Kathrin Passig und Sascha Lobo helfen, das Leben so zu organisieren, dass man es nicht ständig organisieren muss. Ein ebenso provokantes wie brillant geschriebenes Lob der Disziplinlosigkeit – ein Muss für jede faule Sau (wie Kreativlinge von kleinkarierten „Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute“- Sagern gern genannt werden.
Kaum war er aufgewacht“, heißt es in Iwan Gontscharows Roman „Oblomow“, „als er auch schon die Absicht fasste, aufzustehen, sich zu waschen, und wenn er Tee getrunken habe, gründlich nachzudenken, dies und das zu überlegen, Notizen zu machen und sich überhaupt ordentlich mit der Sache zu befassen. So lag er etwa eine Stunde da, quälte sich mit dieser Absicht, überlegte dann aber, dass er dies alles auch nach dem Tee machen könne …“
Der träge Gutsherr Oblomow ist der wohl bekannteste Aufschieber der Weltliteratur, der kaum etwas geregelt kriegt und dem Selbstdisziplin ein schreckliches Fremdwort ist. Gontscharows zeitgenössische Leser sahen in Oblomow Mitte des 19. Jahrhunderts den Repräsentanten einer untergehenden Klasse, während das psychopathologische Verhalten des seltsamen Helden heute vor allem zur Charakterisierung eines verbreiteten Krankheitsbildes dient. Oblomow hat meist nicht die Kraft, etwas zu tun, leidet aber auch schwer am Lassen.

Kathrin Passig / Sascha Lobo: Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin. Rowohlt Berlin, Berlin 2008, 288 Seiten, 19,90 Euro.
„Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne“, schreiben Kathrin Passig und Sascha Lobo zu Beginn ihres Buches über Prokrastination, deren Wortbedeutung aus dem Lateinischen stammt: Crastinus heißt, dem morgigen Tag zugehörig, und prokrastinieren, im Englischen erstmals 1588 erwähnt, bedeutet wörtlich übersetzt: für morgen lassen. Genau das ist es, was Oblomow den ganzen langen Roman über tut.
In seinem Gefolge befinden sich Millionen von Menschen, die ihr Studium nicht beenden, Probleme mit der Steuererklärung haben, im Müll ihres Haushalts versinken oder die Post ungeöffnet liegen lassen. Das Glück über die Freiheit von lästigen Arbeiten hält sich in Grenzen, und nicht selten klopft das Aufgeschobene als Leiden an der eigenen Untätigkeit wenig später wieder an.
Weil das Autorenduo nicht dauernd das eher umständliche Wort Prokrastination verwenden wollte, hat es sich für die Formel „Lobo“ entschieden, hinter der sich nicht nur der Name eines der beiden Autoren, sondern auch die Abkürzung für den Lifestyle of bad organization verbirgt. Drittens kann man darin ein Anagramm aus Teilen des Namens Oblomows entdecken, was Passig und Lobo zwar nicht eigens erwähnen, aber gewiss als pure Absicht nicht verleugnen würden. Soviel Komplexitätsreduktion glückt bisweilen auch dem gelassensten Prokrastinierer.
„Dinge geregelt kriegen“ ist denn auch alles andere als ein Stück Betroffenheitsliteratur. Mit den Mitteln des Ratgebers ziehen die Autoren gegen die Strategien der Ratgeber zu Felde. Gegen die Triumphe der Simplify-Methoden empfehlen sie gepflegtes Verkomplizieren. Vereinfachen gilt nicht, in der Vielfalt der Überforderung winkt die kreative Lösung. Nur wer viel anfängt, kann auch an vielen Stellen weitermachen.
Im Kontext der Ratgeberliteratur, die auf das individuelle Leiden an den Überforderungen des Alltags reagiert, kann man Passigs und Lobos Hinweise als paradoxe Intervention lesen. Gegen die Übercodierung von To-do-Listen empfehlen sie Liegen und liegen lassen und das Warten auf den richtigen Moment. Wer tiefer eingearbeitet ist in die Materie des gekonnten Aufschiebens, kann bald Erfahrungen mit wundersamen Selbstheilungen machen.
Gut möglich, dass technisch defekte Geräte wieder zu laufen beginnen, wenn man ihnen nur etwas Zeit lässt. Und nichts ist erhebender als die Folgenlosigkeit, die aus einer zuvor beklemmenden Unterlassung hervorgeht. „Überraschend oft passiert gar nichts Grässliches, wenn man seine Aufgaben schlicht ignoriert.“
Man könnte es dabei bewenden lassen und „Dinge geregelt kriegen“ als amüsantes Handbuch für die Besänftigung der eigenen Willensschwäche lesen. Längst deutet sich aber an, dass geschicktes Prokrastinieren zur überlebenswichtigen Kompetenz werden kann. Während in den Arenen der Selbstoptimierung, die Schönheitsfarm oder Fitnesscenter, aber auch Managerschulung heißen, mit dem erschöpften Selbst Jo-Jo gespielt wird, ist Prokrastination die Übungseinheit für brachliegende Talente. Wo das geregelte Leben selbst verschwindet, wird Improvisieren zur attraktiven Kulturtechnik. Glaubt man der Legende, dann ist das Penicillin nur deshalb erfunden worden, weil sein Erfinder am Abend vorher die angelegten Pilzkulturen nicht aufgeräumt hat.
Der Lobo ist am Ende wohl kein Vademecum für Schlampen, Sitzenbleiber und Hängertypen. Das Geheimnis des Bleibenlassens besteht in dem unerschöpflichen Reservoire späterer Anschlussmöglichkeiten. Prokrastinierer dürften noch viel zu tun haben beim Untergang von Finanz- und anderen Systemen.
Kathrin Passig / Sascha Lobo: Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin. Rowohlt Berlin, Berlin 2008, 288 Seiten, 19,90 Euro.
Leseprobe: Einleitung
Wir schreiben dieses Buch aus Notwehr.
Und weil die Welt bestimmte Bücher braucht, auch wenn man sie erst mühsam schreiben muss. Wir wollen den vielen Menschen eine Stimme sein, die zwi schen den verhärte ten Fronten der überfleißi gen Arbeitstiere und der alles ablehnen den Faulen zerleben. Wir möchten uns durch aus nützlich machen – aber zu unseren Bedingungen.
Die bisherige Literatur zum Thema « Dinge geregelt bekommen » teilt sich in zwei Grup pen : Die eine wirft dem ohnehin Verzweifelten direkt oder in direkt vor, selbst an seiner Überfordrung schuld zu sein, und präsentiert Lösungsvorschläge, die garantiert zum Erfolg führen, wenn man sich nur gleich ab morgen wirklich zusammen reißt. Die andere Gruppe predigt Entschleunigung, den Ausstieg aus allem Möglichen und das Recht auf Faulheit. Technischer Fortschritt sei keine Lösung, sondern die Wurzel allen Übels.
Am Ende steht die resignierte Botschaft, dass man nur beim Rosen züchten und mit selbst gepresstem Oli venöl wirklich glücklich weden kann.
Wir wollen eine andere Lösung unserer Probleme. Wir kommen mit vielem nicht zurecht, wollen des halb aber nicht darauf verzichten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wir möchten keine kräfte zehren den Tricks lernen, wie man sich in das enge, kantige Korsett von Konventionen zwischen Arbeit und Amt hin ein pressen kann. Wir wollen einen neuen Stand punkt entwickeln, der das Wort Selbstdisziplin aus dem eigenen Wortschatz so weit wie irgend möglich verbannt. Denn Selbstdisziplin ist eine Kettensäge : Man kann mit ihr ganze Wälder voller Bäume fällen, sich aber auch nebenbei ein Bein amputieren. Mit Hilfe von Selbst disziplin kann man sich nachhaltig durch eine Lebensgestaltung unglücklich machen, die überhaupt nicht zu einem passt. Es mag manchmal nötig sein, Dinge zu tun, die einem nicht gefallen, aber erstens ist das noch unbewiesen, und zweitens lebt man glücklicher, wenn man den Anteil dieser Tätigkeiten so gering wie möglich hält. Kurzum, wir wollen das Leben so organisieren, dass man das Leben nicht mehr organisie ren muss. Das rea lis ti sche Minimal ziel ist, dass Sie dieses Buch lesen, in Ihrem Leben nichts ändern, sich da mit aber besser fühlen als vorher.
Vorab noch ein Wort zur Warnung : Die Rat schläge in diesem Buch sind nicht für alle Menschen gleichermaßen geeignet. Nichts ist für alle Menschen gleichermaßen geeignet.
Ein Umstand spricht aber jedenfalls stark dafür, dass die Grundaussage von « Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin » richtig ist : Wenn es nicht möglich wäre, dass zwei Menschen, die beide den schwarzen Gürtel im Verschieben tragen, gemeinsam unter Anwendung der hier vorgestellten Techniken ein Buch schreiben, würden Sie gerade eine unbedruckte Seite betrachten. Blättern Sie ruhig noch ein Stück weiter. Wenn das Buch nicht zu zwei Dritteln leer ist, haben wir wahrscheinlich recht.