Wir sind zornig auf die Hamas, weil diese fundamentalistische Islamistenbande es uns (zu) leicht gemacht hat, nun “endlich auch von der israelischen Arme verursachte “Kolleteralschäden“ plötzlich unfroh aber dennoch zu aktzeptieren“. Wir wollen (eigentlich) dieser Meinung nicht sein. Aber: Hier zwei Gastbeiträge, die uns erst einmal wieder wegholen von unserem Zorn auf die Hamas, hin zu den Menschen, deren Tod (wiewohl nicht billigend, aber wem nutzt Betroffenheit) nicht mit der widerwärtigen Fratze des islamischen Fundamentalismus entschuldigt werden kann. Und darf:
Zwei Gastbeiräge jedenfalls kommen mit einer anderen Sehweise als wir einher
In einem Gastbeitrag kommentiert Haaretz-Journalist Gideon Levy die Lage in Israel: „Ganz Israel hat blutbefleckte Uniformen getragen, die uns zu jedem Verbrechen befähigen. Selbst unsere führenden Intellektuellen sprechen nicht aus, wie verwüstet wir inzwischen sind. Das Leiden im Süden macht alles koscher, als würde verglichen damit das schreckliche Leiden in Gaza verblassen. Jeder ist hungrig nach Rache und dieser Hunger wird entschuldigt mit der Notwendigkeit der Abschreckung. Dabei hat das Morden im und die Zerstörung des Libanon längst bewiesen, dass sie nicht funktioniert.“
Und Yossi Sarid, einst Erziehungsminister und nun ebenfalls Haaretz-Kolumnist, kann verstehen, wenn junge Palästinenser Terroristen werden: „Junge Menschen, die keine Zukunft haben, werden ihre Zukunft leicht aufgeben. Ihre Vergangenheit als Straßenjunge, ihre Gegenwart als arbeitslose Faulenzer versperren den Zugang zur Hoffnung: Ihr Tod ist besser als ihr Leben, und ihr Tod ist auch besser als unser Leben, das ihrer Unterdrücker – so fühlen sie.“
Gastbeitrag von Gideon Levy
Die Legende, vielleicht ist sie sogar wahr, erzählt, der verstorbene Mathematiker Professor Haim Hanani habe seine Studenten beauftragt, eine Konstruktionszeichnung für eine Blut-Pipeline von Haifa nach Eilat zu entwerfen. Die gehorsamen Studen holten ihre Logarithmen-Tafeln heraus und skizzierten hochintelligente Pipelines. Sorgfältig planten sie die Route, bedachten die Topograpie, die Möglichkeiten der Korrosion, den Durchmesser der Pipeline und ihre Fließfähigkeit. Als sie ihre Ergebnisse vorlegten, lautete das Urteil des Professors: Durchgefallen. Keiner von euch fragte, wozu wir eine solche Pipeline brauchen, wessen Blut fließen soll und vor allem warum.
Diese Geschichte mag erfunden oder wahr sein, wahr ist, dass Israel gerade bei seinem eigenen Blut-Pipeline-Test scheitert. Während Israel ständig mit Gaza beschäftigt war, fragte niemand, wessen Blut vergossen wird und warum. Alles scheint erlaubt, legitim und gerecht. Die moralische Stimme der Zurückhaltung, wenn es sie denn je gab, ist vergessen.
Sie haben Nizar Ghayan liquidiert? Niemand zählt die zwanzig Frauen und Kinder, die beim selben Angriff ihr Leben verloren. Dutzende Absolventen einer Polizeischule wurden bei ihrer Abschlussfeier massakriert? Akzeptabel. Fünf kleine Schwestern? Erlaubt. Palästinenser sterben in Krankenhäusern, weil die nicht anständig ausgestattet sind? Peanuts.
Hier liegen ihre toten Leiber. Manche davon sind klein. Eine Reihe neben der anderen. Unsere Herzen sind hart geworden und unsere Augen blind. Ganz Israel hat blutbefleckte Uniformen getragen, die uns zu jedem Verbrechen befähigen. Selbst unsere führenden Intellektuellen sprechen nicht aus, wie verwüstet wir inzwischen sind.
Das Leiden im Süden macht alles koscher, als würde verglichen damit das schreckliche Leiden in Gaza verblassen. Jeder ist hungrig nach Rache und dieser Hunger wird entschuldigt mit der Notwendigkeit der Abschreckung. Dabei hat das Morden im und die Zerstörung des Libanon längst bewiesen, dass sie nicht funktioniert.
Ja, ich weiß: Krieg ist Krieg. Aber ist wirklich nichts da, das diese Blut-Pipeline stoppen könnte? Selbst die, deren Herzen vom „moralischen Recht“ verhärtet sind, werden die Bombenmaschine einen Augenblick anhalten und fragen: Mit welchem Israel haben wir es zu tun? Was wird aus seinem Ansehen in der Welt? Was halsen wir den moderaten arabischen Regimen auf? Was mit der aufköchelnden Volkswut gegen uns überall auf der Welt? Wie soll Gutes aus diesem Brennen und Morden kommen?
Es ist zweifelhaft, ob die Hamas durch diesen elenden Krieg wirklich klein gemacht werden wird. Aber Israel und seine zivilen Eliten wurden durch ihn schon kleingemacht und, falls es je existierte, das „Friedenslager“.
Kein Retter in Sicht. Weder für Gaza noch für die Überreste von Humanität und israelischer Demokratie. Wenn die Zeit der Bilanz kommt, werden wir uns daran erinnern müssen, welchen Schaden dieser Krieg Israel antat: Die Blut-Pipeline wurde fertiggestellt.
Gideon Levy, geboren 1955 in Tel Aviv. Seit 1982 arbeitet er bei Haaretz. Auf deutsch erschien 2005 von ihm im Wunderkammer-Verlag: „Schrei, geliebtes Land – Leben und Tod unter israelischer Besatzung“.
Gastbeitrag von Jossi Sarid
Diese Woche sprach ich mit meinen Studenten im Rahmen einer Stunde über nationale Sicherheit über den Gaza-Krieg. Ein Student, der ziemlich konservative Ansichten geäußert hatte, überraschte mich. Er öffnete sein Herz und gestand: „Wenn ich ein junger Palästinenser wäre“, sagte er, „würde ich die Juden scharf bekämpfen, auch mit den Mitteln des Terrors.“ Seine Bemerkung klang vertraut – ich hatte sie schon mal gehört. Plötzlich erinnerte ich mich: Vor etwa zehn Jahren hatte unser Verteidigungsminister, Ehud Barak, das Gleiche gesagt. Der Journalist Gideon Levy hatte den Premierminister-Kandidaten damals gefragt, was er tun würde, wäre er als Palästinenser geboren worden, und Barak antwortete offen: „Ich würde mich einer Terrororganisation anschließen.“
Das ist nicht meine Antwort. Terrorismus, ob von Individuen oder Organisationen oder Staaten, zielt immer darauf, Opfer zu schaffen in einer Zivilbevölkerung, die keine Gewalttaten begangen hat. Nicht nur ist Terror blind – er frisst den Heiligen wie den Sünder – er erweitert auch den Kreis der Hitzköpfe, denen das Blut zu Kopf steigt: Unser Blut ist über sie gekommen, ihr Blut ist über uns gekommen. Und wenn eine Rechnung aufgemacht wird über das Blut der Unschuldigen, wer wird sie bezahlen und wann? Ich hasse alle Terroristen dieser Welt, was immer das Ziel ihres Kampfes ist. Allerdings unterstütze ich jede zivile Revolte gegen jede Art von Besatzung, auch Israel ist unter den verachtenswerten Besatzern. So eine Revolte ist sowohl gerechter als auch effektiver.
Aber, und achten Sie auf dieses Aber, wenn ein durchschnittlicher junger Mensch spontan eine Antwort gibt, die von meiner abweicht, und wenn diese Antwort auch aus dem Mund eines israelischen Generalleutnants gekommen ist, dann muss jeder sich fühlen, als renne sein eigener Sohn mit dem falschen Haufen. Wenn die Dinge andersrum wären, wäre mit Sicherheit der-Sohn-den-wir-lieben ein verdammter Terrorist.
Und woher soll Rettung kommen? Er hat nichts zu verlieren als seine Ketten. Während wir, Vater und Mutter, um den Sohn weinen würden, weil er nie wieder das Land seiner Geburt und uns sehen würde, außer als Foto an der Wand als Schahid, Märtyrer. Wären wir in der Lage, ihn zurückzuhalten, wenn wir wollten? Junge Menschen, die keine Zukunft haben, werden ihre Zukunft leicht aufgeben. Ihre Vergangenheit als Straßenjunge, ihre Gegenwart als arbeitslose Faulenzer versperren den Zugang zur Hoffnung: Ihr Tod ist besser als ihr Leben, und ihr Tod ist auch besser als unser Leben, das ihrer Unterdrücker – so fühlen sie. Vom Tag ihrer Geburt bis zum Tag, an dem sie diese Erde verlassen, sehen sie ihr Land vor sich, das sie nie als freie Menschen erreichen werden.
Es gibt keine guten und schlechten Völker; es gibt nur Regierungen, die sich verantwortungsvoll oder wahnsinnig verhalten. Und jetzt bekämpfen wir die, denen viele von uns ähnlich wären, stünden wir seit 41 Jahren an ihrer Stelle.
Yossi Sarid, geboren 1940, war Erziehungs- und Umweltminister in Israel. Er ist Kolumnist für Haaretz.