Sehr kritisch setzt sich Necla Kelek (Redebeitrag auf der Islamkonferenz) mit einem Buch Claus Leggewies über „Moscheen in Deutschland“ auseinander – sie wirft Leggewie vor, durch einen Multikulti-Ansatz ausgerechnet die arabische und türkische Einflussnahme auf Muslime in Deutschland zu unterstützen: „Würde Claus Leggewie seinem emanzipatorischen Anspruch folgen, müsste er sich gerade für die Teilhabe der schweigenden Mehrheit der nichtorganisierten Muslime stark machen, ihre Freiheitsrechte stärken, die rationale Auseinandersetzung mit dem Islam fördern, den politischen Diskurs suchen, anstatt den Männerhäusern der Konservativen das Wort zu reden.“Der Direktor des kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, Claus Leggewie, hat mit der Religionswissenschaftlerin Bärbel Beinhauer-Köhler ein Buch über „Moscheen in Deutschland“ geschrieben, das, wenn es nicht so symptomatisch für einen bestimmten Teil der politischen Debatte in Deutschland wäre, als Fleißarbeit von Belegesammlern beiseite gelegt hätte werden können.

In den Nach-68er Jahren waren Fibeln für Bürgerinitiativen, Anleitungen, wie eine Bewegung gegen das Baumsterben o.ä. organisiert werden kann, in Mode. In deren Retro-Stil sind auch diese „Handlungsempfehlungen“ für den „besseren Weg zur Moschee“ geschrieben. Dem „Kursbuch“ lag in der guten alten Zeit stets ein „Kursbogen“ bei, der z.B. die Kapitalverflechtungen illustrierte. Bei diesem Buch hätte der Verlag einen Ausschneidebogen mit dem Bauplan einer Moschee beilegen sollen, damit die Moscheevereinsinitiative sich ihre Fatih-Moschee schon mal selbst basteln kann. Rührend, wie der Autor versucht, den Moscheebauern basisdemokratische Tipps zu vermitteln. Die Finanziers der Moscheeprojekte werden sich ins Fäustchen lachen über so viel Naivität. Denn was Leggewie als Versachlichung der Debatte um den Islam ausgibt, ist die Aufbereitung kulturrelativistischer alter Feze unter Auslassung der sozialen Realität und gleichzeitiger Denunziation der Gegner.

Während im ersten Teil die Geschichte des Moscheebaus in Deutschland verdienstvoll referiert wird, wobei die Autorin sich bemüht, Wertungen außen vor zu lassen, versucht Leggewie die Moscheebaubewegung politisch einzuordnen und die Vorbehalte dagegen aufzubrechen.

Den Einzelnen schützen

Leggewie sieht den Islam nicht als Weltanschauung mit einem differenten Menschen-,Welt- und Gesellschaftsbild, ja er vermeidet geradezu eine Auseinandersetzung darum, was der Islam ist, was er will. Er verneint damit die politische Dimension dieser Religion und reduziert sie auf ein Identitäts- und Verhaltensmuster. Nur unter Ausklammerung der politischen Dimension, der Differenzen und Zerstrittenheit kann er die These von der allmählichen Integration des Islam durch Teilhabe als einzige Möglichkeit propagieren und den Moscheebau auf ein Vermittlungsproblem reduzieren.

Gegen andere Auffassungen fährt er dann konsequenterweise Totschlagsargumente auf. Er meint, ich würde „publizistische Todesurteile für liberale Muslime“ und die säkularen Muslime in die Hände der Fundamentalisten treiben, wenn ich schreibe „Der Islam ist nicht integrierbar“. Dass ich im nächsten Satz geschrieben habe „der einzelne Muslim aber sehr wohl“, verschweigt Leggewie. Ich betone stets den Unterschied zwischen dem Recht des Einzelnen auf positive wie negative Religionsfreiheit und der Religion des Islam als Glaubenspartei. Der Islam als System – und das sage ich als Soziologin, die sich wie Leggewie mit Max Weber auseinandergesetzt hat – betrachtet den Menschen als Sozialwesen, als Teil der Gemeinschaft, des Kollektivs und nicht als Individuum. Der Islam hat eine eigene normierende Kraft, die sich u.a. in den Rechtsnormen der Scharia ausdrückt.

Wir müssen, um unsere Gesellschaft zu schützen, darauf bestehen, dass der Staat nötigenfalls den Einzelnen auch gegen den Staat in Schutz nimmt. Der Islam als System – von Spiritualität sprechen wir ja gar nicht mehr – will eine andere als die offene „westliche“ Gesellschaft. Wer die Debatten mit den Islamverbänden verfolgt, wird feststellen, dass sich hier Welten gegenüberstehen.

Und es ist auch nicht richtig, dass Kritik am Islam, wie Leggewie behauptet, die Fundamentalisten stärkt. Das Gegenteil ist der Fall. Seit es die Islamkonferenz und einige wenige Kritiker gibt, haben die konservativen Verbände die Deutungsmacht über das, was der Islam sein kann oder soll, abgeben müssen. Sie werden immer wieder aufgefordert, sich mit den Anforderungen unserer Demokratie und Werteordnung auseinanderzusetzen. Sie stehen unter Legitimationsdruck. Ließe man sie in ihren Koranschulen und Männerhäusern gewähren, würde die Segregation der muslimischen Migranten noch rascher voranschreiten. Nur dadurch, dass ihr Handeln im Licht der Öffentlichkeit steht, haben sich einige wenige Dinge zum Besseren gewendet oder ernten Widerspruch – dafür sind der Moscheebau oder die Kopftuchdebatte Beispiele.

Leggewie verkürzt die Diskussion um den Islam auf ein Vermittlungsproblem. Das ist falsch und setzt die Akzente schief. Von den geschätzt über drei Millionen als Muslime Bezeichneten besuchen etwa 150 000 Gläubige – vornehmlich Männer – die Moscheen. Gehen wir davon aus, dass diese Männer Familien haben, können wir von 500 000 bis 800 000 Gläubigen sprechen, die im Einflussbereich der Islamverbände stehen und für die Moscheen gebaut werden. Es gibt heute etwa 2500 kleinere und größere Moscheen. Geht man weiter davon aus, dass in jede Gebetsstätte mindestens 100 Betende passen, wäre bereits jetzt für 250 000 Betende Platz. Im Moment sind fast 200 repräsentative Moscheen in Planung. Wenn eine Moschee etwa drei Millionen Euro kostet, besteht ein Kapitalbedarf von ca. 500 bis 600 Millionen Euro. Eine Summe, die schwer durch Spenden aufzubringen ist. Warum fragt Leggewie nicht nach der Finanzierung der Moscheen?

Die schweigende Mehrheit

Die organisierten Muslime sind eine Gruppe, die weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Diese Gruppe ist gut organisiert, wird zum größten Teil aus der Türkei und arabischen Ländern angeleitet und finanziert. Sie bestimmt das Bild des Islam in Deutschland. Und dieses Bild ist das einer Community, die einem konservativen bis archaischen Islambild anhängt, wie der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban in einer Internet-Studie festgestellt hat. Säkulare Muslime haben bis auf ganz wenige Ausnahmen keine Stimme. Es gibt sie in organisierter Form einfach nicht, weil sie Teil der deutschen Gesellschaft geworden sind und sich auch als deren Bürger verstehen.

Würde Claus Leggewie seinem emanzipatorischen Anspruch folgen, müsste er sich gerade für die Teilhabe der schweigenden Mehrheit der nichtorganisierten Muslime stark machen, ihre Freiheitsrechte stärken, die rationale Auseinandersetzung mit dem Islam fördern, den politischen Diskurs suchen, anstatt den Männerhäusern der Konservativen das Wort zu reden. Die Muslime sind Teil unserer Gesellschaft, sie haben Anspruch auf Moscheen, aber wir müssen gleichzeitig konsequent dem politischen Islam entgegentreten.

Necla Kelek (Redebeitrag Islamkonferenz) ist Soziologin. 2008 erschien ihr Buch „Bittersüße Heimat – Bericht aus dem Inneren der Türkei“.

Mai 2009 | Allgemein, Feuilleton, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren