Wir sind ein wenig voreingenommen gegenüber der modernen Medizin. Denn wir selbst, und viele unserer Freunde und Verwandten, würden längst nicht mehr leben, wenn wir nicht im rechten Moment rettende Medikamente erhalten hätten. Wie alle Arzneien und Operationsmethoden wurden diese vorher an Tieren getestet. Und deshalb halten sich unsere Sympathien mit Tierversuchsgegnern in Grenzen.

Deren militanter Flügel hat kürzlich in der Schweiz das Ferienhaus von Daniel Vasella, Chef des Pharmakonzerns Novartis, angezündet. In Deutschland war das kein Thema. Kleinterrorismus, der keine Menschenleben kostet, regt kaum noch jemanden auf.

Auch wenn die Öffentlichkeit wenig Notiz nimmt, haben solche Anschläge ihre Wirkung. „Ich denke, Gewalt ist Teil des Kampfes gegen Unterdrückung“, verkündete der prominente amerikanische Tierrechtler Jerry Vlasak schon vor Jahren. „Wenn den Tierexperimentatoren etwas Schlimmes passiert, wird es andere entmutigen. Es ist unvermeidlich und effektiv, in diesem Kampf Gewalt anzuwenden. Ich denke, man muss nicht allzu viele Forscher töten. Für fünf, zehn oder 15 Leben können wir eine Million, zwei Millionen, zehn Millionen nicht menschliche Leben retten.“

Ähnliche Effekte erzielen auch die Kreuzberger Kiez-Milizionäre, wenn sie Autos anzünden. Oder die sogenannten Feldbefreier, die gentechnisch veränderte Pflanzen ausreißen. In Deutschland haben deshalb bereits vier Universitäten ihre Versuchsäcker aufgegeben. Ganz ähnlich die Strategie rassistischer Schlägertrupps: Sie erreichten, dass es Stadtviertel gibt, in die sich kein Mensch mit dunkler Hautfarbe mehr traut. Wie sagte Mao Tse-tung so treffend: „Strafe einen, erziehe hundert!“ Im Falle Rushdie, der dänischen Karikaturen und anderer angeblicher Beleidigungen ihres Glaubens haben fanatische Islamisten demonstriert, wie schnell westliche Gesellschaften einknicken.

Wer das Gewaltverbot bricht, kann damit viel erreichen. Kleine extremistische Gruppen setzen mit solcher Propaganda der Tat mehr durch, als friedliche Massenbewegungen. Der Erfolg gibt ihnen recht. Man kann fast dankbar sein, dass bisher relativ wenige Minderheiten militant geworden sind. Gottlob gibt es (sic) christliche Sekten  Nichtraucher und Vogelschützer, die sich weiterhin auf zähe Überzeugungsarbeit beschränken.

Um in Ruhe und Frieden leben zu können, sind liberale Gesellschaften manchmal schnell bereit, Prinzipien zu opfern. Die Summe aller kämpferischen Minderheitenprogramme, derer man sich im Namen der Toleranz nur halbherzig erwehrt, ergäbe jedoch totale Unfreiheit. Zivilcourage bedeutet nicht nur, wachsam zu sein, wenn der Staat die Bürgerrechte einschränken will. Die gleiche Aufmerksamkeit ist gefragt, wenn zivilgesellschaftliche Gruppen glauben, dass ihre Ein-Punkt-Programme wichtiger sind als die Grundrechte anderer Bürger. got

Sep. 2009 | Allgemein | 1 Kommentar