Nach wochenlangem Schweigen nahm Papst Benedikt XVI. gestern völlig unerwartet Stellung zu seiner viel kritisierten Entscheidung, die Exkommunikation von Bischöfen der Pius-Bruderschaft aufzuheben. Wir dokumentieren den vollen Wortlaut:
„Die Aufhebung der Exkommunikation für die vier von Erzbischof Lefebvre im Jahr 1988 ohne Mandat des Heiligen Stuhls geweihten Bischöfe hat innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche aus vielfältigen Gründen zu einer Auseinandersetzung von einer Heftigkeit geführt, wie wir sie seit Langem nicht mehr erlebt haben. Viele Bischöfe fühlten sich ratlos vor einem Ereignis, das unerwartet gekommen und kaum positiv in die Fragen und Aufgaben der Kirche von heute einzuordnen war. Auch wenn viele Hirten und Gläubige den Versöhnungswillen des Papstes grundsätzlich positiv zu werten bereit waren, so stand dagegen doch die Frage nach der Angemessenheit einer solchen Gebärde angesichts der wirklichen Dringlichkeiten gläubigen Lebens in unserer Zeit. Verschiedene Gruppierungen hingegen beschuldigten den Papst ganz offen, hinter das Konzil zurückgehen zu wollen: Eine Lawine von Protesten setzte sich in Bewegung, deren Bitterkeit Verletzungen sichtbar machte, die über den Augenblick hinausreichen. So fühle ich mich gedrängt, an Euch, liebe Mitbrüder, ein klärendes Wort zu richten, das helfen soll, die Absichten zu verstehen, die mich und die zuständigen Organe des Heiligen Stuhls bei diesem Schritt geleitet haben. Ich hoffe, auf diese Weise zum Frieden in der Kirche beizutragen.
Eine für mich nicht vorhersehbare Panne bestand darin, dass die Aufhebung der Exkommunikation überlagert wurde von dem Fall Williamson. Der leise Gestus der Barmherzigkeit gegenüber vier gültig, aber nicht rechtmäßig geweihten Bischöfen erschien plötzlich als etwas ganz anderes: als Absage an die christlich-jüdische Versöhnung, als Rücknahme dessen, was das Konzil in dieser Sache zum Weg der Kirche erklärt hat. Aus einer Einladung zur Versöhnung mit einer sich abspaltenden kirchlichen Gruppe war auf diese Weise das Umgekehrte geworden: ein scheinbarer Rückweg hinter alle Schritte der Versöhnung von Christen und Juden, die seit dem Konzil gegangen wurden und die mitzugehen und weiterzubringen von Anfang an ein Ziel meiner theologischen Arbeit gewesen war.
Dass diese Überlagerung zweier gegensätzlicher Vorgänge eingetreten ist und den Frieden zwischen Christen und Juden wie auch den Frieden in der Kirche für einen Augenblick gestört hat, kann ich nur zutiefst bedauern. Ich höre, dass aufmerksames Verfolgen der im Internet zugänglichen Nachrichten es ermöglicht hätte, rechtzeitig von dem Problem Kenntnis zu erhalten. Ich lerne daraus, dass wir beim Heiligen Stuhl auf diese Nachrichtenquelle in Zukunft aufmerksamer achten müssen. Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten. Um so mehr danke ich den jüdischen Freunden, die geholfen haben, das Missverständnis schnell aus der Welt zu schaffen und die Atmosphäre der Freundschaft und des Vertrauens wiederherzustellen, die – wie zur Zeit von Papst Johannes Paul II. – auch während der ganzen Zeit meines Pontifikats bestanden hatte und gottlob weiter besteht.
Eine weitere Panne, die ich ehrlich bedaure, besteht darin, dass Grenze und Reichweite der Maßnahme vom 21. 1. 2009 bei der Veröffentlichung des Vorgangs nicht klar genug dargestellt worden sind. Die Exkommunikation trifft Personen, nicht Institutionen. Bischofsweihe ohne päpstlichen Auftrag bedeutet die Gefahr eines Schismas, weil sie die Einheit des Bischofskollegiums mit dem Papst infrage stellt. Die Kirche muss deshalb mit der härtesten Strafe, der Exkommunikation, reagieren, und zwar, um die so Bestraften zur Reue und in die Einheit zurückzurufen. 20 Jahre nach den Weihen ist dieses Ziel leider noch immer nicht erreicht worden. Die Rücknahme der Exkommunikation dient dem gleichen Ziel wie die Strafe selbst: noch einmal die vier Bischöfe zur Rückkehr einzuladen.
Diese Geste war möglich, nachdem die Betroffenen ihre grundsätzliche Anerkennung des Papstes und seiner Hirtengewalt ausgesprochen hatten, wenn auch mit Vorbehalten, was den Gehorsam gegen seine Lehrautorität und gegen die des Konzils betrifft. Damit komme ich zur Unterscheidung von Person und Institution zurück. Die Lösung der Exkommunikation war eine Maßnahme im Bereich der kirchlichen Disziplin: Die Personen wurden von der Gewissenslast der schwersten Kirchenstrafe befreit. Von dieser disziplinären Ebene ist der doktrinelle Bereich zu unterscheiden. Dass die Bruderschaft Pius‘ X. keine kanonische Stellung in der Kirche hat, beruht nicht eigentlich auf disziplinären, sondern auf doktrinellen Gründen. Solange die Bruderschaft keine kanonische Stellung in der Kirche hat, so lange üben auch ihre Amtsträger keine rechtmäßigen Ämter in der Kirche aus. Es ist also zu unterscheiden zwischen der die Personen als Personen betreffenden disziplinären Ebene und der doktrinellen Ebene, bei der Amt und Institution infrage stehen. Um es noch einmal zu sagen: Solange die doktrinellen Fragen nicht geklärt sind, hat die Bruderschaft keinen kanonischen Status in der Kirche und so lange üben ihre Amtsträger, auch wenn sie von der Kirchenstrafe frei sind, keine Ämter rechtmäßig in der Kirche aus.
Angesichts dieser Situation beabsichtige ich, die Päpstliche Kommission „Ecclesia Dei“, die seit 1988 für diejenigen Gemeinschaften und Personen zuständig ist, die, von der Bruderschaft Pius‘ X. oder ähnlichen Gruppierungen kommend, in die volle Gemeinschaft mit dem Papst zurückkehren wollen, in Zukunft mit der Glaubenskongregation zu verbinden. Damit soll deutlich werden, dass die jetzt zu behandelnden Probleme wesentlich doktrineller Natur sind, vor allem die Annahme des II. Vatikanischen Konzils und des nachkonziliaren Lehramts der Päpste betreffen. Die kollegialen Organe, mit denen die Kongregation die anfallenden Fragen bearbeitet (besonders die regelmäßige Kardinalsversammlung an den Mittwochen und die ein- bis zweijährige Vollversammlung), garantieren die Einbeziehung der Präfekten verschiedener römischer Kongregationen und des weltweiten Episkopats in die zu fällenden Entscheidungen. Man kann die Lehrautorität der Kirche nicht im Jahr 1962 einfrieren – das muss der Bruderschaft ganz klar sein. Aber manchen von denen, die sich als große Verteidiger des Konzils hervortun, muss auch in Erinnerung gerufen werden, dass das II. Vaticanum die ganze Lehrgeschichte der Kirche in sich trägt. Wer ihm gehorsam sein will, muss den Glauben der Jahrhunderte annehmen und darf nicht die Wurzeln abschneiden, von denen der Baum lebt.
Ich hoffe, liebe Mitbrüder, dass damit die positive Bedeutung wie auch die Grenze der Maßnahme vom 21. 1. 2009 geklärt ist. Aber nun bleibt die Frage: War das notwendig? War das wirklich eine Priorität? Gibt es nicht sehr viel Wichtigeres? Natürlich gibt es Wichtigeres und Vordringlicheres. Ich denke, dass ich die Prioritäten des Pontifikats in meinen Reden zu dessen Anfang deutlich gemacht habe. Das damals Gesagte bleibt unverändert meine Leitlinie. Die erste Priorität für den Petrusnachfolger hat der Herr im Abendmahlssaal unmissverständlich fixiert: „Du aber stärke deine Brüder“ (Lk 22, 32). Petrus selber hat in seinem ersten Brief diese Priorität neu formuliert: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die in euch ist“ (1 Petr 3, 15). In unserer Zeit, in der der Glaube in weiten Teilen der Welt zu verlöschen droht wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet, ist die allererste Priorität, Gott gegenwärtig zu machen in dieser Welt und den Menschen den Zugang zu Gott zu öffnen. Nicht zu irgendeinem Gott, sondern zu dem Gott, der am Sinai gesprochen hat; zu dem Gott, dessen Gesicht wir in der Liebe bis zum Ende (Joh 13, 1) – im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus erkennen. Das eigentliche Problem unserer Geschichtsstunde ist es, dass Gott aus dem Horizont der Menschen verschwindet und dass mit dem Erlöschen des von Gott kommenden Lichts Orientierungslosigkeit in die Menschheit hereinbricht, deren zerstörerische Wirkungen wir immer mehr zu sehen bekommen.
Die Menschen zu Gott, dem in der Bibel sprechenden Gott, zu führen, ist die oberste und grundlegende Priorität der Kirche und des Petrusnachfolgers in dieser Zeit. Aus ihr ergibt sich dann von selbst, dass es uns um die Einheit der Glaubenden gehen muss. Denn ihr Streit, ihr innerer Widerspruch, stellt die Rede von Gott infrage. Daher ist das Mühen um das gemeinsame Glaubenszeugnis der Christen – um die Ökumene – in der obersten Priorität mit eingeschlossen. Dazu kommt die Notwendigkeit, dass alle, die an Gott glauben, miteinander den Frieden suchen, versuchen einander näher zu werden, um so in der Unterschiedenheit ihres Gottesbildes doch gemeinsam auf die Quelle des Lichts zuzugehen – der interreligiöse Dialog. Wer Gott als Liebe bis ans Ende verkündigt, muss das Zeugnis der Liebe geben: den Leidenden in Liebe zugewandt sein, Hass und Feindschaft abwehren – die soziale Dimension des christlichen Glaubens, von der ich in der Enzyklika „Deus caritas est“ gesprochen habe.
Wenn also das Ringen um den Glauben, um die Hoffnung und um die Liebe in der Welt die wahre Priorität für die Kirche in dieser Stunde (und in unterschiedlichen Formen immer) darstellt, so gehören doch auch die kleinen und mittleren Versöhnungen mit dazu. Dass die leise Gebärde einer hingehaltenen Hand zu einem großen Lärm und gerade so zum Gegenteil von Versöhnung geworden ist, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Aber nun frage ich doch: War und ist es wirklich verkehrt, auch hier dem Bruder entgegenzugehen, „der etwas gegen dich hat“ und Versöhnung zu versuchen (vgl. Mt 5, 23f)? Muss nicht auch die zivile Gesellschaft versuchen, Radikalisierungen zuvorzukommen, ihre möglichen Träger – wenn irgend möglich -zurückzubinden in die großen gestaltenden Kräfte des gesellschaftlichen Lebens, um Abkapselung und all ihre Folgen zu vermeiden? Kann es ganz falsch sein, sich um die Lösung von Verkrampfungen und Verengungen zu bemühen und dem Raum zu geben, was sich an Positivem findet und sich ins Ganze einfügen lässt?
Ich habe selbst in den Jahren nach 1988 erlebt, wie sich durch die Heimkehr von vorher von Rom sich abtrennenden Gemeinschaften dort das innere Klima verändert hat; wie die Heimkehr in die große, weite und gemeinsame Kirche Einseitigkeiten überwand und Verkrampfungen löste, sodass nun daraus positive Kräfte für das Ganze wurden. Kann uns eine Gemeinschaft ganz gleichgültig sein, in der es 491 Priester, 215 Seminaristen, sechs Seminare, 88 Schulen, zwei Universitätsinstitute, 117 Brüder und 164 Schwestern gibt? Sollen wir sie wirklich beruhigt von der Kirche wegtreiben lassen? Ich denke zum Beispiel an die 491 Priester. Das Geflecht ihrer Motivationen können wir nicht kennen. Aber ich denke, dass sie sich nicht für das Priestertum entschieden hätten, wenn nicht neben manchem Schiefen oder Kranken die Liebe zu Christus da gewesen wäre und der Wille, ihn und mit ihm den lebendigen Gott zu verkünden. Sollen wir sie einfach als Vertreter einer radikalen Randgruppe aus der Suche nach Versöhnung und Einheit ausschalten? Was wird dann werden?
Gewiss, wir haben seit Langem und wieder beim gegebenen Anlass viele Misstöne von Vertretern dieser Gemeinschaft gehört – Hochmut und Besserwisserei, Fixierung in Einseitigkeiten hinein usw. Dabei muss ich der Wahrheit wegen anfügen, dass ich auch eine Reihe bewegender Zeugnisse der Dankbarkeit empfangen habe, in denen eine Öffnung der Herzen spürbar wurde. Aber sollte die Großkirche nicht auch großmütig sein können im Wissen um den langen Atem, den sie hat; im Wissen um die Verheißung, die ihr gegeben ist? Sollten wir nicht wie rechte Erzieher manches Ungute auch überhören können und ruhig aus der Enge herauszuführen uns mühen? Und müssen wir nicht zugeben, dass auch aus kirchlichen Kreisen Misstönendes gekommen ist? Manchmal hat man den Eindruck, dass unsere Gesellschaft wenigstens eine Gruppe benötigt, der gegenüber es keine Toleranz zu geben braucht; auf die man ruhig mit Hass losgehen darf. Und wer sie anzurühren wagte – in diesem Fall der Papst -, ging auch selber des Rechts auf Toleranz verlustig und durfte ohne Scheu und Zurückhaltung ebenfalls mit Hass bedacht werden.
Liebe Mitbrüder, in den Tagen, in denen mir in den Sinn kam, diesen Brief zu schreiben, ergab es sich zufällig, dass ich im Priesterseminar zu Rom die Stelle aus Gal 5, 13-15 auslegen und kommentieren musste. Ich war überrascht, wie direkt sie von der Gegenwart dieser Stunde redet: „Nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! Das ganze Gesetz wird in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Wenn ihr einander beißt und zerreißt, dann gebt Acht, dass ihr euch nicht gegenseitig umbringt.“ Ich war immer geneigt, diesen Satz als eine der rhetorischen Übertreibungen anzusehen, die es gelegentlich beim heiligen Paulus gibt. In gewisser Hinsicht mag er dies auch sein. Aber leider gibt es das „Beißen und Zerreißen“ auch heute in der Kirche als Ausdruck einer schlecht verstandenen Freiheit. Ist es verwunderlich, dass wir auch nicht besser sind als die Galater? Dass uns mindestens die gleichen Versuchungen bedrohen? Dass wir den rechten Gebrauch der Freiheit immer neu lernen müssen? Und dass wir immer neu die oberste Priorität lernen müssen: die Liebe? An dem Tag, an dem ich darüber im Priesterseminar zu reden hatte, wurde in Rom das Fest der Madonna della Fiducia – unserer Lieben Frau vom Vertrauen – begangen. In der Tat – Maria lehrt uns das Vertrauen. Sie führt uns zum Sohn, dem wir alle vertrauen dürfen. Er wird uns leiten – auch in turbulenten Zeiten. So möchte ich am Schluss all den vielen Bischöfen von Herzen danken, die mir in dieser Zeit bewegende Zeichen des Vertrauens und der Zuneigung, vor allem aber ihr Gebet geschenkt haben. Dieser Dank gilt auch allen Gläubigen, die mir in dieser Zeit ihre unveränderte Treue zum Nachfolger des heiligen Petrus bezeugt haben. Der Herr behüte uns alle und führe uns auf den Weg des Friedens. Das ist ein Wunsch, der spontan aus meinem Herzen aufsteigt, gerade jetzt zu Beginn der Fastenzeit, einer liturgischen Zeit, die der inneren Läuterung besonders förderlich ist und die uns alle einlädt, mit neuer Hoffnung auf das leuchtende Ziel des Osterfestes zu schauen.
Mit einem besonderen Apostolischen Segen verbleibe ich
im Herrn Euer
Benedictus XVI.
Aus dem Vatican am 10. März 2009″
Und hier eine Antwort:
Erregung über seine Kritiker: Papst Benedikt XVI. äußert seinen Unmut
Man täusche sich nicht“, hat Martin Mosebach der ungläubigen Welt am 9. Februar im „Spiegel“ ins Stammbuch geschrieben: „Dieser Papst tut gar nichts unter Druck der Öffentlichkeit.“ Man hat sich getäuscht, wenn man diesen Satz für wahr genommen hat. Der gestern publizierte Brief Benedikts XVI. an die Bischöfe ist ein Dokument von unklarem Status (Dokumentation: Papstbrief zur Piusbruderschaft). Er erläutert einen kirchenrechtlichen Akt, die Aufhebung der Exkommunikation von vier Klerikern, der normalerweise nicht der Erläuterung in einem Rundschreiben an die Weltkirche bedarf. Es liegt auf der Hand, dass der Papst mit diesem Brief auf den Druck einer Öffentlichkeit reagiert, die in allen Ländern, in denen die Priesterbruderschaft St. Pius X. tätig ist, Anstoß an der Begnadigung der vier Bischöfe der Bruderschaft genommen hat.
Den Erläuterungen von vatikanischer Seite, die es seit der Publikation des Dekrets vor sechs Wochen in stetigem Fluss gegeben hat, fügt der Brief nichts hinzu. Dass dem Heiligen Stuhl Bischof Williamson nicht als notorischer Holocaust-Leugner bekannt gewesen ist; dass ohne Annahme der Autorität des Zweiten Vatikanischen Konzils die Aufhebung der Kirchenstrafe nicht zur Wiederherstellung der Kircheneinheit führen kann; dass der Papst im Sinne der Barmherzigkeit gehandelt hat, aus Sorge um die Seelen der Exkommunizierten und ihrer Anhänger; dass römisches Entgegenkommen die festgefahrene Angelegenheit wieder in Bewegung bringen sollte; dass für die wieder zum Empfang der Sakramente zugelassenen Geistlichen weiter das Verbot, Sakramente zu spenden, in Kraft ist – all das ist von offizieller römischer Seite klargestellt worden.
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Man hat noch mehr kundgetan, Selbstverständliches, das man in der Öffentlichkeit unserer Zeit immer wieder sagen muss: dass der Holocaust ein abscheuliches Verbrechen ist, die Tatsache, von der die moralische Selbstreflexion der heutigen Menschheit ihren Ausgang nimmt.
Päpstliche Illusionen
Damit hätte es sein Bewenden haben können. Was die vatikanischen Erläuterungen taugen, ob die spektakuläre Rücknahme der Kirchenstrafe, die sich die Schismatiker durch ihre unerlaubte Weihe automatisch zugezogen hatten, als Schritt einer durchdachten Kirchenpolitik gelten kann, muss ohnehin die Zukunft zeigen. In den Verhandlungen mit der Bruderschaft wird sich klären, ob die Hoffnung des Papstes berechtigt ist, dass die römische Kehrtwende, das einseitige Entgegenkommen, belohnt werden wird. Religionssoziologisch mag dieses Szenario eher unwahrscheinlich anmuten: Müssen die Sektierer nicht glauben, ihr hartnäckiges Beharren auf ihrer Wahrheit habe sich endlich ausgezahlt, in der höchsten Not wende sich der Papst ihnen hilfesuchend zu?
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Zollitsch, der sich in den zurückliegenden Wochen als nüchterner Dolmetscher päpstlicher Intentionen bewährte, hat zu verstehen gegeben, dass er die Hoffnung des Papstes für eine Illusion hält. Dieser Kommentar zu einem Projekt, in das Benedikt XVI. sein Prestige gesetzt hat, markiert einen dramatischen Autoritätsverlust des Papstes. Ganz ohne mediale Nachhilfe hat sich dieser Verlust ergeben – allein aus der Betrachtung der langen Geschichte der Verhandlungen zwischen Rom und den Lefebvre-Leuten. Benedikt XVI. habe diese unerledigte Sache aus seinem Dienst in der Glaubenskongregation noch zu einem guten Ende bringen wollen und die Aussichten angesichts der verfließenden Zeit zu optimistisch bewertet – so fällt das wohlwollendste Urteil über diese Episode seines Pontifikates aus.
Nichts Neues aus Rom
Wie viele kirchliche Initiativen verlaufen nicht im Sande, weil man dem guten Willen zu viel zutraut? Aber statt dass der Papst nun alles Weitere dem vatikanischen Geschäftsgang überlässt, hat er sich in eigener Person noch einmal geäußert, in der ersten Person Singular. Er wiederholt die bekannten Erläuterungen und schmückt sie mit pastoralen Floskeln. Nichts Neues aus Rom: Schon an dieser Redundanz erkennt man, dass der Text sich den Gesetzen der Öffentlichkeit beugt.
Die Hubert Wolfs der künftigen kirchenhistorischen Forschung werden in den Konzepten der päpstlichen Kanzlei nicht nach Hinweisen darauf suchen müssen, dass die Abfassung des Schreibens unter dem Druck der Öffentlichkeit erfolgt ist. Der Autor des Briefes führt selbst Klage über den öffentlichen Druck, dem er sich ausgesetzt sieht. „Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten.“ Was die hier gerügten Katholiken hätten wissen müssen, wird im Zusammenhang der Stelle nicht recht deutlich. In den Sätzen davor spricht der Papst von dem, was er nicht gewusst hat – weil „aufmerksames Verfolgen der im Internet zugänglichen Nachrichten“ unterblieben ist.
Persönliche Empfindlichkeiten
Hier gelobt der Papst im Stil eines Unternehmenschefs („wir beim Heiligen Stuhl“) Besserung. Ein fast kurioses Zugeständnis, es fehlt nur die Ankündigung, man werde auch den „Spiegel“ abonnieren. Und unmittelbar im Anschluss der bittere Satz über die Katholiken, die wider besseres Wissen gehandelt hätten. Da diesem verhehlten Wissen kein Sachinhalt zugewiesen wird, kommt man nicht umhin, die Aussage persönlich zu verstehen: Was diese Katholiken natürlich gewusst haben, ist, dass Benedikt XVI. der Sympathie mit Holocaustleugnern unverdächtig ist. In der Geschichte päpstlicher Zurechtweisungen von Gläubigen dürfte diese unspezifizierte Rüge singulär sein. Als wollte der Papst den wichtigtuerischen Regionalpolitikern Recht geben, die nach römischen Gesprächen mit irgendwelchen Prälaten die Medien wissen ließen, der Papst sei verstimmt über Deutschland, artikuliert er hier seine persönliche Empfindlichkeit. Was hat sie mit der Sache zu tun?
Es ist immer unsouverän, das Eingeständnis von Fehlern mit der Beschwerde über unsachliche Kritik zu verbinden. Wenn jemand es nicht nötig hat, sich diese Blöße zu geben, dann ist es der Papst, dem ein in zwei Jahrtausenden ausgebildetes Repertoire der Formen objektiver, von der sterblichen Person ablenkender Selbstdarstellung zu Gebote steht. Man habe mit sprungbereiter Feindseligkeit auf ihn eingeschlagen. Das Bild fällt auseinander: Da ist einmal die literarische Hochebene des emblematischen, im Hinterhalt lauernden Raubtiers und zum anderen die Prügelszene.
Katholiken, eine so erhebliche Zahl von Katholiken, dass ihre Erwähnung in einem Rundbrief an die Bischöfe angezeigt ist, sind dem Papst quasi instinktiv so feindlich gesinnt, dass sie nur auf die Gelegenheit warten, über ihn herzufallen. Eine seltsame Mischung aus Furcht und Hochmut kommt hier zum Vorschein, die wenig zu tun hat mit der Liebe, die der Verfasser im Schlussabschnitt des Briefes mit dem Apostel Paulus beschwört. Man könnte glauben, der Papst hätte sich die Feder von einem Feuilletonisten geliehen.
Rhetorische Fragen
Und kann es wahr sein, dass der Papst seine Kritiker zu Schlägern stilisiert? Zwar gehören die Schmerzensmann-Topoi zur Christusnachfolge, aber die Klugheit gebietet, von ihnen den allervorsichtigsten Gebrauch zu machen, nicht nur, wie hier, im weiteren Kontext der Judenverfolgung. In einer Kaskade rhetorischer Fragen – nie ein Indiz von Sicherheit – gibt der Papst die Kritik an die Öffentlichkeit zurück. „Manchmal hat man den Eindruck, dass unsere Gesellschaft wenigstens eine Gruppe benötigt, der gegenüber es keine Toleranz zu geben braucht; auf die man ruhig mit Hass losgehen darf. Und wer sie anzurühren wagte – in diesem Fall der Papst –, ging auch selber des Rechts auf Toleranz verlustig und durfte ohne Scheu und Zurückhaltung ebenfalls mit Hass bedacht werden.“
Für eine solche zivilisationskritische Betrachtung mögen Beschimpfungen der Piusbruderschaft tatsächlich Material bieten. Aber haben es die französischen und deutschen Bischöfe und Intellektuellen verdient, dass ihre sachlich begründete, teils von verzweifelter Sorge gespeiste Kritik in die Nähe eines reflexhaften Antiklerikalismus gerückt wird, der diese Gelegenheit natürlich genutzt hat, aber leider von Rom geboten bekam? Sollte ausgerechnet ein René Girard bei dieser Gelegenheit an den Sündenbockmechanismus erinnert werden müssen? Diese wohlgesinnten Kritiker seien nicht gemeint, mag man einwenden. Aber sie haben sich dann nach dem Wortlaut der päpstlichen Selbstkritik ausschließlich über zwei „Pannen“ erregt und damit wohl doch überzogen.
Diffuser Unmut
Gewiss, es gibt unsachliche und unehrliche katholische Kritik, etwa in der „Petition Vaticanum II“. Doch seit wann lassen sich Päpste dazu herab, die Auseinandersetzung mit derlei diffusem Unmut zu suchen? Auf den Offenen Brief der Professoren und Priester hat der Papst jetzt mit seinem eigenen Offenen Brief geantwortet.
„Dass die leise Gebärde einer hingehaltenen Hand zu einem großen Lärm und gerade so zum Gegenteil von Versöhnung geworden ist, müssen wir zur Kenntnis nehmen.“ Noch so ein schiefes, sogar kitschiges Bild: Der Papst kann doch nicht sagen wollen, ihm wäre es lieber, wenn niemand von dem Vorgang Notiz genommen hätte. Ob Johannes Paul II., indem er päpstliche Verlautbarungen mit der Subjektivität des mystischen Theologen schrieb, nicht die Autorität des Amtes gefährde, war eine Frage, die man auch im Sinne Kardinal Ratzingers zu stellen meinte. Jetzt hat Joseph Ratzinger in eigener Sache gesprochen – mit der Stimme eines katholischen Schriftstellers kulturkritischer Obödienz, der den Lärm vermehrt, den er verdammt.