… und – zu guter Letzt – ein Zitat Ratzingers, an das er öffentlich wohl mittlerweile nur allzu ungern erinnert wird!
Des Papstes Einlassungen in der Sache Piusbrüder reichen nicht. Seinen Schafen reicht es jetzt aber gewaltig. Wann eigentlich wird Ratzinger seine Verwandschaft mit der Verwandschaft der Piusbrüder lästig, weil sie offenkundig geworden ist? Soll der vatikanische Hinweis auf das Selbstverständliche genügen, der – viel zu spät – nachgereicht wurde? „Der Bischof Williamson hätte sich in absolut unzweideutiger Weise öffentlich von seinen Positionen betreffend der Schoa distanzieren müssen, um in der Kirche die Zulassung zu bischöflichen Handlungen zu erlangen“, heißt es in einer Erklärung des vatikanischen Staatssekretariats. Damit ist freilich lediglich ein zivilisatorisches Minimum gesichert: …… das Dementi einer ungeheuerlichen Möglichkeit, die ein paar quälend lange Tage im Raum stand. Der ungeheuerlichen Möglichkeit nämlich, dass es in der römischen Kirche demnächst Bischöfe geben könnte, die tagsüber ihr Lehramt ausüben und sich abends – sagt man in diesem Fall: nach Dienstschluss? – als Holocaustleugner betätigen.
Entsetzt muss man sich aber nun fragen dürfen, was den Vatikan auch weiterhin zu der Annahme veranlasst, die traditionalistische Piusbruderschaft könne ihren Ungeist aufgeben. Nach allem, was bekannt ist und von der Gruppierung selbst erklärt wird, speist sich ihre gesamte Identität aus der Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, welches die Aussöhnung mit dem Judentum, Religionsfreiheit und die allgemeine Menschenwürde innerkirchlich festschrieb. Wie sollte aus programmatischer Ablehnung dieser Prinzipien echte Zustimmung werden?
Die Bundeskanzlerin hatte ihre Kompetenz – wie aus CSU-Kreisen verlautet – keineswegs überschritten, als sie eine weitergehende vatikanische Klarstellung verlangte. Denn natürlich berührt es das Verhältnis von Kirche und Staat, wenn ein Volksverhetzer durch päpstliche Dekrete begünstigt wird. Wieso hätte sich Kanzlerin Merkel da raushalten sollen, wie nach ihrer Intervention verschiedentlich gefordert wurde? Auch der Islam wird ja in dem Moment eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, wo er Hassprediger frei schalten lässt.
Aber Williamsons Idiotie ist nicht der einzige Grund, warum die Aufhebung der Exkommunikation einer kirchlichen Splittergruppe von gesamtgesellschaftlichen Belang ist. Die Piusbruderschaft verhöhnt nicht zufällig säkulare Errungenschaften wie Religionsfreiheit und andere Ableitungen der universalen Menschenwürde. Die Verächtlichmachung solcher Grundprinzipien bürgerlichen Zusammenlebens ist bei dieser Gruppierung programmatisch. So will sie den Staat in die Pflicht nehmen, „falschen Religionen“ das Daseinsrecht zu bestreiten. Gewiss, in den privaten Bereich habe der Staat nicht einzugreifen, erklärt Franz Schmidberger, der Chef der deutschen Piusbrüder, im Internet. „Doch etwas anderes ist es, im öffentlichen Bereich die Anhänger falscher Religionen daran zu hindern, ihre religiösen Überzeugungen durch öffentliche Kundgebungen, Missionierungsarbeit und Einrichtung von Gebäuden für ihren falschen Kult in die Tat umzusetzen . . . Nur die Wahrheit hat ein (Natur-)recht, der Irrtum nie und nirgends. Oder hat etwa der Islam ein Naturrecht darauf, Moscheen zu bauen? So ist die Ablehnung der Religionsfreiheit im oben angegebenem Sinn ein machtvoller Schutz für die Seelen.“
Bekehrung Roms durch die Piusbrüder
Hier spricht nicht etwa der Charme verweigerter Zeitgenossenschaft, wie eine blauäugige intellektuelle Sympathisantenszene meint. Hier spricht ein seppelartiger antimoderner Affekt, eine aggressive Intoleranz und Intransingenz, die sich metaphysisch beglaubigt wähnt. Hier spricht ein Wahn, der im Namen des Übernatürlichen sich ans Natürliche, an Recht und Kultur, im Grunde nicht gebunden fühlt. Wie bei Sekten werden Dialoge mit Außenstehenden nur strategisch geführt, Widerspruch stabilisiert das Selbstverständnis, Fahnenträger der Wahrheit zu sein. „Inzwischen gilt es, heldenhaft unter dem Kreuz der Ausgrenzung auszuharren“, schreibt Schmidberger. In der Logik heroischen Ausgegrenztseins stellt sich der Protest gegen die Exkommunikation als teuflische Medienkampagne dar, als Feldzug der Ungläubigen und, soweit katholische Amtsträger an ihm teilnehmen, als Ausweis für die Verrottung und Kompromisslertum der nachkonziliaren Kirche. Schmidberger spricht von dem aller Theokratie abschwörenden Zweiten Vatikanischen Konzil als dem „größte(n) Unglück des vergangenen Jahrhunderts“. Und er enthüllt, dass die Aufhebung der Exkommunikation Teil eines Stufenplans sei, an dessen Ende die Bekehrung Roms durch die Piusbrüder stehe: „der Wiederaufbau der zerstörten Stadt Gottes“.
Wie in diesen Stufenplan die erwartete Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils passen soll, wird wohl ein päpstliches Geheimnis bleiben. Die Traditionalistenbischöfe werden das Rätsel nicht lösen können, ohne mit ihrem erklärten Selbstverständnis zu brechen. „Ihre Exkommunikation wurde in der Hoffnung aufgehoben, dass sie anschließend in sich gehen und sich wieder auf die Kirche zubewegen. Das ist meines Wissens in 2000 Jahren Kirchengeschichte ohne Beispiel“, so der Regensburger Theologe und Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert. „Bisher mussten Ketzer, Häretiker oder Schismatiker in solchen Fällen erst etwas unterschreiben, indem sie feierlich und verbindlich das zurücknahmen, was ihren Ausschluss veranlasst hatte.“ So lässt auch die gestrige Erklärung aus dem Vatikan mehr Fragen offen, als sie beantwortet.
Wir stellen zu guter Letzt eine Frage, die wir gerne in Komentaren von Ihnen beantwortet haben würden: Wie möchte wohl Josef Ratzinger verstanden werden wollen, als er schrieb:
„Das verbriefte Recht auf Freiheit des Glaubens rechtfertigt nicht das Herleiten eines Rechts auf Abweichung. Das Recht auf Glaubensfreiheit hat nicht die Freiheit in Bezug auf die Wahrheit zum Inhalt, sondern die freie Bestimmung eines Menschen, in Übereinstimmun mit seinen moralischen Verpflichtungen, die Wahrheit zu akzeptieren.“ Ω
So weit wagen sich nicht einmal Piusbrüder aus der Deckung. Wollten wir wirklich, dass Josef Benedikt Ratzinger „seiner Kirche“ weiterhin schade, würden wir nicht wollen, dass er zurücktritt.
Jürgen Gottschling
Ω Im Mai 1990 gab die Glaubenskongregation einen Vorabdruck des neuen, revidierten „allgemeinen Katechismus der katholoischen Kirche“ heraus – die offizielle Formulierung der Dogmen, an die alle Katholiken zu glauben haben. Ohne jegliche Flexibilität verurteilt dieser keineswegs in der Zwischenzeit revidierte Katechismus (neben einem Katalog auch anderer Dinge) deszidiert Ehescheidung, Homosexualität und Geschlechtsverkehr vor und außerhalb der Ehe. Er führt die Unfehlbarkeit des Papstes, die unbefleckte Empfängnis und die Aufnahme Mariens in den Himmel und auch die „allumfassende Autorität der katholischen Kirche“ als Grunddogmen des katholischen Glaubens auf. Und in einer besonders dogmatisch formulierten Passage erklärt dieser Katechismus, dass „die Aufgabe einer authentischen Interpretation des Wortes Gottes … dem jeweiligen Lehramtsvertreter der Kirche allein zusteht“. Nach diesem vom Papst gebilligten und abgesegneten Dokument steht auch katholischenTheologen nicht das Recht zu, von der feststehenden Lehrmeinung der Kirche abzuweichen. In diesem Dokument erklärt das Kurienkardinal Ratzinger hochselben mit obigem Zitat (siehe auch: The Times, 27. Juni 1990).