Ein «Omnibus» ist ein klarer Fall, ein lateinischer Dativ Plural nämlich, ein Wem-Fall in der Mehrzahl. Das Wort sagt wörtlich, für wen das Vehikel desselben Namens da ist: «für alle». Ein Omnibus ist nicht nur für alle da, er hat auch für alle etwas: ausser Sitz- und Stehplätzen unübersehbare Werbeflächen. Sie können von allen gemietet werden; nicht von allen gleichzeitig vielleicht, aber doch nacheinander. «Alle» indes können im Einzelnen sehr Verschiedene sein. Zum Beispiel – darum geht es hier – Gläubige und Ungläubige, Theisten und Atheisten.
Schrecken und Empfindsamkeit
Eine «Atheist Bus Campaign» hat in Grossbritannien für einigen Wirbel gesorgt und in Spanien, Italien, Kanada, Deutschland sowie inzwischen auch in der Schweiz ein Echo gefunden. Im ersten Monat des neuen Jahres – notabene des Darwin-Jahres! – beförderten jenseits des Kanals achthundert rote Busse ausser Passagieren auch die aufmunternde Botschaft: «There’s probably no God. Now stop worrying and enjoy your life.» Menschen bekennen offenbar gerne; auch die, die sich zu religiösen Offenbarungen niemals bekennen würden. Der atheistische Bekenntnisdrang jedoch scheint im vorliegenden Fall eine Reaktionsbildung gewesen zu sein. Am Anfang stand ein Bibelwort, das gleichfalls von Londoner Bussen spazieren gefahren worden war: «Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf Erden noch Glauben vorfinden?»
.Auf diese bange Frage (vgl. 8. 18. Lukasevangelium) ist der Aufruf, trotz – oder wegen? – der «wahrscheinlichen» Inexistenz Gottes die Furcht abzustreifen und das Leben zu geniessen, nicht eigentlich eine naheliegende Antwort. Anstoss genommen hat die Initiatorin der Kampagne, eine junge Journalistin und Autorin von Fernsehkomödien, denn auch an der Website einer Organisation namens «Jesus said», deren Internetadresse dem Evangeliumszitat beigegeben war.
Im elektronischen Orkus drohen diese Jesus-Bekenner mit dem Zorn des Herrn, der auf Ungläubige niederfahren werde, sowie mit ewigen Höllenqualen für unbussfertige Sünder. Das ist kein neuer Ton in Kreisen frommer Eiferer; aber dass er eine empfindsame Seele noch immer zu erschrecken vermag, verwundert nicht. Gefühlvoll ist ja auch der Slogan der Gegenwehr, insbesondere in seinem ersten Teil.
Das delikate «probably» können sich – je nachdem, wie es verstanden wird – sogar alle Beteiligten auf der Zunge zergehen lassen. Atheisten, weil sie sich mit dem «wahrscheinlich» manches zugute halten dürfen: die Rücksichtnahme auf die religiösen Gefühle derer, die sie ein wenig ärgern möchten, wie auch die Vorsicht, die eine wissenschaftlich aufgeklärte Vernunft im Blick auf Unbeweisbares gebietet. (Ebenso wenig wie Gottes Existenz lässt sich seine Inexistenz «beweisen».) Gottgläubige wiederum, zumindest generöse, könnten an dem «probably» als Wort-Oblate einer transreligiösen Kommunion mit den Ungläubigen insofern Geschmack finden, als es nicht völlig ausschliesst, dass es Gott eben doch gibt.
Die vorbehaltvolle Formulierung, die ihre eigene Komik hat, verdankt sich aber wohl Profanerem. Den Regeln des Werberechts vielleicht, die «absolute» Behauptungen oder Superlative – «das beste Bier», «der toteste Gott» – kaum zulassen. Die Website der Kampagne verrät freilich (www.atheistbus.org.uk) einen noch schnöderen Grund. Ursprünglich hatte sich eine weitergehende Wendung angeboten. Sie stammt von Richard Dawkins, dem Biologen und Erfinder des «egoistischen Gens» sowie omnipräsenten Prediger wider den «Gotteswahn»: «almost certainly». Warum die Abstriche beim atheistischen Bekenntnis? «Nahezu gewiss» war, so erfahren wir, einfach zu lang für die Werbetafel.
Noch kürzer als ein Satz mit «probably» und noch entschiedener als einer mit «almost certainly» wäre gewiss das lakonische Statement gewesen: «Gott gibt es nicht.» Aber so etwas – siehe oben – kann man eben nicht wissen, sondern nur glauben. Und das atheistische Bekenntnis will kein Glaubensbekenntnis sein, auch kein negatives (ein Unglaubensbekenntnis), sondern augenscheinlich ein Wissensbekenntnis. Solche Zurückhaltung muss sich die Gegenkampagne, genauer: die Gegengegenkampagne nicht auferlegen. Sie läuft in Grossbritannien seit letzter Woche. Allerdings beteiligt sich die anglikanische Kirche, weise, nicht daran.
Eine «Christian Party», eine Bibelgesellschaft und die russisch-orthodoxe Kirche haben nun (wenn auch in geringerer Zahl) Omnibus-Werbeflächen gemietet, um ihre Zeichen zu setzen. Sie muten allerdings weniger delikat und feinfühlig an, handelt es sich doch um blosse Retourkutschen: «There definitely is a God. So join the Christian Party and enjoy your life.» Oder: «There IS a God, BELIEVE.
Don’t worry and enjoy your life.» Immerhin erinnern die Sprüche daran, dass Lebensgenuss kein Privileg der Gottlosen sein muss, wie die atheistische Kampagne es selbstverständlich zu finden scheint. Zudem gibt es Leute, darunter keine ganz dummen, die nicht an Gott glauben und das Leben trotzdem ungeniessbar finden. Schopenhauer war so einer.
Trost ohne Ende
Apropos Logik: Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz will die Aktion der britischen Atheisten kopieren und sammelt bereits Geld. Die Leiterin der Geschäftsstelle des Verbandes lässt sich mit der Auskunft vernehmen, eine solche Kampagne solle zeigen, «wie absurd religiös gefärbte Botschaften sind». Sehen wir einmal davon ab, dass in der Moderne (namentlich bei Camus) das Absurde gerade in der Erfahrung einer gottlosen Welt und sinnlosen Existenz zutage getreten ist und nicht in einer religiösen Botschaft, so lässt sich dennoch eine Gegenfrage schwerlich vermeiden: Antireligiöse Botschaften wären nicht absurd? – Komisch können auch sie zumindest sein.
Was aber hat der offenbar ansteckende atheistische Bekennermut zu bedeuten? Scheiden sich die Geister nun endlich – endzeitlich? Doch wohl eher noch nicht. Sie fahren, das ist – irdisch und zivilgesellschaftlich betrachtet – tröstlich, allesamt weiterhin in Omnibussen (ausser jener Londoner Chauffeur, der aus religiösen Gründen keinen temporär atheistischen Bus steuern wollte). Und sie geben, ein jeglicher nach seinem Gusto und Portemonnaie, Geld für Werbung aus. Der «Werbekrieg» ist marktgesellschaftlich gesehen die Fortsetzung des Religionsfriedens mit anderen Mitteln. Nur leider werden bis jetzt noch keine entsprechenden Inserate in den darbenden Tageszeitungen (oder hier bei uns) geschaltet. gott
09.Juni.2009, 20:01
Es ist doch alles ganz einfach, da wir es, wenn wir wollen, seit 2 Jahrtausenden so beobachten können. Deshalb verstehe ich nicht, dass man sich in der Argumentation nicht stärker des historischen Materialismus, der bekanntlich von Marx/Engels ist, zumindest insoweit bedient, als man den Blick – ganz unidealistisch – auf geschichtliche Etappen, Entwicklungen, Tendenzen und Bedarfe lenkt. Ich betone „geschichtliche“! Denn auch die Gottesfrage „entscheidet“ sich immer wieder nur auf der Zeitschnur des geschichtlichen „Alltags“. Es gibt nämlich keine abstrakte Klarheit darüber, ob es Gott gibt oder nicht, das ist doch immerhin klar. Und ich meine das hier mit Bezug zum Idealismus Platons und seiner Exegeten. Wir wissen diesbezüglich fast nichts mit Gewissheit, deshalb eben halt glauben oder nicht glauben. Es geht – idealistisch – nicht darum, ob es IHN gibt oder nicht, sondern darum, wann wir (wirklich im Plural) IHN mehr und wann wir IHN weniger oder gar nicht brauchen. Das ist sozusagen die soziologische bzw. massenpsychlogische Komponente der Gottesfrage.
Von der Auferstehung seines Sohnes bis zur Aufklärung brauchten wir IHN sehr; alle, fast alle glaubten an IHN, irgendwie freiwillig, gezwungen oder freiwillig gezwungen. Also musste irgenwann, eben ab den Zeiten von Voltaire und Kant und der geistigen Inkubationszeit davor, der dialektische Gegenzug wieder mal kommen.
Aufklärung, das neue Licht ohne Gott, der Verstand, die Vernunft. Wie schon damals im späten, aber nicht allzu späten Römertum, als man sich von den Göttern abgewandt hatte und das Christentum noch bekämpfte. Im technizistischen Zeitalter wurde dieses Bedürfnis,nämlich nicht mit Gott zu leben zu sollen, zu können, zu wollen, noch drastisch verstärkt. Die Verweigerung der Kirchensteuerzahlung wurde, dies nur ein Beispiel, zum äußerlichen Kriterium der Gottabgewandtheit. Bei den Reichen der Maserati als Gottesersatz, bei den nicht so Reichen der zaudernde Geldbeutel beim Zehnten oder der VW zum Beispiel. Inzwischen alle, aber auch alle beim schnöden Mammmon der neuen Medien.
Nun sind wir nach gut 200 Jahren wieder soweit, dass wir merken (im Westen im weitesten Sinne, und nur darüber räsonniere ich), dass es ohne IHN doch nicht so schön und beruhigend ist (wir hatten ja auch noch die Existenzalisten zu verdauen, von Kierkegaard mal abgesehen, der das Kunststück vollbrachte, ein gottgläubiger Atheist zu sein, wenn ich recht sehe). Also wird ER wieder vom Himmel herunter gebetet, in allen Varianten und Beweisformen, denen letztlich kein Beweis unterlegbar ist, auch nicht durch den vermeintlichen Gegenbeweis von Busfahrern.
Zweifellos gehen wir wieder verstärkt auf theistische Zeiten zu, dagegen ist kein Kraut gewachsen. Muss auch nicht. Es ist so. Geschichte ist dialektisch. Die Frage ist dabei natürlich auch: welche Rolle kommt den Kirchen und Sekten zu? Da wirds wirklich happig.
Dennoch, auch dies kann man recht gut aus dem Histomat lernen, bilden sich auch jetzt aus der Larve der neueren Historie sozusagen als Nebenprodukte bereits wieder die Varianten parallel zum Mainstream heraus, die dann viel viel später erst wieder expansiv und ubiquitär zum Tragen kommen werden. Eben wenn wir IHN dann wieder nicht mehr so brauchen werden oder meinen werden, IHN nicht zu brauchen.
Das ist – exemplarisch – die Chose mit dem atheistischen Aufklärungsbus, der jetzt durch die Lande fährt. Es gibt viele Beispiele.
Ob ich an Gott glaube? Es kommt darauf an…..
Schöne Grüße
Fritz Feder
15.Juni.2009, 23:49
Ach, wir haben doch alle Antworten auf alle Fragen: Wie einer Katholik, Quäker, Hinduist, Muslim, Sozialist, Antisemit oder dergleichen wird, ist doch ein offenes Geheimnis: Das übernimmt der Mensch in der Regel von seinen Eltern., lange bevor er in der Lage ist, profund darüber nachzudenken in der Lage ist, profund darüber nachzudenken, Alternativen kennenzulernen, die Dogmatik und Praxis der betreffenden Lehre zu studieren. Später wird daran nicht mehr viel verändert. Konversionen und Bekehrungen sind bei Erwachsenen immer eine Ausnahme gewesen. Eher schon kommen bei Erwachsenen Aversionen, Abwendungen von der Religion oder Ideologie vor, die man als Kind eingetrichtert bekommen hat. Aber derlei geschieht gewöhnlich ohne großes Aufsehen.
Im großen ganzen allerdings pflegt der Mensch seine Überzeugungen im reiferen Leben, mithin jenseits etwa des 25. Lebensjahres, nicht mehr zu ändern. Nur extreme Erschütterungen oder späte Altersweisheit führen manchmal zu Revisionen. Das menschliche Herz ist schwer zu bewegen. Also muss man auf die Menschen einwirken, solange sie im bildungsfähigen Alter sind. Deshalb legen die Kirchen auf den Religionsunterricht gerade der unverständigen Kindlein solches Gewicht.
Möge der Herr mit ihnen und mit uns sein.
Gruß vom Karl
16.Juni.2009, 15:55
„Die großen Fehler der Vergangenheit können in vieler Hinsicht zweckdienlich sein; man kann die Verbrechen und das Unglück nie zu oft wieder vor Augen führen. Man kann beiden zuvorkommen, was auch immer darüber gesagt werden mag (…)
Es ist notwendig, sich die Usurpationen der Päpste öfter wieder vor Augen zu führen, die skandalösen Streitereien ihrer Schismen, die Dummheit der KOntraversen, die Verfolgungen, die Kriege, die aus dieser Dummheit entsprangen, und die Schrecken, die jene hervorriefen.“
Voltaire, von dem diese Sätze stammen, war unermüdlich darin, seinen Zeitgenossen die Verbrechen der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen.
Vergangene Brutalität und Dummheit müssten freilich nicht ewig neu in die Erinnerung gezerrt werden, dürfte man sicher sein, dass die Sache für immer vorbei sei. Man darf es aber nicht sein. Wie bald mag eine Renaissance von religiösem Fanatismus wieder aufkommen. Der Islam macht es uns gerade vor …
Mit einem freundlichen Grüß Gott, Jörg