Mit dem israelischen Militärschlag gegen die Hamas scheint eine Beilegung des Nahostkonflikts ferner denn je. Aber wie realistisch sind die Hoffnungen auf eine Friedenslösung überhaupt, solange auf beiden Seiten ein verhohlener Anspruch auf das gesamte Territorium besteht?
Anerkennung ist eine, wenn nicht die grundlegende Kategorie der Staatenwelt. Auf ihr ruhen alle Begriffe des Rechts, des regulierten Handels untereinander, nicht zuletzt auch der Kriegsführung. Die Unterscheidung zwischen regulärer und irregulärer Anwendung militärischer Gewalt geht letztlich auf jene Urkonstellation zurück: die der Anerkennung oder ihres Gegenteils – eben der Nichtanerkennung.

Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen Israeli und Palästinensern von einer chronischen Konstellation der Nichtanerkennung geprägt. Alles, was dem an politischer Diagnostik widersprechen könnte, ist weitgehend Mimikry. Anerkennung würde erst dann Platz greifen, wenn sich beide der Respektierung ihrer jeweiligen Staatlichkeit durch den anderen gewiss sein könnten – und damit verbunden einer gleichermassen garantierten Unantastbarkeit des jeweiligen Territoriums. Davon kann indes keine Rede sein. Jedenfalls nicht wirklich. Zwar wird als politischer Erwartungshorizont allenthalben die Lösung in Gestalt zweier Staaten propagiert – ein bereits bestehender israelischer und ein zu gründender palästinensischer Staat; doch bei aller gewiss daherkommenden Rhetorik zerschellt dieses Vorhaben ständig und immer wieder an den Katarakten der Wirklichkeit.

Mächtige Minderheit

Seit Jahren, ja seit Jahrzehnten machen Demoskopen drei politisch verschiedene Segmente in der israelischen Bevölkerung aus. Das eine Drittel tritt grundsätzlich durchaus für die Gründung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels ein. Ein weiteres Drittel schliesst eine solche Staatsgründung prinzipiell aus. Die Haltung eines weiteren Drittels ist eher agnostisch, will heissen: konjunkturell motiviert. Und die politische Konjunktur bewegt sich in Richtung eines palästinensischen Staates. Dass es einer erdrückenden numerischen Mehrheit in Israel indessen nicht gelingt, ihren Willen zur Geltung zu bringen, ist nicht nur der palästinensischen Kakofonie geschuldet, sondern dem nicht unerheblichen Umstand, dass dem innerisraelischen ideologischen Drittel der Verweigerer ein weit über seine numerische Zahl hinausgehendes Gewicht zukommt. Es hütet nämlich den politisch heiligen Gral der biblischen Legitimität, auf der das staatliche Gemeinwesen der Juden im Ganzen ruht – will heissen: Es ist der Mythos des Landes Israel, das dem Staate Israel auch in den Grenzen von 1949 innerjüdisch zugrunde liegt.

Diese für fast alle jüdischen Israeli verbindliche Rechtfertigung ihres Daseins am Ort stattet das zahlenmässig minoritäre Drittel, welches dieses Prinzip auch durchzusetzen versteht, allen anderen gegenüber mit einer argumentativen Prärogative aus. Und das letztgültige, gleichsam materielle Argument im Legitimitätsdiskurs ist die Siedlung. So vermochte es bisher keine israelische Regierung, auch nicht die im Konflikt mit den Palästinensern konzilianteste, sich zu einem wirklichen Siedlungsstopp in Cisjordanien oder gar zu einem signifikanten Abbau von Siedlungen durchzuringen. Keine war bereit, einen tatsächlichen Kon flikt mit den Siedlern und ihren politischen Unterstützern zu riskieren. So nimmt die prinzipienfeste Minderheit die territorial kompromissbereite Mehrheit mittels des für beide gemeinsam gültigen Arguments eines biblisch begründeten Anspruchs auf das Land in ideologische Geiselhaft.

Legitimitätsfalle

Auch die Palästinenser sind in einer sie politisch lähmenden Legitimitätsfalle befangen. Dabei haben sie schon mehrfach die Anerkennung Israels ausgerufen. Das Ziel eines eigenen, wesentlich in den Grenzen von Cisjordanien und Gaza zu etablierenden staatlichen Gemeinwesens ist im Grossen und Ganzen wirklich innerpalästinensischer Konsens. Indes dürfte eine genauere Analyse der Argumentationslage dessen Haltbarkeit weniger gewiss erscheinen lassen.

Anfänglich, noch vor 1967, war die palästinensische Nationalbewegung mit dem Anspruch einer «Befreiung» Palästinas vom Mittelmeer bis zum Jordanfluss angetreten. Bestenfalls handelte es sich bei diesem Programm um die Absicht, den Zustand von vor 1948 wiederherzustellen, mindestens aber um die Forderung nach einer Rückkehr der 1948 vertriebenen und geflohenen palästinensischen Araber. Man hegte Vorstellungen von einem «demokratischen Staat», nicht aber die Absicht einer kollektiven Akzeptanz der dort lebenden Juden. Stattdessen waren nationalrevolutionäre Strategien in einer ohnehin revolutionstrunkenen Zeit entwickelt worden. So hiess es triumphalistisch, der Weg nach Tel Aviv führe über Amman. Indes wurde zunehmend deutlich, dass der Weg zu einem palästinensischen Staat allein über Tel Aviv zu nehmen sei, also israelischer Zustimmung bedürfe.

Die Verschiebung der palästinensischen Ziele von der «Befreiung» (Palästinas) zu einer sich auf Cisjordanien und den Gazastreifen beschränkenden palästinensischen Staatsgründung forderte den Palästinensern einen nicht unerheblichen Mentalitätswandel ab. Schliesslich bedeutete Staatsgründung die Bereitschaft, den historischen Konflikt mit Israel politisch mittels Anerkennung und territorialer Grenzziehung zu beenden. Dies bedeutete in erster Linie, Verzicht zu leisten, vornehmlich Abschied zu nehmen von der für die Palästinenser schier konstitutiven emblematischen Figur der «Rückkehr» – will heissen: der Utopie des vor 1948 imaginierten Zustands.

Kollidierende Ansprüche

Die israelischen wie die palästinensischen Ambivalenzen in der Anerkennung des jeweils anderen haben ihre Quelle in einem verhohlenen Anspruch auf das ganze Land. Dort haben die inneren Blockaden oder die Bürgerkriege ihren tiefen Grund. Dass zwischen den zum Konsens unfähigen Kontrahenten alternierend Gespräche und Gewalt sich ablösen, ist jener grundlegenden Konstellation innerer Unentschiedenheit auf beiden Seiten geschuldet. Um dennoch politikfähig zu erscheinen, haben etwa radikalere palästinensische Fraktionen, später auch die Hamas, sich auf die vieldeutige Aussage kapriziert, es gelte die Israeli zum Rückzug auf die Grenzen von vor 1967 zu veranlassen, ohne indes die Anerkennung des jüdischen Staates wirklich zu ratifizieren. Eine solche in der dilatorischen Anerkennung Israels angelegte Haltung erlaubte über lange Dauer, so etwas wie das politisch heilige Gut einer palästinensischen Einheit zu wahren. Dieses Gut fand sich seinerzeit wesentlich in der Person Yasir Arafats aufgehoben, dies aber um den Preis ebenjener innerpalästinensischen Lähmung. Nach seinem Tode sollte sich der latente Konflikt im Gegensatz von Fatah und Hamas blutig Bahn brechen. Dieser fand seinen territorialen Niederschlag im politischen Auseinanderdriften von Cisjordanien und Gaza.

Das ist nicht weiter verwunderlich. Der Streifen beherbergt auf engem Raum verhältnismässig weit mehr Flüchtlingsbevölkerung als Cisjordanien. Deren bemitleidenswerte Lage geht auf den Krieg von 1948 zurück. Zudem entstammen sie in einem nicht unerheblichen Ausmass Orten, die, inzwischen zu israelischen Städten ausgewachsen, von ihnen mit Raketenbeschuss belegt werden. Sozial depraviert und über Jahrzehnte dem Einfluss der nahen ägyptischen Muslimbrüder ausgesetzt, reicherte sich der auf 1948 fixierte palästinensische Nationalismus der Menschen im Gazastreifen verschärfend mit Komponenten eines radikalen Islam an. So sieht die Hamas in Israel und den Juden nicht nur Okkupanten der jetzigen palästinensischen Gebiete, sondern in der «Besetzung» eines Teils von Palästina durch den Staat Israel auch ein regelrechtes Sakrileg. Die Diskrepanz der innerpalästinensischen Vorstellungen war über lange Dauer durch die Dominanz der Mehrheitsfraktion der PLO bzw. der palästinensischen Autonomiebehörde verdeckt worden. Als Israel unter Sharon 2005 den Gazastreifen einseitig räumte, setzten militante Palästinenser vornehmlich islamischer und islamistischer Observanz den Beschuss des israelischen Kernlands weiter fort, als sei nichts geschehen. Damit signalisierten sie, dass ihr Kampf nicht der Wiedererlangung der 1967 besetzen Gebiete und damit der Gründung eines palästinensischen Staates gelte, sondern der «Befreiung» von ganz Palästina.

Verhandlungen – oder Gewalt

Mit der Hamas kann Israel im Prinzip keine politische, auf territorialer Unterscheidung zweier Gemeinwesen beruhende Lösung aushandeln. Das wäre mit der Autonomiebehörde von Mahmud Abbas durchaus möglich – wenn nur beide Seiten wollten bzw. könnten. Mit der Hamas wiederum können allein Formen der Waffenruhe und des Waffenstillstandes ausgehandelt werden – auch solche von langer Dauer. Die Konditionen und Regularien eines solchen Abkommens scheinen gegenwärtig blutig ausgehandelt zu werden. Denn ohne Anerkennung bleibt den Protagonisten nur die Sprache der Gewalt. Ihrer Syntax und Grammatik wird man gegenwärtig ansichtig.

Der Autor Dan Diner ist Professor für moderne Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig. Zuletzt erschienen: Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007.

Jan. 2009 | Allgemein | Kommentieren