Am 11. Februar 2009 jährte sich die Wahl des Heidelberger Sattlergesellen Friedrich Ebert zum 90. Mal. Am 11. Februar 1919 wählte ihn die Nationalversammlung zum Staatsoberhaupt, zugleich ist der 11. Februar 2009 der 20 Jahrestag der Eröffnung der Gedenkstätte in Heidelberg, Anlass genug, das Jubiläum mit einem großen Programm zu begehen.

Philipp Rothe mit einem Auge für die Situation …

Philipp Rothe (Foto) mit einem Auge für die Situation; Dr. Hans-Jochen Vogel mit dem Geschäftsführer der Gedenkstätte Dr. Walter Mühlhausen draußen vor der Tür …

Bei einer Kranzniederlegung  am Grab Friedrich Eberts verneigte sich der SPD-Politiker Dr. Hans-Jochen Vogel „vor einem großen Politiker“ …

Dr. Hans-Jochen Vogel am Grab

Dr. Hans-Jochen Vogel und Bürgermeister

Bürgermeister  Dr. Joachim Gerner am Grab Eberts

Dr. Joachim Gerner am Grab. tno

… der Bürgermeister für Familie, Soziales und Kultur Dr. Joachim Gerner vertrat Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner, der mit Mannheims OB in den USA versuchte, die Standorte Heidelberg und Mannheim zu erhalten.

Hans-Jochen Vogel (Biographie) hat sich oft als ein Politiker bewiesen, der so war, wie man möchte, dass Politiker wären – und es aber selten genug sind. Seine Verbeugung am Grabe Friedrich-Eberts galt einem ebenbürtigen Menschen und Politiker. Am Abend, anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg umreißt Hans-Jochen Vogel im Großen Rathaussaal in seinem Festvortrag  den „eigentlichen Auftrag“ der Gedenkstätte in der Pfaffengasse in einem Satz: „Das Andenken an das Wirken Friedrich Eberts zu wahren und einen Beitrag zum Verständnis der deutschen Geschichte zu leisten.“ Wir bringen hier Hans-Jochen Vogels Beitrag im Wortlaut:

Festvortrag von Dr. Hans-Jochen Vogel anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg:

Friedrich Ebert aus heutiger Sicht – Bemerkungen zu seiner Person und zum Wirken der Gedenkstätte

Wegen meines nun doch schon fortgeschritteneren Alters und meiner gesundheitlichen Verhältnisse muss ich mir mit der Übernahme auswärtiger Verpflichtungen eine viel stärkere Zurückhaltung auferlegen als früher. Hierher bin ich heute jedoch gerne gekommen.

Geht es doch um Friedrich Ebert, den ich in einer ganz besonderen Weise schätze, und zudem um die Stiftung, die mit der Hinzufügung des Titels „Reichspräsident“ seinen Namen trägt und deren Aktivitäten ich von Anbeginn an und mindestens dreimal auch an Ort und Stelle aufmerksam verfolgt habe. Für beide ist der heutige Tag auch ein Jahrestag. Friedrich Ebert wurde am 11. Februar 1919 – also vor neunzig Jahren – von der Nationalversammlung zum Reichspräsidenten gewählt. Und die Stiftung hat am 11. Februar 1989 – also vor zwanzig Jahren – ihre Arbeit begonnen.

Ich werde versuchen, beiden Jahrestagen gerecht zu werden. In Bezug auf Friedrich Ebert kann das schon aus Zeitgründen keine Gesamtdarstellung seines Lebens und keine Gesamtwürdigung seines politischen Wirkens sein. Die hat ja Walter Mühlhausen in seiner vor zwei Jahren erschienenen Biographie in einer Art und Weise vorgelegt, die kaum zu übertreffen ist und für die ich ihm an dieser Stelle ausdrücklich meinen Respekt bekunde. Hat er doch damit eine Lücke geschlossen, die erstaunlicherweise gerade hinsichtlich einer zentralen Persönlichkeit unserer Geschichte in den ersten fünfundzwanzig Jahren des letzten Jahrhunderts viel zu lange offen blieb. Ein Umstand, den beispielsweise Johannes Rau in seiner Festansprache vor zwanzig Jahren ganz ausdrücklich beklagt hat. Selber spreche ich hier naturgemäß nicht als Historiker. Der bin ich nicht. Vielmehr gehe ich von dem aus, was andere – und eben gerade auch Walter Mühlhausen – erforscht haben und schildere die Meinung, die ich mir als politisch lange Zeit aktiver Sozialdemokrat auf dieser Grundlage gebildet habe.
Demgemäss werde ich mich auf einige Bemerkungen zu den Leistungen Friedrich Eberts (2 A) und zu den Fragen, die von heute her gesehen zu manchen seiner Entscheidungen gestellt werden (2 B), zu seiner Persönlichkeit (2 C) und zu dem Thema beschränken, was wir Heutigen aus der Beschäftigung mit seinem Wirken und seiner Zeit lernen können (2 D). Mit der Arbeit der Stiftung in den vergangenen zwei Jahrzehnten werde ich mich dann anschließend beschäftigen .

Urgestein der Gedenkstätte im Gespräch mit Dr. Hans-Jochen Vogel

Urgestein der Gedenkstätte Ulrich Graf im Gespräch mit Dr. Hans-Jochen Vogel. tno

Zu Eberts hervorragendsten Leistungen rechne ich, dass unser Land nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs 1918 nicht im Chaos versank, dass die Einheit des Reiches gewahrt blieb und dass mit der Weimarer Verfassung ein ernsthafter Anlauf zur Etablierung einer demokratischen Republik unternommen wurde. Ein Anlauf, der 1933 durchaus nicht zwangsläufig scheitern musste. Dies alles hat Friedrich Ebert hauptsächlich in dem knappen Vierteljahr vom November 1918 bis zum Januar 1919 bewirkt, in dem er als Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten, das heißt aber de facto als Reichskanzler amtierte. Von besonderer Bedeutung war dabei die Rede, die er am 16. Dezember 1918 im Preußischen Abgeordnetenhaus vor dem Rätekongress hielt. Denn ihr folgte die Entscheidung des Kongresses, die Wahl der Nationalversammlung auf den 19. Januar 1919 festzulegen. Das war eine klare Absage an radikale Tendenzen, die sich an dem russischen Beispiel orientierten und eine ähnliche Diktatur auch in Deutschland aufrichten wollten.

(v.l.) Geschäftsführer Dr. Walter Mühlhausen, Vorstandsmitglied Prof. Dr. Dieter Dowe, Erster Bürgermeister Bernd Stadel und der Dr- Hans-Jochen Vogel.

(v.l.) Geschäftsführer Dr. Walter Mühlhausen, Vorstandsmitglied Prof. Dr. Dieter Dowe, Erster Bürgermeister Bernd Stadel und der Dr. Hans-Jochen Vogel. Foto. Rothe

In dieser Zeit kamen unter Eberts maßgebendem Einfluss auch Festlegungen zustande, die alten sozialdemokratischen Kernforderungen entsprachen. So die Einführung des Frauenwahlrechts und die Abschaffung des preußischen Drei-Klassen-Wahlrechts. Die Aufhebung der Zensur und die Herstellung der uneingeschränkten Versammlungsfreiheit. Oder die Vereinbarung des Acht-Stunden-Tages zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die sich zugleich gegenseitig als Tarifparteien anerkannten. Auch wurde die Rechtsverbindlichkeit von Tarifverträgen durch eine Verordnung des Rats der Volksbeauftragten ausdrücklich festgelegt.

Als Reichspräsident war eine seiner ersten und zugleich schwersten Entscheidungen die Hinnahme des Versailler Vertrages, gegen dessen Härte er vergeblich protestierte und dessen finanzielle Unerfüllbarkeit er auf friedlichem Wege nachweisen wollte. Ein Nein, für das sich beispielsweise Philipp Scheidemann und andere – vielleicht auch in der Gewissheit – aussprachen, es werde letztlich doch keine Mehrheit finden, hätte indes mit der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen und der Besetzung des Reiches unabsehbare Auswirkungen zur Folge gehabt. Darum war und ist seine Entscheidung durchaus nachvollziehbar. Das gilt auch für seine Mitwirkung an der Niederschlagung des Kapp-Putsches und an der Bewältigung der schweren Krisen des Jahres 1923 – also der französischen Besetzung des Ruhrgebiets, dem militärischen Eingreifen des Reiches in Sachsen und der Beendigung der bayerischen Rebellion, die im Hitler-Putsch gipfelte. Unterstützt hat er im Rahmen seines Amtes auch die Überwindung der Inflation.
Dabei musste er auch – vor allem wegen des Vorgehens in Sachsen – Konflikte mit seiner eigenen Partei in Kauf nehmen. Enttäuscht war er auch darüber, dass sich seine Partei im Herbst 1923 nach dem Scheitern Gustav Stresemanns als Kanzler in die Opposition zurückzog und dort dann bis 1928 verharrte. Er wollte sie lieber in der Mitverantwortung und den Möglichkeiten der Mitgestaltung sehen, die sich aus der Regierungsbeteiligung ergaben. Insgesamt war es aber nicht zuletzt sein Verdienst, dass die Republik 1924 in ein ruhigeres Fahrwasser geriet und sich für einige Jahre sogar die Chance ihrer dauerhafteren Etablierung eröffnete.

Dennoch werden immer wieder auch kritische Fragen an ihn gerichtet. Das beginnt mit der Frage, warum die SPD unter seiner Führung im August 1914 den Kriegskrediten zugestimmt und bis zum Kriegsende daran und an dem sogenannten Burgfrieden selbst um den Preis der Abspaltung von Teilen der Sozialdemokratie festgehalten habe. Es setzt sich fort mit dem Vorwurf, er habe die Revolution gebremst, in die aus dem Kaiserreich überkommenen militärischen und zivilen Strukturen nicht eingegriffen, ja sogar republikfeindliche Einheiten zur Unterdrückung linksradikaler revolutionärer Aktivitäten herangezogen. Auch habe er das sozialdemokratische Ziel der Vergesellschaftung von Grundstoff- und Schlüsselindustrien nur halbherzig verfolgt und sich mit der Aufnahme einer entsprechenden Ermächtigung in die Weimarer Verfassung abgefunden, von der dann kein Gebrauch gemacht worden sei.

Zur Haltung der SPD zu Beginn und im Verlauf des Ersten Weltkrieges gibt es eine umfangreiche Literatur, deren Ergebnisse ich nicht im einzelnen darlegen kann. Aber ich erinnere daran, dass unser Volk in den ersten Augusttagen des Jahres 1914 geradezu von einem nationalen Rausch überwältigt wurde, der schließlich auch die Sozialdemokraten erfasste. Dazu trug bei, dass das zaristische Russland als Aggressor erschien, gegen den das Vaterland verteidigt werden müsse. Bekanntlich hat ja selbst August Bebel noch in seinem höheren Alter geäußert, auch er werde noch einmal eine Knarre in die Hand nehmen, wenn es um die Abwehr eines zaristischen Angriffs gehe. Außerdem sollte nicht übersehen werden, dass sich Ebert für die Sozialdemokratie schon früh gegen die maßlosen Kriegsziele der Alldeutschen und für einen Verständigungsfrieden eingesetzt hat. Auch stand die damalige SPD mit ihrer Haltung unter den sozialdemokratischen Parteien Europas keineswegs allein. Alle stimmten nämlich, bis auf eine einzige Ausnahme, in ihren Parlamenten den Kriegskrediten zu. Diese Ausnahme war ausgerechnet die kleine sozialdemokratische Fraktion im serbischen Parlament.

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel spricht im Großen Rathaussaal mit Erstem Bürgermeister Bernd Stadel und dem ehemaligen Kulturbürgermeister Dr. Jürgen Beß (v.l.).  Bild: RotheHans-Jochen Vogel spricht im Großen Rathaussaal mit Erstem Bürgermeister Bernd Stadel und dem Kuratoriumsmitglied Dr. Jürgen Beß (v.l.). Foto: Rothe

Bei der Beurteilung der weiteren Fragen sollten wir uns davor hüten, rückblickend Zensuren zu erteilen, die die seinerzeitige konkrete Situation außer Acht lassen und auch auf die Benennung realisierbarer Alternativen verzichten. Statt dessen wird der Realität zumeist nur Wünschbares gegenüber gestellt. Zudem war die Situation im November 1918 und in den folgenden Monaten von einer beispiellosen Komplexität. Einerseits bewirkte die Revolution, dass die Sozialdemokratie nach jahrzehntelanger Opposition erstmals an die Spitze der staatlichen Macht gelangte. Andererseits übernahm sie ein schlimmes Erbe. Das Volk war mit der militärischen Niederlage, die sich schon längere Zeit abzeichnete, erst wenige Wochen zuvor konfrontiert worden. Der Waffenstillstand war befristet und musste mit seinen überaus harten Bedingungen mehrfach verlängert werden. Die Lebensmittelversorgung und die Versorgung mit Heizmaterial, ja die innere Ordnung insgesamt drohte zusammen zu brechen. Zugleich musste das Feldheer innerhalb von fünfzehn Tagen in die Heimat zurückgeführt und anschließend demobilisiert werden. Zur Bekämpfung extremistischer Aktivitäten standen den Volksbeauftragten keine eigenen militärischen Kräfte zur Verfügung. Zu allem Überfluss war die Sozialdemokratie gespalten.
Da hätten Eingriffe in die personelle Struktur der Verwaltung und der militärischen Führung nur zu einem dramatischen Chaos und zum Bürgerkrieg geführt. Dass dies den Übergang zu einer funktionierenden Demokratie mit stärkeren sozialdemokratischen Elementen erleichtert hätte, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Auch revolutionäre Sozialisierungsmaßnahmen hätten wohl die Schwierigkeiten nicht vermindert, sondern drastisch erhöht. Deshalb verdient Ebert für seinen Kurs der raschen Überleitung in demokratische Verfassungszustände meines Erachtens insgesamt nicht Kritik, sondern den hohen Respekt, den ich vorhin schon zum Ausdruck gebracht habe.

Für dieses Urteil spricht wohl auch, dass die demokratischen Parteien – also die SPD, das Zentrum und die Deutsche Demokratische Partei – bei der Wahl zur Verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (so die offizielle Bezeichnung) am 19. Januar 1919 zusammen 76,1 Prozent erreichten, von denen 37,9 Prozent auf die SPD entfielen. Das ich auch seine Aktivitäten als Reichspräsident im ganzen positiv beurteile, habe ich bereits ausgeführt.
Das schließt nachdenkliche Überlegungen in Einzelpunkten nicht aus. Etwa die, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn den Waffenstillstand nur Generäle unterschrieben hätten. Also beispielsweise auch Hindenburg, der ihn ja zuvor zusammen mit Ludendorff ultimativ verlangt hatte. Die Erfindung und Verbreitung der Dolchstoßlegende, die Hitlers Aufstieg später so begünstigte, wäre dadurch immerhin erschwert worden.
C
Wie stellt sich auf diesem Hintergrund die Persönlichkeit Friedrich Eberts dar? Zunächst einmal: Er war kein Charismatiker, der die Menschen begeisterte. Und auch öffentliche Auftritte waren zumeist nicht seine Sache. Er war vielmehr nüchtern und ein Mann der Vernunft und der Beharrlichkeit. Ein Mann auch, der einen ganz ungewöhnlichen Lebensweg zurückgelegt hat. Der als Handwerker begann, sich dann als Sozialdemokrat und bald als Arbeitersekretär engagierte und als Funktionär im besten Sinne des Wortes innerhalb seiner Partei vor dem Ersten Weltkrieg in der Nachfolge August Bebels zum Parteivorsitzenden und schließlich zum Reichspräsidenten aufstieg. Diesem Amt des Staatsoberhauptes suchte er dann einen Ausdruck zu geben, der stets dessen demokratische Legitimation erkennen ließ und sich durch Zurückhaltung und Sachlichkeit deutlich von dem bramabasierenden Gehabe seines kaiserlichen Vorgängers unterschied.
Dabei hat er seine sozialdemokratischen Grundpositionen nie verleugnet und sich stets für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeitnehmerschaft, aus der er selber stammte, eingesetzt. Nicht als Revolutionär, der er nie war, aber als ein Reformer, der auf seine Weise die im Erfurter Programm von 1891 enthaltene Spannung zwischen einer dogmatischen Theorie im Sinne von Karl Marx und dem Willen zu konkreten Fortschritten innerhalb der bestehenden Ordnung so überwand, wie es schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nicht wenige aktive Sozialdemokraten zu tun versuchten. Eine sehr spezifische Bereitschaft kam bei ihm in den Jahren höchster politischer Verantwortung hinzu. Nämlich die Entschlossenheit, in existentiellen Konfliktfällen das Allgemeinwohl über die Interessen seiner Partei zu stellen. Im Sinne Max Webers war er da ein Verantwortungsethiker.
Diese Haltung hatte insbesondere nach 1918 zur Folge, dass er von zwei Seiten hasserfüllten Angriffen ausgesetzt war. Für die extreme Linke war er der Arbeiterverräter. Für die rechten Feinde der Republik aber war er der Landesverräter. Deren Hetze erreichte einen Höhepunkt, als ihm das Urteil eines Magdeburger Gerichts im Dezember 1924 in einem von ihm gegen einen Journalisten angestrengten Beleidigungsprozess zur Last legte, er habe dadurch, dass er während eines Ausstandes von Rüstungsarbeitern im Januar 1918 in den Streikausschuss eintrat, den Tatbestand des Landesverrats erfüllt. Und das, obwohl Ebert durch seinen Einfluss den Streik zu Ende bringen wollte. Und obwohl er im Weltkrieg zwei Söhne verloren hatte. Vorher hatten diese Kreise schon mit einer in der „Berliner Illustrierten“ veröffentlichten Foto, das ihn zusammen mit Gustav Noske in Badehosen bei Travemünde in der Ostsee stehend zeigte, üblen Missbrauch getrieben. Allerdings verhöhnten ihn bei nicht wenigen Gelegenheiten auch Intellektuelle, die sich dem fortschrittlichen Lager zurechneten. So Kurt Tucholsky und Maximilian Harden.
Eberts durch sein Gallenleiden ohnehin beeinträchtigte körperliche Leistungsfähigkeit war schon vorher mehrfach im Übermaß strapaziert worden. Freunde berichten, dass er wiederholt vor einem Zusammenbruch stand. Das Magdeburger Urteil versetzte ihm dann in Verbindung mit einer zu spät vorgenommenen Blinddarmoperation den Todesstoß. Am 28. Februar 1925 starb er – nur 54 Jahre alt. Rund eine Million Menschen säumten wenige Tage später den Weg, den sein Trauerzug in Berlin nahm, bevor er hier an seinem Geburtsort Heidelberg beigesetzt wurde. Das war eine wohlverdiente Anerkennung seines Wirkens, die ihn aber eben in dieser Stärke und Eindringlichkeit erst erreichte, als er schon dahingeschieden war. Eine Anerkennung, die – so hoffe ich – auch seiner Frau Luise galt, die selber eine aktive Gewerkschafterin war und ihm seit der Eheschließung im Jahr 1894 so treu zur Seite stand.
D
Was können wir Heutigen aus der Beschäftigung mit Friedrich Ebert und seiner Zeit lernen? Ich weiß: Manche bezweifeln, dass man aus der Geschichte überhaupt etwas lernen könne. Und es ist ja wahr, dass sich immer neue Entwicklungen vollziehen und die Dinge nicht einfach wiederholen. Zu Recht hat Willy Brandt gesagt, jede Generation müsse auf der Höhe ihrer Zeit stehen. Aber ich bin fest überzeugt: Wir können künftige Krisen und Katastrophen leichter vermeiden, wenn wir die Ursachen früherer Krisen und Katastrophen erkannt haben. Ähnliches gilt für den Umgang mit und die Bewältigung von solchen Herausforderungen. Deshalb heißt erinnern für mich nicht, das Gedächtnis belasten, sondern – wie Lessing es einmal formuliert hat – den Verstand zu erleuchten.
Für den Gegenstand unserer heutigen Erinnerung ergeben sich daraus für mich vor allem die folgenden fünf Einsichten.
Zunächst einmal: Es gibt, anders als Karl Marx es proklamiert hat, keine Gesetzmäßigkeit des Geschichtsverlaufs, der zufolge er zwangsläufig im Sozialismus endet. Die gesellschaftlichen Verhältnisse müssen vielmehr immer wieder aufs Neue verbessert und auch vor Verschlechterungen bewahrt werden, damit sie den Grundwerten der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität so weit wie nur möglich entsprechen. Deshalb bedarf es einer allgemein anerkannten Wertordnung, deren Herleitung und Begründung indes dem einzelnen überlassen bleiben muss. Die deutsche Sozialdemokratie hat diesen entscheidenden Schritt erst 1959 mit dem Godesberger Programm vollzogen. Aber Friedrich Ebert war mit manchen seiner Entscheidungen schon auf dem Wege dahin.
Die Jahre, von denen wir hier reden, zeigen weiter: Die Demokratie braucht Demokraten. So wichtig staatliches Handeln auch ist, kann die Demokratie nicht allein mit staatlichen Mitteln erzwungen und verteidigt werden. Weimar hatte nur zu Beginn eine überzeugende demokratische Mehrheit. Danach schwand sie mehr und mehr. Am Ende stand die Sozialdemokratie mit ihrem Nein zum Ermächtigungsgesetz allein. Eberts Appelle, sich auf einen demokratischen Grundkonsens über die Parteigrenzen hinweg zu verständigen, waren verhallt. Heute beherzigen wir diesen Grundgedanken erfreulicherweise und nehmen die rechtsextremistischen Provokationen ernst. Zuletzt hat der Anschlag von Fürstenzell dazu beigetragen.
Noch etwas lehren uns die Weimarer Jahre. Nämlich den engen Zusammenhang zwischen der Stabilität einer Demokratie und den jeweiligen konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen. Ebert kannte diesen Zusammenhang. Weimar hatte eine Chance, als sich die wirtschaftliche Situation vorübergehend besserte. Und die Demokratie ging auch deshalb zugrunde, weil die Weltwirtschaftskrise und die durch sie hervorgerufene Massenarbeitslosigkeit den linken und vor allem den rechten Feinden der Republik die Menschen in die Arme trieben. Umgekehrt hat zum Aufstieg der Bundesrepublik die günstige, so zunächst gar nicht erwartete wirtschaftliche Entwicklung, die lange anhielt, entscheidend beigetragen. Gerade in der gegenwärtigen Krise sollten wir uns das eindringlich vor Augen führen. Ebert wusste auch, dass es auch dazu eines starken und handlungsfähigen Staates bedarf.
Eberts Beispiel unterstreicht ferner die Bedeutung überzeugender Persönlichkeiten für das Gemeinwesen. Von Persönlichkeiten, die die Macht nicht als Selbstzweck oder als Mittel zur Steigerung des eigenen Lebensgefühls benutzen, sondern dem Gemeinwohl selbst um den Preis eigener Opfer dienen. Die jeweils die Folgen ihres Handelns bedenken und die nicht nur den Verstand, sondern auch die Herzen ihrer Mitmenschen erreichen. Das ist Ebert allerdings offenbar erst im Tode in breitem Maße gelungen.
Bleibt für mich noch eine letzte Erwägung. Das ist die Mahnung, mit dem Urteil über frühere Personen und Ereignisse nicht besserwisserisch, sondern gerecht umzugehen. Ebert ist diese Gerechtigkeit nicht immer zuteil geworden. Die Frage, wie hättest Du Dich seinerzeit bei Deinem damaligen Kenntnisstand verhalten, kann da weiterhelfen.
3.
Damit bin ich nun schon bei der Arbeit der Stiftung. Nach dem Errichtungsgesetz ist ihr aufgetragen, das Andenken an das Wirken des ersten deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert zu wahren und einen Beitrag zum Verständnis der deutschen Geschichte seiner Zeit zu leisten. Diesen Auftrag hat sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten in vorbildlicher Weise erfüllt. Sie hat Kenntnisse vermittelt und Lehren aus der Vergangenheit für die Gegenwart gezogen. Darunter eben auch die, die ich soeben angesprochen habe.
Geschehen ist das durch wissenschaftliche Tagungen, durch Seminare, durch Sonderausstellungen, durch zwei Schriftenreihen und durch die Einrichtung eines Archivs und einer Bibliothek. Und natürlich in erster Linie durch die ständige Ausstellung und die Rekonstruktion von Eberts Geburtswohnung hier in Heidelberg. Die erscheint mir so bemerkenswert, weil sie eine konkrete Vorstellung von den Lebensverhältnissen einer Handwerkerfamilie der damaligen Zeit vermittelt. Das besagt mehr, als Bücher, Aufsätze und Bilder es vermögen.
Es würde zu weit führen, wenn ich jetzt Einzelheiten über die Aktivitäten der Stiftung aufzählen wollte. Ermuntern möchte ich nur dazu, den Wanderausstellungen auch in Zukunft besonderes Gewicht beizumessen.

Friedrich Ebert, 1923. Bundesarchiv

Tragen sie die Erinnerung doch immer wieder auch über Heidelberg hinaus.
Statt dessen möchte ich allen danken, die zum Erfolg der Stiftung beigetragen haben und noch weiter beitragen. Der Stadt Heidelberg und der Friedrich-Ebert-Stiftung, weil sie diesen Ort rechtzeitig gesichert und so die Errichtung der Stiftung an historischer Stelle ermöglicht haben. Der Bundesrepublik und insbesondere dem Bundestag, der die Stiftung durch das im Dezember 1986 beschlossene Gesetz errichtet und sie seitdem laufend unterstützt hat. Dann dem Kuratorium, an seiner Spitze Henning Scherf, und dem Vorstand, bestehend aus den Herren Jan Hoesch, Dieter Dowe und Walter Lenz. Weiter dem wissenschaftlichen Beirat unter Leitung von Klaus Schönhoven. Und dann natürlich besonders allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die seit 1986 für die Stiftung tätig waren. Der bisherige Geschäftsführer – Sie, Herr Graf – und der jetzige Geschäftsführer – Sie, Herr Dr. Mühlhausen – verdienen dabei eine hervorgehobene namentliche Erwähnung.

Wenn Friedrich Ebert uns heute Abend von irgendwoher zuschaut – er wäre sicher mit dem, was ich gerade über die Arbeit der Stiftung gesagt habe, ganz einverstanden. Und das ist wohl das höchstmögliche Lob in dieser Sache. Er würde es mit den besten Wünschen für die Zukunft verbinden. Und weil er das doch nicht selber tun kann, tue ich es an seiner Stelle. Wenn Sie so wollen, als sein achter Nachfolger im Parteivorsitz der SPD.

Feb. 2009 | Heidelberg, Allgemein, InfoTicker aktuell, Politik, Zeitgeschehen | 1 Kommentar