Das Kulturhistorische Museum in Magdeburg sucht das Bild «Am Waldesrand» von Jan Vermeer und das Schlossmuseum Gotha eine Christusdarstellung von Lucas Cranach dem Älteren. Mit zwei Klicks bekommt der Internetnutzer Ansprechpartner und Telefonnummern der Museen, wenn er etwas über den Verbleib der Werke weiß.
Das sind zwei von Tausenden Such- und Fundmeldungen beim Projekt Lost Art (Verlorene Kunst), der zentralen deutschen Internetdatenbank zu Raub- und Beutekunst. Betrieben wird die international zugängliche Suchmaschine von der Magdeburger Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. Die ist im Auftrag des Bundes und aller deutschen Länder den während der Naziherrschaft oder durch den Zweiten Weltkrieg verschollenen Werken und ihren rechtmäßigen Besitzern auf der Spur.
Die Seite Lostart.de ging 2000 ans Netz. Anfangs dominierten Suchmeldungen aus öffentlichen deutschen Einrichtungen – Museen oder Bibliotheken – zu ihren durch Kriegswirren verlorenen Kunstwerken. Die Zahl solcher detailliert beschriebenen Objekte hat sich inzwischen auf rund 70.000 verdoppelt. Außer nach dieser sogenannten Beutekunst, die durch Kriegshandlungen oder als Trophäen der Besatzer verschwand, wurde auf der Seite von Anfang an auch nach Raubkunst recherchiert.
Auch Geschirr, Schmuck und Bücher
«Sie betrifft Kulturgüter, die ihren rechtmäßigen Besitzern durch Nazi-Verfolgung entzogen, wegen drohender Repressionen veräußert oder bei Flucht und Emigration nicht mitgenommen wurden», erläutert Michael Franz, Leiter der Koordinierungsstelle. «Dabei handelt sich überwiegend um Kulturgüter aus einst jüdischem Besitz, bei denen sich die Bundesrepublik mehr als 60 Jahre nach Ende der Naziherrschaft weiterhin um gerechte und faire Lösungen für alle Beteiligten bemüht».
Waren es anfangs 767 Objekte, die von 47 Privatpersonen auf Lostart.de gesucht wurden, fahnden in der Internetdatenbank derzeit 237 privat Betroffene nach fast 4.000 Einzelstücken. Das sind nicht nur wertvolle Gemälde, sondern auch Geschirr, Schmuck oder ein Buch mit für die Betroffenen manchmal größerem ideellen als materiellen Wert. Hinzu kommen unzählige Suchmeldungen nach Fotosammlungen, Buchbeständen, Kunstmappen oder auch Inventar.
Objekte aus dem Bundesfinanzministerium
Zu den Fundstücken, für die im Internet nach früheren Besitzern recherchiert wird, gehören mehr als 2.000 Kunstobjekte aus dem Ressortvermögen des Bundesfinanzministeriums, die nach Kriegsende ihrem früheren Eigentümer nicht zugeordnet werden konnten und nach Auflösung der amerikanischen Sammelstellen zunächst in die Treuhandverwaltung für Kulturgut gelangten.
Als Finder tauchen bei Lost Art neben Privatpersonen auch zahlreiche deutsche Museen, Bibliotheken und kommunale Einrichtungen auf. Sie durchforsteten auf der Grundlage der Washingtoner Prinzipien von 1998 sowie der gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände von 1999 zur Auffindung und Rückgabe verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes ihre Bestände nach Werken ungeklärter Herkunft.
Gründliche Recherche wird möglich
Ob und wann ein Stück vom einstigen Besitzer identifiziert und wie mit seiner Rückgabe verfahren wird, lässt sich für die Magdeburger Koordinierungsstelle nicht immer nachvollziehen. «Wir messen den Erfolg unserer Arbeit nicht an der Zahl der restituierten Kunstwerke», sagt Franz. «Durch Lost Art haben wir dazu beizutragen, NS-Raub- und Beutekunst als solche zu erfassen, zu identifizieren sowie Suchende und Findende zusammenzuführen.»
In der Datenbank, die im weltweiten Netz mit an der Geschichte über Geschichten von Kunstraub der Nazis und von Plünderungen durch die Sieger schreibt, können Sucher wie Finder ihre Meldungen auch nach einer erfolgten Restitution belassen – zur Mahnung und Erinnerung.
Die Seite, die sich seit Oktober nach aufwendiger inhaltlicher, technischer und grafischer Überarbeitung in einer komplett erneuerten Fassung präsentiert, verzeichnet monatlich bis zu 80.000 Hits von Nutzern aus aller Welt. Für Franz besonderes interessant sind jene 300 bis 400 Aktivitäten am Tag, die seiner Behörde eine gründliche Recherche zum gespeicherten Datenmaterial signalisieren. Dadurch kann womöglich Licht in viele noch ungeklärte Verlustgeschichten kommen, da das Internet für die aufwendige Forschung ein unverzichtbares Medium darstellt.
Kommission spricht Empfehlungen aus
Die Magdeburger Behörde fungiert auch als Geschäftsstelle einer Kommission, die bei Differenzen zur Rückgabe ehemals jüdischer Kulturgüter angerufen werden kann, die sich heute in Museen, Bibliotheken, Archiven oder anderen öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik befinden.
Bislang gab das Gremium unter Vorsitz der früheren Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Jutta Limbach, Empfehlungen zu drei strittigen Fällen. Einmal regte es die Herausgabe von vier Bildern an jüdische Erben an, die 1942 aus wirtschaftlichen Gründen versteigert wurden, nach Kriegsende vom Bund als Leihgabe in deutsche Museen kamen und dann über Lost Art identifiziert wurden. In einem anderen Fall empfahl die Kommission, die Plakatsammlung Sachs im Deutschen Historischen Museum zu belassen und dort entsprechend zu kennzeichnen.
Im Sommer 2008 wurde dem Land Hessen zur Zahlung einer Entschädigung für ein Gemälde geraten, dessen Weg in die Kunstsammlungen Kassel-Wilhelmshöhe nicht mehr zweifelsfrei nachvollziehbar ist. go