China hat immense Probleme, die Bevölkerung mit Schweinefleisch zu versorgen. Ein Heidelberger setzt eine vielversprechende Idee dagegen. Und setzt sie um …Was sich da in einem kleinen Heidelberger Ladengeschäft (in der Plöck) für chinesische Lebensmittel und  Devotionalien wie eine Geschichte aus „Tausendundeinenacht“ darstellte, hat nicht unlustigerweise in der Tat mit der Zahl 1000 mehr als gar nichts zu tun: eine geniale Idee unter dem Arbeitstitel „Tausend-Dächer-Programm“ wurde von Dietrich Tuengerthal ausgetüftelt und nun verwendet für eine (eigentlich) simpel-einleuchtende Idee, die aber – erst einmal umgesetzt – für China große Bedeutung haben wird: im Jahr werden so tausend mal fünfhundert Schweine auf den chinesischen Markt gebracht. Und der hat das bitter nötig.

Jedoch der Reihe nach: Der Geschäftsmann Dietrich Thuengertal war als Mitglied einer Heidelberger Delegation vor einigen Monaten in der chinesischen Stadt Ningbo, wo er festellte, dass es mit der Versorgung der Bevölkerung ausgerechnet mit Schweinefleisch nicht zum Besten bestellt ist. Nun betreibt er selber in Litauen und Russland große Schweinezuchtbetriebe, so dachte er darüber nach, was man in China unter den gegebenen Verhältnissen dort besser machen könnte, hatte auch eine Idee, die er nach vielen Berechnungen und Überlegungen an seinem Heidelberger Schreibtisch zu Papier brachte.  Davon erzählte er dem Inhaber besagten Geschäftes, Tianlin Li , der zum Einen begeistert war von der Idee  – und nun seinerseits erzählte, dass er bis 1982 Wirtschaftsattaché der Chinesischen Regierung in Bonn war, und in China (obgleich damals in „Ungnade“ gefallen) noch hervorragende Kontakte habe.

Man plante, machte sich auf die (von Li wohlvorbereitete) Reise und traf in China Gouverneure verschiedener Provinzen (im Bild: Tuengerthal mit Landwirtschaftsmininister Wang), hohe Staatsbeamte und Fachleute für Schweinezucht, die Tuengerthal mit seinem „Tausend-Dächer-Programm“ bekannt machte.

Das 1000-Dächer-Programm: Die Idee ist so einfach, wie genial:

Sowohl die Futtermittelproduktion, als auch die Produktion von Schweinen mit einer neuen (deutsch-französischen) Genetik  bis hin zum Schlachten  und Zerlegen, das alles soll  innerhalb einer Erzeugergemeinschaft gemacht werden; – in diesen sollen in den „einfacheren Schritten der Produktion“ etwa tausend Familienbetriebe eingebunden sein: Wenn die Ferkel von der  Muttersau „abgenommen“ werden, geht es – sozusagen als Zwischenschritt – in zu gründende Familienbetriebe mit jeweils etwa 500 Ferkeln. Wenn dann die in diesen Betrieben aufgezogenen Tiere etwa nach  56 Tagen 28 bis 30 Kilogramm wiegen,  werden sie weitergegeben an andere Familien Betriebe, wo man normierte Ställe hat – und wo dann wiederum etwa 500 bis 700 Schweine bis auf etwa 115 Kilo „durchgemästet“ werden.

Dann werden sie wieder (nein, so deutsch sollen die Schweine dann doch nicht werden) von der Erzeugergemeinschaft  übernommen,  geschlachtet, zerlegt und vermarktet. Geplant ist, chinesische Techniker in Deutschland und Frankreich mit notwendigem kno how zu versorgen und mit logistischem Wissen weiterzubilden.

„Am Ende der Aktivitäten steht ein Konzern an dem nicht nur das IFW Heidelberg GmbH beteiligt sein wird, sondern etwa zehn  verschiedene europäische mittelständische Betriebe, von der Züchtung über die Saatzucht, Futtermittelproduktion, Stallbautechnik bis zur Schlachtung und Zerlegung“, so Tuengerthal.

Was Wunder, dass an diesem Programm auch eine chinesische Holding großes Interesse hat,  nämlich die „Hong Kong Meet-Group“. Grund dafür ist, dass es derzeit in großen Ballungszentren dramatische Schwierigkeiten mit der Schweinebelieferung gibt. „Schließlich ist“, so Tuengerthal, „im Gegensatz zur Mär es sei Ente, eben doch Schwein das wichtigste Fleischnahrungsmittel in China“.

Ursprünglich wollten IFW-Mitarbeiter in  der Millionenstadt Ningbo – Tuengerthal war als Vertreter der Heidelberger  Firma IFW (Messeveranstalter, Investitionen und Beteiligungen) dabei – dort zunächst einmal eine internationale Landwirtschaftsmesse vorbereiten. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Tuengerthal von der schwierigen Versorgungslage der Bevölkerung mit Schweinefleisch.  „Nachdem ich“, erinnert er sich, „dann zurück in Heidelberg war und die Idee von diesem 1000-Dächerprogramm zu Papier gebracht habe, und dies dann an die Regierungen verschiedener chinesischer Provinzen gegangen ist, hatten wir von dort ausnahmslos ein sehr positives Echo.

So bekam ich ofizielle Einladungen, die ich mit dem international anerkannten Fachmann für Schweinezucht Dr. Jörg Krapoth, Kiel (rechts im Bild – weiter: v. r. Dietrich Tuengerthal, Obergouverneur der Inneren Mongolei Cheng) und (ganz links) Tian Li aus Heidelberg angenommen habe. Dort war man erst erstaunt und dann begeistert von dieser zu guter Letzt doch simplen Idee – deren Ausführung freilich nicht ausschließlich einfach sein wird. Neben vielem Anderem wurde von den chinesischen Fachleuten sofort erkannt, dass ein Hauptproblem, nämlich das der Hygiene, mit genau diesem Programm (dies nur zum Beispiel) insofern gelöst ist, als die verschiedenen Einheiten räumlich weit voneinander getrennt sind. Bräche also eine Krankheit etwa in der Mast aus, wären davon weder Produktion noch Ferkelbetreuung  betroffen.

Bei dem Mammutprogramm „Besuch in fünf Provinzen“ wurden Vereinbarungen getroffen und erste Verträge abgeschlossen.

Alle Beteiligten waren daran interessiert, langfristige Kooperationen einzugehen, die Techniker der chinesischen Partner sollen  in Zuchtanlagen in Deutschland und Frankreich fortgebildet werden, wie das zwischen IFW und der Behördenleitung für Viehzucht und Tiermedizin in der Provinz Anhui bereits fest vereinbart ist. Auch sollen „im Hinblick auf den Aufbau des Zentrums das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und alle entsprechenden Behörden der Europäischen Union von beiden Seiten eingebunden werden, um entsprechende Unterstützungen zu beschleunigen. Ein bereits geschlossener Vertrag zwischen der „Viehwirtschafts GmbH Innere Mongolei Mengzhu“ und der IFW regelt schon jetzt vertraglich „auf der Basis von Gleichberechtigung“ die Zusammenarbeit in der Industriekette Schweinezucht und Fleischverarbeitung“.

Bei alledem gehen die deutschen Fachleute in China auf ausgelegten roten Teppichen durch weit geöffnete Türen, denn die chinesische Regierung  hat gerade beschlossen, Millionen in einen Schweinefond einzuzahlen, womit Prämien für Schweinezüchter bezahlt werden sollen. Denn der Mangel an Schweinefleisch könnte für sozialen Sprengstoff sorgen:

„Angesichts des Schweinefleischmangels und immer weiter steigender Preise im Land hat China jetzt Prämien für Schweinezüchter ausgelobt“. Insgesamt habe das Finanzministerium für den Schweine-Fonds 1,5 Milliarden Yuan (144 Millionen Euro) bereitgestellt, berichtete die staatliche Zeitung „China Daily“.

Damit sollten Züchter belohnt werden, die ihre Produktion erhöhten – was während der nächsten Jahre jedenfalls nicht (unter anderem) ohne eine auf die chinesischen Gegebenheiten eingehende Genetik machbar sein wird. „Zwar werden schon jetzt in China jährlich ca. 300 Mio. Tiere aufgezogen und geschlachtet“, führt „ChinaDaily“.weiter aus.

Aber sowohl Tierkrankheiten als auch steigende Futtermittelpreise hatten zuletzt in der Volksrepublik zu einer anhaltenden Knappheit an Schweinefleisch geführt und die Inflation verhältnismäßig hoch gehalten.

Regierungschef Wen Jiabao hatte Ende Mai gewarnt, „der Preisanstieg bei dem in China am meisten verzehrten Fleisch könnte die soziale Stabilität gefährden.“ Tuengerthal hat festgestellt, dass China in der Schweinezucht sehr eng mit Farmen aus den USA zusammenarbeitet und von dort eine veraltete Genetik eingeführt wird, die nicht mehr leistungsfähig ist und durch Inzucht an Stabilität verloren hat. Die Europäer, so der Experte Dr. Jörg Krapoth, sind da schon erheblich weiter und verfügen über eine Genetik die besser nach China passt – und zudem wesentlich leistungsfähiger ist, als die aus den amerikanischen Beständen.

Wenn man nun aber in China dies alles (doch sehr wahrscheinlich) weiß, weshalb sollten, dies alles in den Griff zu bekommen, die Chinesen den Heidelberger Tuengerthal brauchen?

Er hat jahrzehnte lange Erfahrung ins Feld zu führen, es sind aber auch die hierzulande über viele Jahre hinweg entwickelten, den jeweils zugrunde gelegten Bedürfnissen geschuldeten Genetiken, welche Krankheiten, die sich in nahezu allen in den von der Delegation besuchten chineischen Zuchtschweineställen finden, weitgehend eleminiert; aber auch der Zustand des hernach zu verarbeitenden Fleisches ist eine auf die jeweiligen Bedürfnisse perfekt „zugeschneiderte“ Genetik zurückzuführen.

„Wir verfügen über keine genmanipulierte Entwicklung, sondern wir haben züchterisch die besten Tiere zusammen gebracht und damit hervorragende Ergebnisse am „Haken“ im Schlachthaus, so Dr. Krapoth.

Das stößt hierzulande immer noch auf Vorurteile – der Mensch greife in Gottes Schöpfung ein, ist häufig zu hören;  so es einen solchen gibt, hat er uns aber auch den Verstand gegeben, eine Bevölkerung zu ernähren, die schon lange nicht mehr mit Bio-Eiern, Freilandhühnern oder glücklich auf dem Bauernhof sich tummelnden Schweinen oder Rindern zu schultern wäre! Hingegen kamen die Fortschritte in der Biomedizin und Genetik  rechtzeitig, um die enorm wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Die Gentechnik eben dies tun zu können, bietet doch – verantwortungsvoll eingesetzt – vielfältige Chancen und Anwendungsmöglichkeiten, Schließlich, so Tuengerthal weiter, „ist Schweinezüchtung ein immerwährender Prozess, vor tausend Jahren schon wurde damit begonnen Eber- und Sauenlinien gezielt zusammenzuführen; und  dass so mit der Zeit aus dem Wildschwein das Hausschwein wurde, was wäre das denn anderes, als ein gezielt eingesetzter genetischer Prozess?

„Das Schwein“ führt Tuengerthal aus, „welches wir in China einsetzen wollen, ist gepaart mit einer Chinesischen Genetik, jener der „Meishan“-Sau – hier im Bild. Wichtige Zuchtziele waren für uns der Fleisch- und Fettanteil, sowie eine gute Futterverwertung.“
Während nämlich in  China 4 Kilogramm  Getreide für ein Kilogramm Lebendmasse eingesetzt würden, sind es mit der von Europa eingebrachten Genetik lediglich  2,8 Kilogramm, wobei eine tägliche Zunahme von immerhin über 850 Gramm erreicht werde.
Hierbei schlägt die mit der Genetik erreichte Gelenkstabilität wegen des hohen Endgewichts  – ohne zuviel angesetztes Fett – von bis zu 125 Kilogramm genauso zu Buche, wie eine ungewöhnliche Stressstabilität. Auch möglichst ein Kotelett mehr pro Seite machen immerhin beim 1000-Dächer Programm eine Million mehr davon aus …
Dies alles waren mittlerweile erreichte Zuchtziele. Und, was Wunder verrät der Züchter nie genau, wie er gezüchtet hat.

„Am Ende der Kette jedenfalls haben wir eine neue Züchtung, oder eine Umzüchtung, die immer von der Reinzucht, also der gleichen Rasse Eber sowie Sauen ausgeht. Dies Procedere dauerte viele Jahre.

Das – „und darum brauchen uns die Chinesen noch zumindest einige Jahre“ – können die Chinesen nicht einfach so nach machen. Zwar könnten sie einen anderen Eber auf die Sau setzen, aber dann käme ein völlig anderes, neues Ergebnis heraus.  Und die Züchtung wäre verdorben und verloren.

Jürgen Gottschling

Dez 2009 | Heidelberg, Allgemein, Wirtschaft | Kommentieren