiert zwar die Gegensätze, hebt sie aber nicht auf. Mit kunstvollen Wortschöpfungen allein lassen sich Spannungen und Konflikte freilich nicht ausschließen. „Das eigentliche Ziel“, fordert die Union Evangelischer Kirchen in der EKD etwas umständlich, „muss die Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums der Rechtfertigung sein, in dem die Kirchen über die Bestandsaufnahme dessen, was sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt gemeinsam sagen können, hinausgehen. Diese Aufgabe ist bisher noch nicht eingelöst worden.“
Die Ökumene gleicht weiter einer Baustelle, auf der die Bauherren sich über die Pläne für das gemeinsame Haus noch nicht einig sind. Auch der 2. Ökumenische Kirchentag im Frühjahr 2010 in München wird, denkt man an den Dauerstreit um das „Gemeinsame Abendmahl“, die Probleme nicht lösen. Er wird sicherlich neue hervorbringen. got