Für Joschka Fischer ist Jürgen Habermas «fast ein Staatsphilosoph», für viele ist er immer noch der einflussreichste Denker Deutschlands. Die Mächtigen hören ihm zu, die Intellektuellen streiten mit ihm. Oder über ihn. Ein Rückblick zum 80. Geburtstag.Vor drei Jahren gab es wieder einmal Streit um Jürgen Habermas. Auslöser war ein Gerücht, eine etwas abstruse Passage in den Memoiren des im September verstorbenen Historikers und Publizisten Joachim Fest. Habermas, 1929 geboren, sei als Jugendlicher ein strammer Nazi gewesen, stand da. Ein Artikel in der Zeitschrift Cicero berichtete außerdem über seine Zeit als Mitglied der Hitlerjugend und Gerüchte um angebliche «Endsiegparolen» des jungen Habermas. Der aber ließ das nicht auf sich sitzen, ging gegen die «Denunzianten» vor Gericht und gewann. Seitdem darf Fests Buch Ich nicht nur noch ohne die entsprechende Textstelle erscheinen.

Habermas, der heute 80 Jahre alt wird, hat viel Schelte einstecken müssen ob dieser Anschuldigungen. Noch mehr aber hat er Rückendeckung erhalten. Er, der als einer der prominentesten lebenden Denker Deutschlands gilt, wird in intellektuellen Kreisen immer noch zutiefst verehrt. Von anderen aber wurde und wird er gehasst. Auch, weil er Mitte der 1980er Jahre mit einer Replik auf den Historiker Ernst Nolte den sogenannten Historikerstreit auslöste: Der Geschichtswissenschaftler hatte die Einzigartigkeit des Holocaust infrage gestellt. Habermas kritisierte dies als «Relativierung» des Massenmordes.

Vielleicht hänge es auch mit dieser Geschichte zusammen, so mutmaßte der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler in einem Interview mit dem Spiegel, dass Fest die fragliche Passage in seinem Memoiren eingebaut hatte. Er vermutete, dass in Fest «ein tief verwurzelter Hass» wegen der Rolle Habermas‘ in diesem Streit saß. Habermas war Fest damals scharf angegangen, weil dieser den umstrittenen Thesen Noltes ein Forum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegeben hatte.

Ein Disput, der wie kaum ein anderer zeigt, dass Habermas vor allem eines ist: streitlustig. Vor aktuellen Fragen hat er sich nie gedrückt, er bezieht Stellung – etwa wenn er in der Finanzkrise den jahrelang untätigen Politikern die Schuld gibt: «Die Politik macht sich lächerlich, wenn sie moralisiert, statt sich auf das Zwangsrecht des demokratischen Gesetzgebers zu stützen.»

Das theoretische Hauptwerk des Philosophen und Soziologen galt seit den 1970er Jahren der Frage, über welche Form des «Diskurses» eine Gesellschaft demokratisch organisiert werden kann. Habermas führte diesen Kampf um die «mentale Ausrichtung der Bundesrepublik», wie er es nannte, immer vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse des Dritten Reiches, sein Antrieb war «die Furcht vor einem Rückfall in die autoritären Verhaltensmuster und elitären Denkgewohnheiten des vordemokratischen Deutschlands». Seine Rolle aber ging immer weit über Deutschland hinaus. So imposant sein Werk ist, so imposant ist auch sein internationaler Einfluss.

Wie kaum ein anderer Philosoph ist Habermas bis heute im öffentlichen Diskurs präsent. In Aufsätzen und Interviews geißelte er die Irak-Politik des früheren US-Präsidenten George W. Bush und wetterte gegen dessen «selbstzerstörerische Politik». Stets aber legte er Wert darauf, dass seine Kritik «nicht den geringsten Beiklang antiamerikanischer Gefühle» habe. Nach den Anschlägen vom 11. September diskutierte er über die Spannung zwischen säkularer Gesellschaft und Religion.

Als Philosoph steht Habermas in der Nachfolge der «Frankfurter Schule» von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. An deren Institut für Sozialforschung arbeitete der gebürtige Düsseldorfer von 1956 bis 1959 zunächst als Assistent. Bevor er 1964 Horkheimers Lehrstuhl erben sollte, erwarb er die Lehrbefugnis in Marburg und war Professor in Heidelberg. Die «Kritische Theorie» seiner Frankfurter Lehrer aber übernahm er nicht einfach, er führte sie fort und veränderte sie, er holte sie heraus aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm und trug sie mitten hinein in die Gesellschaft.

Prägend für die Entwicklung Habermas‘ waren die 1968er, umgekehrt galt dasselbe. Die Studenten hatten sich zwar auf Habermas‘ Lehren berufen, doch der wandte sich damals bald ab von der Bewegung; deren Anführer Rudi Dutschke er einen «linken Faschisten» nannte, eine Bezeichnung, die er heute bedauert. Im Nachhinein gibt es für einen unbestreitbaren Erfolg dieser Revolte: eine breite Demokratisierung der Gesellschaft. Die Linken haben es Habermas gedankt und sind ihm treugeblieben: Der rot-grünen Bundesregierung (1998-2005) diente er als Stichwortgeber, für den damaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) wurde Habermas sogar «fast ein Staatsphilosoph».

Stets versuchte Habermas, verbindende Elemente der Gesellschaft ausfindig zu machen, so auch in seinem 1981 erschienenen Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns. Darin entwirft er Handlungsanweisungen für die moderne Gesellschaft. Dieses zweibändige und mehr als 1200 Seiten starke Werk ist auch der Versuch, Sozialismus und Demokratie zu versöhnen, ein Anliegen, dass ihm am Herzen lag. «Sozialismus heißt nach wie vor das Ziel einer politischen Zähmung des Kapitalismus», schrieb er. Die Gesellschaft solle ihre Regeln in einem «herrschaftsfreien Diskurs» selbst aufstellen, indem sich die Bürger gemeinsam auf Erlaubtes und Verbotenes einigen. Dahinter steckt zum einen ein positives Menschenbild, zum anderen der ungebrochene Glaube an die Vernunft.

Juni 2009 | Allgemein, Feuilleton, Zeitgeschehen | Kommentieren