Kommentar, Ausblick und Analyse, Rück- wie Vorschau zugleich:
Sind ja schon beinahe am Ende der Wahlverspreche(r)n: „Gestern standen wir noch dicht am Abgrund. Heute sind wir schon einen Schritt weiter“, im „Superwahljahr 2009, einem Jahr, das mit einem neuen Krieg im Nahen Osten begann – für den, wenn man ihn schon führt, Israel hoffentlich die richtigen Schlüsse aus dem (bislang letzten) zweiten Libanon-Krieg gezogen hat, aus dem dummerweise eher die Islamisten der Hisbollah gestärkt hervorgingen. Willkommen also zu beinahe zu guter Letzt in einem Jahr, in einem doch eher banalen Land, in dem „wir uns doch in weiten Teilen über die Grenzen der Parteien hinweg unserem Land verpflichtet“ fühlen. Das jedenfalls sagte Angela Merkel, die Hände auf der ledernen Schreibtischunterlage eisern zum Gebet gefaltet. Deutsche, dem Land verpflichtete Patrioten! Vaterländisch Fühlende! Die erste, die wichtigste und die richtige Wahl haben Sie bereits getroffen, wenn Sie dies hier lesen. Ziehen Sie mit der Rundschau in die kurpfälzischen Tief-und Hochebenen in die blutige Schlacht um (wir machen da nicht so richtig mit) Anzeigen, sonstige Erlösen und Ereignissen!
Freuen wir uns auf das demnächst zurückliegende Jahr voller Jubiläen, wie dem der Varusschlacht, in der sächsische Alkoholiker von ihrem Bärenfell ihre nur für den Angriff starken Leiber erhoben und die Römer dermaßen verprügelten, dass diese das Land mit einem Pisa-Fluch belegten. Den wiederum natürlich nur die Sachsen trotz akuten Sprachschadens besiegen konnten. 2000 Jahre Varusschlacht und Geburt der Deutschen, 20 Jahre Mauerfall und Haus der Kulturen der Welt, 60 Jahre Bundesrepublik Tiudisklande, schöne Jubiläen für schöne Frauen in schönen Kleidern, wie der größte Second Hand Shop und Putzlappendistributor Deutschlands unweit der Schlammschlachtgedenkstättte wirbt. Vor allem aber: Endlich war das schwachsinnige Jubiläumsjahr 2008 vorbei, in dem die 68er für alles verantwortlich gemacht wurden und sich noch der letzte Bleistift von seiner dunkel schwärzenden Vergangenheit distanzieren musste.
Deutschlandverpflichtete aller Länder! Freuen wir uns auf den Rest des Jahrees nach der Wahl, in dem, von IBM und Böblingen Wissenschaftsjahr 2009 kiefergerechten Babyschnullers zeigt, wie Deutschland Maßstäbchen setzt. Wobei die Rede vom intelligenten Planeten auf ein ungleich größeres Jubiläum hinweist, das einmal nichts mit dem von der Kanzlerin gepriesenen Land der Dichter und Denker zu tun hat: 2009 wird auch auch ein Darwin-Jahr gewesen sein, in dem der Mensch sich darüber Gedanken machen konnte, wer seine Mitfahrer waren . Mitfahren habe ich von Richard Dawkins, dessen bezaubernde „Zeitreise auf Darwins Spuren“ mit zwei berühmten Sprichwörten von Mark Twain und Clarence Darrow beginnt, die auch auf 2009 passen: ausgehend, die Erde ein intelligenter Planet wird. Wie reizend, dass all dies im Jahr passiert, in dem das Jubiläum der Erfindung des Menschen gewidmet ist
Geschichte wiederholt sind nicht, aber sie reimt sich.
Geschichte wiederholt sich; das ist eines der Dinge, die an der Geschichte falsch sind – was denn nun? Was oder wie auch immer: 2009 hatte auch Vorteile: Wir konnten den 109. Geburtstag von Bond, James Bond feiern. Dass der berühmte Ornithologe, der im Geiste Darwins die Vogelwelt der Karibik erforschte, kein besonders schrecklich aussehendes Tier auf den Namen von Ian Fleming taufte, ist auch eine wissenschaftliche Leistung: Für Bond gab es keine schrecklichen Tiere. Ob James Bond tatsächlich dank seines Namens aus einem Flugzeug verwiesen wurde, als er seinen Ausweis vorlegte, dürfte eine Frage für die Mythbusters sein. Vielleicht zündet die Anregung in diesem Jahr und der sagenhafte, angeblich fertig gestellte Bundestrojaner wird als Ian Fleming seinen Dienst antreten. Denn dass diese Software ohne tatkräftige Hilfe durch einen priapristischen Top-Agenten installiert werden konnte, glauben die, die die Märchen von Jacob Grimm (noch ein Geburtstag) für packende Sozialreportagen halten.
In der Geschichte der Evolution sind Augen vierzig Mal unabhängig voneinander entstanden, wenn Dawkins‘ Arbeiten zum „Gipfel des Unwahrscheinlichen“ stimmen. In Rest2009 sollen wir nach dem unbedingten Willen des Bundesschmidtministeriums noch die elektronische Gesundheitskarte bekommen. Sie wird dabei helfen, die Diskussion um die elektronische Gesundheitskarte einzusparen. Als erste Massenkarte ihrer Art trägt sie den Vermerk „eGK“ in Braille-Schrift, damit auch die Blinden sehen können, wenn sie vom frisch gestarteten Gesundheitsfonds genarrt werden. Ob sich der vor 200 Jahren geborene Louis Braille darüber genauso freuen würde wie über die Tatsache, dass gerade die Tour de Braille gestartet wurde, die blinde Menschen integrieren soll? Wie wäre es überhaupt mit einer Tour de Barriere, die alle Technologien fördert, die Behinderungen überwinden helfen? Die aus Indien recycelte Forschungsexpedition für das Wissenschaftsjahr 2009 ist doch etwas wenig.
An dieser Stelle kommen wie ja am Ende häufig, oft Abschiede. Ein Tschüss geht an mein Mailboxfach bei einem deutschen Provider. Die neuen Überwachungsgesetze gehen einfach zu weit, auch wenn manche finden, dass die staatliche Überwachung nun etwas erträglicher geworden ist. Ein weiteres Tschüss geht an den Schiffsmeldedienst in Cuxhafen, der im Zeitalter des Internets und des ISPS-Codes überflüssig geworden ist. Ganz nebenbei profitieren die Piraten vor Somalia von diesen Codes genau wie die Anti-Terror-Wächter der Seehäfen. Mit Bolivia geht ein hasta luego an Freddie Hubbard, der es trotz einiger Umwege und Rückschläge in den Jazzhimmel schaffte. Ein großer bunter Regenbogen geht an den Journalisten und rasenden Quick-Reporter Johannes Mario Simmel. Sein letztes Buch über Philipp Sorel, einen Spezialisten für Computerviren, eine Fotografin und einen schwanzlosen Galeristen inmitten des Cyberwars digitaler Terroristen war eine letzte Brücke, über die nur noch wenige Leser gehen wollten. Die „Faction“ unterlag dem Verständnis der Fakten, auch wenn Simmel bei diesem Buch für die nötige Erdung eigens einen Berater vom Chaos Computer Club angeheuert hatte.
Wie schick 2009 gewesen sein wird, mag man daran ablesen, dass es mit einem zünftigen Y2K9-Problem begann, komplett mit einer Aussage, die sicher Viele staunen lässt: Die Entwickler zeigten sich überrascht davon, wie viele dieser 2006/2007 gekauften Geräte noch im Einsatz sind. Developers, Developers, Developers! Ich greife zu meinem Mac G4 aus dem Jahre 2005, der immer noch munter als Jukebox Ogg-Dateien in der Bude abnudelt, wer mit solch kurzen Hardware-Zyklen als Entwickler rechnet, muss eine rasante Wegwerf-Routine im Kopf haben und die vielen munter bloggenden Gadget-Krähen mit echten Anwendern verwechseln. Die Alarmzeichen sind längst angegangen – und werden wie die Bruchmeldungen von den Finanzmärkten ignoriert. So mag das ja noch gut aussehen, aber man vergleiche selbst: Im Januar 2007 kam Windows auf 93,33 Prozent, heute steht es bei 88,68. Wer jetzt noch die Mac-OS-Zahlen der letzten sechs Monate anschaut, wird verstehen, warum sich Steve Jobs mit gefrorenem Joghurt den Bauch verdorben hat, den Bauchmuskelkater vom Lachen bekämpfend. Vielleicht stirbt Jobs 2009, dann aber als Kämpe, der seine Schlacht geschlagen hat: Viva la vista, Vista!
Man kann es anders ausdrücken. Der von den Abrufzahlen eindrücklich bestätigte Trend zu den Netbooks war erstes Indiz für eine Absatzbewegung, bei der die Hersteller sich von Microsoft noch einfach einfangenso ablaufen. Was derzeit zu Ende geht, was sich als Auslaufmodell entpuppt, hat der Philosoph Sloterdijk mit der Zauberökonomie von Harry Potter erklärt: „Zaubern ist eine Tätigkeit, die das Verhältnis von Ursache und Wirkung verdunkelt. Die Verwirrung beginnt, wenn die Wirkung die Ursache maßlos übertrifft …“ Die Welt der Steinbrücks und Merkels bricht zusammen, auch wenn die Politik als besonders langlebige Hohlform in diesem „Superwahljahr“ davon nichts wissen will. Leider werden auch dieses Jahr die besten Versprecher gewonnen haben, wenn das gewünschte Sein das Bewusstsein bestimmt ließen und den Start vermasselten. Das muss freilich nicht immer so gewesen sein.
Kann es denn anders weiter gehen? Reichen Appelle wie des Philosophen befehlerisch vorgetragenen „Du mußt dein Leben ändern“? Auch wenn es stellenweise so klingelt und klappert wie bei den durchgeknallten Simplify-Vorschläge eines evangelikalen Pfarrers? Gibt es nicht wenigstens eine ordentliche Zusammenbruchsvariante?
Mit einer Rede begann, mit einem Redezitat enden wir. „Wir brauchen“ (so Bundespräsident Köhler weiland in seiner Neujahrsansprache), „Achtsamkeit für das Gemeinwohl. Wir brauchen Anstand, Bescheidenheit und Maß.“ Ansstand kenne ich noch, bei Bescheidenheit muss mir Wikipedia helfen, bei Maß gibt es 2009 die Wahl: BMI für Dickerchen oder eben, Simmel sei Dank, Sorel. Dann hätte – nach der Wahl – da noch die Achtsamkeit gewesen sein müssen. Den Piraten jedenfalls lässt sich nicht alles in die Schue schieben. Wer kann den schon sicher sein, dass die verbrauchten Prozente dieser oder jener Partei abgenommen wurden … got