Als die Zeitungen (und auch wir) vor vier Wochen über die Fatwa gegen Salman Rushdie vor 20 Jahren und ihre Folgen bis heute nachdachten, kamen alle selbstverständlich auch auf den Karikaturenstreit vor drei Jahren zu sprechen.
„Nein, man soll auch gläubigen Muslimen nicht die Begegnung mit der westlichen Kultur ersparen, alberne Karikaturen eingeschlossen“, konzediert zum Beispiel Thomas Steinfeld in seinem Artikel für die SZ zum Jahrestag der Fatwa am 14. Februar. Es ist auch ein Plädoyer für eine Mäßigung des Westens im Umgang mit anderen Kulturen. Der Westen solle sich klar machen, „wie totalitär selbst seine Glücksideale“ seien.
Wie „albern“ waren die Karikaturen denn? Mit dem Wörtchen wischt Steinfeld noch im Jahr 2009 das, worum es in dem Streit doch angeblich ging – die Karikaturen selbst – mit lässiger Bewegung aus dem Blick wie ein lästiges Stäubchen vom wohlgeordneten Redakteursschreibtisch. Das „albern“ ist ein Dekret, noch im Nachhinein, denn die Leser der SZ konnten sich auf dem Höhepunkt des Streits, soweit wir das nachrecherchieren konnten, und auch bis heute kein Bild von den Karikaturen machen.
Da war die SZ nicht allein. Fast alle westlichen Zeitungen waren sehr schüchtern mit den Karikaturen. Der Streit markiert auch darum einen prägnanten Moment in der Geschichte der Medien. Die dänische Jyllands-Posten druckte die Karikaturen erstmals am 30. September 2005. Der Streit kochte erst viel später hoch, als interessierte Kreise in muslimischen Ländern die Karikaturen, angereichert mit viel drastischeren Zeichnungen, die gar nicht in Jyllands-Posten gestanden hatten, im Nahen Osten zirkulieren ließen. Eine Zeitung also hatte die Karikaturen zuerst gedruckt, aber als das Interesse des Publikums am größten war, verzichteten die meisten westlichen Zeitungen, so wie die SZ, darauf, die Zeichnungen zu dokumentieren. Das Zeitungspublikum war gezwungen, ins Netz zu gehen und die Karikaturen per Google zu suchen: Selten waren die Nutzerzahlen auch bei Online-Medien höher.
Die Zeitungen sind so stolz auf ihre unverzichtbare Funktion in einer freien Öffentlichkeit und bringen sie so gerne gegenüber dem unartigen und stets nur sekundären Internet ins Spiel. Aber als es darauf ankam, haben sie gekniffen. Zum Glück gab es das Internet! Nicht um ihren Mut zu beweisen, sondern aus Informationspflicht und um dem riesigen Interesse ihrer Leserschaft zu genügen, hätten sie die Karikaturen drucken müssen, alle Karikaturen.
Darum ist es auch wichtig, einen Satz in einem Artikel von Daniel Bax‘ zum Thema in der taz zu korrigieren: „Um der Legendenbildung vorzubeugen: es waren linke (taz) wie konservative (FAZ, Focus) Blätter, die die Zeichnungen druckten – und linksliberale (Süddeutsche, Frankfurter Rundschau) wie rechte (Bild), die darauf verzichteten.“
Das ist nicht ganz richtig. Nur die Welt, die Daniel Bax seltsamerweise nicht erwähnt, tat das einzig Richtige und druckte ohne viel Aufhebens sämtliche Karikaturen ab. Die taz hat , soweit wir das recherchieren konnten, auf dem Höhepunkt der Affäre nicht „die“ Karikaturen, sondern zwei davon in zurückhaltender Größe gebracht, darunter immerhin die Zeichnung Mohammeds mit einer Bombe im Turban von Curt Westergaard, im Grunde die einzige unter den zwölf Zeichnungen, die einem ein wenig den Atem stocken lässt, sie ist sinnbildhaft, verzichtet auf Witz und Ironisierung und stellt einen kriegerischen Mohammed als Angstfigur dar. Hier der Ausriss:
Die meisten Blätter gingen nicht einmal so weit. Stern und Spiegel dokumentierten eine ganze Zeitungsseite aus Jyllands-Posten auf einer mickrigen Spalte.
Den Vogel schoss allerdings die FAZ ab. Christian Geyer forderte am 2. Februar 2006 den Abdruck der Zeichnungen durch die Presse: „Tatsächlich ist in dieser Phase der Eskalation, in der wir seit der erzwungenen Entschuldigung der dänischen Zeitung stehen, nicht Kuschen, sondern Publizieren der gebotene Schritt zur Deeskalation. Nur wenn man in dieser Sache europaweit zu den Selbstverständlichkeiten der demokratischen Öffentlichkeit steht, nimmt man die Brisanz von dem einzelnen Presseorgan, dem einzelnen Land, das gerade erpresst werden soll – und das diesem Druck naturgemäß nicht lange gewachsen ist. Nur in europaweiter Solidarität wird klar: Religiöse Fundamentalisten, die die Unterscheidung zwischen Satire und Gotteslästerung nicht respektieren, haben nicht nur mit Dänemark ein Problem, sondern mit der gesamten westlichen Welt.“
Aber die FAZ druckte die Zeichnungen nicht. Musste sie auch gar nicht, meinte Geyer, denn „die FAZ hatte bereits am 3. November (2005) auf ihrer Medien-Seite eine der strittigen Mohammed-Karikaturen publiziert, als sie über den damaligen Stand des Konflikts berichtete.“
Hier der Ausriss:
Eine der strittigen Karikaturen! Und zwar eine der Zeichnungen, in denen sich der Zeichner gerade weigerte, Mohammed abzubilden. Und die FAZ-Leser hätten sich ins Archiv begeben müssen, um sie zu sehen.
Man mag die Karikaturen albern finden – allerdings sollte man den Lesern erlauben, sich ein Bild zu machen, bevor man sie abtut. Ich finde die Karikaturen nicht albern. Sie sind witzige, durchdachte Zeichnungen, die sich ironisch mit dem durchaus beängstigenden Auftrag auseinandersetzen. Viele der Zeichner zeichnen über die eigene Angst. Keine der Zeichnungen überschreitet eine Grenze der Auseinandersetzung, keine Zeichnung ist beleidigend. Sie nicht zu veröffentlichen, setzte sie in ein falsches Licht und ließ sie als einen Akt der Aggression erscheinen, den sie gar nicht meinten. Es war Verrat an den Zeichnern, die eine ganz gewöhnliche journalistische Arbeit machten. Wer die Zeichnungen albern nennt, hat im Grunde nur seine Meinung übers eigene Metier publik gemacht.