Der Zeichner, Autor und Gründer der Satirezeitschrift „Titanic“, Robert Gernhardt, hatte damals, kurz vor seinem Tod – er starb 68jährig am 30. Juni 2006 –  nach dem Beginn des sogenannten Karikaturenstreits) „seit einer Woche ein Déjà-vu“: Der Karikaturenstreit erinnerte ihn fatal an die 60er Jahre, als die Kirchen sich mit heftigen Protesten gegen das zeitgenössische Kino wandten. Im Gespräch sagt Gernhardt, worin sich die Situationen damals und heute unterscheiden – und warum es keine Debatte über Karikaturen geben kann, in der man das Objekt des Streits nicht zeigt. Nicht zuletzt, weil wir das hier wieder tun, Gernhardts  immer noch aktuelle Gedanken dazu:

"Beschwer dich nicht, Mohammed... Wir alle sind hier karikiert worden." - France Soir klagt auf der Titelseite das Recht ein, Gott zu karikieren.

"Beschwer dich nicht, Mohammed... Wir alle sind hier karikiert worden." - France Soir klagt auf der Titelseite das Recht ein, Gott zu karikieren.

?: Herr Gernhardt, was halten Sie von diesem Streit?

!: Ich sehe das mit Erstaunen und Grausen! Wir lebten ja eine Zeitlang im Westen im Glauben, bestimmte Glaubensfragen seien inzwischen bei Seite gelegt. Ich erinnere mich noch gut an den Streit, den die Kirchen in der 60er Jahren vom Zaun gebrochen haben, als Ingmar Bergmanns „Das Schweigen“ ins Kino kam …

?: … ein Kammerspiel über die Verletzlichkeit des Glaubens …

!: … und die Einwände, die damals von den katholischen Verbänden kamen, gleichen denen, die wir heute von den radikalen Islamisten hören. Von verletzten religiösen Gefühlen war damals auch schon die Rede. Nur: Auch ich als aufgeklärter, ungläubiger Mensch habe Gefühle, die von den Religionseiferern verletzt werden können.

?: Anders als im Christentum hat der Islam aber das Abbildungsverbot …

!: … das es so aber gar nicht gibt. In dem entsprechenden Glaubenssatz aus einem Begleitbuch des Koran heißt es lediglich „Die Engel werden Häuser nicht betreten, in denen Hunde sind und bildliche Darstellungen“. Das erscheint mir sehr auslegungswürdig. Genau so gut könnte ein Islamist formulieren, dass alle Menschen, die Hunde im Haus halten, bestraft werden müssen. Wie viel wollen wir uns noch – um des lieben Friedens willen – an unsinnigen Auslegungen heiliger Schriften aufzwingen lassen? …

Der Gegenstand des Streits – Karikaturen in „Jyllands Posten“:

Wehret den Anfängen!

Wehret den Anfängen!

Die Osloer Tageszeitung Aftenposten hat in ihrer Freitag-Ausgabe die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen erneut abgedruckt. Chefredakteurin Hilde Haugsgjerd erklärte diese Entscheidung mit dem bevorstehenden Prozess gegen jenen mutmaßlichen Attentäter, der am Abend des 1. Januar in das Haus von Karikaturist Kurt Westergaard eingedrungen war.
Es sei, schreibt sie,  „natürlich und richtig, den journalistischen und künstlerischen Ausdruck zu würdigen, der vermutlich dieser gewalttätigen Handlung zugrunde liegt“. Das meinen wir auch, und zeigen hier einige dieser Karikaturen nochmals – frei nach dem Motto der Aufklärung „sapere aude – wage zu wissen“, das zudem auch das der NEUEN RUNDSCHAU ist.

… ?: Herr Gernhardt, wie weit darf politische Satire Ihrer Ansicht nach gehen?

!: Bei uns gab es in den 20er Jahren ein Reichsgerichtsurteil, das die Sache gut auf den Punkt bringt. Es besagt: Die Satire hat eine gewisse Sonderrolle. Sie darf übertreiben, denn der Käufer eines satirischen Produkts weiß, worauf er sich einlässt. Mittels einer gewissen Intelligenzleistung kann er die Übertreibung der Satire erkennen und zum Kern der Darstellung vorstoßen. Zu dieser Leistung sind aber die Muslims, die sich jetzt so schrecklich aufregen, offenbar nicht fähig.

bombe

?: Erbringen Sie doch mal die Intelligenzleistung: Wo ist beispielsweise bei der Mohammed-Zeichnung mit der Bombe im Turban die Satire?

!: Das ist eine Spiegelung westlicher Ängste, dass die Lehren Mohammeds dazu missbraucht werden, irgendwo Leute in die Luft zu sprengen. Das ist ja in der Tat so. Die Karikatur, von der hier die Rede ist, wurde von einem jordanischen Journalisten neben einem Artikel veröffentlicht, in dem er fragte, ob Mohammed nicht stärker beleidigt wäre, wenn sich jemand in seinem Namen in einen Selbstmordattentäter verwandelt, als durch diese Zeichnung.

?: Für Zehntausende Muslime ist die Karikatur viel schlimmer.

!: Dabei wissen viele gar nicht, wogegen sie da so vehement sind. Sie kennen die betreffenden Zeichnungen doch nicht! Denen hat einer gesagt, der Prophet sei als Schwein dargestellt worden. Was so nicht stimmt: Es handelt sich um eine Fälschung. Auf die fanatischen Reaktionen schlecht informierter Menschen Rücksicht zu nehmen hieße, die Aufklärung zurückdrehen zu wollen. Auch hier sehe ich wieder eine Parallele zu den 60er Jahren bei uns.
Aufklärungstradition tut Not

?: Inzwischen haben sich unsere christlichen Eiferer überwiegend beruhigt. Wie könnte der momentane Konflikt entschärft werden?

Stop. wir haben keine Jungfrauen mehr!

Stop. wir haben keine Jungfrauen mehr!

!: Wenn nicht erlaubt ist, sich zu informieren, was wirklich in Dänemark gedruckt wurde, haben wir ein Problem: Die Leute können sich kein Bild machen, können deshalb nicht aufgeklärt entscheiden, wie sie dazu stehen. Es ist ein großer Unterschied, ob es in einer Gesellschaft eine Tradition der Aufklärung gibt oder nicht.

muhammed_d

?: Gibt es bei der Satire eigentlich Grenzen?

!: Eine einzige Grenze gibt es da, wo ich mich nicht auskenne. Ich wäre deshalb nie auf die Idee gekommen, eine Mohammed-Karikatur zu zeichnen, oder Witze über den jüdischen Gott zu machen. Aber den „Stasi-Gott“ meiner Kindheit, der alles sieht und nichts verzeiht, habe ich immer wieder bearbeitet. Unter anderem mit dem Gebet „Lieber Gott, nimm es hin, dass ich was Besonderes bin“.

?: Sie sagen, auch ihre aufgeklärten Gefühle können verletzt werden. In islamischen Ländern pflegen Karikaturisten eine antisemitische Tradition. In einer Zeichnung liegt etwa Hitler mit Anne Frank im Bett. „Das solltest du in dein Tagebuch schreiben“, sagt Hitler. Wie finden Sie das, und soll so etwas gedruckt werden?

!: Natürlich bin ich entsetzt, aber ich würde das lieber gedruckt sehen als verboten. Denn nur so weiß ich doch, was für Hassgefühle bestimmte Menschen haben. Die sollen sich ruhig entblößen.

Artikel wider Islamismus und Intoleranz in der Neuen Runschau:

20 Jahre Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie: Der Islamismus hat den Westen fester im Griff denn je …

Goethe soll künftig Moslem sein – meinen Muslime, die wohl seine Übersetzung von Voltaires Mahomed nicht gelesen haben

Le Monde: Les réactions suscitées par l’analyse de Benoît XVI sur l’islam …

Der Rundschau Antwort auf Drohungen gegen den Le Monde – Autor: Gedanken- und Meinungsfreiheit wider faschistoide Anwürfe

Jan. 2010 | Allgemein, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren